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Corona-Politik: China stolpert gerade über seine eigenen Füße | Von Hermann Ploppa

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Ein Kommentar von Hermann Ploppa.

Erst sperrt die chinesische Regierung einen großen Teil ihrer Bürger in strengste Quarantäne ein wegen des „gefährlichen“ Omikron-Virus. Doch dann weicht die Regierung zurück vor den Protesten auf der Straße. Die Wissenschaft hat nun plötzlich festgestellt: Omikron ist ja gar nicht so gefährlich wie zunächst vermutet. Und nun werden Chinesen Reisebeschränkungen wegen Omikron auferlegt – nicht von China. Sondern von der westlichen Wertegemeinschaft. Verrückt. Oder einfach korrupt?

Wir sind gerade auf Urlaubsreise in Thailand. Auf der beliebten Touristeninsel im Golf von Thailand ist es noch relativ ruhig. Der Fremdenverkehr läuft gerade erst seit ein paar Monaten überhaupt wieder an. Zimmer zu finden ist kein Problem. „In den zweieinhalb Jahren Covid waren alle Einrichtungen komplett geschlossen. Die Wirte haben ihre Gasthäuser aufgegeben. Hier gibt es keine staatliche Unterstützung wie bei Euch in Europa. Einige Wirte haben sich einen Strick um den Hals gelegt. Und wer jetzt gerade die aufgegebenen Häuser neu aufmacht, weiß im Moment keiner.“, berichtet ein deutscher Auswanderer, dessen gemütliches Gartenrestaurant wieder jeden Abend gefüllt ist mit Touristen. Es trifft mit seinem lieblichen Ambiente genau den Geschmack der vorwiegend schwedischen, französischen und deutschen Touristen.

Man muss aber gar nicht so genau hinschauen, um den Fehler zu finden. Überall gibt es nämlich zwischen den wieder eröffneten Häusern unübersehbare Trümmerhaufen. Das war auch mal ein florierender Laden. Verwüstete und vandalisierte Grundstücke. Einheimische sagen: die Grundstücke gehören einigen wenigen Landlords. Als Corona kam, haben die nicht etwa gesagt: „Verstehe. Ihr verdient nichts im Augenblick. Wir verzichten erst mal auf die Pacht bis Ihr wieder Eurer Geschäft aufmachen könnt!“ Stattdessen haben sie die sowieso schon hohe Pacht noch weiter erhöht. Deswegen haben die Pächter das Gelände aufgegeben. Wer dann die teure Bausubstanz so brachial zerstört hat, will keiner sagen. Soll hier Platz geschaffen werden für neue, große auländische „Investoren“? Danach sieht es jetzt noch nicht aus. Also: neues Spiel – neues Glück. Neue kleine Businessmen. Seiden oder auch halbseiden. Dass leichte Drogen jetzt legal verkauft werden dürfen, zeugt derweil von asiatischem Pragmatismus. Das hilft nämlich den kleinen Geschäftsleuten wieder auf die Beine. Was fehlt, sind natürlich auch und gerade jetzt die neureichen Touristen aus der Volksrepublik China.

Also will ich unserem Zimmerwirt eine Freude machen, als ich ihm verkünde: „Gute Nachrichten für Sie! Ab dem 8. Januar können die Chinesen wieder frei reisen!“ Doch statt des von mir erwarteten Freudentaumels, bei meinem Wirt nur blankes Entsetzen: „Waaas?! Dann kommen die Chinesen hierher und die stecken dann alle Leute an mit ihrem Corona-Virus! Ich habe gerade die Nachrichten gehört. Jede Woche sterben in chinesischen Krankenhäusern allein eine Million Chinesen an Covid! Wenn die hierherkommen, dann haben wir hier die nächste Welle, und dann wieder Lockdown überall!“ Diskutieren und andere Fakten entgegenhalten hat hier keinen Sinn. Gerne hätten wir den aufgeregten Wirt beruhigt, und zwar mit guten Argumenten.

In China sterben die Leute massenhaft an Corona?

Es ist wieder allerlei Aufregung, nicht nur im deutschen Blätterwald. Nachdem die Massenmedien der westlichen Wertegemeinschaft das Volk der Chinesen in seinem heroischen Kampf gegen die „kommunistische Schreckensdiktatur“ in den siebten Himmel gehoben hatte, folgt nun, nach dem abrupten Ende des Corona-Regimes im Reich der Mitte, sogleich die Dämonisierung dieser selben Chinesen als buchstäblich mordsgefährliche Virenschleudern. Jetzt rennen die Chinesen in Panik ins nächstbeste Krankenhaus, um dort ihr Leben als Corona-Opfer millionenfach zu beschließen. Sie sterben überall und millionenfach. So millionenfach, dass die Krematorien nicht mehr nachkommen können. Also schleppen die verzweifelten Hinterbliebenen ihre Toten zum nächsten Parkplatz und verbrennen sie mal eben dort. Darüber sind wir genau informiert dank Bild-Zeitung. Und das Blatt mit den vier Buchstaben zeigt als Beleg auch gleich ein Foto. Und Bild fährt fort: Chinesen sterben massenhaft an Corona, so wissen „britische Experten“ zu berichten (ohne dass deren Namen genannt werden). Wir wissen ja, dass die Bild-Zeitung stets um seriöse Recherche bemüht ist <1>.

Aber: Spaß beiseite. Was ist dran an dem Massensterben der Chinesen nach dem Ende des Lockdowns? Sehen wir uns die offiziellen Statistiken an. Die Weltgesundheitsorganisation WHO verzeichnet seit Beginn der Corona-Pandemie im Jahre 2020 in ganz China 10.566.576 Personen, die mit dem Corona-Virus infiziert sind, und im selben Zeitraum wurden 32.792 Todesfälle gemeldet <2>. Ich erlaube mir in Erinnerung zu rufen, dass in der Volksrepublik China aktuell über 1,4 Milliarden Menschen leben. Der Anteil der von Covid-Erkrankung betroffenen Personen ist also im Verhältnis zur Gesamtbevölkerung sehr, sehr gering. Daran hat sich auch in der letzten Zeit nicht viel geändert. Trotzdem fabulieren unsere Qualitätsmedien „Millionen Chinesen“, die an Covid versterben. Die WHO-Statistik zählt am 2.Januar 2023 lediglich 472 Corona-Tote. 472 Tote zu viel, zweifellos. Aber es liegt kein dramatischer Anstieg der Zahlen von Neuinfektionen und Todesfällen vor. Anfang Dezember 2022, zum abrupten Ende des Lockdowns, zeichnete sich eine Zunahme der Fallzahlen ab, die aber schon am 19.Dezember letzten Jahres wieder ihr Ende fand. Nun behaupten die üblichen seriösen Premium-Zeitungen wie Bild, Frankfurter Allgemeine Zeitung oder Die Welt, die Regierung der Volksrepublik China würde das wahre Ausmaß der Pandemie-Schäden vertuschen. Aber, bedaure, in so einem gigantischen Ausmaß kann die Volksrepublik China reale Zahlen nicht unter den Tisch kehren. Die Volksrepublik China ist nicht mit Nordkorea zu vergleichen. Nordkorea ist vollkommen von der Außenwelt abgeschnitten. Festlandchina dagegen ist Mitglied in allen wichtigen internationalen Organisationen und hat sich somit auch verbindlichen Kontrollmechanismen unterworfen. Eine solche Diskrepanz zwischen einigen hundert und einigen Millionen Toten durch Corona ist völlig unrealistisch. Man kann die ganze Clickzahl-Marktschreierei unserer Qualitätsmedien getrost ignorieren. Das ist eine absolut verantwortungslose Panikmache und ein Fall für den Presserat. Wenn denn dieser Presserat unabhängig und nur seinem Gewissen verpflichtet wäre.

Und nun noch mal kurz zu dem Foto von der pietätlosen „Leichenverbrennung“ auf dem chinesischen Parkplatz: Bei der angeblichen Corona-Totenverbrennung auf dem Parkplatz handelt es sich um eine chinesische Neujahrsfeier, bei der Lampions rituell verbrannt werden. Es braucht doch keiner zu glauben, in einem derart stark reglementierten Land wie der Volksrepublik China könne jemand mal eben auf dem Parkplatz Tote verbrennen. Der basisdemokratische Faktencheck der vielen aufmerksamen Leser hat hier vorbildlich funktioniert. Das ist die gute Nachricht. Die Bild-Zeitung musste nach massiven Protesten der Öffentlichkeit ihr pietätloses Lügen-Photo heimlich still und leise zurückziehen. Der echte Faktencheck wirkte diesmal wesentlich schneller als bei den berühmten Särgen von Bergamo.

Glaubwürdigkeitsprobleme der chinesischen Regierung

Doch bleibt auch die Regierung der Volksrepublik China nicht von harscher Kritik verschont. Erst macht nämlich die chinesische Regierung ihre Leute halb wahnsinnig mit der Legende von dem tödlichen Omikron-Corona-Virus und peinigt die Bürger mit einer besonders brutalen Variante des Lockdowns. Nachdem in der uigurischen autonomen Provinz Xinjiang zehn Menschen in einer Mietskaserne elend verbrannt sind, weil wegen der vollkommen entbehrlichen Corona-Regelungen die Notausgänge versperrt waren, platzt den ansonsten geduldigen Han-Chinesen der Kragen. Sie gehen massenhaft auf die Straße. Die zehn Toten in Urumtschi in Xinjiang sind der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen bringt.

Damit ist bereits eine Legende über China und „die Chinesen“ widerlegt: dass nämlich die chinesische Mehrheitsbevölkerung nicht solidarisch mit den Minderheiten in ihrem Land sei. Die Han-Chinesen sind ehrlich empört über die Art, wie ihre Regierung mit den uigurischen Mitbürgern umspringt. Sie erkennen die Einsperrung der Uiguren in der Mietskaserne als äußerste Konsequenz dessen, was ihnen selber angetan worden ist: nämlich eine vollkommen irrsinnige Freiheitsberaubung, die die Gesundheit von Körper und Psyche massiv angreift. Die Proteste gewinnen schnell eine solche Dynamik, dass die Regierung den geordneten Rückzug anordnen muss. Wissenschaftler werden vorgeschickt, die verkünden: plötzlich habe man entdeckt, dass das Omikron-Virus gar nicht so tödlich ist wie zunächst angenommen. Man kann also jetzt sofort die Schikanen gegen die Bevölkerung einstellen. Im übrigen will die Zentralregierung von Xi Jinping auch gar nicht mehr mit der von ihr angestifteten Peinlichkeit dieser unsinnigen Covid-Politik in Verbindung gebracht werden. Großzügig wird verkündet: über Corona-Maßnahmen entscheiden jetzt ganz allein und ganz selbständig die untergeordneten Provinzregierungen. Die Obrigkeiten in Chinas Provinzen lockern jetzt scheibchenweise die Einschränkungen. Wo früher totale Einschließung in den eigenen vier Wänden angeordnet war, dürfen die Leute sich jetzt wieder im Freien bewegen. Sie müssen jetzt „nur noch“ in der Öffentlichkeit Masken tragen und an gewissen Orten Christian Drostens PCR-Tests über sich ergehen lassen. Die Zentralregierung in Beijing kann sich jetzt wieder mehr der Weltpolitik zuwenden. Was auch dringend nötig ist.

Damit ist schon wieder eine Legende über China mal eben so widerlegt worden: denn wenigstens in China beugt sich die angeblich so allmächtige Zentralregierung dem Druck der Straße und hebt konsequent die Corona-Maßnahmen auf. Schon früher haben chinesische Arbeiter in China durch Streiks höhere Löhne erkämpft. Und so manches umweltschädliche Mega-Projekt ist in China durch den Druck der Menschen auf der Straße vereitelt worden. In Deutschland dagegen haben wir ja die Gewaltenteilung: wenn die Regierung ein umstrittenes Projekt politisch nicht durchsetzen kann, dann findet sich ein Gericht, das mit seinem Urteilsspruch den Weg frei macht für die Durchsetzung eben dieses umstrittenen Projektes. Und schon rückt die paramilitärische Bürgerkriegspolizei an, um die protestierenden Bürger mal eben vom Platz zu räumen wie jetzt gerade in Lützerath. Ganz rechtsstaatlich dürfen jetzt mal eben Landschaften und menschliche Kulturen für ein bisschen Fossilbrennstoff für alle Zeiten vernichtet werden. Das ist wahre Demokratie …

Zurück zu den Chinesen. Angeblich durften die Chinesen bislang nicht ins Ausland reisen. Doch. Sie durften schon. Allerdings mussten sie bis zum 8. Januar 2023 bei der Rückkehr nach China zehn Tage in Quarantäne zubringen. Außerdem wurden sie schon bei der Einreise in die Volksrepublik China mit einem Schutzanzug überzogen, wie man ihn beim Betreten einer Intensivstation der harten Stufe anlegen muss. Ein Ganzkörper-Kondom, wie die Engländer es ausdrücken. Wir haben einen solchen bedauernswerten chinesischen Mitmenschen in Bangkok bestaunen dürfen, der quasi als Viren-Astronaut durch die Sicherheitsschleuse in den Hochsicherheitstrakt China einsteigt. Die Viren- und Schädlingsparanoia der US-Bürger wird gerade von den Chinesen um Längen übertroffen. Nun entfallen alle diese grausamen Schikanen. Chinesen müssen bei ihrer Heimkehr „lediglich“ noch den PCR-Test machen.

Und jetzt ist es auf einmal die westliche Wertegemeinschaft, die den Chinesen ihre neue Freiheit madig macht. Eben jene Freiheit, deren heroische Erkämpfung die westlichen Qualitätsmedien gerade eben noch so lyrisch in goldenen Lettern zu preisen nicht müde wurden. Allen voran unter den Miesmachern natürlich wieder die USA, deren Regierung jetzt die Mär von den gefährlichen Omikron-Varianten auffrischt. Es sei, so ließ die US-Regierung die Welt wissen, eine „umsichtige Maßnahme, um ihre eigenen Bürger zu schützen.“ Es stört nicht weiter, dass alle Gesundheitsorganisationen sagen: das Omikron-Virus hat seine gefährliche Phase hinter sich gelassen. Und zudem ist keine neue Variante aus China bekannt. Welche Gefahr soll also von Chinesen für die übrige Menschheit ausgehen? Die Chinesen kommen doch zu uns mit genau der Omikron-Variante, die wir vor einem halben Jahr schon durchgearbeitet haben. Und wo die jetzt hergestellte Herdenimmunität einen Christian Drosten dazu veranlasst, das Ende der Pandemie zu verkünden.

Keine Frage: das ist pure Propaganda. Unbescholtene russische Staatsbürger werden schon überall auf der Welt stigmatisiert und haftbar gemacht für den Ukraine-Krieg. Da auf der Kriegs-Agenda der USA als nächstes China steht, müssen deren Staatsbürger jetzt auch stigmatisiert und ausgesondert werden. „Der Russe“ als Kriegsverbrecher. Dazu passt „der Chinese“ als wandelnde Virenschleuder. Zwei neue Paria-Völker, so wie es „die Deutschen“ und die Völker der Sowjetunion nach dem Ende des Ersten Weltkrieges gewesen sind? Die Strategie ist alles andere als neu. Alttestamentarische Sippenhaft zudem.

Die diesmal vom Westen einseitig gegen alle Chinesen verkündeten Schikanen entbehren tatsächlich jeder wissenschaftlichen Grundlage und sind nichts weiter als ideologische Kriegsführung. Das sieht auch die Internationale Luftfahrtvereinigung IATA so und nicht anders, wenn sie erklärt: „Es ist extrem enttäuschend, diese reflexartige Wiedereinführung von Maßnahmen zu erleben, die sich in den letzten drei Jahren als vollkommen wirkungslos erwiesen haben. Regierungen müssen ihre Entscheidungen eher auf ‚wissenschaftlich fundierte Fakten‘ als auf ‚politisierte Wissenschaft‘ stützen.“ <3>

Zweifelsohne hat die chinesische Politik hier ein Dilemma: sie schimpft jetzt gegen die ebenso grausamen wie destruktiven Maßnahmen, die sie vor kurzem noch selber ihren eigenen Bürgern aufgezwungen hat. Die ganze Corona-Legende hat sich hier gerade an den eigenen Füßen aufgehängt. Wenn es nicht so traurig wäre, könnte man darüber glatt lachen.

Quellen und Anmerkungen

<1> https://www.bild.de/politik/ausland/news-ausland/corona-in-china-werden-leichen-auf-der-strasse-verbrannt-82450546.bild.html Der Inhalt des Artikels wurde schon etliche Male von der Bild-Redaktion verändert, sodass wir nicht garantieren können, dass die jetzige Variante noch mit dem übereinstimmt, was wir zum Zeitpunkt der Niederschrift dieser Tagesdosis vorgefunden haben. <2> https://ourworldindata.org/explorers/coronavirus-data-explorer?facet=none&Interval=7-day+rolling+average&Relative+to+Population=true&Color+by+test+positivity=false&country=USA~ITA~CAN~DEU~GBR~FRA~JPN~CHN&Metric=Confirmed+deaths https://covid19.who.int/region/wpro/country/cn <3> https://www.globaltimes.cn/page/202301/1283309.shtml

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Wir danken dem Autor für das Recht zur Veröffentlichung des Beitrags.

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Bildquelle: TZIDO SUN/ shutterstock


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