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Buchrezension: "Wirtschaft und Finanzen neu gedacht"

Buchrezension: "Wirtschaft und Finanzen neu gedacht"


Von alternativen Wirtschaftskonzepten, Tauschgemeinschaften und Komplementärwährungen

Eine Rezension von Eugen Zentner.

Die Corona-Politik der Jahre 2020 – 2022 setzte einen gesellschaftlichen Prozess in Gang, in dem viele Menschen das gegenwärtige System von unten verändern wollen. Sie haben begriffen, dass es nicht auf freiheitlich-demokratischen Säulen steht, wie viele Jahre behauptet wurde. In nahezu allen sozialen Bereichen breitet sich ein autoritärer Geist aus, der dem Grundgesetz Hohn spricht und in eine Zukunft weist, die so trist ist wie die Lebenswelt der Figuren in George Orwells Klassiker «1984». Um dieser Entwicklung eine positive Wendung zu geben, haben zahlreiche Idealisten, Visionäre und Innovatoren alternative Projekte gestartet. Mit ihnen soll das heutige System von verschiedenen Seiten reformiert, verändert, vor allem aber so verbessert werden, dass ein friedliches Miteinander in Freiheit eine Zukunft hat.

Die multipolare und facettenreiche Bewegung aus den Tiefen der allgemeinen Unzufriedenheit bildet der massel Verlag in der Sachbuchreihe «The GreatWeSet» ab. Nach dem Erstling «Alternativen in Medien und Recht», das sich der neu entstandenen Gegenöffentlichkeit widmet, hat der Publizist Ulrich Gausmann im nun erschienen zweiten Band die Alternativen in den Bereichen Wirtschaft und Finanzen unter die Lupe genommen. Auf knapp 300 Seiten stellt er unterschiedliche Projekte vor, die eine revolutionäre Kraft ausstrahlen. Vordergründig geht es um Ansätze der sogenannten solidarischen bzw. Gemeingutökonomie. Die Personen hinter den Projekten streben nicht den Profit an, sondern Menschlichkeit, Nachhaltigkeit und Fairness.

Bevor Gausmann die alternativen Produktionsweisen bei der Herstellung und Verteilung von Waren und Dienstleistungen vorstellt, skizziert er die vielen Problemfelder des gegenwärtigen Wirtschaftssystems. Behandelt werden unter anderem die tieferliegenden Ursachen der ökonomischen Krisen des Kapitalismus oder das Phänomen der Postwachstumsökonomie. Aus dem Rekurs auf zahlreiche Theorien und Ansätze leitet der Autor Fragen ab, die unter anderem auf die Veränderung der Eigentumsverhältnisse abzielen. Erst dann stellt er die neuen alternativen Gegenmodelle vor. Als einer der Akteure wird die Genossenschaft „Menschlich Wirtschaften“ erwähnt, ein Zusammenschluss von Menschen, Unternehmern, Handwerkern, Dienstleistern, Ärzten und Professoren, „die die aktuelle Krise und Bedrohung des Lebens als Chance für ein neues Miteinander“ sehen.

Das Konzept dieses Verbunds basiert auf dem Prinzip der sozialen Dreigliederung. Das Ziel besteht darin, den Warenhandel sowie Dienstleistungen über eine digitale Plattform zu organisieren, Wirtschaftsassoziationen zu ermöglichen und dadurch auch Arbeitsplätze zu schaffen. Mit einem etwas anderen Ansatz tritt die Regionalwert AG an. Sie selbst versteht sich als eine „Bürgeraktiengesellschaft“ und konzentriert sich darauf, „Betriebe der ökologischen Landwirtschaft von der Produktion, über die Verarbeitung der Lebensmittel, ihren Vertrieb, bis hin zur Gastronomie“ zu finanzieren. Dabei wird die Unterstützung nicht nur auf Biohöfe begrenzt, sondern auf die Versorgung ganzer Regionen ausgeweitet.

Erwähnung findet auch der Unternehmerverbund „Die WEISSEN“, genauso wie die erste Band- und Leiharbeitergewerkschaft Social Peace, die mit dem Vorhaben gestartet ist, „friedlichen demokratischen Widerstand von unten aufzubauen“. Ihr Gründer sei überzeugt, „dass sich auch an den Fließbändern der internationalen Fleisch- und Automobilindustrie die Gesellschaft von morgen entscheidet“. Gausmanns Ausführungen basieren größtenteils auf Interviews, die er mit den Akteuren aus der Gegenbewegung geführt hat. Diese Herangehensweise schlägt sich im Buch insofern nieder, als der Autor neben den Projekten auch die Protagonisten vorstellt. Teilweise kommt ihre ganz persönliche Geschichte zur Sprache, mit Rückgriffen auf Originalzitate, die sehr viel Raum bekommen.

Diese Darstellungsform behält Gausmann auch im zweiten Teil bei, wenn die Alternativen im Finanzsystem in den Mittelpunkt rücken. In diesem Kontext geht es vordergründig um solche Phänomene wie die Erschaffung des Geldes aus dem Nichts als Schuldgeld oder das Problem des Zinses. Wieder wird der Weg zu den alternativen Lösungsansätzen theoretisch vorbereitet, unter anderem unter Rückgriff auf die Ideen von Intellektuellen wie Silvio Gesell. Dann geht Gausmann zu den vielen Projekten und Initiativen über, die das bestehende Finanzsystem revolutionieren sollen. Schnell zeigt sich, dass deren Zahl weitaus höher ist als die im Bereich der Realwirtschaft. Die Leser lernen Konzepte wie Tauschringe und Zeitbanken kennen. Sie erfahren von Vertrauensgemeinschaften und Komplementärwährungen.

Als eine relativ neue, aber bereits weitverzweigte Tauschgemeinschaft wird etwa das Netzwerk H.e.l.f.a. vorgestellt. Die Mitglieder unterstützten sich gegenseitig, indem sie beispielsweise Hilfe in Krankenhäusern leisten, sich um Obdachlose kümmern, sich gegenseitig mit Lebensmitteln versorgen oder Alltagsgegenstände ausleihen. Kosten in Form von Gebühren oder Zinsen fallen dabei nicht an. Mittlerweile soll sich das H.e.l.f.a.-Netzwerk bis Österreich, Dänemark, Spanien, Griechenland, Italien, Ungarn und Portugal erstrecken. Auf einer Tauschökonomie beruht auch das Projekt „Der Dorfring“. Anders als bei H.e.l.f.a. wurde aber zusätzlich eine eigene regionale Währung eingeführt, um ein Verrechnungssystem für Leistungen und Gegenleistungen zu haben.

Welche Kraft regionale Währungen haben können, erläutert Gausmann am Beispiel des sogenannten „Wunders von Wörgl“. Dessen Bürgermeister Michael Unterguggenberger führte im Jahr 1932 eine solche ein und konnte dadurch die Arbeitslosigkeit deutlich senken. Auch heute sei zu beobachten, dass alternative Geldsysteme entstünden, schreibt Gausmann weiter: „Standard- und Komplementärwährungen existieren parallel, basieren auf unterschiedlichen Konzepten, in ihrer Funktion sind sie aber aufeinander angewiesen.“ Daneben gebe es Konzepte wie den „Gradido“. Der Name leitet sich ab von den englischen Begriffen Gratitute (Dankbarkeit), Dignity (Würde) und Donation (Gabe). Das Wesen dieses Systems besteht darin, dass das Geld nicht mehr durch Schuldenaufnahme entsteht, sondern dadurch, dass die Menschen es selber schöpfen. Gradido sei ein Angebot, „eine Brücke von der alten Kauf- und Bezahlwirtschaft hin zu einer neuen Schenk- und Dankwirtschaft zu bauen.

Ähnlich spektakulär hört sich das Konzept an, das sich hinter der alternativen Währung „Sardex“ verbirgt. Wie der Name bereits verrät, wurde sie auf der italienischen Insel Sardinien in Umlauf gebracht. Nach der Finanzkrise 2007 trug sie mit dazu bei, die Turbulenzen besser zu überstehen. Eine ähnliche Wirkung soll in der belgischen Stadt Charleroi die Regionalwährung Carol’Or während des Lockdowns entfaltet haben. In Deutschland ist hingegen der sogenannte Minuto entstanden, ein Konzept, das auf Energie-Gutscheinen basiert. Hervorgegangen ist es aus der Überlegung, welcher Wertmaßstab sich am besten dafür eignen würde, die angebotenen Waren und Dienstleistungen zu bemessen. Konstantin Kirsch kam dann auf die Idee, dass es die Energie ist.

Wer Ulrich Gausmanns Buch liest, wird erstaunt sein, mit welchem Tatendrang manche Menschen das gegenwärtige Wirtschafts- und Finanzsystem verbessern wollen. Die Innovationskraft scheint gigantisch zu sein, weshalb bei der Lektüre Optimismus aufkommt. Genau das will der Autor erreichen. Sein Buch sei für Menschen gedacht, schreibt er gleich zu Beginn, „die sich große Sorgen um ihr zukünftiges Leben“ machen, aber auch für solche, die nach „Helfergemeinschaften“ oder einem „neuen Wirkungskreis“ suchen. Das dürfte nach der Lektüre kein Problem darstellen, zumal Gausmann im Anhang alle alternativen Projekte und engagierte Personen samt Homepage auflistet. Wer mit anpacken will, findet hier die nötigen Anknüpfungspunkte.

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Ulrich Gausmann: "Wirtschaft und Finanzen neu gedacht", massel Verlag. Hier der Link zum Buchkauf: https://www.masselverlag.de/The-Great-WeSet/Wirtschaft-und-Finanzen-neu-gedacht/ +++

Wir danken dem Autor für das Recht zur Veröffentlichung dieses Beitrags.

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Bildquelle: massel Verlag


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