Ein Meinungsbeitrag von Dirk C. Fleck.
Bäume sind Heiligtümer. Wer mit ihnen zu sprechen vermag und ihnen zuzuhören weiß, der erfährt die Wahrheit. Sie predigen nicht Lehren und Rezepte, sie predigen das Urgesetz des Lebens. (Hermann Hesse)
Professor Kobayashi bat seinen Gast, ihn in das Gewächshaus zu begleiten. Die etwa zwanzig Quadratmeter große Bodenfläche war mit geharktem Kies bedeckt, ausgenommen die kreisrunde Humusschicht in der Mitte, in der ein Pfirsichbaum stand, dessen aufrechter und symmetrischer Wuchs beeindruckte. In den Ecken standen leistungsfähige kleine Boxen. An der gegenüberliegenden Wand befanden sich ein Mischpult, sowie mehrere Monitore und Tastaturen, die mit dem Baum durch eine Reihe dünner Kabel Verbindung hatten, deren Elektroden sowohl im Astwerk als auch am Stamm befestigt waren.
„Es ist kein Geheimnis, dass Pflanzen miteinander kommunizieren,“ bemerkte Kobayashi, „nur hören konnten wir sie dabei bisher nicht. Ich habe nun ein Programm entwickelt, das die elektromagnetischen Schwingungen dieses Baumes in Musik umsetzt. Die Idee ist nicht neu, sie stammt von der guten alten NASA. Vielleicht erinnern Sie sich an die Planetengesänge, die die Raumfähre Voyager in den neunziger Jahren zur Erde gefunkt hatte. So ähnlich müssen Sie sich das hier auch vorstellen. Mit dem Unterschied natürlich, dass uns ein Baum näher ist als die Ringe des Saturn. Da er mit der Erde verwurzelt ist, kann er uns einiges über ihren Zustand verraten".
Der Professor trat hinter das Mischpult und drehte an den Reglern. Ein wabernder, an- und abschwellender Ton begann den Raum zu füllen. Cording schloss die Augen und ergab sich dieser Sphärenmusik in Moll, in die sich plötzlich Töne mischten, die er zuvor noch nie vernommen hatte. Manchmal erinnerte ihn das an den hypnotischen Sprechgesang, den er vor Jahren während einer Schlangenbeschwörung im Hopi-Reservat gehört hatte. Dies war kein Klagelied, eher ein melancholisches Klanggedicht, das sich nicht in Noten fassen ließ. Nach einer Weile, in der die Zeit still zu stehen schien, schaltete der Japaner den Computer aus.
„Er kann auch schreiben,“ bemerkte Kobayashi. „Ich habe mir gedacht, was mit Musik möglich ist, muss auch mit Sprache funktionieren. Das Bäumchen würde sich sicher gewählter ausdrücken, wenn nur mein Programm perfekter wäre ...“.
Gebannt starrte Cording auf die ausgedruckten Zeilen: stadt muss sich bücken... prophetische melonen gegen flut... abreise ohne wesenheiten... bilderkreis mit schneefeldern am fuß... schleifen auf spaziergängerinnen haben keine fenster... umwundene Müdigkeiten zweibeinig... weder sand noch pfoten in der wut... unyss schuppenkollektion drei blatt... tausend stäbchen stürzen sieger... „Jetzt fängt er mit dem Stabreim an!“ lachte der Professor. oeih3oiweu äshjc-vrevbb?w lö qrtqw034.
“Er kann nicht mehr, schreiben ermüdet ihn. Ich habe einen ganzen Ordner solcher Gedichte.“
„Darf ich den Ausdruck mitnehmen?“ fragte Cording.
„Ja bitte, nur zu. Ob Sie es glauben oder nicht: Pflanzen lernen. Die Molekularbiologie konnte nachweisen, dass Pflanzen sehr sensibel auf ihre Umwelt reagieren. Über ihre Wurzeln senden sie chemische, mechanische und elektrische Signale aus, um das Wachstum anderer Pflanzen in ihrer Nähe zu regulieren. Im Saft ihrer Äste und Blätter schwimmen sogenannte ´Phytohormone`, die wichtige Botschaften übermitteln. In ihren Stängeln werden Sinneswahrnehmungen wie in einem Nervensystem weitergeleitet, und über bestimmte Duftstoffe können sie mit anderen Pflanzen kommunizieren, Insekten anlocken oder sie vertreiben. Sie warnen sich über chemische Botenstoffe wie Äthylen und Methyd-Jasmonat vor Gefahren. Werden sie durch weidende Tiere oder Insektenbefall beschädigt, so raten sie anderen Pflanzen, Abwehrstoffe wie Phenol oder Tarnin zu produzieren, die sie für Schädlinge unverdaulich machen.“
Kobayashi lächelte: „Bäume sind spirituelle Lebewesen voller Gefühle,“ sagte er. „Sie verfügen über ein differenziertes Kurz- und Langzeitgedächtnis, dass sowohl individuell als auch kollektiv gespeichert wird. Wir Menschen beginnen erst ganz allmählich zu erahnen, über welch fantastische Fähigkeiten unsere Mitbewohner auf diesem Planeten verfügen. Die Naturvölker wussten das, sie verehrten die großen Bäume als Heilige und Götter. Für einige Indianerstämme bergen die Jahrtausende alten Redwoods noch heute die Erinnerungen des roten Mannes. Auch die Germanen sprachen durch die Bäume zu ihren Göttern, was ihnen dann im Laufe der Christianisierung bei Todesstrafe verboten wurde. Buddha empfing seine Erleuchtung unter dem Energiefeld des großen Bodhibaumes und Goethe, euer Goethe, ließ keinen Zweifel daran, dass die gesamte Natur beseelt ist.“
Aus dem Roman FEUER AM FUSS
PS: Für meinen Freund Harald Finke, der seit über dreißig Jahren in einen Dialog mit der Natur eingetreten ist. Sein „Projekt-PflanzenSchrift“ gibt Einblick in den Charakter und das Temperament der verkabelten grünen Freunde, die ihre Bilder selbst malen und ihre Musik auch selbst komponieren. Der Künstler äußert sich folgendermaßen dazu: „Den Techniküberhang nehme ich nicht so wichtig. Wichtiger ist mir, dass meine künstlerische Intention wahrgenommen wird - dass mit einer Pflanze auf bestimmte Art und Weise kommuniziert werden kann, und die Pflanze dabei als gleichwertiger Partner angesehen wird. Im Moment kann dies am besten im Bereich der Kunst vermittelt werden.“
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Dirk C. Fleck ist ein deutscher Journalist und Buchautor. Er wurde zweimal mit dem Deutschen Science-Fiction-Preis ausgezeichnet. Sein Roman “Go! Die Ökodiktatur” ist eine beklemmend dystoptische Zukunftsvision. 2023 erschien sein aktuelles Buch „HEROES. Mut, Rückgrat, Visionen“.
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Wir danken dem Autor für das Recht zur Veröffentlichung des Beitrags.
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Bildquelle: Robert Kneschke / Shutterstock.com
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