Ein Standpunkt von Anonym.
So wie es »die Linken« als territoriale oder handlungsfähige Verbindung gar nicht gibt, gibt es auch nicht »die Rechten« oder »die Reichsbürger«. Atmen wir gemeinsam durch: Es gibt nur noch den menschenfeindlichen Apparat einerseits und uns, das Volk, andererseits, nichts anderes. »Es wird [aber] unermüdlich und methodisch an der Zwietracht gearbeitet, damit jeder an seinem Platz bleibt« – und Corona-Lüge wie Kriegstreiberei abgespult werden können.
»Das Konspirationistische Manifest« ist Grundlagentext unserer Gegenverschwörung: Als es dieses Jahr in Frankreich erscheint, löst es Protestwellen im Establishment aus. Nun erscheint dieser Tage die Analyse des weltbekannten unsichtbaren Autorenkomitees aus Frankreich in deutscher Originalübersetzung im Verlagshaus Sodenkamp & Lenz Berlin. Die Übersetzung des Werkes entstand in eingehendem Kontakt mit den Autorinnen und dem Pariser Verlag.
Wir wollen uns rächen. Uns rächen für die zwei Jahre weißer Folter. Für den Impfzwang. Für die Toten, die wir nicht bestatten konnten. Für die verlorenen, ramponierten oder unter Beruhigungsmitteln stehenden Freunde. Für die anwachsende Wüste. Für das erzwungene Schweigen. Für die galaktischen Lügen, die man uns schlucken ließ. Für die Beleidigungen der Logik. Für die vernarbten Hiebe auf unsere Empfindsamkeit. Für die ohne Vorwarnung verlassenen Alten, und für die grundlos misshandelten Kinder.
Uns rächen für die verhunzte Erde und die siechenden Ozeane. Für die bewundernswerten Menschen, die von der Maschine des Fortschritts zermalmt wurden, und für die Heiligen, die im Irrenhaus landeten. Für die ermordeten Städte und das vitrifizierte Land. Für die Beleidigung dieser Welt und für alle Welten, die nicht kamen. Für alle Besiegten der Geschichte, deren Namen nie gefeiert werden.
Uns rächen für den Dünkel der Mächtigen und die bodenlose Dummheit der Manager. Für die Gewissheit, dass sie alle ihr gutes Recht haben, die anderen zu zertrampeln. Für die Schamlosigkeit, mit der sie ihren betrügerischen Elan fortführen wollen. Für das Wanken, den Zweifel und die Ohnmacht, die sie in uns zu wecken vermochten. Man erkennt in dieser Epoche die Mistkerle daran, dass sie nie sagen, was sie wollen, dass sie sogar vorgeben, nichts zu wollen, und dass übrigens niemand jemals etwas will. Und das bildet die Voraussetzung für all ihre kleinen, nicht enden wollenden Machenschaften.
Wir wollen uns rächen und wir haben einen gelassenen, besonnenen Hass, keinen schäumenden. Übrigens rächen wir uns bereits. Eine gute Rache ist immer heilsam. Das ist das beste Gegenmittel gegen Ressentiment. Ressentiment ist nichts anderes als Rache, die man aufgeschoben hat. Revolutionäre, sagte Walter Benjamin, »nähren sich an dem Bild der geknechteten Vorfahren, nicht am Ideal der befreiten Enkel«. Die Kosmokraten weisen uns immer wieder auf die Zukunft hin, ob apokalyptisch oder zauberhaft, um uns von ihren vergangenen Verbrechen abzulenken, auf denen ihre gegenwärtige Macht beruht. Wir wissen, wer sie sind. Wir haben sie seit Jahrtausenden bei ihrem Handeln beobachtet.
Wir sind das angesammelte Wissen von Generationen, möglicherweise der gesamten Spezies. Den Schlag, den sie uns mit ihrem konvergierenden NBIC-Programm versetzen, haben sie uns schon hundertmal versetzt. Im 17. Jahrhundert war die »Verbesserung der Erde« das große Projekt und die moralische Rechtfertigung für die Kolonisierung Amerikas und das Abschlachten der Indianer. Die »Wilden« waren vielleicht schön, weise und faszinierend, aber sie waren nicht effizient genug, um ein solch schönes Fleckchen Erde zu verdienen. Wenn man sich das Ergebnis in Bezug auf das besagte Land ansieht, kann man sich vorstellen, welche Verwüstung die transhumanistische »Verbesserung der Menschen« verspricht. Es ist keineswegs ein Paradoxon, dass die bösartigsten Menschen immer behaupten, »für das Wohl der Menschheit« zu handeln. Das ist das Mindeste, was man für die Enthemmung braucht, um all den Horror zu begehen, den sie vorhaben.
Die Kosmokraten behaupten nun, alle Lösungen für die Probleme zu besitzen, die sie selbst geschaffen haben. Wir dagegen wissen, dass sie das Problem sind. Wir haben keinen Einwand gegen das Bündnis »Business for Nature«, den weltweiten »Green New Deal« oder den »Great Reset« vorzubringen. Es gibt keine Debatte mit ihnen. Was sie bereits getan haben, sagt genügend, wie sehr es ausgeschlossen ist, sie mehr tun zu lassen. Wenn wir sie länger gewähren lassen, werden sie letztlich die Photosynthese patentieren. Wir müssen sie einfach loswerden.
Die Frage ist nicht die nach dem Übergang, sondern die nach ihrem Verschwinden. Dass der Motor jeder Revolution zunächst Rache ist, erschien in den Augen der Sozialdemokratie immer als Skandal. So hat die Linke immer ihre besten Kräfte verärgert. Und hat sie unaufhörlich in die Arme des Faschismus getrieben. Und das ist der Fehler all derer, die beim Lockdown 2020 glaubten, von der Menschheit beauftragt worden zu sein, lächerliche Pläne für die »Welt danach« aufzustellen. Wer glaubt, dass man für eine Revolution das Programm der zukünftigen Welt in der Tasche haben muss, täuscht sich grob. Die ganze Geschichte zeigt, dass sie sich immer getäuscht haben.
Die Kathedrale von Chartres wurde ohne Plan gebaut
(...) Diese große Kurve zu nehmen, egal wie schnell, ist jedoch der einzige nicht morbide Weg. Mit unseren in die Vergangenheit gerichteten Augen wird also auch in der Gegenwart der Konflikt zwischen zwei Zukünften ausgespielt. Es ist ein Kampf der Titanen im Maßstab unserer einzelnen und winzigen Existenzen. Auf der einen Seite steht das Projekt der universellen Kontrolle, der Beherrschung des Unbeherrschbaren, auf der anderen die Akzeptanz des zufälligen, prozesshaften und wuchernden Charakters des Lebens. Das gegnerische Projekt ist aussichtslos, aber es ist mit erprobten Strategien, gigantischen Mitteln und einem fanatischen Willen bewaffnet.
Angesichts dessen reicht desertieren nicht. Es ist ein Krieg. Ein Krieg erfordert Strategien, Rollenverteilung und den Einsatz von materiellen und subjektiven Ressourcen.
Es ist jedoch ein Paradox, das aktive strategische Äußerungen haben, dass ihre öffentliche Formulierung als solche ihrer praktischen Umsetzung widerspricht. Am Ende dieses bescheidenen Manifests stehen wir also vor etwas, das wie eine logische Aporie aussieht. Eine revolutionäre Strategie öffentlich zu machen und sie nicht umsetzen zu können oder keine zu formulieren und sich damit abzufinden, Feststellungen, Analysen und Geschichten darzulegen. Wenn wir es ernst meinen, können wir nicht mit etwas anderem schließen als mit Überlegungen zur Methode, zur Methode beim Aufbau von Kräften, die die notwendigen Strategien entwickeln, tragen und handhaben können.
Die erste Überlegung bezieht sich auf die Frage des öffentlichen Raums und der Öffentlichkeit. Ein altes Vorurteil besagt, dass Handeln, »politisches« Handeln – denn so nennt man die Konfrontation zwischen zwei unvereinbaren Weltentwürfen – gleichbedeutend sei mit öffentlichem Handeln. Diese Idee ist gestorben. Der gleiche Mann, der die ägyptische Revolution von 2011 auslöste, indem er im Fernsehen unter Tränen von den Folterungen berichtete, die er gerade über sich ergehen lassen musste, Wael Ghonim, stimmte dem bereits im Jahr 2015 zu. Er, der Computeringenieur von Google, dessen Facebook-Seite den Arabischen Frühling ausgelöst haben soll, gibt zu, dass so etwas heute nicht mehr passieren könnte. Innerhalb von zehn Jahren haben die Machthaber den Rückstand aufgeholt. Sie haben diese Bedrohung weitgehend neutralisiert. Sie haben sie sogar zu einem Instrument der Kontrolle, der Erfassung, der Steuerung und der Unterdrückung gewendet.
Wie eine ägyptische Bloggerin 2016 schrieb: »Die sozialen Medien werden immer wieder wegen ihrer Rolle im Arabischen Frühling, insbesondere in der ägyptischen Revolution, in den Vordergrund gestellt. Nun, ich denke, es ist an der Zeit, der ganzen Welt zu sagen, dass die sozialen Medien auch dabei sind, den Arabischen Frühling zu töten.« (Zeinobia, »Egyptian chronicles: Egypt’s Internet Trolls: The Union«)
Wenn man dann noch die jüngsten Enthüllungen über die Pegasus-Software der israelischen Firma NSO hinzunimmt, wird nur allzu deutlich, dass der politische Aktivismus per Smartphone unter keinem guten Stern steht. Doch gerade in die sozialen Netzwerke hat sich im Wesentlichen die politische und vorpolitische Arena verlagert. Hier werden Gesten und Worte zu Ereignissen – oder auch nicht. Hier werden die Kriege um Einfluss geführt. Es wäre falsch zu glauben, dass man daraus eine aktive Kraft aufbauen kann.
Die sozialen Medien sind nur noch ein einfacher Kriegsschauplatz, auf dem kurze Ausflüge unternommen und vorübergehende Breschen geschlagen werden können, und zwar von Kräften, die anderswo und auf andere Weise aufgebaut wurden. Und wo, mehr als je, alles gewusst wird. Das Licht der aktuellen Öffentlichkeit verdunkelt alles. Sich ihnen auszusetzen bedeutet, seine Position für nichts anzuzeigen. Dort kann keine Wahrheit mehr ans Licht kommen. Kaum, wenn, dann nur in Ausnahmefällen, kann dort die Lüge zerschmettert werden. Kritik reduziert sich im kybernetischen Regime auf eine einfache Rückkopplungsschleife, auf eine Funktion zur Stabilisierung des Systems.
Es könnte sein, dass die traditionelle physische Demonstration selbst, die davon ausgeht, dass das Auftreten einer großen Zahl von Menschen im öffentlichen Raum allein schon eine politische Geste darstellt, eine veraltete Form ist. Das legt die Ohnmacht – abgesehen davon, dass man sich dort weniger allein als zu Hause fühlt – der Demonstrationen gegen den »Gesundheitspass« oder die Wiederholung der Samstagszüge der Gelbwesten nach dem anfänglichen aufständischen Moment nahe.
Eine weitere schlechte Nachricht ist, dass der Glaube, man könne eine »Bewegung« aufbauen, wahrscheinlich ebenfalls überholt ist. Zumindest behauptet das der amerikanisch-iranische Soziologe Asef Bayat, wenn er die arabischen Revolutionen als »Nicht-Bewegungen« analysiert, die eine »Politik der Präsenz« zum Ausdruck bringen, in der das Leben selbst politisch ist, in der es nicht darum geht, sich auf irgendeine diskursive und demonstrative Höhe zu erheben, um wer weiß welche politischen Würden zu erlangen, von denen ein immer zweifelhaftes Prestige ausgeht.
Bewegungen beruhen auf einem gemeinsamen Sich-losreißen, Nicht-Bewegungen auf einer gemeinsamen Präsenz. Wenn es auch etwas unbestreitbar Politisches hat, wenn man sich bei dieser oder jener Einrichtung weigert, den »Gesundheitspass « zu kontrollieren, so steht die Umsetzung dieser Weigerung oft im Widerspruch zu ihrer Bekanntmachung, wenn man nicht riskieren will, dass die Bar durch eine Razzia der Polizei vernichtet wird, welche sich für diese Frechheit rächen will – wie es im Herbst 2021 im 20. Arrondissement von Paris geschah.
Die Scheidung also von Politik und Öffentlichkeit. Angesichts der vielen Unwahrheiten, zu denen ihre Gleichsetzung im Laufe der Jahrhunderte geführt hat, ist das eigentlich eine ziemlich gute Nachricht. Wir sind in solchen historischen Umständen, in denen diejenigen, die revolutionär handeln wollen, sich davor hüten müssen, dies auch zu zeigen, und diejenigen, die sich als Revolutionäre bezeichnen, damit nur beweisen, dass sie aufgegeben haben, es tatsächlich zu sein.
Die zweite Überlegung, die sich aus der vorherigen ergibt, ist die Notwendigkeit, sich die Kunst der Verschwörung wieder anzueignen. Die ersten Formen der Arbeiterorganisation im 19. Jahrhundert waren konspirativ. Doch der ideologische Sieg des Marxismus, der sich ganz auf seine Strategie der Eroberung der Macht durch Wahlen und sein Werk der wissenschaftlichen Bewusstseinsbildung konzentrierte, hatte zur Folge, dass die notwendigerweise konspirative Dimension jeder konsequenten subversiven Aktivität verdrängt wurde. In Wirklichkeit verschwand diese Dimension nie, aber man musste sie verleugnen. Lenin nahm ohne Kenntnis und unter Missbilligung des Zentralkomitees seiner eigenen Partei das Geld aus Raubüberfällen entgegen, mit dem er sich finanzierte.
Man muss sich nur die entscheidende Rolle des Untergrundkämpfers Jean Jérôme in der Geschichte der Kommunistischen Partei Frankreichs nach 1945 ansehen, um zu erkennen, dass die öffentlichen Hierarchien selten der tatsächlichen Macht entsprechen. (...)
Mehr denn je ist man in diesen Zeiten entweder Teil des Problems oder Teil der Lösung. Und mehr denn je ist Verschwörung Teil der Lösung. Konspiration, nicht als Mätzchen und Geheimnistuerei derer, die anderen signalisieren wollen, dass sie dazugehören, sondern als ethische Kontinuität, die den wahrhaftigen Beziehungen zwischen Wesen innewohnt, als absolute Barriere für die kybernetische Erfassung dieser Beziehungen. Nur von diesem Boden aus können der Mut und die Entschlossenheit entspringen, nicht länger die äußeren Vorschriften und Regeln der Welt der Kosmokraten zu befolgen. »Das ›Gute‹ des Widerstands [...]: Das war diese große geteilte Seele. [...] Wir waren etwa zwanzig, die mit offener Seele lebten« (Jacques Lusseyran, Das wiedergefundene Licht, 1953).
Das »Gute« der Gelbwesten waren die tagsüber demonstrativ besetzten Kreisverkehre und die nachts diskret kaputtgemachten Radarfallen. Die einzige notorische Schwäche konspirativer Aktivitäten ist die Flanke, die sie der Infiltration bietet. Angesichts dessen ist das Heilmittel die Vervielfachung der Verschwörungen – dass es so viele gibt und dass sie so vielfältig und weit verbreitet sind, dass keine von ihnen so entscheidend sein kann, dass ihre Unterwanderung den Untergang aller bedeutet. Victor Serge bemerkte seinerzeit, dass »es keine Kraft auf der Welt gibt, die die revolutionäre Flut eindämmen kann, wenn sie anschwillt, und dass alle Polizeitechniken, wie machiavellistisch, wissenschaftlich und verbrecherisch sie auch sein mögen, so gut wie machtlos sind« (Was jeder über staatliche Repression wissen sollte, 1925). (...)
Dritte Überlegung: Wenn Verschwörung bedeutet, einen gemeinsamen Geist zu teilen, dann können wir uns nicht an das polizeiliche Regime der etablierten Identitäten halten. Es ist offensichtlich für die Herren dieser Welt die wichtigste Technik zur Zerstreuung der gegnerischen Kräfte und damit zur Aufrechterhaltung der Ordnung, für ihre wasserdichte Separierung zu sorgen. »Frauen« gegen »Männer«, «Europäer« gegen »Muslime«, »Bauern« gegen »Stadtbobos«, »Intersektionale« gegen »Cis-Gender«, »Radikale« gegen »Moderate« und warum nicht auch »Antivalidisten« gegen »Validisten« – es wird unermüdlich und methodisch an der Zwietracht gearbeitet, damit jeder an seinem Platz bleibt.
Ein System, dass bar jeglicher Prinzipien ist, beschuldigt die, die sich begegnen, unaufhörlich, sich selbst zu verraten. Diese Erpressung ist lachhaft. (...) »Schön wie ein schmutziger Aufstand«, sagte ein Graffiti von Samstag, dem 24. November 2018, auf den Champs-Élysées. Predigten der Reinlichkeit waren immer schon die Signatur der großen Korrupten. Alle Gewerkschaften des schlechten historischen Gewissens, die ihr aktivistisches Kapital daraus ziehen, dass sie im Namen der Unterdrückten sprechen, die sie schon lange nicht mehr sind, und auf dem Grund christlicher Schuld, die im Herzen jedes Linken schlummert, herumwerkeln, sind zu den Agenten der Ordnung zu zählen. Sie ziehen daraus übrigens erhebliche symbolische Gewinne.
Die Freude der Verschwörung ist die Freude der Begegnung, der Entdeckung von Brüdern und Schwestern, selbst dort , wo man es am wenigsten erwartet hätte. Soziale Kategorien sind nicht real. Real an ihnen ist nur die Hartnäckigkeit, sie durchzusetzen und sich ihnen anzupassen. Sie zu benutzen, um die Einzigartigkeit von Menschen zu leugnen und ihre eigene Art, mit ihnen umzugehen, mit Füßen zu treten, ist entweder niederträchtig oder ungehobelt, oder beides. Die Welt besteht aus Prozessen und Beziehungen, nicht aus Subjekten und Prädikaten.
In Paris strömen wir am zweiten Samstag der Gelbwesten in Massen die Champs-Élysées hinunter. Wir wollen natürlich auf den Élysée-Palast marschieren. Eine Linie mobiler Gendarmen hindert uns daran. Eine Marseillaise erklingt. Sie ist an die Adresse der Behelmten gerichtet. Sie sagt ihnen ganz unbefangen: »Kommt schon Jungs, kommt mit uns. Lasst uns durch. Wechselt die Seiten. Wir sitzen im gleichen Boot.« Natürlich ist das eine kindliche Illusion, auf die ein Cumulonimbus aus Tränengas antwortet. Wir laufen auseinander. Einige speien. Alle weinen.
Eine Viertelstunde später, nachdem sich die Giftwolke verflüchtigt hatte, drängte sich die gleiche Menge erneut gegen dieselbe Linie von Gendarmen. Eine zweite Marseillaise erhebt sich, nur dass diese hier sagen will: »Mit eurem Blut werden wir unsere Furchen tränken. Ihr seid räudige Hunde. Wir werden euch fressen.« Ein feiner Abgrund trennt diese beiden Lieder. Es kommt auf die Art und Weise an. Eine Marseillaise ist nicht zwangsläufig eine Marseillaise. Wie ein Bella Ciao nicht zwangsläufig ein Bella Ciao ist. Selbst ein Regierungsfunktionär ist nicht zwangsläufig ein Regierungsfunktionär. Nichts gleicht dem anderen.
Hätte man sich zu Beginn der Résistance daran gehalten, wer katholisch und wer protestantisch, wer kommunistisch und wer anarchistisch, wer französisch und wer armenisch, wer republikanisch und wer monarchistisch, wer Arbeiter und wer Akademiker ist, hätte man Mut zu nichts gehabt. Tatsächlich halten die prekären Barrieren des Ichs den gemeinsam eingegangenen Risiken kaum stand. Erst in der Praxis, in der Bewährung, zeigt sich, mit wem man sich zusammentun kann und wen man fernhalten sollte. Entscheidend ist, dass man nicht zulässt, dass unbemerkt ein De Gaulle auftaucht und behauptet, die Gesamtheit der Konspiration zu repräsentieren.
Unsere Zeit ist ausgesprochen reichhaltig an solchen regungslosen Deserteuren, die bis hinein ins Herz des gegnerischen Apparats wohnen. Nichts hält mehr. Überall gibt es potenzielle Snowdens. Aber die versteckten Gerechten tragen kein Abzeichen. Man muss das Risiko eingehen, ihnen zu begegnen, enttäuscht oder entzückt zu sein. Es hat keinen Sinn, Maquisarden und Marranen gegeneinander auszuspielen. Es gibt überall Deserteure im Geiste. Das Wichtigste ist, dass es gelingt, das soziale Eis zu brechen. Die Bedingungen für die Möglichkeit einer Kommunikation von Seele zu Seele zu stellen.
Kurz gesagt, es schaffen, einander zu begegnen. Und somit eine konspirative Ebene bilden, die sich immer weiter ausdehnt, verzweigt, komplexer wird, sich vertieft. Vor allem der Versuchung widerstehen, sich in einer Gruppe zu verschließen, in einer Einheit, die sich ihrerseits von außen begreift. Gruppen sind nur dazu gut, das zu verraten, wofür sie gegründet wurden.
Mit Maquis also.
Mit Hochburgen.
Mit entscheidenden Begegnungen.
Mit Methode, Hartnäckigkeit und Umsicht.
Mit verlässlichen Verbündeten.
Einem Zustand, der sowohl diasporisch als auch konzentriert ist.
Mit gewagten Angriffen auf logische Ziele.
Und der Gewissheit, dass wir das endlich siegreiche Leben sind.
»Das Konspirationistische Manifest« ist am 21. Dezember 2022 in deutscher Originalübersetzung im Verlagshaus Sodenkamp & Lenz Berlin erschienen. (1)
Quelle
(1) Am besten im einzelnen Buchladen oder direkt via demokratischerwiderstand.de/buecher und sodenkamplenz.de
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Wir danken dem Autor für das Recht zur Veröffentlichung des Beitrags.
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Bildquelle: Ground Picture/ shutterstock
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