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Auf der harten Matratze der Hilflosigkeit

Auf der harten Matratze der Hilflosigkeit


Ein Kommentar von Dirk C. Fleck.

Man möchte es nicht wahrhaben, man sträubt sich sogar vehement gegen die Erkenntnis, dass dieses Land, dieses Deutschland ein übelriechendes Konstrukt ist. Jedenfalls was seinen Geist angeht. Feige, arrogant und kaltherzig. Als sei es von höherer Macht dazu verdammt, auf ewig dem wahren Leben fernzubleiben. Deutschland pulsiert nicht, es atmet mit offenem Mund, dem fast nur Fäulnis entströmt. In seinen teilnahmslosen Augen liegt das Einverständnis einer schrecklichen Solidargemeinschaft. Auf den Punkt gebracht in der Regierungserklärung des neuen Bundeskanzlers, der mit einem verbalen Federstrich ungestraft etwa fünfundzwanzig Prozent der Bevölkerung aufs übelste diffamieren durfte. „Wir werden es uns nicht gefallen lassen, dass eine winzige Minderheit von enthemmten Extremisten versucht, unserer gesamten Gesellschaft ihren Willen aufzuzwingen!“ Gemeint waren jene Millionen besorgter Bürger, die in den Panik schürenden, aberwitzigen und logisch schwer nachvollziehbaren Coronamaßnahmen der Regierung einen Angriff auf ihre verbrieften Grundrechte beklagen. Olaf Scholz, dessen Charme und Temperament dem eines Holzklotzes in nichts nachsteht, kann sich solche Äußerungen leisten, weil er eine durch den Mainstream manipulierte Mehrheit hinter sich weiß. Auf diese Weise hat er sich schon mal als wahrer Kanzler des Volkes vorgestellt. Einem Volk, von dem die Programmmacher des Ersten Deutschen Fernsehens glaubten, ihm am Heiligabend folgende Filme vorsetzen zu müssen: SISSI und die FEUERZANGEBOWLE! Willkommen in den fünfziger Jahren, die bekanntlich an Spießigkeit nicht zu überbieten waren. Glückwunsch. Passt!

Weihnachten. Wie war mein Weihnachten als Impffreier? Ich wurde von einem Festessen ausgeladen, das ich die Jahre zuvor immer genossen hatte. Selber Schuld. Nun, ich wäre ohnehin nicht hingekommen, die Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel ist mir in Hamburg nämlich verwehrt. Selbst Taxifahrer verlangen inzwischen den Impfausweis. Also blieb ich zuhause und labte mich an einer selbst gekochten, aber stark versalzenen Gemüsesuppe.

Den Rest der Feiertage verbrachte ich am Laptop. Ich schrieb Gedanken auf, die in keinerlei Zusammenhang zu bringen sind und nur einen Zweck verfolgten: sie sollten mich aus der der Umklammerung des Corona-Wahnsinns befreien. Flüchtige philosophische Betrachtungen über Gott und die Welt. Allerdings hatten wir Vollmond und dieses Mal war er besonders streng, sodass ich kaum schlafen konnte. Ich jagte dem Schlaf hinterher, ohne ihm mehr als zwei bis drei Stunden pro Nacht entreißen zu können. Eigentlich bin ich ein brillanter Schläfer, doch rund um Weihnachten war mir der Zugang verwehrt. Der Schlaf, den ich schließlich fand, war ganz sich selbst überlassen. Es fehlte ihm die Würze inspirierender Träume, er kam mir vor wie eine Reaktion auf ein nicht geschriebenes Buch. Ich fühlte mich wie ein Resonanzboden inmitten des großen Schweigens, gebettet auf der harten Matratze der Hilflosigkeit.

Okay, hier nun eine kleine Auswahl meiner notierten Gedanken, die quasi in Notwehr verfasst wurden:

• Wir befinden uns an einem Wendepunkt der Geschichte. An solchen Wendepunkten nehmen wir Abschied von der Persönlichkeit, die wir waren. Wir begrüßen die Person, die wir gerade werden. Unsere Ängste entsprechen denen, die wir vor dem Sterben entwickeln. Aber wir müssen begreifen, dass wir nicht alleine sind mit unserer Furcht, dass die Angst uns alle erfasst, aber dass wir sie miteinander teilen können. Wir müssen erkennen, dass die Erschütterungen der alten Ordnung ein gewaltiges Potenzial an gebundener Lebenskraft freisetzt, das uns nun befähigt, etwas völlig Neues zu schaffen. Wenn wir aber vor dem Unbekannten zurückschrecken, wenn wir uns vor der Verantwortung für das Neue drücken und nur zögerlich die nächsten Schritte gehen, dann deprimieren wir die Person, die wir werden zugunsten der Persönlichkeit, die wir waren.

• Jeder von uns kennt die Situation, in der ein feuchter Film den Blick verschleiert. Die Tränen sammeln sich hinter der Netzhaut, treten aber nicht hervor. Als ob ein Stausee kurz vorm überlaufen ist. In solchen Situationen kann man sich nicht erklären, will man nicht gestört werden. Irgendeine Instanz in uns genießt den Zustand der reinen Melancholie, zu der es keines besonderen Anlasses bedarf, um eine solche Waschung herbei zu führen. Eine Waschung, ja das ist es. Wir erkennen plötzlich wieder einmal, dass die einzige Konstante, die wir erfahren, die permanente Veränderung ist. All unsere Träume und Wünsche zerschellen im Wildwasser des Lebens. Vielleicht entspringen die zurückgehaltenen Tränen der Tatsache, dass wir noch nicht gelernt haben, uns auf die Welle des Wandels zu legen, auf ihr zu surfen und dabei alle Versprechungen und Angebote, die uns gereicht werden, als das zu bergreifen, was sie sind: Illusionen, die mit der wahren Essenz unseres Seins nichts zu tun haben.

• Das Leben ist ein ewig gleich bleibendes Muster umwälzender Ausdruckskraft. Wir wollen nicht wahrhaben, dass alles Erdenkliche und weit mehr ständig um uns ist. Und dies, wie es scheint, ohne unser Zutun. Hier liegt ein weiterer Irrtum: da wir nun einmal Teil des Ganzen sind, haben wir auch unseren Einfluss. Ich bin davon überzeugt, dass jeder unserer Gedanken, dass unsere Träume und Taten, dass unsere heimlichen Wünsche und Verwünschungen immer ihre Entsprechung finden - dass wir selbst nichts als das Ergebnis solcher Wünsche und Verwünschungen sind. Das Eigentümliche der Wahrheit ist, dass sie von uns weder einen Glauben an sie noch ein Handeln in ihr verlangt.

• Das alles jederzeit passiert, ist tief in unserem Unterbewusstsein verankert. Deshalb ist es nicht einfach zu entscheiden, an wen und an was wir unsere Aufmerksamkeit verschenken. Normalerweise beantworten wir diese Frage nach Gutdünken. Was nicht in den persönlichen Bereich fällt, bleibt in der Regel unbedacht. Obschon wir von der Existenz des uns umgebenden Leids wissen, verdrängen wir es. Dieser Verdrängungsmechanismus schützt davor, von der Vielfalt anderer Schicksale zerrissen zu werden. Der Instinkt sagt uns, wie wir uns durchzuschlagen haben. Er ist es aber auch, der uns zu Duldern einer Welt macht, die wir so häufig bejammern. Aber selbst bei allem aufgebrachtem Mitleid: wir werden uns immer in Distanz befinden, solange wir nicht das Gefühl haben, dies alles schon einmal an uns selbst erlebt zu haben. So gleiten die Tragödien der anderen an uns ab und unsere Empörung über die Brutalität und Ungerechtigkeit in der Welt zerstört letztlich nur uns selbst. Es gilt also, eine Technik der Ruhe zu entwickeln und die heißt NICHTHANDELN. Vielleicht ist erst dies der Zustand, in dem sich unsere Wahrnehmungen zu einem Bewusstsein verdichten, das uns mehr Respekt vor dem Leben abnötigt, als wir bisher bereit waren zu zollen.

• Man selbst bleibt unangetastet und wird doch Zeuge all der Tränen, Ängste, Missverständnisse und Vergewaltigungen, Zeuge für das gesammelte Aufgebot gegen die Lebensfreude. Es sollte doch zumindest die Kunst von den Menschen erfasst werden, jetzt, da sie von der Magie des Todes befruchtet wird. Aber das Gegenteil ist der Fall. Nichts ist verdächtiger als die Wahrheit, die in der Kunst zu Hause ist – und so hält man sich in heuchlerischer Distanz zu ihr.

• Jeder von uns hat eine Vorstellung von sich selbst. Wir definieren uns über Eigenschaften wie schüchtern, großzügig, eifersüchtig, ehrgeizig, galant, abergläubisch, tierlieb, zärtlich, treu, flatterhaft, pedantisch, vergesslich, gutgläubig, verantwortungsbewusst und was uns sonst noch alles einfallen mag. Nichts davon ist in den Laboren der Wissenschaft beweisbar. Nach den Regeln der Vernunft („Ich glaube nur, was ich sehe“) gibt es uns gar nicht. Und trotzdem haben wir eine genaue Vorstellung von unserem Wesen, obwohl es sich jedem wissenschaftlichen Beweis entzieht. Der Mensch besitzt nichts, weder seinen Körper, der ihm jederzeit genommen werden kann, noch irgendeine Wahrheit, die ihm beim nächsten genauen Hinsehen ohnehin wieder abhanden kommt. Alles, was auf uns Eindruck macht, jede Idee, „die uns kommt“, gehört uns nicht, es sind flüchtige Leihgaben. Wir sind Gespenster, die sich über ihre Einbildungen definieren.

• Sprache ist eben nicht nur Literatur, sie gehört allen Menschen und wird entsprechend mißbraucht. Im Gegensatz zu anderen Künstlern sieht der Dichter sein Instrument permanent missbraucht. Die Meister der Sprache vermögen sich kaum Gehör zu verschaffen vor lauter banalem Wortgeklingel.

• Nicht nur das was wir tun, sondern auch was wir denken und fühlen steht mit allen anderen Taten, Gedanken und Gefühlen sämtlicher Mitwesen auf diesem Planeten in ständiger Verbindung und bedingt einander, sodass aus diesem Konglomerat der jeweils augenblickliche Zustand der Welt erwächst. Je mutiger unser Handeln, je klarer und gerechter unsere Gedanken und je tiefer unsere Gefühle, desto mehr tragen wir dazu bei, dass sich die „Gesamtlage“ zum positiven verändert.

• Der Dichter ist der Not enthoben, erfinden zu müssen. Er findet vor. Das unterscheidet ihn von den Wortakrobaten, den Schriftstellern und Journalisten, die ihrer jeweiligen Gesellschaft die aberwitzigsten  Geschichten auftischen, immer in der Hoffnung, dass man es ihnen lohnen möge. Diese Sprachklempner sind in der Regel feige und impotent, sie treiben ein hinterlistiges Spiel, sie verkaufen Scheiße für Gold. Man sollte ihnen das Wort verbieten. Zum Glück ist diese Spezies zum Aussterben verurteilt. Schon bald werden Computer die Dramaturgie übernehmen. Das Niveau der Volksbelustigung ist bereits jetzt auf ein Niveau gesunken, dass es ausreichen wird, ein paar standardisierte Verhaltensweisen von Gut und Böse ins System zu speichern, um eine hundertteilige Familiensaga nach dem Geschmack des Publikums zu basteln.

• Warum empfangen wir unsere Kinder bei ihrer Geburt nicht mit der ihnen vertrauten Musik? Mozart zum Beispiel. Wolfgang Amadeus ist doch aus jenem Reich bedient worden, das den Werdenden bis eben ihre Heimat war: dem Reich der Inspiration. Mit Mozart wechselt man leichter die Seite. Anstatt unseren Nachkommen aber diese Brücke zu bauen, überfallen wir sie mit metallischem Geklapper aus dem Kreißsaal. Wir zerren sie ans Flutlicht, als wollten wir sie lediglich wissen lassen, dass sie direkt in der Hölle gelandet sind. Indem wir auf diese Weise ihre geistige Fruchtblase zertrümmern, pflanzen wir bereits den Keim der Angst in sie, jene verheerende Abwehrschwäche, die es den meisten von nun an unmöglich macht, etwas anderes zu werden als ein Zombie unter Zombies.

• „We are buried beneath the weight of information, which is being confused with knowledge; quantity is being confused with abundance and wealth with happiness. We are monkeys with money and guns“. - Tom Waits. Tom Waits, dieser Schornsteinfeger, dieser alte, kleine Junge, der seine rauhe Stimme von den Tasten des Pianos schlürft. Er lebt von Lied zu Lied, ein Brückenmensch an der ewigen Musicbox. Selbst im Torkeltanz beißt er seiner Traurigkeit ins Ohr, schlägt er ihr ein gedachtes Saxophonsolo ins Gesicht, schmiegt sich an das seidene Mädchen und lässt sich von ihr vor laufender Kamera entführen.

• Man geht mit Situationen um wie mit vertrauten Gemälden.

Und so weiter, und so weiter. Ich hoffe, ich habe Sie nicht gelangweilt. Wie bereits erwähnt: es war lediglich der Versuch, mir gedanklich etwas Luft zu verschaffen. Wie hatte Nietzsche gesagt? „Der deutsche Geist ist meine schlechte Luft“. Und die wollte ich nicht atmen, nicht an Weihnachten.

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Dirk C. Fleck ist ein deutscher Journalist und Buchautor. Er wurde zweimal mit dem Deutschen Science-Fiction-Preis ausgezeichnet. Sein Roman "Go! Die Ökodiktatur" ist eine beklemmend dystoptische Zukunftsvision.

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Danke an den Autor für das Recht zur Veröffentlichung des Beitrags.

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Bildquelle: borsmenta / shutterstock.com


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