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Außer Kontrolle: Wie Parteien ihre Macht sichern | Von Thomas Trares

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Die Parteien werden nicht kontrolliert und kontrollieren sich nicht mehr gegenseitig. Sie agieren vielmehr wie ein Kartell, das bestrebt ist, seine Macht nach außen hin abzusichern. Das zeigt ein Blick auf einige Personalien.

Ein Kommentar Thomas Trares.

Wie konnte das passieren? Ungeimpfte wurden vom öffentlichen Leben ausgeschlossen. Ihnen wurde die Schuld für die Ausbreitung des Corona-Virus in die Schuhe geschoben, obwohl es gar keinen wissenschaftlichen Beweis dafür gab. Pflegekräfte und medizinisches Personal wurden im Rahmen der einrichtungsbezogenen Impfpflicht de facto dazu genötigt, sich einen Impfstoff spritzen zu lassen, obwohl dieser erstens die Weitergabe des Virus nicht verhindert und zweitens schwerste, wenn nicht sogar tödliche Nebenwirkungen haben kann.

Der Rechtsstaat soll eigentlich die Bürger vor politischer Willkür schützen. Doch die Gewaltenteilung, also die Trennung und gegenseitige Kontrolle von Exekutive, Legislative und Judikative, hat in der Corona-Krise nicht funktioniert. Politik, Justiz, Medien, Wissenschaft, Verwaltung und Verbandsvertreter – sie alle folgten dem gleichen Narrativ.

„Die Verfassung wurde vom gesamten Staatspersonal verraten, nicht nur von Politikern“,

schrieb kürzlich der Philosoph Michael Andrick in der „Berliner Zeitung“. Dies ist eine fundamentale Erkenntnis. Eine effektive Kontrolle der Politik findet nicht mehr statt, auch weil viele Schlüsselpositionen in den Kontrollinstanzen und obersten Behörden mit treuen Gefolgsleuten besetzt sind.

Harbarths Blankoscheck

Das prominenteste Beispiel dafür ist Stephan Harbarth, seit 2020 Präsident des Bundesverfassungsgerichts. Harbarth saß von 2009 bis 2018 für die CDU im Bundestag, von diesem wurde er dann auch zum Verfassungsrichter gewählt. Unter Harbarths Führung hat das Verfassungsgericht der Politik in der Corona-Krise de facto einen Blankoscheck für Grundrechtseinschränkungen ausgestellt. Das gilt sowohl für die verhängten Ausgangs- und Kontaktbeschränkungen („Bundesnotbremse“) als auch für die einrichtungsbezogene Impfpflicht. Zweifel an der Unabhängigkeit des Verfassungsgerichts kamen zudem auf, weil alle 16 Verfassungsrichter samt Harbarth am 30. Juni 2021 im Bundeskanzleramt mit der damaligen Bundeskanzlerin Angela Merkel und weiteren Bundesministern zu Abend gegessen hatten. Dies geschah in einem nicht öffentlichen Rahmen und trotz laufender Verfahren zur Corona-Politik am Bundesverfassungsgericht.

Kaum bekannt hingegen ist, dass CDU und SPD auch beim Bundesfinanzhof (BFH), dem obersten Gericht in Steuersachen, die Positionen des Präsidenten und der Vizepräsidentin unter sich aufteilen wollten. Nach der Pensionierung des BFH-Präsidenten Rudolf Mellinghoff îm Jahr 2020 sollte Hans-Josef Thesling von der CDU und die Finanzrichterin Anke Morsch, ehemalige SPD-Staatssekretärin im Landesjustizministerium des Saarlandes, die vakanten Posten übernehmen. Das Problem dabei war, beide Kandidaten erfüllten die Anforderungen nicht. Weder Thesling noch Morsch hatten Erfahrung als Bundesrichter. Um die beiden ins Amt zu hieven, hatte die damalige Justizministerin und heutige Verteidigungsministerin Christine Lambrecht dann kurzerhand die Anforderungen gesenkt. Die Ernennung Morschs wurde letztlich durch den Bayerischen Verwaltungsgerichtshof gestoppt. Thesling indes ist heute im Amt.

Müller und der Gasmangel

Eine weitere prominente Personalie auf einem Spitzenposten ist Klaus Müller, seit Februar Chef der Bundesnetzagentur. Müller ist damit für die Regulierung von Telekommunikation, Post und Eisenbahnen wie auch von Strom und Gas zuständig. Bei der Bewältigung der derzeitigen Energiekrise fällt ihm damit eine Schlüsselrolle zu. Müller indes ist zuletzt dadurch aufgefallen, dass er während der Kälteperiode im Dezember nicht etwa die Sanktionspolitik der Bundesregierung für den drohenden Gasmangel verantwortlich machte, sondern den Bürger selbst. Dieser würde „immer noch“ zu viel heizen und zu wenig sparen. Müller war von 2000 bis 2005 grüner Umweltminister in Schleswig-Holstein, er gilt als „Spezi“ von Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck. Vor seinem Wechsel zur Bundesnetzagentur war Müller acht Jahre lang Vorstand des Bundesverbandes der Verbraucherzentralen.

Wenig Fundamentalkritik „droht“ der Bundesregierung auch vom Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung. Dessen Aufgabe ist es eigentlich, die Wirtschaftspolitik kritisch zu begleiten. In ihrem neuen Gutachten nehmen die „Wirtschaftsweisen“ die Regierung jedoch vor allzu großer Kritik an der Sanktionspolitik in Schutz.

Zwar könne es in energieintensiven Branchen zu einer Abwanderung von Teilen der Produktion kommen, schreiben die Weisen, es sei aber keine breite Deindustrialisierung zu erwarten.

„Wirtschaftsweise“ auf Regierungslinie

Dass der Rat voll auf Regierungslinie ist, verrät allein schon der Titel des aktuellen Gutachtens: „Energiekrise solidarisch bewältigen, neue Realität gestalten“. Ins Auge sticht hier sofort das Modewort „solidarisch“, das schon in der Corona-Krise für die Rechtfertigung der verschiedenen Maßnahmen herhalten musste, die überhaupt nichts mit Solidarität zu tun hatten. Zudem übernehmen die Weisen in ihrem Gutachten durchgängig die im Mainstream übliche, aber wertende Formulierung vom „Angriffskrieg Russlands“. Und nicht zuletzt sprach sich die Chefin der Wirtschaftsweisen, Monika Schnitzer, kürzlich dafür aus, die Maskenpflicht im öffentlichen Nah- und Fernverkehr beizubehalten. Zwar gehören die Mitglieder des Sachverständigenrats nicht zwingend einer Partei an, in ihr Amt kommen sie aber auf Vorschlag der Bundesregierung.

Weitere prominente Ex-Politiker, die zuletzt mit einflussreichen Posten bedacht wurden, sind die frühere SPD-Vorsitzende Andrea Nahles, seit August Vorstandsvorsitzende der Bundesagentur für Arbeit, sowie die ehemalige SPD-Generalsekretärin Yasmin Fahimi, seit Mai Chefin des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB). Und bei den Grünen hat die frühere Berliner Wirtschaftssenatorin Ramona Pop im Juli den durch den Abgang von Klaus Müller freigewordenen Posten beim Bundesverband der Verbraucherzentralen eingenommen. Sie ist damit die oberste Verbraucherschützerin des Landes. Einen einflussreichen Lobbyposten hat auch die frühere Grünen-Spitzenpolitikerin Kerstin Andreae inne. Seit dem 1. November 2019 ist sie Vorsitzende der Hauptgeschäftsführung des Bundesverbands der Energie- und Wasserwirtschaft.

Spitzenbeamte und Cheflobbyisten

Spitzenbeamte finden sich freilich auch unter ehemaligen CDU-Politikern. Zu nennen wäre hier Kay Scheller, der bereits seit 2014 Präsident des Bundesrechnungshofs und damit oberster Kontrolleur der Bundesfinanzen ist. Vor seinem Wechsel war Scheller fast zehn Jahre lang Direktor der CDU/CSU-Bundestagsfraktion. Vorsitzende des Verbandes der Automobilindustrie ist seit Anfang 2020 Hildegard Müller, die von 2002 bis 2008 für die CDU im Bundestag saß und in dieser Zeit parlamentarische Staatssekretärin im Bundeskanzleramt war. Und nicht zuletzt verdingt sich auch der frühere CDU-Politiker Eckart von Klaeden, der wie Müller zum engen Führungszirkel von Merkel gehörte, heute als Lobbyist für die Autoindustrie.

Es liegt in der Natur der Sache, dass die Parteien zwecks Machterhalt versuchen, ihren Einflussbereich auszudehnen. Das wäre jedoch weniger problematisch, wenn es wenigstens unter den Parteien noch einen funktionierenden Wettbewerb gäbe. Doch während der Kanzlerschaft Merkels wurden demokratische Standards schlichtweg ausgehöhlt. Die Unsitte, dass sich die Verfassungsrichter einmal im Jahr zum informellen Abendessen im Kanzleramt einfinden, hat Merkel bereits 2007 eingeführt. Letztlich lässt sich konstatieren, dass nach den 16 Jahren ihrer Kanzlerschaft die Unterschiede zwischen CDU, SPD, FDP und den Grünen nur noch in Nuancen erkennbar sind.

Anmerkungen:

Thomas Trares ist Diplom-Volkswirt. Er hat an der Johannes-Gutenberg-Universität Mainz studiert. Danach war er Redakteur bei der Nachrichtenagentur „vwd“. Seit 2004 arbeitet er als freier Wirtschaftsjournalist in Berlin.

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Dies war ein Exklusiv-Beitrag aus dem Magazin "VIER - die vierte Gewalt" - ab 7. Februar mit einer neuen Ausgabe an den Kiosken zu erwerben.

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Dank an den Autor für das Recht zur Veröffentlichung des Beitrags.

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Bildquelle: sirtravelalot/ shutterstock


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