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An der Weggabelung | Von Felix Feistel

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Ein Standpunkt von Felix Feistel.

Seit mehr als zwei Jahren fahren sämtliche EU-Staaten einen verheerenden Kurs. Geleitet von der Vorstellung, Russland in die Knie zwingen und ruinieren zu können, um den russischen Staat zu zerschlagen, und in eine Reihe von kleineren Einzelstaaten aufteilen zu können, rennt die EU und mit ihr all ihre Mitgliedsstaaten in ihr eigenes Verderben. Die Sanktionspakete haben Russland nicht geschwächt, dafür aber die europäischen Staaten in die Rezession befördert, ebenso die Abkoppelung von russischen Gaslieferungen. Gleichzeitig mischt die EU sich immer mehr in den Krieg ein. Haben sie der Ukraine zunächst noch Helme geliefert und humanitäre Hilfe geleistet, steigerte sich die Kriegsunterstützung bis hin zu schweren Waffen wie Panzern und Mittelstreckenraketen.

Allein in den letzten Wochen eskalierte der Konflikt in besorgniserregender Geschwindigkeit. Hatte der Westen, angeführt von den USA, Kiew zunächst verboten, russisches Kernland mit den gelieferten Waffen anzugreifen, so fielen diese Verbote eines nach dem anderen, und auch die deutsche Bundesregierung gab grünes Licht für Angriffe tief im russischen Hinterland. Zwar benutzte die Ukraine schon zuvor westliche Waffen, um beispielsweise Belgorod immer wieder zu bombardieren, und das ohne jeden militärischen Nutzen. Immer wieder sterben dabei Zivilisten auf russischem Boden. Doch die offizielle Erlaubnis des Westens, dies nun weiter und in noch größerem Maße zu tun, ist auch eine diplomatische und politische Eskalation. Nur wenige Tage nach den offiziellen Erklärungen der Bundesregierung, die Kiew den Einsatz deutscher Waffen gestattete, startete Kiew den massivsten Angriff auf die Krim-Brücke, den Russland jemals vermeldet hat. Vor dem Hintergrund der Taurus-Leaks, jenes Gesprächs, in dem sich mehrere ranghohe deutsche Militärs darüber unterhalten, wie die Krim-Brücke mit deutschen Taurus-Raketen zerstört werden könnte, wirft das auf Deutschland kein gutes Licht, und könnte Gegenmaßnahmen Russlands gegen Deutschland provozieren.

Denn in Russland machte man deutlich, dass ein Angriff mit westlichen Waffen auf russischen Boden als Kriegsakt betrachtet, und entsprechende Reaktionen auch auf die westlichen Aggressoren nach sich ziehen würde. Hinzu kommt, dass Kiew in letzter Zeit einige Einrichtungen der russischen nuklearen Frühwarnsysteme angegriffen hat. Diese sind Teil des russischen Raketenabwehrschirms und dienen der rechtzeitigen Erkennung westlicher Nuklearraketen. Ein Angriff auf dieses System beschreibt die russische Nukleardoktrin als Grund für den Einsatz von Nuklearwaffen. Es ist der Westen, der hinter diesen Angriffen steht, und das ist auch der russischen Regierung klar. Gegenmaßnahmen würden also nicht zwangsweise auf das Gebiet der Ukraine beschränkt bleiben, sondern könnten ganz Europa betreffen.

Umso mehr, da gerade europäische Staaten immer offener über die Möglichkeit sprechen, eigene Soldaten in die Ukraine zu schicken. Denn die ukrainische Armee steht vor einem totalen Kollaps und kann nur mit massiven Mobilisierungskampagnen aufrechterhalten werden, die aber eine schlecht ausgebildete und wenig motivierte Truppe hervorbringt, die einem Krieg alles andere als gewachsen ist. Westliche Soldaten sollen den Kollaps der Ukraine verhindern. Der Krieg in der Ukraine, den der Westen gegen Russland führt, eskaliert also im atemberaubendem Tempo. Der russische Präsident, Wladimir Putin, erklärte unlängst, er rechne mit einer weiteren Eskalation noch in diesem Sommer. Der serbische Ministerpräsident Alexandar Vucic zeigte sich zudem besorgt über eine Ausweitung des Krieges auf ganz Europa, mit der er innerhalb der nächsten vier Monate fest rechnet.

Diese Eskalation könnte im Ergebnis bedeuten, dass Europa in eine direkte Konfrontation mit Russland eintritt. Hat sich der Westen bislang mit einem Stellvertreterkrieg begnügt, der dazu dienen sollte, Russland zu schwächen, so hat sich gezeigt, dass diese Strategie nicht funktioniert. Damit die unglaublichen Investitionen in die Ukraine nicht vergebens waren, bleibt dem Westen nur noch ein direkter Kriegseintritt. Es ist ein Krieg aus reiner Verzweiflung, um das eigene Versagen zu kaschieren und keine Verantwortung gegenüber der heimischen Bevölkerung für die massive Verschwendung von Steuergeldern, die Zerstörung der heimischen Wirtschaft und die diplomatische Isolation vom Rest der Welt übernehmen zu müssen.

Zu erwarten ist allerdings auch, dass sich die USA aus diesem Krieg heraushalten werden. Denn die NATO verabschiedete vor einigen Wochen eine Erklärung, dass sie nicht in der Ukraine eingreifen werde. Das hat jedoch einzig den Zweck, die Beistandsverpflichtung aus Artikel 5 des NATO-Vertrages nicht auslösen zu müssen. Denn natürlich hat jeder einzelne Mitgliedsstaat die freie Wahl, sich in einem Krieg zu engagieren, und hinter den Kulissen wird es Absprachen mit Washington geben, und, wenn man sich den Schlingerkurs des deutschen Bundeskanzlers ansieht, wird es auch ein Drängen seitens der USA geben, dass Europa sich in diesem Krieg mehr engagiert. Einzig die USA sollen in diesen Konflikt nicht über die NATO mit hineingezogen werden. Für Washington bleibt es weiterhin ein Stellvertreterkonflikt, nur, dass nun eben die ganze EU sich in diesem engagieren soll.

Für die USA und das US-amerikanische Kapital ist es zudem das perfekte Geschäft. Die Ukraine ist unter westlichen Konzernen bereits vollständig aufgeteilt. Blackrock, Vanguard und State Street profitieren von der Aufrüstung und Zerstörung, privatisieren das zerstörte Land und profitieren danach vom Wiederaufbau. Dieses ukrainische Modell kann auch auf den ganzen Rest der EU übertragen werden, sobald diese durch den Krieg in Trümmer gelegt wurde. Denn, dass die EU diesen Krieg gegen Russland gewinnen kann, ist eine reine Illusion. Ein großer Teil der Waffen wurde bereits in der Ukraine verschrottet, mit Munitionslieferungen kommt man kaum hinterher, weil die Produktionskapazitäten überhaupt nicht ausreichen, auch nur die Ukraine zu versorgen. Schwere Waffen sind in der EU mittlerweile Mangelware, und auch Soldaten sind kaum zu Genüge vorhanden, um einen Krieg lange durchhalten zu können. Eine Wehrpflicht behebt diesen Umstand nicht kurzfristig und hat überdies nur den Effekt, dass mehr schlecht ausgebildetes Menschenmaterial an der Front verheizt wird, da die Eingezogenen einen Krieg noch nie aus der Nähe gesehen haben. Die Ausbildung der NATO-Kampftaktiken, so berichten es ukrainische Soldaten immer wieder, sind für den Krieg in der Ukraine ohnehin vollkommen nutzlos.

Auf russischer Seite hingegen kämpft mittlerweile eine gut ausgebildete, im Krieg erfahrene Truppe. Die russischen Soldaten haben gelernt, sich schnell an die sich immer wieder wandelnden Verhältnisse anzupassen, und auch der Militärapparat Russlands hat viele seiner Schwachstellen behoben, und ist durch die reale Verstrickung in einen realen Krieg zu einem effizienteren System herangereift, als seine europäischen Pendants. Diese haben seit Jahrzehnten keine echten Kriege mehr geführt, sondern lediglich technisch und materiell unterlegene Staaten großflächig bombardiert, ohne echte Gegenwehr erleben zu müssen. Die EU kann diesen Krieg also nicht gewinnen, und es wäre auch vollkommener Irrsinn, zu versuchen, Russland zu besiegen. Denn dieses Land verfügt, anders als Afghanistan, der Irak, Syrien, Libyen und all die die anderen Staaten, die der Westen in den letzten Jahrzehnten zerstört hat, über Atomwaffen, und wird diese im Falle einer echten Bedrohung auch einsetzen.

Europa steuert also auf den Zustand einer radioaktiven Wüste zu. Das wird selbstverständlich auch Deutschland betreffen. Hier sind einige große, wichtige US-Militärbasen eingerichtet. Ramstein und Büchel werden zu den ersten Zielen russischer Militärschläge gegen Deutschland gehören, nicht so sehr dafür Berlin, wo es nichts Wichtiges, nicht einmal militärische Entscheidungszentren gibt. Trotz all dieser offenkundigen Tatsachen eskalieren deutsche Politiker wie Marie Agnes Strack-Zimmermann weiter, die unlängst forderte, 900.000 Reservisten zu reaktivieren. Wenn die europäischen Staaten diesen Kurs weiter verfolgen, gehen sie einer düsteren Zukunft entgegen.

Doch auch, wenn der große Krieg ausbleibt, und damit der radioaktive Fallout, so ist die Zukunft Europas alles andere als rosig. Durch die idiotische Sanktionspolitik ist die EU schon in eine tiefe Rezession gerutscht, Deutschland wird schrittweise deindustrialisiert, und damit das ganze Wirtschaftsmodell des Landes geschleift, das bislang als Exportweltmeister gefeiert worden ist. Ähnlich ergeht es den anderen Ländern der EU. Hinzu kommt, dass Länder wie Frankreich auch noch ihre Kolonien in Afrika verlieren, aus denen sie bis vor Kurzem ihre billigen Energieressourcen, etwa Uran, geschöpft haben. Mit dem Verlust dieser Rohstoffquelle steht die französische Energieversorgung vor dem kompletten Abgrund, und damit auch die deutsche, die aufgrund ideologischer Politik auf sogenannte erneuerbare, und damit hochgradig unzuverlässige Energien umgestellt worden ist. Die Defizite konnten bisher durch günstigen Strom aus dem Ausland ausgeglichen werden. Diese Option fällt nach und nach weg.

Hinzu kommt der Niedergang des Dollar als Weltleitwährung. Das gesamte westliche Finanzsystem ist an den Dollar geknüpft, dessen Wert nur durch diese Funktion aufrechterhalten wird. Die USA sind allerdings mit mehr als 34 Billionen Dollar verschuldet. (1) Diese Schulden bringen enorme Zinsverpflichtungen mit sich, die dadurch beglichen werden, dass die Regierung einfach noch mehr Schulden aufnimmt. Die Zahlungsverpflichtungen allein auf die Zinsen hat in diesem Jahr die Marke von einer Billionen Dollar überschritten. (2) Damit geben die USA mehr Geld für die Zinsen ihrer Staatsschulden aus, als für ihren gesamten Militärapparat, zumindest, wenn man nur die offiziellen Militärausgaben als Vergleich nimmt.

Dieses System konnte bislang einzig aufgrund der US-amerikanischen Hegemonialstellung aufrechterhalten werden, und wurde auch durch fortlaufende Kriege verteidigt und unterstützt, die den Dollar rollen ließen und potenzielle Abkopplungsversuche, wie etwa durch Saddam Hussein oder Muamar Al Gaddafi initiiert, stoppten. Die BRICS-Staaten sind allerdings seit einiger Zeit dabei, sich vom Dollar abzukoppeln. Sie verwenden immer häufiger den Rubel, den Yuan oder die Rupie für den Austausch von Waren, und arbeiten an einer gemeinsamen, zum Teil mit Gold gedeckten Währung, die den Dollar vollkommen überflüssig machen würde. Immer mehr Länder treten zudem dem BRICS-Bündnis bei, was immer mehr Länder der westliche Einflusssphäre entzieht. Damit kollabiert das Dollar-System, und damit letztlich auch das westliche Finanzsystem, die westlichen Wirtschaften und schließlich auch die Staaten. Das ist einer der Gründe, aus dem der Westen die Eskalation in der Ukraine nun so massiv vorantreibt. Der Kampf um die Hegemonialstellung auf der Welt geht in eine entscheidende Phase über, und es sieht schlecht aus für die USA und damit für den Westen.

Der Zusammenbruch des Dollars wird auch in Europa ein weiteres Chaos anrichten, und die ohnehin angeschlagenen Volkswirtschaften in den kompletten Kollaps überführen. Damit verbunden wären flächendeckende Arbeitslosigkeit und Armut, Hunger, Krankheit und Tod. Das führt zu Unruhen und Aufständen, einer Ausbreitung organisierter Kriminalität und damit auch der Gewalt. Hinzu kommen in vielen europäischen Staaten die ethnische Segregation, die schon jetzt zu einer Reihe von Parallelgesellschaften geführt hat, was wiederum Aggression und Entfremdung befördert, und damit Hass und Gewalt, auf beiden Seiten. Rassismus und Gewalt gegen Ausländer werden ebenso explodieren, wie die entsprechenden Reaktionen der Betroffenen darauf. Europa wird sich in eine Reihe gescheiterter Staaten verwandeln, in denen die Vermögensverteilung eine noch extremere Ungleichheit erreichen wird, als es heute schon der Fall ist. Wenigen Vermögenden  Menschen wird eine verarmte und verelendete Masse gegenüberstehen. Im schlimmsten Fall werden diese wenigen Wohlhabenden sich ihre eigenen, privaten Armeen anschaffen, um sich gegen die verarmte Masse abzuschirmen, und gegeneinander um Einfluss und Reichtum konkurrieren zu können.

Da Europa arm an Rohstoffen und in Zukunft auch verarbeitender Industrie ist, wird das Geschäftsmodell dieser Reichen sich auf kriminelle Aktivitäten aller Art ausdehnen, etwa den Schmuggel von Waren, Drogen und vielleicht auch Menschen. Die Privatarmeen werden ein Anziehungspunkt für die verarmten Massen werden, da sie zumindest ein geringfügiges Einkommen versprechen, und so werden sich kriminelle Banden bilden, die einen immer größeren Einfluss ausüben werden. Europa ist in einen Prozess eingetreten, welchen die Politikwissenschaftler Ulrike Guerot und Hauke Ritz als Lateinamerikanisierung bezeichnen. (3)

Dieser Begriff beschreibt, ihnen zufolge, das Abgleiten eines leistungsfähigen Wohlfahrtstaates auf ein viel niedrigeres Niveau. Damit einher gehen Wohlstandsverluste und ein Niedergang staatlicher Kontrolle. Sozialleistungen werden auf ein Minimum beschränkt oder ganz abgeschafft, Korruption, Kriminalität und Gewalt nehmen zu. Diesen Prozess haben die lateinamerikanischen Staaten im vergangenen Jahrhundert erlebt, oftmals durch US-Interventionen, welche gewählte Präsidenten abgesetzt, Proteste, Aufstände und Gewalt geschürt und Diktatoren eingesetzt haben. Ausgangspunkt ist stets ein immer weitreichenderer Verlust der Souveränität der Staaten und die Abhängigkeit von äußeren, staatlichen Akteuren, eben den USA und ihrem ausufernden Militär- und Geheimdienstapparat. Dieser Souveränitätsverlust ist in Europa, insbesondere in Deutschland, längst eingetreten. Man denke allein an die vielen US-Militärbasen auf dem Gebiet der Bundesrepublik, oder an den mangelnden Widerspruch des Kanzlers gegenüber der Ankündigung Bidens, Nord Stream beenden zu wollen, was dann schließlich auch ganz ohne politische Folgen geschah. Die USA können Deutschland den Krieg erklären, ohne, dass Deutschland sich dagegen wehrt. Ebenso fällt auf, dass Scholz seine anfängliche Weigerung, der Ukraine zu erlauben, deutsche Waffen gegen russisches Kernland einzusetzen nach einer Reise nach Washington aufgibt, und dann das Gegenteil erklärt. Deutschlands Souveränitätsverlust ist offenkundig, und damit der erste Schritt der Lateinamerikanisierung bereits eingetreten.

Auch der Wohlstandsverlust ist bereits offenkundig. Immer mehr Konzerne und Unternehmen wandern ab oder schließen die Pforten, was zu Massenentlassungen und Arbeitslosigkeit führt. Gleichzeitig findet ein Angriff auf die Sozialleistungen ausgehend von CDU, FDP und AfD statt, der bei einer zu erwartenden Wahl von Friedrich-Blackrock-Merz oder Alice-Goldman Sachs-Weidel in die Tat umgesetzt wird. Das Land wird dem Finanzkapital ausgeliefert, und die Menschen durch Armut zu einer billigen Ressource für Kriege um Einfluss und zur Verwertung in der Profitmaschinerie der westliche Oligarchen. Man könnte sich alles möglichen inhumanen Betätigungsfelder, von Zwangsprostitution und Drogenhandel, über Medikamententests bis hin zur Organentnahme vorstellen.

Wohin die Übernahme des Kapitals in Verbindung mit einer Lateinamerikanisierung Europas führen kann, zeigt gerade Argentinien unter dem pseudolibertären Milei. Dieser hat sich auf die Fahne geschrieben, den Staat zurecht zu stutzen, und weitgehend aufzulösen. Das steht im Einklang mit rechtslibertären Visionen, die den Staat nicht vollständig abschaffen, sondern lediglich in ein inneres und äußeres Gewaltorgan der Kapitals verwandeln wollen, das nach außen hin Märkte absichert und nach innen hin Proteste und Aufstände bekämpft. Sozialleistungen, Unterstützung für Arme, Mindestlöhne und eine auf die Bevölkerung abgestimmte Wirtschaftspolitik werden abgeschafft, und der Menschen dem freien Spiel des sogenannten Marktes, also der Herrschaft der Monopolkonzerne und Oligarchen unterworfen, die mittels lokaler Warlords, krimineller Banden oder formeller Regierungen herrschen. In Argentinien führte dieser Kurs zu weitreichender Verarmung der Bevölkerung und einem Absturz der argentinischen Wirtschaft. (4) Immer mehr Argentinier können sich nicht einmal mehr richtig ernähren, die Unzufriedenheit ist groß, es kommt zu Unruhen, Protesten und Aufständen, die mit aller Gewalt bekämpft werden.

Argentinien ist dabei möglicherweise nur ein Experimentierfeld des Rechtslibertarismus, der auf die unbegrenzte Macht der Oligarchie setzt. Schon in Chile wurde seinerzeit der Neoliberalismus experimentell angewendet, was das Land ins absolute Chaos gestürzt hat. Armut, Gewalt und Diktatur haben das Land für lange Zeit beherrscht, und unlängst geht dieser Staat erneut in diese Richtung. Der Neoliberalismus schwappte später auch nach Europa, und hat auch hier weitreichende Zerstörungen angerichtet.

Ebenfalls abschreckend ist das Beispiel El Salvador, ein kleines Land, das lange Zeit von Bürgerkrieg und Bandengewalt bestimmt war. Die Banden haben dort de facto die Macht ausgeübt und das Land fest im Griff gehabt. Erst das harte Vorgehen der Regierung unter Bukele, dem selbsternannten Diktator, der allerdings jüngst wiedergewählt wurde, hat die Bandengewalt eindämmen können. Dabei hat er binnen eines Jahres 70.000 Menschen verhaften lassen, die jedoch wahrscheinlich nicht alle Bandenmitglieder sind. (5) Dafür hat er international, vor allem aus dem Westen, viel Kritik geerntet, der er aber entschieden widersprochen hat. Ihm zufolge funktionieren die westlichen Rezepte in El Salvador nicht. Es ist möglich, dass Europa auf einen Zustand zusteuert, in dem die westlichen Rezepte ebenfalls nicht mehr funktionieren.

Wer sich einen plastischen, ersten Eindruck von der Zukunft Europas machen möchte, der kann dies tun, indem er einfach eine Zeit mit der deutschen Bahn unterwegs ist. Er wird erleben, dass Verspätungen und Zugausfälle zu überfüllten Zügen führen. Toiletten sind oftmals defekt, es stinkt nach Abfall und Ausscheidungen, die Klimaanlage oder Heizung versagt, und es ist dreckig. Dazu ist eine Zugfahrt unverhältnismäßig teuer. Damit ist die Bahn das Sinnbild der Lateinamerikanisierung Deutschlands, wenn auch in einer milden, fast schon liebevoll romantischen Form: Defekte Infrastruktur, funktionsunfähige Technik, Müll und Dreck, Unzuverlässigkeit und dazu noch hohe Preise, all das stellt ein Modell dar, das Schule machen und sich auf andere Bereiche des öffentlichen Lebens ausdehnen wird.

Hinzu kommen Korruption, dann auch auf der unteren Ebene von Behörden, staatliche und behördliche Willkür, so weit es noch Staat und Behörde gibt, eine vollkommene Privatisierung und Abschirmung der Daseinsvorsorge in den Händen von Warlords oder internationalen Konzernen. Sogar für die Privatarmeen stellt die Bahn ein Modell dar, wenngleich auch ein bisher noch harmloses. Denn der DB-Sicherheitsdienst hat bislang keine echten Befugnisse und kaum die Möglichkeit, Gewalt anzuwenden. Wie jeder andere Werksschutz, über den Konzerne verfügen,  muss er mit der Polizei zusammenarbeiten. Doch je weniger die Behörden ihrer Arbeit nachkommen können, je überlasteter das System, desto weniger werden Konzerne sich darauf verlassen, und desto weiter werden die Befugnisse des Werksschutzes. Hinzu kommt der Umstand, dass Konzerne in anderen Ländern schon heute Söldnerarmeen beschäftigen, um Widerstand der Lokalbevölkerung gegen Bergbauprojekte oder die Vertreibung der heimischen Bevölkerung niederzuschlagen. Auch beschäftigen viele Konzerne eigene Geheimdienste, und so bauen sie ihre Machtbefugnisse immer weiter aus, und werden zu neuen, Privatstaaten heranreifen können, wenn der Niedergang der europäischen Staaten ein Machtvakuum hinterlässt. (6) Damit eröffnen sich Konzerne und Oligarchen den direkten Zugriff auf alles, was ihnen nützlich und verwertbar erscheint. Zwangsmaßnahmen wie etwa eine Impfpflicht sind dann nicht mehr an Bundestagsbeschlüsse geknüpft, sondern können direkt und mit Gewalt durchgesetzt werden.

Europa steht heute an einer Weggabelung. Diese skizzierte Entwicklung wird nicht von heute auf morgen eintreten, sie wird schleichend fortschreiten. Dennoch werden die Weichen dafür bereits heute gestellt. Denn es sind Entscheidungen, die heute getroffen werden, die diesen Zustand unumkehrbar machen. Ulrike Guerot und Hauke Ritz schreiben dazu, dass diese Entscheidungen in wenigen Jahren bereits getroffen sein werden. Es muss nicht so kommen, wir haben heute die Möglichkeit, uns dieser Entwicklung entgegenzustellen. Klar ist, dass Wahlen sie nicht verhindern werden. Ob Ampel oder die AfD, sie alle sind Parteien des Kapitals und werden nur dessen Interessen durchsetzen. Das Parlament hat zudem keine echte Macht, die wichtigen Entscheidungen werden, wie unser derzeitiges Kabinett beweist, an anderer Stelle getroffen.

Doch wir können diese Entwicklung noch umlenken. Dabei ergibt es keinen Sinn, die Deindustrialisierung zu beweinen und gegen sie anzukämpfen. Sie ist bereits unumkehrbar eingetreten, und ein Zurücksehnen zu Zuständen von vor einigen Jahren ist schon deshalb sinnlos, weil es genau diese Zustände waren, die und hierher gebracht haben. Auch seine Identität mit einem fragwürdigen Wohlstandsbegriff zu verknüpfen, führt nicht weiter, sondern hält nur in einem Kampf gegen die derzeitigen Zustände gefangen, der ohnehin nicht gewonnen werden kann.

Jetzt gilt es zweierlei zu erreichen: Einen großen Krieg mit Russland zu verhindern, der Europa in Schutt und Asche legen könnte, und eine neue Definition von Wohlstand und einem lebenswerten Leben zu finden. Denn das kapitalistische Modell hat lediglich einer kleinen Gruppe reicher Menschen genützt. Der Wohlstand, von dem stets die Rede ist, existiert ohnehin nur in der Ideologie. Weite Teile der Gesellschaft haben davon nicht profitiert. Doch anstatt Wohlstand im erstickenden Konsumismus zu finden, wäre es sinnvoll, die derzeitige Krise des Materialismus zu nutzen, um die Gesellschaft in eine andere, weniger materialistische und auf Konkurrenz und Profit ausgerichtete zu verwandeln. Wir sollten uns mit der Frage beschäftigen, wie man eine Gesellschaft schaffen kann, die alle Menschen mit all dem versorgt, was sie brauchen, und keine Machthierarchien schafft, bei denen einige Wenige am oberen Ende stehen und ganze Gesellschaften in Krieg und Elend stürzen können.

Die derzeitige Krise bietet also auch die Möglichkeit, ein versagendes System zu beerdigen, und durch ein neues, menschlicheres zu ersetzen. Diese Chance muss jetzt genutzt werden, bevor es zu spät ist, und der kollabierende Kapitalismus einmal mehr in einem großen Krieg alles zerstört.

Quellen und Anmerkungen

 

(1) https://fiscaldata.treasury.gov/americas-finance-guide/national-debt/

(2) https://www.visualcapitalist.com/u-s-debt-interest-payments-reach-1-trillion/

(3) https://www.europeandemocracylab.org/essay/lateinamerikanisierung-europas

(4) https://www.nachdenkseiten.de/?p=115981

(5) https://test.rtde.tech/amerika/196967-nayib-bukele-laesst-kritiker-im-westen-abblitzen/

(6) https://tkp.at/2024/02/29/der-private-staat/

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Dank an den Autor für das Recht zur Veröffentlichung dieses Beitrags.

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Bildquelle: StunningArt / Shutterstock.com


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