Nena hat es gewagt, sich zu bedanken — allerdings bei den „Falschen“. Exklusivabdruck aus „Zombie-Journalismus: Was kommt nach dem Tod der Meinungsfreiheit?“.
Ein Standpunkt von Marcus Klöckner.
Hinweis zum Beitrag: Der vorliegende Text erschien zuerst im „Rubikon – Magazin für die kritische Masse“, in dessen Beirat unter anderem Daniele Ganser und Hans-Joachim Maaz aktiv sind. Da die Veröffentlichung unter freier Lizenz (Creative Commons) erfolgte, übernimmt apolut diesen Text in der Zweitverwertung und weist explizit darauf hin, dass auch der Rubikon auf Spenden angewiesen ist und Unterstützung braucht. Wir brauchen viele alternative Medien!
Nena hat „Danke!“ gesagt. Und das hat genügt, die Wut vieler Medien auf sich zu ziehen. Das war im März 2021. Bis zu diesem Zeitpunkt herrschte durchaus Konsens, dass gute Umgangsformen, zu denen nun mal ein freundliches „Danke“ und „Bitte“ gehören, Teil unseres gesellschaftlichen Umgangs miteinander sind. Seit jenem Tag aber, als in Kassel Menschen friedlich für die Grundrechte in Deutschland auf die Straße gingen, gilt eine neue Etikette. Nena sagte „Danke Kassel!“ ― und Journalisten erwiderten: „Steine, bitte!“. Willkommen in der neuen Normalität!
Bedanken darf man sich nur noch bei den Richtigen. Wer sind die Richtigen? Natürlich die, die ihre Absolution durch die Hohepriester der Meinungsmacht erhalten haben. Ein Dankeschön in Richtung Angela Merkel zu richten, ist völlig in Ordnung. Ein Dank an Annalena Baerbock zu richten, ist okay und selbstverständlich auch angebracht. Überhaupt: Ein großes Dankeschön an die Grünen! Das sehen Medien immer gerne.
Selbst gegen ein herzliches Dankeschön, adressiert an einen konservativen CSUler wie Markus Söder, haben Journalisten nichts mehr einzuwenden. Warum auch? Wenn ein Mann wie Söder sich als Hardliner in Zeiten einer Krise präsentiert und „klare Kante“ zeigt, dann schmelzen ganze Heerscharen von vorgeblich linken Journalistenherzen nur so dahin: Endlich! Der starke Mann, der verkündet, dass in ganz Bayern beim Einkaufen FFP2-Masken zu tragen sind ― da steigt in den Redaktionen automatisch die Feierlaune.
Nur wenn Nena eben „Danke Kassel!“ sagt, dann haben wir ein Problem. Also nicht „wir“. Nicht Sie und ich. Aber eben viele Journalisten.
„Hat Nena ein Herz für Corona-Leugner?“ (1), fragt die Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ) am 24. März 2021 (dpa-Beitrag), das Meuchelmesser direkt neben der Eingabetaste.
Diese Überschrift trifft wie ein Vorschlaghammerschlag auf die Nase. Man muss sich vor Augen halten, was es mit ihr auf sich hat. Die FAZ ist eine der renommiertesten Zeitungen des Landes. Hohe Auflage, reichweitenstark.
Diese meinungsbildende Zeitung fragt nun ohne Wimpernzucken, ob Nena ein Herz für Corona-Leugner hat.
Um nur ein ganz klein wenig in die Hermeneutik einzusteigen: Woran erinnert dieses Wortkonstrukt „Corona-Leugner“ eigentlich? Was schwingt da denn auf der konnotativen Ebene so mit? Sie ahnen es. Es wird umgehend düster. Stichwort: Holocaust. Wir wissen, dass es unermüdliche Geschichtsrevisionisten gibt, die das unfassbare Grauen, das die Nazis verbreitet haben, relativieren, verharmlosen, leugnen. Man nennt sie auch: Holocaust-Leugner. Das sind also die, die meinen, der Holocaust habe gar nicht stattgefunden. Die Unverbesserlichen eben.
Aber lassen wir das mal beiseite. Wichtig ist an dieser Stelle, dass die FAZ eine konnotativ extrem aufgeladene Formulierung gebraucht. Der Begriff Holocaust-Leugner schlägt einem geradezu ins Gesicht. Und ist es nicht auch so, dass auf diesen Demos der „Corona-Leugner“ sowieso nahezu ausschließlich Nazis auflaufen? Denken Sie nur an die gigantisch große Zahl an Reichsflaggen, die Demonstranten immer wieder in der Menschenmenge schwenken und auf die die Medien aufmerksam machen.
Sie haben bestimmt auch dieses Meer an Reichsflaggen gesehen, bestehend aus zwei, drei Fahnen, die irgendwie, irgendwo, irgendwann geschwenkt wurden.
Sehen Sie, so schnell geht das, so schnell schließt sich ein Kreis. Demonstrationen für Grundrechte ― dort sind Nazis, sogenannte Corona-Leugner sind auch Nazis, Corona-Leugner erinnern an Holocaust-Leugner. Und dann bedankt sich Nena auch noch „bei denen“. Et voilà: Schon steht die Popikone der 1980er, deren Einsatz gegen Rassismus bekannt ist, die nie auch nur ansatzweise irgendwas mit Rechten und Nazis zu tun hatte, in einem ziemlich miesen Licht da.
Dass die FAZ diese Überschrift gewählt hat, lässt tief blicken. Aus journalistischer Sicht richtig putzig wird der Beitrag, wenn man sich vor Augen hält, dass dieser Beitrag keine Glosse, sondern eine „Nachricht“ sein soll. Kein Witz. Das Teil mit dieser Überschrift hat den Anspruch, eine Nachricht zu sein. Es findet sich kein Autorenname über dem Artikel, unter dem Artikel ist in kleinen Buchstaben angemerkt: Quelle dpa, also die bekannte Nachrichtenagentur.
Nun sei dahingestellt, ob der ganze Beitrag samt Überschrift auf die Agentur zurückgeht oder die FAZ-Redaktion den dpa-Artikel ergänzt, verändert hat. Da kein Kürzel eines Redakteurs zu finden ist, vermutlich nicht.
Aber ist auch egal. Selbst wenn der Frontalangriff auf Nena aus dem Gully hochgespritzt sein sollte: Die FAZ hat den Beitrag jedenfalls tatsächlich veröffentlicht. Ob sich die Redakteure bei der Überschrift gemeinsam mit den Praktikanten High Five geben haben? Könnte man dann als Randnotiz erwähnen. Der Punkt aber ist, dass deutsche Medien überhaupt kein Problem damit haben, den Begriff „Corona-Leugner“ in solch einem Kontext in die Überschrift einer Nachricht einzubauen. Der verlotterte Zustand des Nachrichtenjournalismus wird immer deutlicher sichtbar.
In Kassel, so heißt es in dem Beitrag, waren 20.000 Menschen auf der Straße. 20.000 Menschen! Das ist schon eine ziemliche Menge. All diese Menschen erfasst die FAZ offensichtlich gedanklich als „Corona-Leugner“.
Mal am Rande: Kennen Sie persönlich einen „Corona-Leugner“? Ich kenne jedenfalls keinen. Also ich habe noch keinen Menschen getroffen, der die Existenz von SARSCoV-2 leugnet. Ich kenne Menschen, die mit viel Verstand und Reflektiertheit sagen, dass wir als Gesellschaft nicht unser gesamtes Leben der Virussituation unterordnen können. Ich kenne Menschen, die hinterfragen, ob alle sogenannten Corona-Toten an Corona verstorben sind oder an ihren fünf Vorerkrankungen. Ich kenne Menschen, die sagen, dass sie die Maßnahmen für übertrieben und den deutschen Hang zum Regelfetischismus zum Kotzen finden.
Aber einen Corona-Leugner? Es gibt sicherlich auch Menschen, die glauben, dass es dieses Virus gar nicht gibt. Was es nicht alles gibt.
Vielleicht waren ein halber und ein ganzer „Corona-Leugner“ sogar auf der Demo in Kassel. Aber wenn Nena „Danke!“ an Kassel sagt, also an eine enorm heterogene Gruppe von Bürgern, die aus vielfältigen Gründen auf die Straße gehen und ihren Unmut über die Maßnahmen eines politischen Wahnsinns zum Ausdruck bringen, kann man dann als seriöse Zeitung die Frage stellen: „Hat Nena ein Herz für Corona-Leugner“? Können kann man das natürlich schon, wie man sieht, aber sollte man das so aus qualitätsjournalistischer Sicht auch tun?
Klar, wenn man denn noch unbedingt unter Boulevard-Niveau rutschen möchte. Man hätte natürlich auch die Frage stellen können:
Hat Nena ein Herz für Kinder, die unter dem Maskenzwang leiden? Hat Nena ein Herz für alte Menschen, die in ihren Heimen völlig vereinsamen? Hat Nena ein Herz für unsere Grundrechte?
Aber nein: Die FAZ muss die „Corona-Leugner“ ins Spiel bringen. Gleich den Dampfhammer in die Überschrift der Nachricht packen. Neutral, ausgewogen, fair und ausbalanciert? Na sicher.
Und Merkel hat Mitleid mit Hartz-IV-Empfängern. Gewiss, gewiss.
Unter dem Label „Nachricht“ lässt sich bekanntlich besonders fies mit Dreck werfen. Aus dem Gesellenstück wird dann das Meisterstück, wenn man die Überschrift als Frage laufen lässt, also mit diesem Fragezeichen und so.
Schwuppdiwupp ist das Fragezeichen gesetzt, und schon ist man juristisch auf der sicheren Seite, oder wie?
Ist Karl Graf von Koks ein Nazi? Nein, er nimmt „nur“ Koks zu sich ― wie übrigens auch so manche Redakteure bei dem ein oder anderen großen Medium. Na, dann ist ja gut. Aber man wird ja wohl mal noch fragen dürfen. Hat Nena nun also ein „Herz für Corona-Leugner?“
Schauen wir mal, was der nachrichtliche Artikel so an knallharten Informationen zu bieten hat. So schreibt die unbestritten beste Zeitung Deutschlands:
„Bereits im vergangenen Oktober hatte die Sängerin mit einem rätselhaften Post auf Instagram kontroverse Diskussionen um mögliche Verschwörungstheorien ausgelöst, aber deutlich gemacht, dass sie nicht als Corona-Leugnerin verstanden werden wolle. ‚Ich habe meinen tiefen Glauben an Gott. Daher kommt mein Vertrauen ins Leben. Und ich habe meinen gesunden Menschenverstand, der die Informationen und die Panikmache, die von außen auf uns einströmen, in alle Einzelteile zerlegt‘“ (2).
Geht es Ihnen auch wie mir? Halten Sie diesen Absatz auch für mit das Beste, was der deutsche Nachrichtenjournalismus leisten kann?
Die FAZ offenbart ihren Lesern, dass Nena bereits im Oktober 2020 mit einem „rätselhaften Post“ eine „kontroverse Diskussion um mögliche Verschwörungstheorien“ ausgelöst hat. Ein „rätselhafter Post“, eine „kontroverse Diskussion“ und „mögliche Verschwörungstheorien“. Es geht also noch nicht einmal um Verschwörungstheorien.
Es geht nur um „mögliche“ Verschwörungstheorien.
Das reicht schon aus, um in einer Nachricht, mehr oder weniger zwischen den Zeilen, die Empörungswelle anzustimmen. Und dann steht dort noch das wunderschöne Wörtchen „bereits“. Einerseits gibt das Adverb nur an, dass ein Ereignis, eine Aussage et cetera vor einem bestimmten Zeitpunkt eingetroffen oder gemacht wurde.
Zugleich kann darin in der deutschen Sprache, je nach Betonung, auch ein ziemlicher Vorwurf mitschwingen.
„Bereits“ im Oktober 2020 hatte Nena sich also offensichtlich kritikwürdig verhalten.
Und nun schon wieder! Unerhört! Ist es nicht ungeheuerlich, so der Vorwurf, der sich aus der Zeile rauslesen lässt. Jeder wenigstens noch ansatzweise sauberer Nachrichtenjournalismus würde in diesem Falle auf das Wörtchen „bereits“ verzichten und sachlich neutral den Satz beginnen mit: „Im Oktober hatte …“
Aber da fehlt natürlich der „Special Effect“, das klingt so sachlich.
Und wenn die Brachialgewalt eines Zombie-Journalismus sich entfalten soll, ist Emotionslosigkeit ganz unangebracht. Ist die Grundrichtung in solch einem Beitrag gesetzt, kann man nüchtern fortfahren:
Im Februar habe die Sängerin auf Instagram geschrieben, bei ihren Konzerten werde es „auch weiterhin keine Zweiklassengesellschaft geben“ (3), außerdem: „Ob du dich impfen lässt oder nicht, ist ganz allein deine Entscheidung und muss von jedem respektiert werden“ (4).
Quellen und Anmerkungen:
- https://www.faz.net/aktuell/gesellschaft/menschen/nena-bedankt-sich-fuer-anti-corona-demo-inkassel-17260518.html, Zugriff: 4. Juli 2021.
- ‚Danke Kassel‘: Hat Nena ein Herz für Corona-Leugner?“ In: Frankfurter Allgemeine Zeitung/FAZ.NET, 24. März 2021, https://www.faz.net/aktuell/gesellschaft/menschen/nena-bedankt-sich-fuer-anticorona-demo-in-kassel-17260518.html
- Ebenda.
- Ebenda.
Rezensionen:
„Der Kampf gegen das gleichgeschaltete, regierungskonforme Medienkartell hat gerade erst begonnen. Wer immer noch meint, es ginge um eine innergesellschaftliche Diskussion, hat nicht begriffen, dass es Regierung und angeschlossener Bewusstseinsindustrie ausschließlich darum geht, die Definitionshoheit mit allen perfiden Mitteln zu erhalten. Kollabiert die Definitionshoheit, kollabiert die Macht des herrschenden kriminellen politischen Regimes. Zombie-Journalisten sind mitverantwortlich dafür, dass wir in faschistische Verhältnisse abgleiten. Obwohl in weiten Teilen des Buches anklingt, wie sehr Klöckner die derzeitige Journaille verachtet, gelingt es ihm dennoch, Leserinnen und Leser immer wieder zum herzhaften Lachen zu bringen.“ Annette van Gessel, Pharmazeutin und Lektorin
„Marcus Klöckner liefert (...) jetzt all die Beweise, die bei meiner Draufsicht aus dem Blick geraten sind. Textanalyse vom Feinsten, geschöpft aus dem Fundus der Fehlleistungen, die wir seit anderthalb Jahren beobachtet haben. Nena und #allesdichtmachen. Das WDR-Interview mit Jan Josef Liefers. Die Kampagnen gegen ‚Impfvordrängler‘, ‚Schwurbler‘, ‚Maskenverweigerer‘.“ Michael Meyen, Professor für Kommunikationswissenschaft
Soeben erschien das neue Buch von Marcus Klöckner. Hier können Sie das es bestellen: als Taschenbuch oder E-Book.
+++Danke an den Autor für das Recht zur Veröffentlichung des Beitrags. +++ Dieser Beitrag erschein zuerst am 02. September 2021 bei Rubikon. +++
Bildquelle: ©Duncan R2 - Creative Commons Attribution-Share Alike 4.0 International license.
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