Ein Kommentar von Norbert Häring.
Die Bank für Internationalen Zahlungsausgleich, die die Arbeiten westlicher Länder an digitalem Zentralbankgeld koordiniert, hat eine Blaupause des angestrebten neuen Geldsystems mit digitalen Zentralbankwährungen veröffentlicht. Diese lässt gruseln und entlarvt die Schönfärbereien von EU-Kommission und Europäischer Zentralbank hinsichtlich des digitalen Euro.
Die Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ) hat in ihrem Jahresbericht eine Art Blaupause für das von ihr und den Zentralbanken angestrebte künftige Geldsystem veröffentlicht. Es soll die Möglichkeiten digitaler Technologien und des geplanten digitalen Zentralbankgeldes nutzen.
In Kurzfassung beschreibt die BIZ es so:
„Eine neuartige Finanzmarktinfrastruktur – ein einheitliches Hauptbuch – könnte die Vorteile der Tokenisierung voll ausschöpfen, indem sie Zentralbankgeld, tokenisierte Einlagen und tokenisierte Vermögenswerte auf einer programmierbaren Plattform vereint.“
Die Schlüsselbegriffe dabei sind Tokenisierung und einheitliches Hauptbuch (Unified Ledger) und Programmierbarkeit.
Tokenisierung
Tokenisierung bedeutet, dass Vermögenswerte wie Finanztitel, z.B. Wertpapiere, Kreditforderungen oder Bankguthaben, oder reale Dinge wie Rohstoffe oder Immobilien auf einer programmierbaren Plattform in Form von Token (Werteinheiten) repräsentiert und übertragbar gemacht werden. Das besondere daran ist, dass das Token gleichzeitig die Beschreibung des betreffenden Objekts und die Regeln für den Transfer dieses Objekts enthält. Diese Regeln können komplex sein.
Die BIZ spricht dabei auch von tokenisierten Einlagen und von tokenisiertem digitalen Zentralbankgeld. Das bedeutet, dass sowohl für unsere Bankguthaben wie für unsere Guthaben an digitalem Zentralbankgeld Regeln hinterlegt werden können. In harmloser Form können diese zum Beispiel beinhalten, dass ein Guthaben in digitalen Euro, das eine von der EZB festgelegte Grenze überschreitet (3.000 Euro wurden als mögliche Grenze avisiert) automatisch in ein normales Bankguthaben umgewandelt wird, und umgekehrt das eEuro-Guthaben automatisch wieder aufgefüllt wird. Aber es gibt, wie wir noch sehen werden, auch sehr viel problematischere Anwendungsmöglichkeiten.
Unified Ledger (einheitliches Hauptbuch)
Eine weitere Schlüsselkomponente des anvisierten Geldsystems ist der Unified Ledger. Ein Ledger ist die digitale Version eines Konten- oder Hauptbuchs. In einem Unified Ledger (einheitlichen Hauptbuch) werden alle für einen bestimmten Anwendungszweck relevanten Beteiligten, Zahlungsmittel, Wertpapiere und Waren registriert und alle getätigten Transaktionen verzeichnet. Das können sehr viele sein.
Durch die Programmierbarkeit der Plattform und die Bündelung aller relevanten Beteiligten und realen oder finanziellen Güter in einem Hauptbuch entsteht die Möglichkeit, so die BIZ, den Austausch von Gütern und Leistungen und die zugehörige Bezahlung vollständig zu automatisieren und nahtlos zu integrieren.
Eingebaute Zentralisierungstendenz
Die Anwendungsbeispiele für solche zentralen Hauptbücher die die BIZ anführt, wie die Wertpapierabwicklung oder die Handelsfinanzierung in Lieferketten, wirken harmlos und nützlich. Jeder Unified Ledger würde alle Intermediäre und Vermögenswerte zusammenführen, die für seine spezifische Anwendung erforderlich sind. Es führt also nicht mehr jeder Beteiligte Buch über die ihn betreffenden Vorgänge, und löst zum Beispiel zur passenden Zeit eine Zahlung aus, sondern alle Vorgänge werden in einem gemeinsamen Buch registriert und zentral gesteuert automatisch und bei Bedarf zeitgleich ausgeführt.
Wenn sich der Anwendungsbereich eines Hauptbuchs im Laufe der Zeit erweitert, könne es zusätzliche Vermögenswerte und Unternehmen einbeziehen oder mit anderen Hauptbüchern verschmelzen. Es wird sehr deutlich, dass mit der Zeit eine immer stärkere Verschmelzung der verschiedenen Hauptbücher stattfinden wird und soll. Denn die Argumente für größere Effizienz der Zusammenfassung aller Akteure und Handelsobjekte gelten auf jedem schon erreichten Konzentrationsniveau aufs Neue.
Das absehbare Endergebnis wäre eine detaillierte zentrale Steuerung aller wirtschaftlichen und finanziellen Vorgänge innerhalb einer Weltregion, die sich auf ein solches Geld- und Währungssystem geeinigt hat. Damit einher ginge eine enorme Machtkonzentration. Das Wort Macht kommt in der Blaupause der BIZ allerdings nicht vor. Sie deutet zwar an, wie feingliedrig die Steuerungsmöglichkeiten sind:
„Während also in herkömmlichen Systemen die Regeln für die Aktualisierung des Eigentums an Vermögenswerten in der Regel für alle Vermögenswerte gelten, können Token so angepasst werden, dass sie den spezifischen Anforderungen der Nutzer oder den für einzelne Vermögenswerte geltenden Vorschriften entsprechen.“
Was so harmlos und effizient klingt, bedeutet aber, dass man für jeden Menschen und jedes Unternehmen spezielle Handlungsmöglichkeiten definieren und auf der Plattform hinterlegen kann, sodass das Verhalten dieses Menschen automatisiert gesteuert und überwacht werden kann. Am Besten stellt man sich dafür die von den Zahlungsstrategen angestrebte Welt der automatischen Mikrozahlungen und Mietobjekte vor, in der jeder gefahrene Kilometer, jeder aus der Maschine gezogene Kaffee, jede gelesene Buchseite und jede getoastete Brotscheibe einzeln berechnet wird, anstatt dass man wie früher ein Buch, einen Toaster oder eine Kaffeemaschine kauft. In einer Welt, in der das die Norm wäre, bedeutet Kontrolle der Bezahlvorgänge und Bezahlmöglichkeiten Kontrolle praktisch des gesamten Verhaltens.
In sehr abstrakter Form deutet die BIZ das an, wenn sie schreibt:
„Bei Zahlungen könnten beispielsweise aufsichtsrechtliche Compliance-Anforderungen, die unter anderem von den Transaktionspartnern, ihrem Standort und der Art der Überweisung abhängen, direkt in den Token eingebettet werden.“
Unter dem Stichwort Bekämpfung von Geldwäsche und anderen illegalen Aktivitäten preist die BIZ an, dass die Verwendung eines einheitlichen Hauptbuchs transparente und überprüfbare Aufzeichnungen über alle Transaktionen, Überweisungen und Eigentumsänderungen liefern würde. Mit anderen Worten: Totale Überwachung wird zur Norm.
Konzentration von sensiblen Daten
Die BIZ leistet Lippenbekenntnisse zur Bedeutung des Privatsphärenschutzes für die „Nutzer“ des Unified Ledger. Sie räumt ein, dass die Konzentration von Transaktionsdaten in Kombination mit Informationen über die Beteiligten und den Ort der Transaktion, sowie über gekaufte Produkte und Dienstleistungen problematisch ist. Sie befasst sich aber fast nur mit Datenschutz und Datensicherheit, nicht mit der Möglichkeit des Missbrauchs der Daten durch staatliche oder überstaatliche Stellen oder durch mächtige Konzerne, zum Beispiel für Verhaltenslenkung, Kontrolle und Durchsetzung von Zensur. Eine ernsthafte Auseinandersetzung mit den Grenzen der Möglichkeiten des Schutzes der Daten findet nicht statt, in Bezug auf die Möglichkeit des Missbrauchs durch Behörden gibt es diese Auseinandersetzung gar nicht.
Welch geringe Bedeutung die BIZ dem Thema gibt, das für viele Menschen, die sich damit befassen, der Hauptgrund ist, digitalem Zentralbankgeld ablehnend gegenüberzustehen, macht die BIZ auch dadurch deutlich, dass Datenschutz und Privatsphäre in der Zusammenfassung des Beitrags nicht einmal erwähnt werden.
Ohne das näher auszuführen, spricht die BIZ davon, dass das einheitliche Hauptbuch von einer öffentlich-privaten Partnerschaft geführt werden solle. Wie kann man das nur so nonchalant hinschreiben, ohne ziemlich genau auszuführen, wer die Privaten sein sollen, die an solch sensibler und zentraler Stelle eines Zahlungssystems mitmischen sollen, und was sie können und dürfen sollen.
Abschreckende Beispiele Nigeria, Brasilien, Israel
Die digitalen Zentralbankwährungen, die entweder schon umlaufen, oder deren Programmcode schon bekannt ist, bestätigen die Befürchtungen hinsichtlich den totalitären Kontrollmöglichkeiten, die digitales Zentralbankgeld ermöglicht oder begünstigt. Also vor allem die Möglichkeit, Zahlungen von bestimmten Menschen oder Unternehmen zu blockieren, oder das, was diese kaufen oder verkaufen können, von Bedingungen abhängig zu machen oder einzugrenzen.
So hat die Zentralbank von Nigeria kürzlich bekanntgegeben, dass sie dem bereits umlaufenden eNaira zusätzliche Programmierbarkeit geben will. Die Nutzer (gemeint ist der Staat) sollen die Möglichkeit erhalten, die Nutzbarkeit übertragener eNaira einzuschränken. Als Beispiel wird die Möglichkeit für die Regierung genannt, bei Krediten oder Subventionen an Bauern für den Kauf von Saatgut oder Maschinen einzuprogrammieren, dass nur solche Produkte mit dem Geld bezahlt werden können. Nach Angaben der Zentralbank kann auch einprogrammiert werden, dass das Geld nur an bestimmten Orten oder in bestimmten Regionen ausgegeben werden kann.
Beim geplanten brasilianischen Real Digi hat das Portal do Bitcoin nach Veröffentlichung des Quellcodes der Testform der Digitalwährung herausgefunden, dass sie Funktionen enthält, die jeder von der Zentralbank autorisierten Stelle erlauben, Gelder beliebiger „Eigentümer“ einzufrieren, einzuziehen, oder zu verschieben. Ich habe „Eigentümer“ in Anführungszeichen gesetzt, weil man in diesem System sein Eigentum, soweit es in diesen Hauptbüchern verwaltet wird, nur noch sehr begrenzt unter eigener Kontrolle hat.
Laut einem Bericht des Nachrichtenportals tkp.at hat die brasilianische Zentralbank die Funktionen bestätigt und beruhigend kundgetan, dass nicht alle Funktionen der Testversion in der Endversion enthalten sein würden. Wirklich beruhigend ist das nicht. Denn warum testet man so eine Funktion, wenn man sie nicht nutzen will? Und auch wenn sie anfangs wegen Protesten nicht im Code enthalten sein sollten, könnten sie später jederzeit nach und nach hinzugefügt werden – immer wenn ein aktueller Anlass geeignet ist, die Öffentlichkeit gnädig zu stimmen.
Die israelische Journalistin Efrat Fenigson hat in einem Artikel, den sie auf Twitter auszugsweise ins Englische übersetzt hat, beschrieben, welche Kontrollinstrumente der digitale Shekel bekommen soll. So könne ausdrücklich die Bedingung einprogrammiert werden, dass nur legale Produkte gekauft werden können, oder das Geld nur zu bestimmten Zeiten oder an bestimmten Orten genutzt werden kann.
Digitales Zentralbankgeld als Grundlage dieses Systems
Man könnte meinen, die Tokenisierung, die Programmierbarkeit und der Unified Ledger und damit das avisierte neue Geldsystem, könnten auch ohne digitales Zentralbankgeld realisiert werden, zum Beispiel mit normalem Bankengeld oder mit Kryptowährungen.
Die BIZ sieht das anders. Sie betont, dass eine digitale Zentralbankwährung, wie zum Beispiel ein digitaler Euro oder Dollar, eine grundlegende Funktion haben, um die Tokenisierung umfassend möglich zu machen. Denn wenn die Bezahlung per digitalem Zentralbankgeld stattfinde, könnten alle Marktteilnehmer darauf vertrauen, dass sie werthaltige Bezahlung für das, was sie aufgeben, bekommen. Bei sogenannten Stable Coins aus dem Kryptobereich habe es Skandale, Pleiten und eigentlich nicht vorgesehene Preisschwankungen gegeben, die dieses Vertrauen untergraben hätten. Normale Kryptowährungen wie Bitcoin sind wegen enormer Preisschwankungen von vornherein kaum geeignet.
Bei Bankengeld wäre die Bezahlung über die Plattform ebenfalls nicht final. Denn Bankguthaben stellen nur einen Anspruch auf echtes Geld, auf Zentralbankgeld dar. Deshalb wird bei Überweisungen von Bankengeld im Hintergrund zum Ausgleich der Bankbilanzen eine Überweisung von Zentralbankgeld zwischen den beteiligten Banken in Gegenrichtung vorgenommen. Damit der gesamte Bezahlvorgang automatisiert ablaufen kann, ist also mindestens tokenisiertes Zentralbankgeld für Überweisungen zwischen Banken erforderlich. Ob dazu tatsächlich für die Allgemeinheit nutzbares digitales Zentralbankgeld nötig ist, wie die BIZ ausdrücklich behauptet, ist fraglich. Die BIZ nennt es „Kernelement einer tokenisierten Umgebung“. Mindestens hilfreich für das Vertrauen aller Beteiligten in einen automatisierten Prozess dürfte es aber schon sein.
Augenwischerei der EU-Kommission
Die EU-Kommission schreibt beruhigend in den vorangestellten Erläuterungen (Nr. 56) ihres Richtlinienvorschlags für den digitalen Euro:
„Der digitale Euro sollte die Programmierung von bedingten digitalen Euro-Zahlungstransaktionen durch Zahlungsdienstleister unterstützen. Bei dem digitalen Euro sollte es sich jedoch nicht um „programmierbares Geld“ handeln, d.h. um Einheiten, die aufgrund inhärent festgelegter Ausgabebedingungen nur für den Kauf bestimmter Arten von Waren oder Dienstleistungen verwendet werden können oder die zeitlichen Beschränkungen unterliegen, nach denen sie nicht mehr verwendbar sind.“
Und in Artikel 23 Abs 2 des Gesetzesentwurfs steht ganz klar:
„Der digitale Euro ist kein programmierbares Geld.“
Das widerspricht ziemlich deutlich dem, was die BIZ als wünschbare Elemente der gemeinsam angestrebten neuen Geldordnung aufgeführt hat und was, wie gesehen, andere Zentralbanken mit ihrem digitalen Geld praktizieren (wollen). Die Einschränkung der Nichtprogrammierbarkeit von digitalem Zentralbankgeld spielt aber, soweit ich das Modell des neuen Finanzsystems verstehe, für die meisten Anwendungen keine Rolle und dürfte daher Augenwischerei sein.
Denn das programmierbare Geldsystem, für dessen Einführung der digitale Euro laut BIZ gebraucht wird, kann diese Kontrollfunktionen leisten, auch wenn bestimmte Aspekte davon für den digitalen Euro selbst (vorläufig?) ausgeschlossen werden. Ein Euroland, das wie die Regierung Australiens sicherstellen möchte, dass Sozialhilfeempfänger nur das mit ihrer Stütze kaufen, was die Regierung befürwortet, braucht nur entsprechend programmierte Bankguthaben auszuzahlen, statt digitalem Zentralbankgeld.
Einer Programmierung auf der persönlichen Ebene, also, dass eine bestimmte Person bestimmte Güter nicht kaufen kann, egal ob mit Bankguthaben oder mit Zentralbankgeld, dürfte die Versicherung der Kommission ohnehin nicht entgegenstehen. Nur Programmierung auf der Geldebene schließt der Gesetzentwurf aus. Mit dem Bild des Geldscheins gesprochen: Die Kommission schließt aus, dass auf den Geldschein aufgedruckt wird, dass er pro Monat ab Ausgabe ein Promille seines Wertes verliert, oder dass man mit diesem Geldschein keine Waffen bezahlen kann, egal wer ihn besitzt. Sie schließt nicht aus, dass auf der Plattform, auf der das alles stattfindet, der betroffenen Person ein Stempel aufgedrückt wird, der klarstellt, dass man dieser Person keine Waffen oder keinen Alkohol verkaufen darf.
Wie gesagt, das geht jetzt schon mit speziellen Guthabenkarten, die in Australien verwendet werden. Der Unterschied ist allerdings der, dass es im von der BIZ avisierten, neuen System sehr viel effizienter, geräuschloser und reibungsloser geht, sodass es in immer größerer Feinheit zur Steuerung des Verhaltens von immer größeren Bevölkerungsgruppen verwendet werden kann. Es fängt immer mit den schwächsten Gruppen an. Die meisten Bürger kann man überzeugen, dass Sozialhilfeempfänger ihre Stütze nicht für Glücksspiel und Zigaretten ausgeben (dürfen) sollten, oder dass ehemalige Strafgefangene keinen Alkohol und keine Drogen oder Waffen kaufen dürfen.
Dann könnten all die Einschränkungen für Menschen mit Bluthochdruck oder Übergewicht kommen, die sie daran hindern, sich selbst und die Versichertengemeinschaft durch ungesunde Ernährung zu schädigen. Auch der Klimaschutz bietet vielerlei Ansatzpunkte für vermeintlich unbedingt notwendige Verhaltensänderungen, ohne die der Menschheit das baldige Verglühen droht.
Und über die große Gefährlichkeit von sogenannten Fake News und den Menschen, die sie verbreiten, wurden wir in den letzten Jahren ja zur Genüge aufgeklärt. Anstatt Kontensperrungen durch private Banken, die diese gefährlichen Menschen und Menschengruppen immer wieder umgehen, wäre es in dem neuen System endlich möglich, jegliche Geldtransfers auf von diesen geführte Konten zu unterbinden.
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Dieser Beitrag erschien zuerst am 23. Juli 2023 auf norberthaering.de.
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