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Das Gegenmodell zur NWO des Westens | Von Jochen Mitschka

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Ein Standpunkt von Jochen Mitschka.

Das Projekt „New World Order“ (Neue Weltordnung), in der die USA bzw. eine Riege von Oligarchen, die Regeln bestimmen und als Hegemon die ganze Welt beherrschen, dürfte inzwischen als gescheitert erkannt worden sein, auch wenn die deutschen Politiker der „staatstragenden“ Parteien und der Linkspartei offensichtlich noch daran glauben. Maßgeblich dafür verantwortlich sind die Protagonisten einer multipolaren Weltordnung. Der NATO-Krieg gegen Russland in der Ukraine ist nur ein Teil des entbrannten Krieges zwischen der unipolaren Welt und der neuen entstehenden multipolaren. Wenn man den deutschen Massenmedien zuhört, drehe sich alles darum, dass Russland wegen des Ukraine-Krieges und den Sanktionen in großen Schwierigkeiten sei, und Putin schon so gut wie gestürzt. Tatsächlich sind aber die sich entwickelnden Wirtschaftskorridore und -Verbindungen für Wohlstand und Frieden wichtiger als „ein Sieg“ in der Ukraine, während sich Deutschland selbst Lieferketten durch Sanktionen zerstört und wichtige Rohstoffe zur teuren Mangelware macht. Daher zunächst ein Bericht vom derzeit wieder sehr aktiven Pepe Escobar, der berichtet, dass Asiens Zukunft in Wladiwostok gestaltet wird. Danach ein ernüchternder neutraler Bericht aus indischer Sicht über die Krise in der Ukraine.

Die Zukunft des Ostens

Escobar beschreibt (1), wie sich 68 Länder an Russlands fernöstlicher Küste trafen, um der Vision Russlands über die Zukunft der asiatischen Pazifikregion zuzuhören. Er schreibt, dass das Östliche Wirtschaftsforum (EEF) in Wladiwostok einer der unverzichtbaren jährlichen Meilensteine sei, wenn es darum gehe, nicht nur den komplexen Entwicklungsprozess des russischen Fernen Ostens zu verfolgen, sondern auch wichtige Weichen für die Integration Eurasiens zu beobachten.

Das aktuelle Thema in Wladiwostok spiegele ein äußerst turbulentes Jahr 2022 "Auf dem Weg zu einer multipolaren Welt" wider. Er zitiert dann den russischen Präsident Wladimir Putin, der in einer kurzen Botschaft an die Teilnehmer aus Wirtschaft und Regierung aus 68 Ländern die Richtung vorgab:

"Das überholte unipolare Modell wird durch eine neue Weltordnung ersetzt, die auf den Grundprinzipien der Gerechtigkeit und Gleichheit sowie der Anerkennung des Rechts jedes Staates und jedes Volkes auf einen eigenen souveränen Entwicklungsweg beruht. Gerade hier im asiatisch-pazifischen Raum bilden sich mächtige politische und wirtschaftliche Zentren heraus, die als treibende Kraft in diesem unumkehrbaren Prozess wirken".

In seiner Rede vor der EEF-Plenarsitzung wurde die Ukraine Escobar zufolge kaum erwähnt. Putins Antwort auf die Frage nach der Ukraine sei gewesen: "Ist dieses Land Teil des asiatisch-pazifischen Raums?"

Die Rede war weitgehend als ernsthafte Botschaft an den kollektiven Westen sowie an das, was der Top-Analyst Sergej Karaganow die "globale Mehrheit" nennt, aufgebaut, meint Escobar. Unter den zahlreichen Schlussfolgerungen seien unter anderen die folgenden vielleicht die wichtigsten:

*    Russland wird als souveräner Staat seine Interessen verteidigen.

*    Das "Sanktionsfieber" des Westens bedroht die Welt - und die Wirtschaftskrisen werden auch nach der Pandemie nicht verschwinden.

*    Die Sanktionen gegen Russland führen zur Schließung von Unternehmen in Europa. Russland sieht sich mit wirtschaftlichen und technischen Aggressionen aus dem Westen konfrontiert.

*    Die Inflation bricht in den Industrieländern Rekorde. In Russland liegt sie bei etwa 12 Prozent.

*    Russland hat bei den Getreideexporten aus der Ukraine eine Rolle gespielt, aber die meisten Lieferungen gingen an EU-Länder und nicht an Entwicklungsländer.

*    Die Rolle des asiatisch-pazifischen Raums hat deutlich zugenommen.

Asien ist das neue Epizentrum des technischen Fortschritts und der Produktivität und kein „Kolonisierungsobjekt“ mehr.

Nur zwei Wochen vor einem anderen wichtigen jährlichen Treffen - dem Gipfel der Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit (SOZ) in Samarkand - sei es kein Wunder, dass sich einige der wichtigsten Diskussionen auf dem EEF um die zunehmende wirtschaftliche Verflechtung zwischen der SOZ und dem Verband Südostasiatischer Nationen (ASEAN) drehen.

Dieses Thema sei ebenso wichtig wie die Entwicklung der russischen Arktis: Mit 41 Prozent des Gesamtterritoriums handele es sich um die größte Ressourcenbasis der Föderation, die sich auf neun Regionen verteile und die größte Sonderwirtschaftszone der Welt umfasst, die mit dem Freihafen von Wladiwostok verbunden ist.

Inmitten einer Fülle von Rundtischgesprächen, die sich mit Themen wie der Macht des Territoriums, Lieferketten und globaler Bildung bis hin Wissenschaft, Natur, Mensch befassten, drehte sich die wichtigste Diskussion am Dienstag auf dem Forum wohl um die Rolle der SOZ, meldet der Autor.

Neben den derzeitigen Vollmitgliedern - Russland, China, Indien, Pakistan, vier zentralasiatische Staaten (Kasachstan, Usbekistan, Tadschikistan, Kirgisistan) und dem kürzlich beigetretenen Iran - wollen nicht weniger als 11 weitere Staaten beitreten, vom Beobachter Afghanistan bis zum Dialogpartner Türkei.

Dann zeigt der Artikel auf, dass das wirtschaftliche, politische und wissenschaftliche Potenzial der Akteure, die das "Gravitationszentrum" Asiens bilden - mehr als ein Viertel des weltweiten BIP und 50 Prozent der Weltbevölkerung - noch nicht voll ausschöpfe.

Kirill Barsky vom Moskauer Staatlichen Institut für Internationale Beziehungen erläuterte Escobar zufolge, dass die SOZ gemäß ihrer Charta das Modell der Multipolarität darstellt, das den vom Westen eingeleiteten "zerstörerischen Prozessen" gegenüberstehe. Und das führe zur wirtschaftlichen Agenda im eurasischen Integrationsprozess, wobei die von Russland geführte Eurasische Wirtschaftsunion (EAEU) als wichtigster Partner der SOZ gelte.

Barsky, so der Autor weiter, bezeichne die SOZ als "die zentrale eurasische Struktur, die die Agenda von Groß-Eurasien innerhalb eines Netzwerks von Partnerschaftsorganisationen bildet". Hier komme die Bedeutung der Zusammenarbeit mit ASEAN zum Tragen.

Barsky, so Escobar, konnte nicht umhin, an Mackinder, Spykman und Brzezinski zu erinnern, die Eurasien

"als ein Objekt betrachteten, auf das nach den Wünschen westlicher Staaten hin gehandelt wurde, eingegrenzt auf den Kontinent, weit weg von den Meeresküsten, damit die westliche Welt in einer globalen Konfrontation zu Land und zu Wasser dominieren konnte. Die SOZ, wie sie sich entwickelt hat, kann über diese negativen Konzepte triumphieren".

Und hier treffe man auf eine Vorstellung, die von Teheran bis Wladiwostok weithin geteilt werde: Eurasien sei nicht länger "ein Objekt der Kolonisierung durch das 'zivilisierte Europa', sondern wieder ein Akteur der globalen Politik".

Ein chinesischer Wissenschaftler führte dann aus, dass die SOZ ihre Rolle als Dialogforum für Staaten mit einer schwierigen Konfliktgeschichte nutzen sollte, statt sich in ein „politisches Instrument“ zu verwandeln. Wo Interaktionen schwierig seien, solle man sich auf die wirtschaftliche Zusammenarbeit "in den Bereichen Gesundheit, Energie, Lebensmittelsicherheit und Armutsbekämpfung" konzentrieren.

Rashid Alimov, ehemaliger Generalsekretär der SOZ und jetzt Professor am Taihe-Institut, betonte, wie der Autor ausführt, die "hohen Erwartungen" der zentralasiatischen Staaten. Die ursprüngliche Idee bleibe bestehen - basierend auf der Unteilbarkeit der Sicherheit auf einer transregionalen Ebene in Eurasien. Escobar stellt dann fest, dass jeder weiß, wie die USA und die NATO reagierten, als Russland Ende letzten Jahres einen ernsthaften Dialog über die "Unteilbarkeit der Sicherheit" vorschlug.

Da Zentralasien keinen Zugang zum Meer habe, sei es unvermeidlich, wie Alimow betonte, dass die Außenpolitik Usbekistans die Beteiligung an einem beschleunigten Handel innerhalb der SOZ bevorzuge. Russland und China mögen die führenden Investoren sein, aber jetzt "spielt auch der Iran eine wichtige Rolle. Über 1.200 iranische Unternehmen sind in Zentralasien tätig."

Sergey Storchak von der russischen Bank VEB erläuterte die Funktionsweise des "SCO-Interbankenkonsortiums". Die Partner haben demnach "eine Kreditlinie der Bank of China" in Anspruch genommen und wollen einen Vertrag mit Usbekistan abschließen. Das SCO-Interbankenkonsortium werde turnusmäßig von den Indern geleitet - und sie wollten es „auf Vordermann bringen“. Auf dem bevorstehenden Gipfel in Samarkand erwarte Stortschak einen Fahrplan für den Übergang zur Verwendung nationaler Währungen im regionalen Handel, berichtet Escobar.

Ein indischer Vertreter wies darauf hin, dass Indien mit Russland und Zentralasien über den Internationalen Nord-Süd-Verkehrskorridor (INSTC) und einen seiner wichtigsten Knotenpunkte, den Hafen von Chabahar im Iran, zusammenarbeitet. Iran sei mit 300 Schiffen beteiligt, die eine Verbindung nach Mumbai herstellen.

Entscheidend sei, so der Autor, dass Indien nicht nur das russische Konzept der Greater Eurasia Partnership unterstütze, sondern sich auch für ein Freihandelsabkommen mit der EAEU einsetzt: Premierminister Narendra Modi habe im vergangenen Jahr das Forum in Wladiwostok besucht.

In all diesen nuancierten Interventionen seien einige Themen konstant. Nach der Katastrophe in Afghanistan und dem Ende der US-Besatzung dort kann die stabilisierende Rolle der SOZ gar nicht hoch genug eingeschätzt werden. Ein ehrgeiziger Fahrplan für die Zusammenarbeit sei ein Muss - er werde wahrscheinlich auf dem Gipfel in Samarkand verabschiedet werden. Alle Akteure werden schrittweise zum Handel in bilateralen Währungen übergehen. Und die Schaffung von Transitkorridoren führe zu einer Integration der nationalen Transitsysteme.

Es werde Licht

Bei einem wichtigen Rundtischgespräch über das "Tor zu einer multipolaren Welt" sei die Rolle der SOZ näher erläutert worden und wurde dargelegt, dass die meisten asiatischen Staaten Russland gegenüber "freundlich" oder "wohlwollend neutral" seien, nachdem die militärische Sonderoperation in der Ukraine begonnen hat.

Die Möglichkeiten für eine Ausweitung der Zusammenarbeit in ganz Eurasien blieben also praktisch unbegrenzt. Die Komplementarität der Volkswirtschaften sei der wichtigste Faktor. Dies würde unter anderem dazu führen, dass der russische Ferne Osten als multipolare Drehscheibe in den 2030er Jahren zu "Russlands Tor zu Asien" werde, schreibt Escobar.

Ein chinesischer Teilnehmer bemerkte dann, dass es einen „globalen Ansturm“ auf den Betritt zu BRICS gebe, von Afghanistan bis Saudi Arabien. Wang Wen vom Chongyang Institute for Financial Studies wird dann mit den Worten zitiert:

"Das bedeutet ein neues Zivilisationsmodell für aufstrebende Volkswirtschaften wie China und Argentinien, weil sie friedlich aufsteigen wollen (...) Ich denke, wir befinden uns im Zeitalter der neuen Zivilisation." (1)

Pavel Sorokin, erster stellvertretender russischer Energieminister, wies die Vorstellung von einem Sturm oder Taifun auf den Energiemärkten zurück. Was derzeit passiere sei kein natürlicher Prozess, sondern künstlich von Menschen erschaffen. Die russische Wirtschaft hingegen sei nach Ansicht der meisten Analysten dabei, langsam aber sicher ihre Zukunft in der Zusammenarbeit zwischen der Arktis und Asien zu gestalten - dazu gehöre beispielsweise die Schaffung einer ausgeklügelten Umschlaginfrastruktur für verflüssigtes Erdgas (LNG).

Energieminister Nikolay Shulginov habe versichert, dass Russland seine Gasproduktion in Anbetracht des Anstiegs der LNG-Lieferungen und des Baus von Power of Siberia-2 nach China steigern werde:

Auf dem Nördlichen Seeweg liege der Schwerpunkt auf dem Aufbau einer leistungsfähigen, modernen Eisbrecherflotte - auch mit Atomantrieb. Es gebe einen langfristigen Plan bis 2035, um die Infrastruktur für eine sichere Schifffahrt zu schaffen und dabei schrittweise von den bewährten Praktiken in der Arktis zu lernen. NOVATEK (5) so der stellvertretende Vorsitzende Evgeniy Ambrosov, habe in den letzten Jahren eine Revolution in Bezug auf die arktische Schifffahrt und den Schiffbau vollzogen.

Was auch immer die Atlantiker davon halten mögen, das letzte Wort habe im Moment Vitaly Markelov vom Vorstand von Gazprom: Russland sei bereit für den Winter. Es werde überall Wärme und Licht geben.

Nach Asien - Afrika

Soweit der Artikel. Atmen Sie durch und überlegen Sie, welche Entwicklung Europa hätte nehmen können, wenn man die ausgestreckte Hand Putins nach seiner Rede im deutschen Bundestag angenommen hätte. Aber ein Imperium, das einen Alleinstellungsanspruch verfolgt, kann natürlich nicht zulassen, dass solche Entwicklungen den eigenen Einfluss, ja die Hegemonie gefährden. So wie auch verhindert wurde, dass durch das libysche Wirtschaftswunder, Afrika sich schneller vereinigt und zu einer wirtschaftlichen Macht aufsteigt.

Libyen war vor der Bombardierung durch die NATO das einzige Land ohne Schulden. Am 9. September 1999 wurde in der libyschen Stadt Sirte unter den Augen von dutzenden von afrikanischen Führern die „Great African Union“ gegründet. Diese Union sollte eine einheitliche afrikanische Armee aufweisen, eine afrikanische Zentralbank, welche den Einfluss der Zentralbanken der ehemaligen Kolonialstaaten ablösen sollte, insbesondere die Frankreichs. Es sollte eine afrikanische goldgedeckte Währung entstehen, eine afrikanische Ressourcenorganisation zur Verwaltung der Öl-, Gas- und Mineralienvorkommen, die afrikanische Satellitenbehörde, das afrikanische Kommunikationssystem, das einheitliche afrikanische Parlament und es sollte einen gemeinsamen afrikanisch-lateinamerikanischen Verteidigungsvertrag (SATO) geben.

Dann kam die Bombardierung Libyens, seine Zerstörung, die bis heute währt, das Verschwinden seiner Goldreserven sowie die drastische Zunahme von Terrorismus in vorher beruhigten Gebieten. Und natürlich ein dramatischer Flüchtlingsstrom aus Afrika nach Europa. Der hier nun droht, die Gesellschaften zu spalten bzw. destabilisieren. Alles ausgelöst durch die Zerstörung von Gaddafis Traum einer pan-afrikanischen Einheit nur zwei Jahre später durch die Bombardierung der NATO und Unterstützung islamistischer Extremisten.

Die Ukraine Krise

Eine Front in diesem Krieg, der zwischen ehemals unterdrückten und kolonialisierten Ländern gegen das Imperium mit den ehemaligen Kolonialländern entbrannt ist, findet man im ehemaligen Bürgerkrieg, der nun zu einem Krieg zwischen NATO-Ländern und Russland eskalierte. Vergessen Sie Berichte über die Ukraine aus Ländern, die aktiv am Krieg teilnehmen. Natürlich gibt es überall nur noch „Patrioten“ und keine wirklich neutrale Analyse. Deshalb sollte man den Artikel (2) von M.K. Bhadrakumar, einem indischen Ex-Diplomaten besonders aufmerksam lesen.

Er schrieb am 12. September, dass die New York Times aufgedeckt habe, dass die USA wichtige Informationen mit dem ukrainischen Militär geteilt haben und an der Vorbereitung von dessen aktueller "Gegenoffensive" bei Charkow beteiligt waren. Der Autor meint, was auch immer die Beweggründe der Biden-Administration gewesen sein mögen, ihre Rolle in dieser von den westlichen Medien als Erfolgsgeschichte gefeierten Angelegenheit öffentlich zu machen - vermutlich mit Blick auf die amerikanische Innenpolitik -, es könnte sachlich richtig sein. Das Medienleck rücke die dramatischen Ereignisse in die richtige Perspektive.

Es gebe zwei Möglichkeiten, den Vorstoß des ukrainischen Militärs zu betrachten: Entweder habe Kiew den Russen eine schwere Niederlage beigebracht und sie zum Rückzug gezwungen, oder der amerikanische Geheimdienst endlich Wind von der unauffälligen Ausdünnung der russischen Frontlinie in Charkow bekommen, die in den Wochen vor dem Angriff im Rahmen einer größeren Verlegung von Militärverbänden stattgefunden hat, und habe diese Informationen an Kiew weitergegeben, das natürlich mit Freude darauf reagierte.

Der Bericht der New York Times bestätige die letztgenannte Lesart der Situation. In der Tat gab es in der Region Charkow während des ukrainischen Vorstoßes kaum Kämpfe im eigentlichen Sinne, und die Russen konzentrierten sich darauf, die verbliebenen Kräfte an der Frontlinie unter schwerem Artilleriebeschuss zurückzuziehen. Die russische Operation sorgte dafür, dass es zu keinen nennenswerten Verlusten kam. Die neue Frontlinie, die sich danach entlang des Oskol-Flusses immer mehr herausbildete, habe sich herauskristallisiert.

Der Rückzug aus der Richtung Balakleysko-Izyum gehe auf die Einschätzung des russischen Militärkommandos zurück, dass die Aufrechterhaltung einer solchen Frontlinie keinen sinnvollen Zweck erfüllen würde. Als die russischen Streitkräfte im März die Kontrolle über Izyum erlangten, ging man davon aus, dass sie eine Operation von Norden her in Richtung der Stadt Sloviansk im Bezirk Kramatorsk in der Region Donezk unterstützen würden. Doch wie sich in den letzten vier Monaten herausgestellt habe, hätten die Russen diese Idee offenbar ganz aufgegeben, schreibt Bhadrakumar.

Der Kampf um den Donbass habe nach wie vor oberste Priorität für die russische militärische Sonderoperation. Die erneute Verlegung aus Richtung Balakleysko-Izyum werde die Offensive im Donbass nun deutlich verstärken, anstatt sie zu schwächen, wie einige westliche Journalisten spekulieren. Die Verwirrung rühre von der alten Legende her, Izium sei das "Tor" zum Donbass und zum Schwarzen Meer. Dank moderner Kommunikationsmittel, so der Autor, können die russischen Nachschublinien in den Donbass heute auch ohne ein solches "Tor" aus dem Norden aufrechterhalten werden. 

Zweitens liege Izyum selbst in einer stark bewaldeten Region - manche nennen sie Sherwood Forest - im Westen, wo sich die ukrainischen Streitkräfte verschanzt hatten und die russische Präsenz auch schon früher angegriffen wurde. Eine weitere Besetzung von Izyum würde daher aus Sicht des Autors nur mehr Arbeitskräfte kosten.

Abgesehen davon habe die Optik der Geschehnisse in Richtung Balakleysko-Izyum in Russland selbst eine Welle der Kritik über ungeschicktes Fehlverhalten der Militärführung ausgelöst, die sich zum Teil sogar an Präsident Putin selbst gerichtet habe. Das Militärkommando stehe unter dem Druck, "Ergebnisse" in der Donbass-Kampagne vorzuweisen. Auch die bisherige russische Strategie, sich bei der Bewältigung der schweren Aufgaben auf Milizen statt auf reguläre Truppen der Streitkräfte zu verlassen, könnte überdacht werden.

In Wirklichkeit sei die Region Charkow bisher nur ein Nebenschauplatz. Die Tatsache, dass in Charkow kein Referendum geplant sei - anders als in Cherson und Saporischschja im Süden Anfang September (das jetzt verschoben wurde) -, spreche für sich selbst.

Die Ereignisse der letzten Woche in Richtung Balakleysko-Izyum werden den ukrainischen Streitkräften sicherlich einen großen moralischen Auftrieb geben, schreibt der Ex-Diplomat. Dies werde Auswirkungen auf die Zukunft haben. Zum einen werde Kiew keinerlei Neigung zu Friedensgesprächen haben. Die donnernde Erklärung des ukrainischen Verteidigungsministers Oleksij Reznikow vom Sonntag sei eindeutig. Sie bedeuten, dass die Pläne des Kommandos der Streitkräfte der Ukraine die vollständige "Befreiung" aller "besetzten" Gebiete sind, einschließlich Donbass und Krim!

Interessanterweise habe Reznikow auf eine Erklärung des russischen Außenministers Sergej Lawrow reagiert, wonach Moskau Verhandlungen mit der Ukraine nicht ablehnte, aber eine weitere Verzögerung der Friedensgespräche durch Kiew die Möglichkeit einer Einigung erschweren werde, erklärt der Autor.

„Ein solches Ausmaß an Wahnsinn und Kriegshysterie wird es der Regierung Biden äußerst schwer machen, die ersten Anzeichen von Mäßigung und Realismus, die sich in der Rhetorik des US-Außenministers Antony Blinken während seines Besuchs in Kiew am vergangenen Freitag abzeichneten, weiterzuführen.“ (2)

Blinken habe zurückhaltend reagiert, berichtet der politische Analyst, als er von den mitreisenden Medienvertretern zur ukrainischen "Gegenoffensive" befragt wurde. Zuvor sei Blinken in Kiew nicht auf die Aussage von Präsident Zelensky eingegangen, der bei ihrem gemeinsamen Medienauftritt erklärte, er betrachte die Unterstützung der USA als "Garantie für die Möglichkeit der Rückgabe unserer Territorien, unserer Ländereien".

Auch General Mark Milley, Vorsitzender der US-Stabschefs, habe sich am Samstag in einem Interview mit dem National Public Radio merklich zurückhaltend zur ukrainischen Gegenoffensive geäußert, führt der Autor weiter aus. Es bleibe abzuwarten, was in den nächsten Wochen geschehe, so der General.

Die Umgruppierung der Truppen Russlands in der Region Charkow werde es den russischen Streitkräften zwar ermöglichen, sich auf die vollständige Kontrolle über das Gebiet von Donezk zu konzentrieren, aber es sei nicht so, dass die Militärführung Charkow den Rücken gekehrt hätte.

Das russische Verteidigungsministerium habe am Montag erklärt, dass die russischen Luft- und Raumfahrtkräfte, Raketentruppen und Artillerie "weiterhin hochpräzise Angriffe" auf die ukrainischen Einheiten und Reservekräfte in der Region Charkow durchführen. Die ukrainischen Streitkräfte, die sich in dieser stark bewaldeten Region in gut befestigten Stellungen befanden, seien nun ins Freie getreten und Ziel intensiver Luft-, Raketen- und Artillerieangriffe.

Dann  wies der Autor auf die offensichtlich enormen Verluste der ukrainischen Armee hin und meint: Im Laufe der Zeit dürfte Kiew wenig Grund zum Feiern haben.

Demnächst in diesem Theater

Unterhalb der Quellen zu diesem PodCast habe ich noch einmal versucht, grundsätzlich ganz kurz die Entwicklung zur heutigen Situation eines neuen Wettstreits von Gesellschaftssystemen zu skizzieren. Dagegen wird es in der nächsten Woche mit der Beobachtung der aktuellen Situation der Weltpolitik weitergehen, aber eben aus Sicht von Ländern, denen bisher keine eigene Meinung zugestanden wurde, und die sich nun beginnen zu emanzipieren. Länder, welche die „regelbasierte Ordnung“ ablehnen und auf einem gemeinschaftlich entwickelten und beschlossenen Völkerrecht beharren.

  1. https://thecradle.co/Article/columns/15396
  2. https://www.indianpunchline.com/russian-regrouping-in-kharkov-will-speed-up-battle-of-donbass/
  3. https://www.nachdenkseiten.de/wp-print.php?p=47919
  4. https://www.youtube.com/watch?v=T1hn5LRT5dw
  5. Der zweitgrößte russische Gasproduzent nach Gazprom

Die Entstehung der „multipolaren Welt-Ordnung“

Auf Grund von erhaltenen Fragen zum Thema „multipolare Weltordnung“ hier noch etwas Grundsätzliches, losgelöst von aktuellen Ereignissen. Viele Deutschen verstehen nicht, wie sehr die globalen Ereignisse zusammen Teil der gleichen Krise sind. Die Ukraine-Krise ist nur Teil eines riesigen Puzzles. Die neue multipolare Weltordnung droht für das unipolare Machtsystem mit den USA im Zentrum und um sie kreisende Satelliten eine größere Herausforderung als einst die Sowjetunion. Es entsteht ein Gesellschaftssystem, das innerhalb der Staaten weitgehend demokratisch organisiert ist und anders als die Sowjetunion oder die derzeitige US-Imperium-Ordnung, keinen alles entscheidenden Schwerpunkt hat. Kurz erklärt, wie es dazu kam:

Nach dem Krieg war die Politik der USA klar darauf ausgerichtet, zu verhindern, dass es zwischen Russland und den westlichen Ländern, insbesondere Deutschland, eine Art Bündnis entstehen kann. Jeder dürfte die Erklärungen eines NATO-Gründers (Deutschland unten, Russland draußen) oder die des Stratfor-Gründers George Friedman (4) kennen, oder die eindeutigen Hinweise in Papieren von US-Denkfabriken. Diese Art der Politik war lange Zeit ein Selbstläufer, bis zur Auflösung der Warschauer Verträge. 

Nachdem die Sowjetunion sich aufgelöst, und dabei friedlich gegenüber dem gesellschaftlichen Gegenentwurf des Westens gezeigt hatte, begannen die USA mit den ehemaligen Kolonialmächten damit, alle Reste von Ländern, welche sich nicht unterwerfen wollten, zu zerstören. Ich brauche das Zitat „7 Länder in 5 Jahren“ (3) wohl nicht zu erklären. Dabei gelang ihnen meist die Zerstörung, nicht aber die bedingungslose Unterwerfung. Im Schatten dieser Kriege sind große alte Zivilisationen wie Russland, China, und sogar der Iran zu einer Macht gewachsen, welche sich weigert, dieser „Neuen Weltordnung“ zu dienen. Einer Weltordnung, in der statt Verträgen und Völkerrecht, die „Regeln“ der USA und seiner Vasallen gelten sollen. Sie entwickelten das Gegenprojekt BRICS mit den bekannten Grundsätzen einer respektvollen und fairen Zusammenarbeit, wie in vorherigen PodCasts erklärt.

Statt sich mit der neuen Situation zu arrangieren, und diese neue Gruppierung als Partner auf Augenhöhe anzuerkennen, versuchen die alten Mächte ihre Entwicklung mit allen Mitteln zu bekämpfen. Denn die in diesen widerspenstigen Ländern liegenden Ressourcen benötigt das Imperium, um weiter global eine dominante Rolle zu spielen. Wie ein Vordenker von US-Politiker-Generationen, Zbigniew Brzeziński, deutlich gemacht hatte: Die Bodenschätze Russlands sind so riesig, dass sie nicht dem Land alleine gehören dürfen.

Unter dem russischen Präsidenten Jelzin waren US- und russische Oligarchen, die aus kriminellen Gruppierungen entstanden waren, fast so weit, den Reichtum des Landes unter sich aufzuteilen. Bis sie als Nachfolger für Jelzin einen farblosen Bürokraten wählten, Putin. Dummerweise aber war Putin nicht korrumpierbar und wies, auch dank seiner Verbindungen in die Geheimdienste, die Oligarchen in ihre Schranken und die ausländischen Ausbeuter russischer Bodenschätze ganz legal aus dem Land. Was man ihm nie verziehen hat.

Der zweite große Herausforderer wurde China. Zwischen den US-Oligarchen bestand Uneinigkeit darüber, wie man China „eindämmen“ konnte, ohne die eigenen Profite zu vernichten. Und plötzlich hatte das Land sich schneller entwickelt, als man erhofft hatte, und ist außerdem noch bereit, erstmalig nach dem 2. Weltkrieg, ganz offen diplomatisch die USA in ihre Schranken zu verweisen.

Selbst der Iran, welcher seit seiner Revolution unter ständigem Wirtschafts-, Bomben-, Cyber- und Attentatskrieg zu leiden hat, konnte sich weitgehend aus eigener Kraft entwickeln. Auch als eine ganze Serie von führenden Atomwissenschaftlern ermordet wurden, ging die Entwicklung weiter.

Und nun ist ein Szenario entstanden, dass seit Jahren von Analysten vorausgesagt wurde. Die USA haben den Bogen überspannt. Die Sanktionspolitik hat sich gegen das eigene Land gerichtet, denn überall fliehen Länder aus der Abhängigkeit des Dollars, als wichtigsten Hebel für Wirtschaftssanktionen, was innerhalb der nächsten 10 Jahre zu einem großen Problem in den USA führen muss. Immer mehr Länder erkennen, wie schnell man vom „Freund“ zum Ziel von RegimeChange (Farb-Revolutionen), Terroristen (Syrien) oder Krieg (Irak) werden kann. Gegen diese Erosion der Hegemonie könnte dem Möchtegern-Welt-Imperium nur ein einziges Mittel noch helfen: Der große Krieg.

In drei Regionen ist die Auslösung einer großen Eskalation am wahrscheinlichsten: Europa mit der Ukraine, Naher Osten mit einer Bombardierung des Irans durch Israel, oder die weitere Eskalation um Taiwan durch die USA und taiwanesische Nationalisten. Und ganz offensichtlich sind deutsche und andere EU-Politiker ganz erpicht darauf, dass es endlich losgeht.

Die einzige Chance diesen großen Krieg und seine Eskalation zu vermeiden, besteht vermutlich darin, dass sich in den USA eine isolationistische Politik nach Art des furchtbaren Donald Trump durchsetzt. Eine solche Entwicklung könnte ihn vermeiden, würde aber noch lange nicht die Probleme Deutschlands und der EU lösen. Da diese vollkommen auf die imperiale Politik der USA eingeschworen wurden, nicht nur durch die „Young Leader“ Programme. Es gibt eine Fixierung auf den quasi religiösen Exzeptionalismus der USA, welche auch die Selbstaufopferung Deutschlands verursachen kann, verbunden mit dem sektenartigen Glauben an die WEF-Pläne.

Und falls wie Trump ein Isolationist in den USA an die Macht kommen sollte, wissen wir aus der Erfahrung wie sie auf Trump reagierten, dass sie glauben, im Notfall das Erbe, zumindest von Teilen des Imperiums übernehmen zu können, statt wie bisher mit den Brosamen, die vom Tisch fallen vorlieb nehmen zu müssen. Was man an den Junior-Imperiums-Aktivitäten in der ganzen Welt erkennen konnte.

Bisher gingen nach dem zweiten Weltkrieg die meisten größeren Kriege von so genannten Demokratien aus. Ob die Wähler der Länder in der Lage sind, diesen 3. Weltkrieg zu verhindern, indem sie die „Young Leader“ aus den politischen Führungspositionen entfernen, ist zu hoffen. Wobei die Medien die wichtigste Rolle spielen werden. Leider hat man jedoch sowohl bei Corona als auch in der Ukraine-Krise feststellen müssen, dass diese eher mit Hurra für einen Krieg gegen das Virus oder Russland eintreten, als sachlich die Interessen der Menschen in den Mittelpunkt zu stellen.

Aber ich hatte mich schon einmal verschätzt, als ich sagte, dass die USA voraussichtlich Anfang 2022 den Iran bombardieren werden. Daher darf man meine Meinung vermutlich nicht zu ernst nehmen.

Der Ukraine Bürgerkrieg

Da es vereinzelt immer noch Kommentare gibt, die offensichtlich nicht wissen, dass der derzeitige Stellvertreterkrieg der NATO gegen Russland in der Ukraine, aus einem Bürgerkrieg nach dem Putsch in Kiew im Jahr 2014 entstand, möchte ich auch dazu noch etwas beitragen. Zum einen gibt es angesichts der Krise mein Buch über die Entwicklung des Bürgerkrieges in der Ukraine bei www.politikchronist.org als E-Book im Download noch eine gewisse Zeit kostenlos. Andererseits möchte ich noch einen neutralen Ex-Diplomaten aus Indien zu Wort kommen lassen, der den Unterschied erklärt, zwischen einer „militärischen Sonderoperation“, im Westen auch gerne „robuster humanitäre Einsatz“ oder „R2P“ genannt, und einem Krieg, wie er jetzt durch die massive Unterstützung der NATO für Kiew entsteht:

Militärische Sonderoperation VS Krieg

M.K. Bhadrakumar schreibt, dass nun die Ukraine voraussichtlich das Schlachtfeld wird, in dem ein Krieg der NATO gegen Russland stattfindet. Er analysiert auch die Reaktion der russischen Opposition, welche ja nach westlicher Lesart wegen des Krieges angeblich Putin stürzen soll.

Es sei ein immer wiederkehrendes Merkmal des Kalten Krieges gewesen, dass die Vereinigten Staaten fast immer großen Wert auf die Optik einer sowjetisch-amerikanischen Angelegenheit legten, während Moskau sich lieber auf das Endergebnis konzentrierte. Die Kubakrise sei das bekannteste Beispiel, bei der es um die öffentliche Aufgabe der geplanten sowjetischen Stationierung von Raketen auf Kuba und die öffentliche Erklärung und Vereinbarung der USA ging, nicht mehr auf Kuba einzumarschieren. Später wurde jedoch bekannt, dass es auch einen nicht veröffentlichten Teil gab, nämlich die Demontage aller Jupiter-Raketen, die in der Türkei stationiert worden waren, welche die Sowjetunion bedrohten

Das Verhaltensmuster bleibe in der Ukraine dasselbe. Nach westlicher Lesart stehe Russland nach der "Niederlage" in der Region Charkow vor dem Abgrund. Interessanterweise halte man sich jedoch auf den verantwortlichen Ebenen des Westens mit dem Trommeln merklich zurück, vermutlich weil man sich bewusst sei, dass die ukrainischen Streitkräfte einfach wieder in Richtung Balakleysko-Izyum vorgedrungen sind, um Gebiete zu besetzen, die die Russen eigentlich hatten räumen wollen.

Moskau überlasse die Optik wieder einmal fast vollständig den amerikanischen Journalisten, während es sich auf das Endergebnis konzentriere, das drei Dimensionen habe: erstens, die laufende Evakuierung aus der Richtung Balakleysko-Izyum ohne Verluste an Menschenleben abzuschließen; zweitens, die ukrainischen Truppenbewegungen zu nutzen, um die Kräfte ins Visier zu nehmen, die aus gut befestigten Stellungen in der Region Charkow ins Freie kamen; und drittens, sich auf die Kampagne in Donezk zu konzentrieren.

Der letzte Punkt werde für Moskau jedoch sehr heikel, da ein großer Teil der russischen "Kriegsberichterstatter" sensationelle Berichte über die bevorstehende Apokalypse verbreiteten. Selbst hochrangige Politiker wie Gennadi Sjuganow, Generalsekretär der Kommunistischen Partei und einflussreiche Stimme in der Staatsduma, seien aufgewühlt. [Anmerkung: die kommunistische Partei ist die größte Oppositionspartei im Parlament.]

Sjuganow habe auf der ersten Plenarsitzung der Herbsttagung der russischen Staatsduma am Dienstag gesagt, die "Sonderoperation" habe sich zu einem ausgewachsenen Krieg entwickelt und die Lage an der Front sich in den letzten Monaten "drastisch verändert". [Soviel dazu, dass man das Wort Krieg in Russland nicht erwähnen dürfe.]

In einem Fragment der Rede, das auf der Website der Kommunistischen Partei veröffentlicht wurde, werde Sjuganow mit den Worten zitiert, dass "jeder Krieg eine Antwort erfordert. Zuallererst erfordert er eine maximale Mobilisierung von Kräften und Ressourcen. Er erfordert sozialen Zusammenhalt und eine klare Prioritätensetzung".

Obwohl Sjuganows Ratschlag als konstruktive Kritik gedacht war, fährt der Autor fort, werde er vom Kreml mit Sicherheit übergangen werden. Der russische Präsidentensprecher Dmitri Peskow habe gelassen reagiert und gesagt: "Im Moment - nein, sie (die vollständige oder teilweise Mobilisierung) steht nicht auf der Tagesordnung.“

Die Unterstützung für Präsident Putin sei nach wie vor ungebrochen, berichtet der Autor. Die jüngsten russischen Regional- und Kommunalwahlen seien teilweise zu einem "Referendum" über die Lage in der Ukraine geworden.

Und die Tatsache, dass die Regierungspartei mit rund 80 Prozent der Mandate in den Regional- und Kommunalparlamenten eines der besten Ergebnisse in ihrer Geschichte erzielte, zeige ein durchschlagendes Vertrauensvotum für Putins Führung.

Dennoch, so der Ex-Diplomat, bereiteten die "wütenden Patrioten" Kopfzerbrechen. Deshalb komme der jüngsten Situation um Bakhmut in Donezk eine besondere Bedeutung zu. Bakhmut sei zweifellos der Dreh- und Angelpunkt der gesamten Befestigung, die Kiew in den letzten acht Jahren im Donbass errichtet habe. Bakhmut sei ein strategischer Verkehrsknotenpunkt mit Straßen in viele Richtungen - Lyssytschansk, Horliwka, Kostiantyniwka und Kramatorsk - und die Kontrolle über die Stadt sei von entscheidender Bedeutung, um die vollständige Vorherrschaft über die Region Donezk zu erlangen.

Die russischen Truppen und verbündete Milizen versuchten seit dem 3. August, die ukrainischen Verteidigungslinien in Richtung Bakhmut-Soledar zu durchbrechen, allerdings mit mäßigem Erfolg. Nun gebe es Berichte, wonach die Russen in die Stadt Bakhmut eingedrungen seien und die Kontrolle über das Industriegebiet im Nordosten übernommen haben.

Einigen Berichten zufolge wurde in Bakhmut die als Wagner-Gruppe bekannte russische private Militäreinheit stationiert. Dabei handele es sich um hochqualifizierte ehemalige Militärangehörige.

Der Einsatz sei außerordentlich hoch. Für Kiew könne die gesamte Logistik der Operationen in Donezk ins Wanken geraten, wenn es die Kontrolle über Bakhmut verliert. Für die Russen werde der Durchbruch in Richtung Bakhmut-Soledar das Haupthindernis für die entscheidende Offensive in Richtung der Achse Slawjansk-Kramatorsk im Westen, der letzten Ansammlung ukrainischer Kräfte in Donezk, beseitigen. Bakhmut liege nur 50 km von Slawjansk-Kramatorsk entfernt.

In einer Rede über die ukrainische "Gegenoffensive" am vergangenen Wochenende im National Public Radio habe General Mark Milley, der Vorsitzende der US-Stabschefs, einige interessante Bemerkungen gemacht. Der Autor fasst diese zusammen: 

*  Die Ukraine hat eine gute Menge an Kampfkraft angehäuft. Wie sie diese einsetzt, wird nun der entscheidende Faktor sein. Die Dinge werden sich "in den kommenden Tagen und Wochen" klären.

*  Das ukrainische Militär hat sich bisher außerordentlich gut verteidigt. Die Verteidigung war schon immer die stärkere Form des Krieges.

*  Die Ukraine geht nun zu offensiven Operationen über, bei denen es entscheidend ist, die Feuerkraft in ihre Bewegungen zu integrieren, um eine Überlegenheit zu erreichen.

*  Es bleibt daher "abzuwarten", was in den nächsten Wochen geschehen wird. "Es ist eine sehr, sehr schwierige Aufgabe, der sich die Ukrainer stellen" - ihre Offensive mit Bewegung zu verbinden.

Interessanterweise wurden in Erwartung einer ukrainischen Offensive einen Großteil der Zivilisten, die sich bereit erklärt hatten, die Region in Richtung Russland zu verlassen, in Militärkonvois aus den bedrohten Siedlungen evakuiert. Mit einer mobilen Verteidigungstaktik unter dem Schutz speziell organisierter Einheiten gelang es den Russen schließlich, ihre Truppen zurückzuziehen.

Der Plan der Ukrainer, der USA und der NATO, einen Flankenangriff durchzuführen und die russischen Truppen einzukesseln, sei mit minimalen Verlusten vereitelt worden. Andererseits hätten die Ukrainer auch zugegeben, dass die Russen ihren Gegnern (zu denen ein großer Teil der Kämpfer aus NATO-Ländern gehöre) erhebliche Verluste an Truppenstärke zufügten.   

Aber das russische Militär habe auch Fehler gemacht. So seien die vorgelagerten Stellungen unerklärlicherweise nicht vermint worden, die Aufklärungsarbeit an der Front sei unzureichend gewesen, und die verbliebenen russischen Truppen (die auf ein Drittel ihrer vollen Stärke reduziert wurden) wären nicht einmal mit Panzerabwehrwaffen ausgerüstet gewesen.

Das wichtigste Ergebnis der Geschehnisse der letzten Woche sei, dass der Konflikt den Charakter eines vollwertigen Krieges angenommen hat. Sjuganow habe nicht daneben gelegen, als er in seiner Rede in der russischen Staatsduma sagte, und dann zitiert er:

"Die militärisch-politische Operation ... ist zu einem ausgewachsenen Krieg eskaliert, der von den Amerikanern, den NATO-Mitgliedern und dem vereinten Europa gegen uns erklärt wurde. Ein Krieg unterscheidet sich grundlegend von einer Spezialoperation.

Ein Sondereinsatz ist etwas, das man ankündigt - und das man auf Wunsch beenden kann. Ein Krieg ist etwas, das man nicht beenden kann, selbst wenn man es will. Man muss bis zum Ende kämpfen. Ein Krieg hat zwei mögliche Ergebnisse: Sieg oder Niederlage.“

[Anmerkung: Wie gesagt, das ist die Aussage der Opposition, welche angeblich die Regierung stürzen soll, um den Krieg zu beenden. Um es noch deutlicher zu sagen: Die Opposition tritt dafür ein, offiziell in einen Krieg mit Kiew und der NATO einzutreten.]

Putin habe jetzt eine wichtige Entscheidung zu treffen. Für das russische Militär mag es zwar gut sein, dass die Frontlinie begradigt wurde und große russische Reserven auf die Schlachtfelder verlegt werden, doch de facto herrsche jetzt zwischen Russland und der NATO Kriegszustand.

Die jüngsten Telefonate, die der französische Präsident Emmanuel Macron und der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz nach einer monatelangen Unterbrechung mit Putin geführt haben, deuten Bhadrakumar zufolge darauf hin, dass die Notwendigkeit einer erneuten Kontaktaufnahme mit dem Kremlchef gegeben sein könnte. (Quelle: https://www.indianpunchline.com/ukraine-sliding-into-a-real-war/)

Derweil nimmt der Beschuss ziviler Ziele mit vom Westen gelieferten Waffen, und damit verbunden erhöhten Opferzahlen, in den sich selbständig erklärten Provinzen drastisch zu. Und Putin wird intern unter Druck gesetzt, nun ähnlich vorzugehen wie die NATO im Krieg gegen Serbien wegen der Unabhängigkeitserklärung des Kosovo. D.h. Bombardierung auch ziviler Ziele und auch von Medien und Journalisten. Und Wissenschaftler fragen sich am 20. September, warum wohl Putin eine für den Abend angekündigte Rede an die Nation nicht hält, und was wohl dahinter stecken könnte. Mit den aberwitzigsten Spekulationen. Tatsache ist, dass der Kreml durch die Bevölkerung und die Opposition unter Druck gesetzt wird, „die Samthandschuhe auszuziehen“. Hoffen wir, dass es nicht so schlimm wird, wie vom Westen erhofft, um einen offiziellen Krieg der NATO zu rechtfertigen. Aber wenn dieser PodCast erscheint, wird man schon mehr wissen.

+++ Dank an den Autor für das Recht zur Veröffentlichung des Beitrags. +++ Bildquelle: shutterstock / M-Production


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