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Buchrezension «Generation Krokodilstränen» – Über die Machttechniken woker Ideologen

Buchrezension «Generation Krokodilstränen» – Über die Machttechniken woker Ideologen


Ein Meinungsbeitrag von Eugen Zentner.

Wenn jemand Trauer, Betroffenheit und Mitgefühl heuchelt, bezeichnet man das im Deutschen als „Vergießen von Krokodilstränen“. Diese Redensart wählt die Journalistin Pauline Voss, um in ihrem Buch[1] ihre eigene Generation zu beschreiben, eine, die der woken Ideologie verfallen ist und diese in sämtliche gesellschaftliche Institutionen hineinträgt. Die 1993 Geborene analysiert jedoch nicht die Psychologie dieses Kulturkampfs wie beispielsweise Esther Bockwyt, sondern die Machttechniken, mit denen er betrieben wird. Als theoretische Folie dient dabei die Diskurstheorie des französischen Philosophen Michel Foucault.

Voss zitiert aus sämtlichen seiner Werke und verwendet einzelne Versatzstücke, um zu zeigen, wie aus einer Generation, „die sich für nichts und gegen nichts positionieren wollte, eine Generation von Missionaren“ wurde. Voss’ These: Die woken Aktivisten machen sich die Werkzeuge Foucaults zunutze, allerdings in einer Weise, die seine Theorien entstellt.

„Anstatt seine Untersuchung totalitärer Machtmechanismen als Analyse zu verstehen, verwenden sie sie als Anleitung zu totalitärem Denken“,

schreibt die Journalisten gleich zu Beginn und zeigt daraufhin sehr scharfsinnig, wie das in der Praxis funktioniert. Dabei kommt vor allem Voss’ Beobachtungsgabe zum Vorschein, sowie die Fähigkeit, subtile Mechanismen sichtbar zu machen.

Demonstrieren lässt sich das an ihren Erläuterungen zur Funktionsweise der Cancel Culture. Dort sieht sie das am Werk, was Foucault als „disziplinierende Macht“ bezeichnete:

„Zunächst werden die Regeln der politischen Korrektheit von institutioneller Ebene (etwa durch Universitäten oder Behörden) nach ‚unten‘ durchgesetzt. Dort werden sie, zum Beispiel von Studenten, aufgegriffen und nach ‚oben‘, also gegen Veranstalter oder Institutionen, gerichtet. Diese wenden die Regeln nun wieder nach ‚unten‘ gegen ihre Gäste, was eine Breitenwirkung nach sich zieht und jenem Teil des Publikums, dem die Regeln bisher unbekannt waren, die Grenzen des Erlaubten aufzeigt.“

Das oberste Prinzip woker Ideologen lautet „Macht durch Ohnmacht“. Dafür muss man sich zunächst als Minderheit inszenieren. Anders ausgedrückt: Minderheiten werden sprachlich geschaffen. Diese Art der Diskursivierung erfolgt unter anderem durch die Vervielfältigung der Kategorien im Bereich der sexuellen Vorlieben, wie Voss veranschaulicht. Wo Grenzen einst fließend gewesen seien, würden jetzt Trennlinien gezogen, schreibt sie.

„Jede einzelne Minderheit muss erfasst, sichtbar und auf diese Weise für den sexuellen Diskurs verwertbar gemacht werden.“

Voss verweist an solchen Stellen auf Disziplinierungsforderungen in der Verwendung von Sprache. Die woke Macht drückt sich in Begriffen und Formulierungen aus und nötigt zum Umdenken, so ihre These. Das Ziel bestehe darin, ein Machtgefälle zu errichten:

„Der Sprecher, dessen Sprache die Vielfalt der sexuellen Kategorien am genauesten abbildet, führt diese Ordnung an.“

Voss analysiert nicht nur die Machttechniken, sondern auch deren Auswirkungen. Sie stellt einen Wettbewerb des Klagens fest, befeuert durch die Allgegenwart der Diskriminierungshypothese. Das zahle sich aus, wie die junge Autorin bereits in ihrem Studium festgestellt hat. Dort werden „stetig neue Jahrgänge in der Kunst der Krokodilstränen geschult.“ Voss bringt sich bei ihren Ausführungen immer wieder selbst ein, berichtet von ihren Erfahrungen, von Situationen mit Gleichaltrigen oder im Schulunterricht, wo sich Foucaults Ideen schon in den Nullerjahren verbreiteten. Sie schildert diese Zusammenhänge so routiniert und in einem derart eleganten Stil, dass das foucaultsche Theoriedestilat so süffig wird wie kalter Piña Colada.

Freilich, irgendwann erschöpft sich auch eine Argumentation, die sich nur um ein einziges Theoriegebäude dreht. Dennoch bereitet die Lektüre großes Vergnügen, sowohl sprachlich als auch intellektuell, zumal Voss Parallelen zu Themen abseits des woken Kernfeldes zieht. Die Krokodilstränen der Minderheitenbeschützer und deren diskursive Machtausübung veranschaulicht sie unter anderem anhand der Corona-Politik. In ihr spiegelte sich ein Prinzip, das im woken Zeitalter zum Normalzustand geworden ist: unterschiedliche institutionelle Ebenen und gesetzliche Vorschriften greifen ineinander, um Normen zu kontrollieren und durchzusetzen. Während der Krise zeigte sich die diskursive Macht des Besserns und Strafens:

„Ein Subjekt, das eine Gefahr für die Diskurshoheit darstellte, galt zugleich als Gesundheitsgefährder“,

schreibt Voss.

„Umgekehrt wurde das medizinische Instrument der Impfung zu einem diskursiven Lackmustest des Subjekts; der korrekte Impfstatus befähigte zur Teilnahme am seriösen Diskurs.“

Die Autorin bringt hier auf der Folie der foucaultschen Theorie, das auf den Punkt, was viele mittlerweile bemerkt haben: Den Verfechtern der Diskriminierungshypothese ist das Phänomen der Diskriminierung völlig gleichgültig. Stattdessen nutzen sie es für die eigenen Zwecke, um auf dem politischen und gesellschaftlichen Feld Deutungshoheit zu erlangen und Macht auszuüben. Andernfalls hätten sie während der Corona-Krise nicht den Staat unterstützt, Ungeimpfte per Gesetz zu diskriminieren und ihre Freiheitsrechte einzuschränken.

„Wenn aber Politik nicht mehr am allgemeinen Interesse gemessen wird, sondern nur noch an den Regeln des Diskurses“,

schlussfolgert Voss,

„verliert sie ihren Bezug zur Realität.“

Ein weiteres Beispiel dafür, wie sich die Diskursmacht der Wokeness in Normen manifestiert und für Paradoxien sorgt, ist das Selbstbestimmungsgesetz. Hier demonstriert die Autorin eindrucksvoll ihr Esprit, indem sie die darin liegende Widersprüchlichkeit auf den Punkt bringt. Sie erinnert daran, dass die Regierung mit dem Selbstbestimmungsgesetz anstrebt, das „veraltete, pathologische Verständnis von Transgeschlechtlichkeit“ zu überwinden. Geschlechtsdysphorie, also das durch die Spannung zwischen Geschlechtsidentität und biologischem Geschlecht hervorgerufene Leiden, soll nicht mehr als Krankheit gelten. Gleichzeitig kündigte die Bundesregierung 2021 im Koalitionsvertrag an, dass die Kosten geschlechtsangleichender Behandlungen vollständig von der gesetzlichen Krankenversicherung übernommen werden müssten. „Die Krankenkasse soll also Leistungen finanzieren, die ausdrücklich keine Behandlung einer Krankheit darstellen“, stellt Voss entlarvend fest.

Im nächsten Jahr steigen die Beiträge für die gesetzliche Krankenversicherung weiter an. Insgesamt werden über 17 Prozent des Bruttolohns fällig. Das verdeutlicht, wie sich die diskursive Macht der Wokeness auch materiell auswirkt. Wer diese Mechanismen besser verstehen will, findet in Voss’ Buch eine probate Einstiegslektüre. Es ist lehrreich, inspirierend und enthält gelegentlich subtil sarkastische Formulierungen, die zum Schmunzeln reizen.

Quellen und Anmerkungen

[1] https://europa-verlag.com/Buecher/6685/GenerationKrokodilstrnen.html

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Wir danken dem Autor für das Recht zur Veröffentlichung dieses Beitrags.

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Bildquelle: Marin Liudmila / shutterstock


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