Über zweieinhalb Jahre wurden Schule, Schüler und Lehrer einem rigiden Maßnahmenkatalog unterworfen — nach den Ferien soll nun angeblich alles besser werden.
Ein Standpunkt von Willy Meyer.
Angesichts des nahenden Schuljahresbeginns verkündet ein Kultusminister nach dem anderen, dass Schule in seinem Bundesland fortan „maßnahmenfrei“ stattfinden werde. Während sich aber viele Schulleiter freuen, den Wust an coronabedingten Regularien fallenzulassen und sich, wie beispielsweise in Hamburg (1), den zu implementierenden neuen Bildungsplänen zuwenden zu können, kehren nicht wenige Pädagogen mit einem gewissen Unbehagen an ihren Arbeitsplatz zurück. Schließlich galt Schule vielen unter ihnen seit jeher als Brutstätte von Viren und Bakterien. Das Bild innerhalb der Schülerschaft ist ebenso uneinheitlich: Schon vor den großen Ferien ließen insbesondere die Jüngeren Tests und Masken einigermaßen zügig und fröhlich hinter sich. Ältere hingegen sorgten sich nicht selten wegen der plötzlich wiedergekehrten Unbedarftheit des täglichen Miteinanders, blieben lieber auf Abstand, testeten sich freiwillig und glaubten, ihrer Solidarität Ausdruck zu verleihen, indem sie weiterhin in der Schule Maske trugen.
Alles wieder gut?
Und nun heißt es, „alles“ sei wieder „normal“. Die Entscheider und Lenker des Bildungssystems möchten so tun, als sei nichts gewesen. Man will zurück zur vermeintlich altbekannten Tagesordnung. Aufarbeitung des in den vergangenen zweieinhalb Jahren Erlebten? Fehlanzeige.
Oh, da gab es in den Ferien Stütz- und Aufholkurse für jene Schüler, die in den verschiedenen Lockdowns und Teilschließungen im häuslichen Umfeld den Anschluss an ihre Kameraden nicht halten konnten. Die Standards für Abschlussprüfungen und Überprüfungen wurden gesenkt, damit niemandem ein Nachteil entstehe; einige schriftliche Prüfungen entfielen gar komplett. Großzügig und großflächig wurde die Schülerschaft mit I-Pads und anderen Tablets versorgt. Stets wurden alle Schüler und Eltern durch einen nicht versiegen wollenden Strom von behördlichen und schulischen Mitteilungen auf dem Laufenden gehalten.
Das, wie gesagt, ist nun Schnee von gestern. Den Blick nach vorn gerichtet, geschieht, was Schüler von ihrem Stundenplan verinnerlicht haben: eben noch Mathe, jetzt halt Sport. Nur nicht nachdenken, dafür radikal umschalten, bloß kein Blick zurück. Dabei gäbe es derzeit so manches aufzuarbeiten. Dies umso dringlicher, als die allermeisten Bildungseinrichtungen vorgeblich den jungen Menschen in seiner Ganzheit in den Blick nehmen, ihn mit Kopf, Herz und Hand wahrnehmen und fördern wollen, damit ein mündiger, selbstbestimmt lebender und denkender Bürger aus ihm werde.
Gravierende Auswirkungen
Die allermeisten jungen Menschen wurden durch die Maßnahmen der jüngsten Vergangenheit tief verunsichert, nicht selten sogar traumatisiert. Sie mussten lernen, dass ihre bloße Anwesenheit andere gefährden könnte, dass sie vor allem als Virenschleudern wahrgenommen wurden, die nicht nur Omas und Opas Tod bewirken, sondern auch ihre Lehrer und Mitschüler krank machen könnten. So übten sie willig das korrekte Waschen der Hände, das Warten vor den nur für einen Menschen offen stehenden Toiletten, das sitzfeste Tragen der Masken, das tiefe Einführen pharmakologisch präparierter Stäbchen in die eigene Nase, bis zur Schmerzensgrenze.
Auf dem Schulhof bewegten sie sich gehorsam in dem für sie markierten Bereich. Sie nahmen ihre Mahlzeiten draußen, auf dem Boden hockend, zu sich, wenn sie überhaupt in der Schule speisen durften. Sie lernten, sich zu Hause stundenlang unbeweglich vor ihrem Monitor zu setzen, und dass Interaktion nur noch im digitalen Raum stattfinden dürfe. Sie erlebten, dass ihnen Begegnungen mit Freunden und Familie verboten wurden, alle außerhäuslichen Freizeitaktivitäten gestrichen waren, dass sich immer wieder „positiv Getestete“ wochenlang noch extremer isolieren mussten, dass auch viele Erwachsene um sie herum gerade sie als Ventil ihrer eigenen Frustration nutzten.
Für nicht wenige dieser jungen Menschen war diese lange Belastung nicht zu ertragen. Verhaltensstörungen, psychische Erkrankungen, Selbstmorde nahmen unter den jungen Menschen in erschreckendem Ausmaße zu (2).
Denn die allermeisten Kinder und Jugendlichen sind in ihrem Verhalten vor allem darauf bedacht, sich richtig zu verhalten. Die Regeln zu befolgen. Solidarisch zu sein. Nicht anzuecken – umso mehr, als sie einer gefährlichen, doch unsichtbaren Bedrohung ausgesetzt zu sein schienen. Denn da waren sich doch alle einig: Die Eltern sprachen unentwegt davon, die Medien berichteten von nichts anderem, insbesondere die Schule erinnerte sie in jedem Moment an den Furcht einflößenden Zustand, der über ihre Welt gekommen war.
Und mit einem Mal ist alles wieder gut?
Wie müssen Schüler sich jetzt fühlen, deren akademisches Wohl und Wehe von der korrekten Haltung zum Maßnahmenstaat abhing und abhängt? Die beispielsweise im Fach Biologie Referate über die „erfreuliche Wirksamkeit“ von mRNA-Injektionen präsentieren mussten, in Gesellschaftskunde darzulegen hatten, warum das gesundheitliche Wohl und die Entscheidungsfreiheit des Einzelnen im Hinblick auf die Gesundheit aller nachrangig sei, und in Informatik beigebracht bekamen, dass Avatare nachhaltiger und sauberer lebten als deren Bediener.
Für die Mehrheit schien das alles selbstverständlich. Sogar, dass einige ihrer Mitschüler von Ausflügen, teilweise sogar von der bloßen Anwesenheit im Klassenraum ausgeschlossen wurden, weil sie die dort geltenden, teilweise von der Behörde, der Schulleitung oder gar nur der jeweiligen Lehrkraft verhängten Maßnahmen nicht einhalten mochten oder konnten, wie ihr ärztliches Attest bestätigte.
Was macht es mit einer Klassengemeinschaft, wenn eines oder auch mehrere ihrer Mitglieder als aussätzig betrachtet und entsprechend behandelt werden? Wenn Lehrer hysterisch reagieren, weil ein Schüler die Maske nicht ordnungsgemäß über der Nase hat oder die Testkassette ein positives Ergebnis verkündet? Was lernen und verinnerlichen die jungen Menschen in solch einem System, das wir unser Bildungssystem nennen?
Dringlichkeit von Hilfsangeboten
Aufarbeitung tut not. Denn es geht den meisten jungen Menschen innerlich nicht gut. Sie mussten ein kollektives Trauma erleben und lernen, sich einem willkürlichen Maßnahmenstaat gefügig unterzuordnen. Sie haben seelische Verletzungen erlitten, tragen Angst und Misstrauen im Herzen und sind Zeugen, wenn nicht Mittäter, bei täglichen Stigmatisierungen anderer geworden. Sie, die Kinder und Jugendlichen, sind die größten, wehrlosesten und nachhaltigsten Opfer dieser Massenpsychose, der insbesondere westliche Gesellschaften anheimgefallen sind (3). Die Initiative Kindeswohl hat diesbezüglich ein eindringliches Schreiben verfasst (4).
Es wäre die dringlichste, die höchste Aufgabe aller im Bildungssystem Arbeitenden, den jungen Menschen jetzt beizustehen, ihre tiefe Verunsicherung anzuerkennen und gemeinsam mit ihnen das aufzuarbeiten, was ihnen jüngst widerfahren ist. Nicht „Tabula rasa“, sondern „Alles-auf-den-Tisch“ sollte die Losung heute heißen.
Hierzu jedoch müsste „das System“ sich zunächst an die eigene Nase fassen und sich mit dem beschäftigen, was es ausgelöst und durchgesetzt hat. Sofern die Aufarbeitung der sogenannten „Corona-Maßnahmen“ der Bundesregierung dazu ein Indikator sein kann, verheißt das nichts Gutes (5). Auch muss man sich fragen, welches Personal für eine solche Aufarbeitung und ja durchaus auch therapeutische Begleitung den Schülern zur Seite stehen könnte. Die große Mehrheit des Lehrkörpers kommt dafür eher nicht infrage, sollte sie sich doch erst einmal mit ihrem eigenen Verhalten befassen.
Wohin soll das führen?
Es sieht also nicht gut aus für unsere nachwachsende Generation und damit für uns alle. Natürlich wäre den jungen Menschen zu helfen, wenn sich ausreichend Helfende fänden. Die jungen Leute wollen in ihrer unvoreingenommenen Naivität ja mehrheitlich stets das Gute, sind voller Idealismus und hätten auch die Energie anzupacken. Wenn es doch nur um gender-fluide Toleranz, den Klimawandel, Antirassismus oder jegliche weitere „woke“ Agenda-Themen ginge. Doch ist „pandemisch-korrektes“ Handeln vielleicht auch Teil des „Geheimen Lehrplans“ (6), dem selbst viele Lehrer nicht auf die Schliche kommen? Sollen unsere Kinder gefügig gemacht werden, um bei zukünftigen gesellschaftlichen Herausforderungen allen angeordneten Maßnahmen ohne Murren zu folgen?
Schule hat eben zuvörderst einen systemischen Auftrag. Nicht umsonst heißt es so schön: Non scolae, sed vitae discimus (7). Und solches, etwas hipper formuliertes, Lifelong Learning hat immer noch Hochkonjunktur, soll Schule doch Haltungen (8) viel mehr als Wissen vermitteln. Auf die nächste Pandemie sind unsere Schüler nun jedenfalls bestens vorbereitet.
Quellen und Anmerkungen:
(1) https://www.hamburg.de/bsb/bildungsplaene-entwuerfe-2022/
(2) BARMER Arztreport 2021 oder https://www.faz.net/aktuell/gesellschaft/warum-die-suizidrate-bei-jugendlichen-angestiegen-ist-17723466.html (3) https://alethonews.com/2021/05/14/and-how-are-the-children/ (4) www.initiative-kindeswohl.de (Offener Brief) (5) https://www.nachdenkseiten.de/?p=84640 (6) https://www.progress-online.at/artikel/der-geheime-lehrplan (7): deutsch: Nicht für die Schule, sondern für das Leben lernen wir. (8) https://unesdoc.unesco.org/ark:/48223/pf0000372241
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Wir danken dem Autor für das Recht zur Veröffentlichung des Beitrags.
+++ Danke an Rubikon für das Recht zur Veröffentlichung. +++ Dieser Beitrag erschien am 25.August 2022 im Rubikon – Magazin für die kritische Masse
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Bildquelle: Monkey Business Images/ shutterstock
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