Ein Kommentar von Bernd Lukoschik.
Mit David Humes Philosophie ging ein Sturm durch die verstaubten Bibliotheken und Universitäten der frühen Neuzeit. Da wagte es doch tatsächlich einer, einfach die Hauptstützen des alltäglichen Wahrnehmens und Denkens, vor allem aber die Grundpfeiler der modernen Naturwissenschaften, als bloße Luftnummern zu entlarven. Humes empiristische und zutiefst skeptische Philosophie wies – meiner Ansicht nach kaum zu widerlegen – nach, dass unsere Überzeugung von unserer Fähigkeit zu klarer Erkenntnis der Naturzusammenhänge nichts als Glaube und auf der Gewohnheit basierendes Vorurteil ist.
Und da wir in der coronären Epoche wieder in den Zeiten vor David Hume, also in der Voraufklärung angekommen sind, da wieder die Bibliotheken und Universitäten zunehmend verstauben – welche Putzkolonnen hätten Lust, unter 2G-Regime die Räumlichkeiten sauber zu halten –, lassen sich seine Einsichten nahtlos etwa auf unseren Glauben an die Pandemie, insbesondere auf die Automatik der immer neuen und immer gefährlicheren Mutanten anwenden.
Menschliches Erkennen in zweierlei Weise In Humes erkenntnistheoretischem Büchlein „Eine Untersuchung über den menschlichen Verstand“ finden sich folgende Zeilen: „Alle Gegenstände der menschlichen Vernunft und Forschung lassen sich naturgemäß in zwei Arten zerlegen, nämlich in Beziehungen von Vorstellungen und in Tatsachen. Von der ersten Art sind die Wissenschaften der Geometrie, Algebra und Arithmetik; und kurz gesagt, jede Behauptung von entweder intuitiver oder demonstrativer Gewissheit. Dass das Quadrat der Hypotenuse gleich ist den Quadraten der beiden Seiten, ist ein Satz, der eine Beziehung zwischen diesen Figuren ausdrückt … Sätze dieser Art sind durch die reine Tätigkeit des Denkens zu entdecken, ohne von irgendeinem Dasein in der Welt abhängig zu sein …
Tatsachen, der zweite Gegenstand der menschlichen Vernunft, sind nicht in gleicher Weise als gewiss verbürgt … Das Gegenteil jeder Tatsache bleibt immer möglich … Dass die Sonne morgen nicht aufgehen wird, ist ein nicht minder verständlicher Satz und nicht widerspruchsvoller, als die Behauptung, dass sie aufgehen wird …
Es dürfte also des Interesses wert sein, die Natur jener Evidenz zu erforschen, die uns jede wirkliche Existenz und Tatsache sicherstellt.“
Und was sieht Hume als Möglichkeitsbedingung des Erkennens von Tatsachen und deren Verknüpfungen an?
„Alle Denkakte, die Tatsachen betreffen, scheinen sich auf die Beziehung von Ursache und Wirkung zu gründen.“
Und wie kommen wir dazu, eine Tatsache als „Ursache“, die andere als „Wirkung“ zu qualifizieren?
„... in keinem Falle durch Denkakte a priori“
– wie im Falle der Beziehung zwischen Vorstellungen wie in der Mathematik –
„sondern dass sie ganz und gar aus der Erfahrung stammt, indem wir finden, dass gewisse Gegenstände beständig in Zusammenhang stehen.“
Letzterer Satz ist entscheidend. In ihm gibt Hume an, was für unser menschliches Erkennen „die Welt im Innersten zusammenhält“: nichts anderes als das Feststellen einer regelmäßigen, immer gleichartigen Aufeinanderfolge von zwei Tatsachen, also Gegenständen oder Ereignissen. Wie und ob diese Ereignisse und Tatsachen innerlich zusammenhängen, das zu erkennen sind wir nicht fähig. Wir stehen immer der Wirklichkeit als Summe aller Tatsachen äußerlich gegenüber.
Das Virus, seine Mutanten und die Tatsachen Viren, Mutanten usw. sind Dinge, die in den Bereich der Tatsachen gehören. Sie sind uns daher nicht wie Gegenstände der Mathematik in reinen Denkakten a priori, also unabhängig von der Erfahrung, zugänglich. Wir können noch so sehr auf sie starren, im Elektronenmikroskop beobachten, ihr Genom zerlegen: Nie werden wir daraus erkennen, wie gefährlich sie sind, wie gefährlich eine neue Base in der Nukleinsäure, die die Mutante zur Mutante macht, sich auswirken wird. Einfach, weil Mutanten, die Basen, die Nukleinsäuren usw. eben keine mathematischen Gegenstände und daher einer reinen Denktätigkeit nicht zugänglich sind.
Das Ausbreitungstempo von Omikron Und wie kommen wir dann dazu, einige wenige Tage nach der angeblichen Entdeckung des Omikrons von dessen besonderer Gefährlichkeit oder Ausbreitungsgeschwindigkeit zu reden?
Hume würde sagen: durch Erfahrung. Indem wir immer wieder an den verschiedensten Exemplaren der Mutante Omikron beobachtet hätten, wie schnell sich diese zum Beispiel ausbreitet. Wir können die Ausbreitungsgeschwindigkeit nur erkennen, wenn wir die Ausbreitungsgeschwindigkeit des Omikrons, und zwar an vielen, vielen Exemplaren beobachtet haben.
Unsere Virologen schaffen das anders: Sie erkennen die Ausbreitungsgeschwindigkeit des Omikrons, bevor sich dieses ausgebreitet hat. Das geht nur, wenn die Virologen annehmen, die Mutante gehöre zum Gegenstandsbereich der mathematischen Gegenstände, die ja reinen Denkakten a priori zugänglich sind: eine Annahme, die Hume als mittelalterlich-metaphysisch nachzuweisen versucht hat.
Der Virologe bewegt sich also auf alten Denkpfaden und nimmt wie die voraufklärerische Philosophie an, es gebe überhaupt nur eine Wirklichkeit, man dürfe mathematische Vorstellungen und Tatsachen in eins setzen und ruhig verknuddeln und mit einer gemeinsamen Denkweise angehen. So ist es auch kein Wunder, dass der Virologe glaubt, wenn er ein Virus mit computermathematischen Werkzeugen – etwa der synthetischen Nukleinsäuretechnologie – nachmodelliert habe, habe er die Tatsachenwelt erkannt.
Die Gefährlichkeit des Omikrons Wie der Virologe das Ausbreitungstempo des Omikrons erkennt, nämlich a priori, unabhängig von der Erfahrung, so erkennt er seine Gefährlichkeit und die des vorangegangenen Delta und der in 2022 ff. anstehenden Pi, Rho …
Hume würde sagen: Bevor ich etwas über die Gefährlichkeit des Omikrons sagen kann, muss ich Erfahrungen damit sammeln. Der (wahre) Virologe muss erst einmal wissen, ob das Omikron vorliegt, und dann, ob alle Omikrons auch wirklich Omikrons sind. Dann muss er das Omikron sich ausbreiten lassen – was sicherlich nicht von heute auf morgen geschieht, sondern Wochen benötigt. Dann muss er in den vielen Infizierten an Omikron Infizierte ausmachen. Dann muss er warten, wie viele Infizierte krank werden – was sicherlich Wochen, Monate dauert. Dann muss er beobachten, wie viele Omkroninfizierte an – nicht nur mit – Omikron sterben. Das festzustellen dürfte ziemlich aufwendig sein, wenn man bedenkt, dass wir bis heute noch nicht wissen, ob an Covid-19 Verstorbene wirklich an und nicht nur mit gestorben sind.
Und wenn all diese Erkenntnishürden übersprungen sind, dann darf der Virologe den Quotienten aus Omikronverstorbenen und Omikroninfizierten bilden. Denn Gefährlichkeit ist allein aus diesem Quotienten zu gewinnen, eben aus der Erfahrung. Wir sehen, wie gesagt, dem Omikron beim besten Willen seine Gefährlichkeit nicht an!
Was der Fall ist Und was wird uns nun offeriert: Südafrika ist eine Mutante entwachsen. Der südafrikanische Gesundheitsminister war etwas erstaunt, als man ihm von den Fernerkenntnissen der europäischen Virologie erzählte, denn er hatte in seinem Land so gar nichts an Gefährlichkeit des Omikrons gesehen. Unsere Starwissenschaft hat also in einem Denkakt a priori, den die Computermodelle übernahmen, innerhalb kürzester Zeit die wichtigsten Eigenschaften einer neuen Mutante erkannt, vorbei an und jenseits aller Erfahrung. Das kommt davon, wenn man wie ein Herr Lauterbach sich fern jeder Erfahrungswelt in seinem Rechner herumtreibt.
Da mir Humes Darlegungen des Erkenntnisprozesses einfach plausibel erscheinen – ich bin für jeden Einwand dankbar –, halte ich den ganzen Mutantenstadl für heiße Luft: inhaltlich null, ärgerlich für den, der sich daran verbrüht, wenn er sich ins Stadl begibt.
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Wir danken dem Autor für das Recht zur Veröffentlichung dieses Beitrags.
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Bildquelle: PX Media / shutterstock.com
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