Ein Kommentar von Rob Kenius.
Es ist schon lange her, dass die Formulierung "das Recht des Stärkeren" ironisch, satirisch, wenn nicht gar anklagend gemeint war. Es herrschte die Ansicht, dass dieses "Recht des Stärkeren" eigentlich ein Unrecht ist und dass man diejenigen, die es für sich in Anspruch nehmen, vom Wettbewerb ausschließen müsse, sei es in der Ehe, im Sport oder in der Politik und bei allen moralischen Abwägungen. Mit anderen Worten, "das Recht des Stärkeren" wurde früher nicht als gültig anerkannt, sondern geächtet.
Diese Zeiten sind vorbei.
Jetzt in den zwanziger Jahren des 21. Jahrhunderts gilt "das Recht des Stärkeren" wieder. Und an erster Stelle ist es das Recht der stärksten Großmacht.
Die Stärke in Zahlen
Die Stärksten sind selbstverständlich die USA, zwar nicht auf allen Gebieten, aber auf maßgeblichen, wo man die Stärke mit Zahlen messen und beziffern kann. Diese Stärke oder Überlegenheit wird widerspruchslos hingenommen, auch und vor allem als ein Gefühl der Sicherheit, auf der Seite der Stärksten zu stehen. Die Stärke, gemessen in Zahlen gilt für die Stärke der Finanzmacht. Sie wird in Dollar, Millionen Dollar, Milliarden Dollar und Billionen Dollar gemessen. Die Besitzer und die Verwalter der größten Zahlen an Dollars fluten die Welt mit ihrem Geld, das täglich und stündlich neu geschaffen und vermehrt wird, und sie verlangen, dass alle Welt den Wert der Dollars in voller Höhe, bedingungslos anerkennt.
Wenn die anderen das nicht tun, und sich zum Beispiel weigern, nicht nur Öl und Bodenschätze ihres Landes sondern auch deren Lagerstätten gegen Dollars zu verkaufen, werden sie, wenn es Einzelpersonen sind, umgebracht, wie Patrice Lumumba, oder sie werden mit Bomben und Krieg überzogen wie Muammar al-Gaddafi und dann ebenso umgebracht.
Das ist "das Recht der Stärkeren". Im letzteren Fall hatten sich Großbritannien, Frankreich und Polen den stärksten, den USA angeschlossen und gehörten dann ebenfalls zu den Stärkeren. Deutschland unter Kanzler Schröder aber noch nicht. Das haben die rot-grün-gelbe Regierung und das 700-Personen-Parlament in Berlin mit großer Mehrheit jetzt nachgeholt.
Niemand fragt, ob diese Rechtsauffassung ein Rückschritt ins Altertum ist, wo die Römer Karthago erledigt haben, einfach weil ihnen dessen Präsenz im Mittelmeer nicht passte. "Das Recht des Stärkeren" gilt wieder, fast immer und überall, nicht nur in der sogenannten Westlichen Werte-Welt.
Welche Werte sind das eigentlich?
Die Westlichen Werte sind Zahlen, die Geld bedeuten und Zahlen der atomaren Sprengköpfe, es sind die Zahlen der Militärstützpunkte und die der Flugzeugträger. Bei all diesen Messzahlen der Stärke haben die USA das Maximum zur Verfügung. Und weil offenbar niemand mehr "das Recht des Stärkeren" anzweifelt, haben die USA auch die größte Zahl an Vasallenstaaten.
Das sind Länder, die "das Recht des Stärkeren" anerkennen und für rechtens halten, ihre Werte danach ausrichten und sich von ihnen leiten lassen, weil sie glauben, dass der Stärkste im Recht ist, wenn er bombardiert, wenn er Kriege anzettelt, einzelne Personen ermorden lässt oder sie willkürlich inhaftiert.
Macht und Stärke der Medien
Indem man das alles akzeptiert, hat sich eine weitere Stärke entwickelt, die man in der Zeit, "die es einmal gab", hier im Westen noch nicht kannte. Es ist die unterwürfige Stärke in den Medien. In der Zeit, "die es einmal gab", wurden in der westlichen Welt auch die Allerstärksten kritisiert und in Frage gestellt, wenn sie sich nicht den allgemein gültigen Vorstellungen von Moral, Anstand, Fairness, Unbestechlichkeit und Demokratie unterworfen hatten.
Man denke nur an Franz Josef Strauß, der Deutschland und sich selbst stärker machen und weiter militarisieren wollte und auch schon von Atomwaffen phantasiert hat. Strauß war in den Medien, bei Intellektuellen und bei der Jugend nicht gelitten. Sein medialer Feind war der Spiegel unter Rudolf Augstein und die Mehrheit war froh, dass eine Kanzlerschaft Straußens durch den Einfluss der Medien verhindert wurde. Da war der Kanzler Kohl das kleinere Übel, aber 16 Jahre lang.
Die Medien glaubten damals an eine moralische Überlegenheit der Vernunft, wie Immanuel Kant es verkündet hatte. Heute gilt in allen großen Medien: Macht ist stärker als die Wahrheit. Um zur Wahrheit zu finden, muss man die Vokabeln der Macht in Klartext übersetzen.
Sondervermögen = zusätzliche Staatsschuld Demokratie = Wahldiktatur Westliche Werte = US-Dollar Nordatlantik = Ostfront Sicherheit = Rüstung Verteidigung = Krieg Freiheit = Konsum Teufel = Putin = Russland
Was den Politiker Strauß ins Abseits stellte, befürwortet heute eine absolute Mehrheit: Rüstung, Russlandfeindschaft, Waffenfetischismus, wie in den USA. Die USA sind stärker als Russland, glaubt man, und deshalb sind alle Vasallen auf ihrer Seite, wenn es darum geht, einen sinnlosen Krieg immer weiter zu befeuern, obwohl er längst verloren wäre, wenn nicht im Hintergrund die stärkste Militär- und Finanzmacht warten, knurren, sich räuspern und herum pöbeln würde, damit nicht vergessen wird, dass sie die Stärksten sind.
"Das Recht des Stärkeren" hätte man spätestens beim "Krieg gegen den Terror" des Präsidenten "W" Bush zu Unrecht erklärt, wenn es ein unabhängiges, objektives, faires Urteil gäbe, in unseren Medien, in der öffentlichen Meinung oder bei einem internationalen Gremium oder Gericht. Aber in den 2020er Jahren gibt es das schon lange nicht mehr und eine höhere Instanz, außer Gott im eigenen Kopf, wird von den USA auch nicht anerkannt.
Schwäche und Stärke in der Literatur
In dem dystopischen Roman 1984, aus dem Jahre 1948, herrscht der "große Bruder" über alle Menschen, alle Meinungen und über die Sprache selbst. Es ist eine Vision des medialen Totalitarismus bei ständigem Krieg in irgendwelchen Außenbereichen und fast alle, die das Buch vor 1984 gelesen haben, einige leben noch und sie glaubten damals, die Utopie würde in der Sowjetunion zur Realität werden.
Im Jahre 1984 waren 36 Jahre seit der Fertigstellung des Romans (1948) vergangen und die Sowjetunion begann sich friedlich aufzulösen. Michail Gorbatschow wollte Offenheit der Kritik und freie Entscheidungen. Statt in Krieg zu versinken, wurden viele Länder friedlich aus der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken entlassen. Darunter richtig große Länder: Kasachstan, Kirgistan, Weißrussland, Usbekistan und Ukraine. Warum?
Weil sie es so wollten. Und die USA glauben bis heute, das sei ein Sieg ihrer Überlegenheit und Stärke gewesen. Aber es war etwas anderes, etwas, das in der Machtpolitik sehr selten vorkommt, ein Sieg der Vernunft über den Größenwahn. Die Ideologie des Staatssozialismus wurde abgeschafft. Alles verlief in der Zeit um 1984 in der SU umgekehrt wie im Roman 1984.
Orwell hatte das Buch 1948 fertiggestellt und im Titel nur die beiden letzten Ziffern vertauscht. Hatte George Orwell sich also geirrt? Oder hatte die damalige Leserschaft sich in der Blickrichtung vertan?
Es war beides der Fall. Orwell irrte sich um den Faktor zwei. Die Dystopie trat nicht nach 36 Jahren ein, sondern nach zwei mal 36 Jahren, im Jahre 1948 + 36 (= 1984) + 36 = 2020. Aber die Leserschaft hatte sich auch geirrt, in der geografischen Lokalität des medialen Totalitarismus und der absurden Propaganda.
Die krasse Verlogenheit in den Medien, das Wahrheitsdiktat und die Sprachverwirrung um die Worte Krieg und Frieden fand um 2020 in der Westlichen Werte-Welt statt, wo man Waffen für den Frieden liefert und aus humanen Gründen einsetzt: Bomben, Panzer, Raketen, Kampfflugzeuge, Marschflugkörper und möglichst viel Munition, um hunderttausende Menschen zu töten, die nicht "das Recht des Stärkeren" haben.
Die Corona-Psychose wirkte genau im Jahre 2020 als ein riesiges mediales Ablenkungsmanöver. Sie zeigte uns auch all die Sprach-Verdrehungen, wie im Roman 1984 das Neusprech.
Das Recht und die Macht des Stärkeren, des "Großen Bruders" wurde nicht 1984 in der SU, sondern 2020 in der Westlichen Werte-Welt mit allen Mitteln durchgesetzt und gilt bis heute unangefochten in der Finanzwelt, in den Medien, in der Politik und auf dem fernen Schlachtfeld. Der Große Bruder bestimmt das neue Denken (Neudenk) selbst im Deutschen Bundestag, in seinen Ausschüssen und in der obersten Heeresleitung. Wir haben von regierungsnahen Organisationen angezettelte Demonstrationen, wir haben Meinungsdiktate in den Öffentlich-Rechtlichen Anstalten und das Kaltstellen von oppositionellen Stimmen. Ein weltbekannter Enthüllungs-Journalist sitzt unbefristet in Einzelhaft, ohne Urteil, weil nicht mehr das schriftlich festgelegte Recht der Justitia gilt, sondern "das Recht des Stärkeren", also der USA, deren Kriegsverbrechen Julian Assange publik gemacht hat.
Der Große Bruder ist keine Person, was er auch im Roman 1984 nicht war, es ist die total verschwommen organisierte Macht in den Vereinigten Staaten von Amerika. Selbst der Präsident weiß dort nicht genau, wer die Macht hat. Ist es das Banken-Konsortium der Federal Reserve (FED) oder ist es der Militärisch-Industrielle Komplex? Oder beide? Oder ist die Macht "das Schloß" wie im Roman von Franz Kafka? Aber immer akzeptieren alle "das Recht des Stärkeren", obwohl sie doch keine Romanfiguren sind. Sie scheinen vergessen zu haben, was Realität bedeutet.
Dem kann abgeholfen werden.
Die Stärke der Realität und der Geografie
Die Realität ist stärker als die Option darauf. Geld ist eine Option auf Besitz. Waffen sind Realität. Wer über die Waffen verfügt, ist stärker als diejenigen, die über Geld verfügen, wer Geld hat, ist auch stärker als die Medien. Wegen dieser Logik führt "das Recht des Stärkeren" die USA und die Vasallen logischerweise immer tiefer in den Krieg, egal, wer die Waffen liefert, wer sie herstellt und wer sie bedient. Da stimmt etwas nicht.
Es gibt noch eine andere Realität, außer Waffen, die ebenfalls stärker ist als Geld und Psychologie in den Medien. Das ist die geografische Lage und die tatsächliche Situation auf dem Globus. Russland ist das größte Land der Erde, etwa 52 mal so groß wie das wiedervereinigte Deutschland, es hat keine Absichten, sich nach Westen, Süden oder Osten zu erweitern.
Das Gegenteil ist der Fall: Man hat vor nur gut dreißig Jahren viele große und kleine Republiken sich friedlich von Moskau lösen lassen. Die größten wurden schon genannt, darunter die Ukraine, der jetzige Zankapfel zwischen dem fernen Washington und dem nahen Moskau. Washington ist zehnmal so weit weg und hat zehn mal soviel Geld fürs Militär.
Ein kleiner historischer Fehler
Bei der Abtrennung der Ukraine ist dem Kreml ein Fehler unterlaufen: Man hat nicht beachtet, dass damit die geliebte Region der Krim ebenfalls zur unabhängigen Ukraine wechselte. Die Krim gehört seit 1783 zu Russland, ungefähr so lange wie die Vereinigten Staaten von Amerika überhaupt existieren. 1954 hat der damalige Kreml-Chef Chruschtschow, der selbst aus der Gegend der späteren Ukraine stammte, die Krim organisatorisch der Sowjetrepublik Ukraine überantwortet. Eine tiefere Bedeutung hatte das nicht und geschah wohl wegen der räumlichen Nähe: Kiew war näher als Moskau. Bei der späteren (freiwilligen) Loslösung der Ukraine von Russland hat man nicht geahnt, dass damit die Krim irgendwann zum feindlichen Ausland werden könnte, man hat auch nicht geahnt, dass die USA sich in der Ukraine einmischen, einkaufen, breit machen und mit dem "Recht des Stärkeren" sogar nuklearfähige Raketen an der russischen Grenze aufstellen würden. Der russischen Bevölkerung der Krim gefiel die Umwälzung in Kiew nicht, genauso wenig wie den Russen in Moskau, die lieber auf der Krim Urlaub machen als auf Zypern. In einer Abstimmung, bei hoher Wahlbeteiligung, stimmten knapp 90% der Menschen auf der Krim für einen Wieder-Anschluss ans russische Mutterland. Wer auch nur eine ungefähre Ahnung von der Korruption und dem unstabilen Zustand der selbständigen Ukraine hat, findet das selbstverständlich.
Weil die USA aber aus globalstrategischen Gründen dagegen ihre Propaganda-Maschine in Gang setzten, gab es einen taktischen Einmarsch russischer Truppen, bei dem kein Schuss gefallen ist, um das Votum der Bevölkerung abzusichern. Damit wurde ein organisatorischer Fehler des Kreml aus der Sowjet-Zeit rückgängig gemacht. Das war ein unblutiger, aber sehr geschickter, strategischer Schachzug auf dem Schachbrett der Machtpolitik.
Wer diesen Vorgang "Annexion der Krim" nennt, verrät sich als jemanden, der nicht im Bilde ist oder nicht historisch denken kann und der (oder die, wie Angela Merkel) einfach das verkündet, was der große Bruder im fernen Washington mit seiner Medienmacht als Narrativ in die Welt gesetzt hat. Den Globalstrategen der USA passte es nämlich nicht, dass zum Gebiet der Krim auch der militärische Hafen Sewastopol am Schwarzen Meer gehört.
Die Sprachregelung "Annexion der Krim" ist ein Symbol für "das Recht des Stärkeren". Der Stärkste kann die Wahrheit aus den Medien verdrängen, nicht aber den Wunsch und Willen des Volkes im größten Land der Erde und die geografische Realität.
Sind wir hier im Film?
Als treibende Kraft der neuen "Wirklichkeit" wirkt Wolodymyr Selenskyj, ein sehr talentierter und erfolgreicher Schauspieler und Fernsehproduzent. Er hat den Präsidenten der Ukraine im Film dargestellt und wurde dann zum Präsidenten gewählt. Selenskyi glaubt offenbar, man könne Politik so konzipieren wie die Produktion einer Fernsehserie, worin er Meister ist. Die Handlung ist dann seiner Kreativität überlassen, die Realität spielt nur als Requisit eine Rolle, Soldaten sind Komparsen. Selenskyj greift das Narrativ von der "Annexion der Krim" auf und konstruiert die Handlung so, dass er mit der stärksten Macht im Hintergrund, die Russen vertreibt und die Krim zurückholt. Das ist sein Drehbuch und die Westliche Werte-Welt hat vergessen, dass es nicht der Realität entspricht. Das gilt absurderweise auch für die meisten politischen Führerinnen und Führer des Westens. Es ist Neudenk, nicht von Orwell, sondern von Selenskyj.
Wer die Realität nicht anerkennt, landet nach dem "Recht des Stärkeren" bald im europäischen Krieg.
Wir sollten dahin zurück, wo "das Recht des Stärkeren" nicht blind akzeptiert wird, wo es als barbarisch gilt, wo es den Werten der menschlichen Kultur widerspricht. Wenn wir das nicht schaffen, sind wir verloren.
Wer sich aus Hybris für den absolut Stärksten hält, verliert alles, wie Hitler, mitsamt seinem dummen, tapferen Volk und wie Napoleon, mitsamt seiner glorreichen Armee. Oder er wird rechtzeitig von "Freunden" ermordet wie der durch einen Putsch an die Macht gekommene Julius Cäsar, der Prototyp aller Größenwahnsinnigen.
+++Dank an den Autor für das Recht zur Veröffentlichung des Beitrags. +++ Rob Kenius betreibt die systemkritische Webseite https://kritlit.de Sein Buch "Teufel, Krieg und Frieden" erschien im November 2013 und behandelt u.a. die Vormachtstellung der USA und deren Finanzmacht. +++ Bildquelle: oatawa / shutterstock
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