Ein Beitrag von Eugen Zentner.
Wir leben in einer nervösen, aufgeregten Gesellschaft. Eine Kleinigkeit reicht aus, um das Blut in Wallung zu bringen. Das wurde am Wochenende ein weiteres Mal deutlich, als Nena im deutschen Fernsehen ihr Comeback feierte. In normalen Zeiten eigentlich nicht der Rede wert. Aber in der Ära der selbsternannten Wahrheitswächter, Supermoralisten und woker Meinungsmacher sorgt ein solcher Auftritt schon für große Aufregung. Die 62-jährige Sängerin hielt während der Corona-Krise nicht hinterm Berg, dass sie mit Politik und Maßnahmen nicht einverstanden ist. Selbstbestimmung und Eigenverantwortung lautet ihr Motto. Das ließ sie nicht nur in den sozialen Medien wissen, sondern bei einigen ihrer wenigen Live-Auftritte. Das nahmen ihr die Meinungsmacher übel, allen voran die Leitmedien, die mit ihren tendenziösen Aussagen den Twitter-Mob anheizen. So auch nach der von Florian Silbereisen moderierten ARD-Sendung «Das große Schlagercomeback 2022» am Samstag, in der Nena mehr als 20 Minuten auf der Bühne stand.
Auf Twitter bildete sich daraufhin eine erste Angriffsfront. Die Supermoralisten mit Deutungsmacht brachten sich in Stellung und kommentierten den Auftritt mit Schmähungen wie diesen: „Genau gebt der Schwurbel Tante (sic) noch eine Bühne, warum nicht noch den Naidoo und den Wendler dazu! Und der Hildmann bekocht alle.“ Wie so häufig wird auf eine sachliche Auseinandersetzung verzichtet, stattdessen gehauen, beleidigt und diffamiert. Anstelle von Argumenten treten Kampfbegriffe, die aufgrund ihrer Konnotation die Drecksarbeit selber erledigen. Dass sich Nena weitaus sparsamer äußerte als die anderen drei genannten Prominente, wird schlicht ignoriert – genauso wie ihre Bemühungen, provokante Aussagen zu vermeiden. „Mir wird gedroht, (...) dass sie die Show abbrechen, weil ihr nicht in eure (...) Boxen geht“, lautete eine von ihnen. „Ich überlasse es in eurer Verantwortung, ob ihr das tut oder nicht.“ Bei einem anderen Auftritt sagte sie: „Die Frage ist nicht, was wir dürfen, sondern was wir mit uns machen lassen!“ Für die Meinungsmacher mit Hang zur medialen Lynchjustiz macht sie das schon zur „Schwurblerin“.
In solchen Tweets kommt das mittlerweile verkümmerte Demokratieverständnis zum Vorschein. Sagen darf man nur das, was die selbsternannten Wahrheitswächter in den Leit- und sozialen Medien als akzeptabel erachten. Sie sind die herrschende Klasse, die über das nötige Wissen verfügt, um über Recht und Unrecht entscheiden zu können. Folglich bestimmen sie, welche Künstler wo auftreten dürfen. Wer ihrer Meinung ist, bekommt eine Auftrittsmöglichkeit. Alle anderen müssen das neue Klassenbewusstsein erst mühsam erwerben, damit die Gatekeeper ihnen eine erneute Chance geben. „Meine Güte, Künstler dürfen nur noch auftreten wenn sie eine bestimmte Meinung haben oder was soll das“, lauteten einige Gegenkommentare, die es auf Twitter zum Glück auch gibt: „Toll! Nena sagt doch nur, was sie denkt. Was ist in einer Demokratie daran verkehrt?“
Der Auftritt der Sängerin wurde kritisiert, aber auch verteidigt. In den Tagen nach dem Auftritt trendete sogar der Hashtag #DankeNena. Wie bilden aber die Leitmedien die Diskussion ab? Sie erwähnen lediglich die negativen Tweets, solche, die in ihr eigenes Narrativ passen. „Fan-Kritik nach seltsamem Auftritt bei Silbereisen“, titelten sie. Oder: „Auftritt der Sängerin macht Fans wütend“, „Nenas Auftritt sorgt für Kritik“, „Das Netz tobt“. Dass es das tut, ist unter anderem solchen Schlagzeilen zu verdanken – und Artikeln, in denen lediglich die Schmäh-Kommentare hervorgehoben werden, während die wohlwollenden Beiträge keine Erwähnung finden. In dieser Berichterstattung kommt ein weiteres Mal ein Haltungsjournalismus zum Vorschein, der nicht auf Objektivität abzielt, sondern Zersetzung von Personen betreibt, die sich aus Sicht der Meinungswächter schuldig gemacht haben.
Wie die Verfehlungen in Nenas Fall aussehen, breiten sie dann ebenfalls breit aus, nicht ohne von dem allzeitbeliebten Instrument der Kontaktschuld Gebrauch zu machen. Erwähnt werden nicht ihre Aussagen zur Eigenverantwortung und Selbstbestimmung. Die Kritik daran wäre zu entlarvend. Nein, sie akzentuieren Nenas Teilnahme an der Party «Q-Sommernachtstraum» im August 2021. Wofür der Anfangsbuchstabe steht, scheinen die angriffslustigen Journalisten nicht recht zu wissen. Die einen sprechen von „Querdenken“, die andern von „Qanon“. Wer seiner Zersetzungstaktik mehr Schärfe verleihen möchte, wählt die letzte Variante – so wie das Redaktionswerk Deutschland. Dort spricht man von einem „mehr als fragwürdigen Namen, deutet doch das ‚Q‘ auf den rechtsextremen Verschwörungskult Qanon hin“.
Der Anfangsbuchstabe wird also aus einer Vermutung heraus mit Qanon in Verbindung gebracht, mit anrüchigen Attributen versehen und dann mit Sätzen wie diesen garniert: „Auf der Party spricht er (ein Teilnehmer, der für Verschwörungsideologien berüchtigt sein soll) von einer angeblich ‚neuen Welt‘, was ebenfalls stark nach Verschwörungserzählung klingt.“ Wieder nur Vermutungen also, keine Tatsachen. Für den Autor „klingt“ das nach einer Verschwörungserzählung. Das könnte allerdings an dem Filter im Ohr liegen, sodass im Gehirn nur solche Informationen ankommen, die man hören will. Aber wie wäre es mit dieser Interpretation: Vielleicht ist mit der „neuen Welt“ eine gemeint, in der solche Schmähartikel wie der vom RND nicht geschrieben werden; in der man so lange recherchiert, bis man weiß, wofür das Q wirklich steht; in der die Teilnahme an einer Party eine Person nicht gleich zu einer „Verschwörungsideologin“ macht – und erst recht nicht zu einer Persona non grata, die nie mehr im Fernsehen auftreten darf.
Der RND-Artikel ist ein besonders plumper Versuch, den deutschen Pop-Star ins schlechte Licht zu rücken. Um einiges sensibler geht das Nachrichtenportal Watson vor, dass in seinem Beitrag gleich im dritten Absatz schreibt: „Aus dem Studiopublikum waren keinerlei Buhrufe für Nena zu vernehmen und auch von Gastgeber Silbereisen wurde sie geradezu euphorisch begrüßt.“ Dass das erwähnt werden muss, lässt tief blicken. In der Aussage schwingt Enttäuschung mit. Sie wirkt, als ärgere sich die Redaktion über die fehlenden Sanktionen, zu denen man selber so gerne greift. Hätten das Studiopublikum und der Gastgeber als verlängerter Arm der Meinungsmacher agieren sollen? Oder was möchte die Watson-Redaktion da suggerieren? Hätte Silbereisen sich in der Sendung live distanzieren müssen? Hätte er Nena tadeln sollen? Einen finsteren Blick aufsetzen?
Silbereisen war jedoch nicht der Einzige, der dem Pop-Star den Rücken stärkte. Auch der MDR stellte sich hinter sie. „Nena hat sich kritisch zu den Corona-Maßnahmen geäußert. Meinungsvielfalt und Meinungsfreiheit sind elementare Bestandteile einer pluralistischen Gesellschaft“, verteidigte er den Auftritt. Das hört sich an, als könnten sich zumindest einige Akteure der Leitmedien noch erinnern, was sie einst in Lehrbüchern über Demokratie gelesen haben. Der andere Teil biegt sich die Realität weiterhin zurecht. T-Online zum Beispiel gibt sich zunächst ganz objektiv: „Es ist ein schwieriges Thema. Das merkt man allein daran, wie stark und, vor allem, wie unterschiedlich darüber diskutiert wird. Die einen fordern, dass Nena aus dem Rampenlicht verschwinden sollte – die anderen plädieren dafür, die Künstlerperson vom Menschen zu trennen. Zwei Standpunkte, für die es jeweils gute Argumente gibt. Doch beide Sichtweisen sind radikal und teilen die Welt in Schwarz und Weiß auf. Wir dürfen weder der Cancel Culture verfallen, noch solchen Künstlern unreflektiert und kommentarlos wieder das Mikrofon in die Hand drücken.“
Das klingt erst einmal sehr reflektiert, entpuppt sich dann aber als scheindemokratisch, als die Autorin eine „offene Diskussion“ fordert statt eines „wenig überzeugenden Statements“, womit sie die Stellungnahme des MDR meint. Überzeugend scheint das zu sein, was die T-Online-Redaktion für überzeugend hält. Gleiches gilt für die anderen Leitmedien, die ausschließlich solche Kommentare in den sozialen Medien zitieren, die mit Nena hart ins Gericht gehen. Was überzeugend ist, entscheiden aber nicht sie, sondern die einzelnen Gesellschaftsmitglieder selbst. Um aber ordentlich und gerecht entscheiden zu können, bedarf es einer möglichst objektiven Abbildung der Sachlage. Das ist eigentlich die Kernaufgabe von Leitmedien, der sie seit geraumer Zeit nicht nachkommen.
Und dennoch scheint Nenas Auftritt gezeigt zu haben, dass ein wenig Bewegung in die Diskussionskultur kommt. Ein Indikator ist bereits die treffende Stellungnahme des MDR. Einen weiteren stellt das Verhalten des Moderators Silbereisen dar, der Nena unvoreingenommen empfing, sowie das der anderen Künstler in der Show. Immerhin waren Namen dabei wie Helene Fischer, Anastacia, Nicole, Vicky Leandros oder Ross Antony. Keiner von ihnen distanzierte sich, wie es einige von Nenas Kollegen noch im letzten Jahr voreilig taten. Sie ließen sich von den treibenden Leitmedien und dem Twitter-Mob nicht einspannen. Andere Stars, die in der Show nicht auftraten, blieben ebenfalls zurückhaltend. Uwe Fahrenkrog-Petersen, früherer Weggefährte von Nena, fand sogar den Mut, die Ikone der Neuen Deutschen Welle öffentlich zu verteidigen.
Der einstige Keyborder in ihrer früheren Band sagte gegenüber T-Online: „Nena ist in erster Linie eine Künstlerin und keine Politikerin. Trotzdem darf sie – da wir hier in Freiheit leben – eine eigene persönliche Meinung haben.“ Es sieht so aus, als beginne man in Deutschland, die Spreu vom Weizen zu trennen. So manche erkennen, wohin der verzerrte Moralismus der Gegenwart führt: „Wenn nur noch diejenigen singen dürfen, die hundertprozentig die offizielle Regierungspolitik vertreten, hätten wir totalitäre Verhältnisse wie in der DDR“, so Fahrenkrog-Petersen. „Wünschen wir uns das wirklich?“ Solche Aussagen sind ein Schritt in die richtige Richtung. Wir müssen zurückkehren zu einem Meinungspluralismus, der seinen Namen verdient hat. Insofern stellt Nenas Auftritt bei aller Aufregung im Nachgang ein gutes Zeichen dar. Er hat vor Augen geführt, dass einige Akteure aus Leitmedien und Unterhaltungsbranche wieder zur Besinnung kommen und gewillt sind, bestimmte Fehler aus den letzten zwei Jahren nicht zu wiederholen.
+++ Danke an den Autor für das Recht zur Veröffentlichung des Beitrags. +++ Bildquelle: berlinpictures16 / shutterstock.com
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