Standpunkte

Das russische Fernsehen über die Reaktion in Europa auf den Putschversuch | Von Thomas Röper

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"Der Mann ist das größte Geschenk!" Der Putschversuch in Russland wurde weltweit genau beobachtet. Interessant ist, wie in Russland über die Reaktion in Europa berichtet wurde. Ein Standpunkt von Thomas Röper.

Wie jeden Sonntag war der Bericht des Deutschland-Korrespondenten einer der interessantesten im wöchentlichen Nachrichtenrückblick des russischen Fernsehens. Er hat berichtet, wie der Putschversuch in Europa aufgenommen wurde, aber er hatte natürlich auch andere interessante Themen der Woche, die aus russischer Sicht ganz anders klingen als in deutschen Medien. Wie fast jeden Sonntag habe ich den Korrespondentenbericht aus Deutschland übersetzt.

Beginn der Übersetzung: Aufstand und Gegenangriff: Die Reaktion Europas

Die Nachricht von dem bewaffneten Aufstand in Russland wurde von Europa mit reibenden Händen aufgenommen. Natürlich, schließlich ist jede Uneinigkeit bei uns eine Hoffnung auf Russlands Niederlage. Aus Europa berichtet unser Korrespondent.

In allen europäischen Hauptstädten werden die Ereignisse um Wagner seit Freitagabend mit großer Aufmerksamkeit verfolgt, so die offiziellen Pressemitteilungen. Auch die Fernsehberichterstattung wird regelmäßig durch Breaking News unterbrochen, Eilmeldungen unter Einbeziehung verschiedener Experten, die ihren Jubel kaum verbergen können: Sie haben den Champagner noch nicht geöffnet, aber für alle Fälle schon mal kalt gestellt.

„Das ist eine großartige Gelegenheit für die Ukraine, sich die derzeitigen Unruhen und das Chaos in Russland zunutze zu machen“,

sagt Tobias Ellwood, Vorsitzender des Verteidigungsausschusses des britischen Parlaments.

Auf den Websites britischer Medien sind Karten mit Pfeilen aufgetaucht, die zeigen, wohin Prigoschins Gruppe vordringt. Der Name des Mannes ist in Europa wohlbekannt, aber es ist das erste Mal, dass er von solchen Worten begleitet wird, wie hier von der Bild:

„Völlig wahnsinnig. Russen-Söldnerchef Prigoschin beschuldigt das russische Verteidigungsministerium, einen Luftangriff auf eines seiner Lager verübt zu haben. Jetzt ruft er seine 25.000 Söldner zum Kampf gegen das russische Militär auf. Der Mann ist das größte Geschenk!“

Das ist keine Gegenoffensive, sondern ein blutiger Crash-Test, schreibt das Handelsblatt. Die – um es vorsichtig auszudrücken – nicht sehr erfolgreiche Offensive der Ukraine im südlichen Sektor der Militäroperation hat ihren Zweck erfüllt: selbst die glühendsten Anhänger der Idee einer strategischen Niederlage Russlands durch die Niederlage seiner Streitkräfte werden langsam davon überzeugt, dass das unmöglich ist. Jetzt sind sie verstummt. Die EU beschränkt sich auf die Feststellung, dass das, was geschieht, eine innere Angelegenheit Russlands ist: Sie haben Angst, ihr Glück zu verschrecken – die innere Destabilisierung der militärischen und politischen Führung gibt ihnen eine Chance auf dem Schlachtfeld. Die einzige Chance, denn eine andere wird es nicht geben.

Wie sagte es der polnische Präsident Duda diese Woche? Eine Chance, „Russland zu erschießen“?

„Wenn eine wilde Bestie einen Menschen verschlingt, sagt man gewöhnlich, dass sie einfach gejagt und erschossen werden muss. So ist es auch mit Russland“, so Duda.

Durch Duda hat der Westen seine Ziele so deutlich wie möglich verkündet. In dieser Woche beschrieb der ungarische Außenminister Szijjártó die Stimmung der transatlantischen Eliten als militärische Psychose: ein mentaler Zustand, eine verzerrte Wahrnehmung der Perspektive, und mancher mag denken, dass die Ziele näher sind, als sie tatsächlich sind. Diese Illusion überschattet heute alles andere, obwohl es in der vergangenen Woche sicherlich Ereignisse gab, die es wert sind, angeschaut zu werden.

„Das Haushaltsdefizit der Ukraine bis 2027 beträgt rund 60 Milliarden Euro. Der Bedarf für den raschen Wiederaufbau des Landes liegt bei etwa 50 Milliarden Euro. Der Gesamtbetrag beläuft sich auf 110 Milliarden Euro. Deshalb habe ich vorgeschlagen, dass die EU-Mitgliedstaaten 45 Prozent dieser Summe, also 50 Milliarden Euro, übernehmen“,

sagte die Chefin der EU-Kommission Ursula von der Leyen.

Am Dienstag fand in London eine Konferenz der Geberländer für das Kiewer Regime statt. Da die Konfiszierung der eingefrorenen russischen Vermögenswerte nach wie vor höchst problematisch ist, werden andere Quellen benötigt. Potenzielle Investoren wurden eingeladen, und man hat versucht, ihnen ein attraktives Bild von Investitionen in Projekte zum Wiederaufbau der ukrainischen Wirtschaft zu vermitteln.

Doch bis dahin ist es noch ein weiter Weg, weshalb Brüssel Geld für den aktuellen Bedarf bereitstellt. Zum Ärger Kiews gibt es das Geld nicht umsonst, sondern gegen Zinsen. Und weniger als die Hälfte von dem, was es braucht. Der EU-Haushalt, der ebenfalls bis 2027 gilt, ist bereits erschöpft, und selbst Deutschland, das die Waffen für die Ukraine durch die Erhöhung seiner eigenen Staatsverschuldung kauft, hat kein Geld, um den EU-Haushalt aufzufüllen.

„Einige Fahrzeuge, wie gepanzerte Brückenleger und Pionierfahrzeuge, werden Teil des 2,7-Milliarden-Euro-Pakets sein, das wir im Mai vorgelegt haben“, sagte der deutsche Verteidigungsminister Boris Pistorius.

Aus dem gleichen Paket stammen 20 Marder Schützenpanzer und mehrere Dutzend eilig aufgerüstete Leopard-1-Panzer. Die Leopard-2-Panzer sind bereits ausgegangen. Aber Macron und Meloni haben diese Woche das gemeinsame Flugabwehrsystem «Mamba» vorgestellt, ansonsten gibt es eigentlich wenig Gemeinsamkeiten zwischen ihnen.

„Das französisch-italienische Raketenabwehrsystem Mamba ist jetzt in der Ukraine stationiert und einsatzbereit. Wie ich gestern bereits sagte, stellt es einen wichtigen Beitrag zur Luftverteidigung des Landes dar“, erklärte Macron

„Wir sollten stolz darauf sein, dass wir so hart gearbeitet haben, um dieses Instrument in der kürzest möglichen Zeit anbieten zu können“, fügte Meloni hinzu.

Zum Thema Zeit gibt es einen auffälligen Trend: Europa lässt sich mit jedem neuen Paket anti-russischer Sanktionen mehr Zeit. Diese Woche wurde das elfte Paket endlich vorgestellt. Die Manager unseres Fernsehsenders Anton Slatopolskij, Andrej Kondraschow und Rifat Sabitow sowie die Journalisten Andrej Medwedew, Jewgenij Poddubnij und Alexander Sladkow sind von persönlichen Sanktionen betroffen. Die wichtigste wirtschaftliche Einschränkung betrifft erwartungsgemäß die Druschba-Pipeline: Der Transport von russischem Öl durch ihren nördlichen Zweig, der über Polen nach Deutschland führt, ist gesperrt. Das ist für sich genommen eine symbolische Maßnahme, die den aktuellen Stand der Dinge festschreibt. Und selbst von der Leyen räumt ein, dass man sich kaum etwas anderes ausdenken kann:

„Wir haben das elfte Paket von Wirtschaftssanktionen gerade beschlossen. Sie werden weiterhin eine starke Wirkung entfalten. Aber weiter zu gehen, ist schon schwierig.“

Die Sanktionen gegen Russland sind ihnen ausgegangen, deswegen ist die EU-Kommission besonders stolz darauf, dass es ihr gelungen ist, eine Art Mechanismus zur Berechnung und Bestrafung von Verstößen gegen das Sanktionsregime bei sich selbst und in Drittländern zu erfinden. In Anbetracht der Tatsache, dass die deutsche Wirtschaft im Bereich der „grauen“ Importe ernsthafte Erfolge erzielt hat, ist Ärger vorhersehbar: Die Partei „Alternative für Deutschland“ ist in den Umfragewerten auf den zweiten Platz vorgerückt, gleich hinter der oppositionellen CDU.

Es ist sogar irgendwie erstaunlich: einzelne Vertreter von Merkels Partei interessieren sich nicht nur dafür, wie die Ermittlungen zum Anschlag auf die Nord-Streams verlaufen, sondern haben auch den gesunden Menschenverstand, um deren Reparatur zu fordern.

„Die Pipelines wurden infolge eines Anschlags, infolge eines Verbrechens gesprengt. Es gibt keinen Grund, warum wir die Pipelines jetzt nicht sichern und reparieren sollten. Ich glaube, dass die Menschen in Deutschland an den Ursachen der Explosionen interessiert sind. Alles, was wir hören, ist, dass die CIA gewarnt hat, dass jemand anderes gewarnt hat. Was ist denn dann letztendlich dort passiert?“, fragt Michael Kretschmer, Ministerpräsident des Landes Sachsen.

Die Antwort auf diese Frage scheint die Scholz-Regierung insgesamt und insbesondere ihre grüne Komponente nicht zu interessieren. Überhaupt ist es schwer zu verstehen, was sie will: Letzte Woche schloss Wirtschaftsminister Habeck noch nicht aus, dass die deutsche Industrie ohne russisches Gas ganz stillstehen müsse, und diese Woche sagt er plötzlich das Gegenteil:

„Ich bin sehr froh, dass wir kein Gas mehr aus Russland bekommen, ich finde, das sollte so bleiben.“

Heute so, morgen so. Das „grüne“ Experiment zielt nicht nur auf die deutsche Wirtschaft, es wird mit der klaren Absicht fortgesetzt, es global zu machen. Am Donnerstag versammelte Macron in Paris mehrere Dutzend Staats- und Regierungschefs, vor allem aus Afrika. Der Westen will sie durch eine Reform der Finanzinstitutionen – alle Arten von IWF und Weltbanken – gewissermaßen beglücken.

„Die Finanzinstitutionen der Welt sind heute zu klein und zu beschränkt, um ihr Mandat zu erfüllen, vor allem wenn es um die schwächsten Länder geht“, sagte der Generalsekretär der Vereinten Nationen António Guterres.

Auf der Suche nach neuen Wachstumspunkten für sich selbst will der Westen den ehemaligen europäischen Kolonien unter dem Deckmantel der Armutsbekämpfung und des Klimaschutzes eine neue Form der Knechtschaft anbieten: die Abkehr von der traditionellen Wirtschaft und die Umstellung auf die „grüne Schiene“, die die ehemalige Dritte Welt in eine einzige Richtung führt: in eine noch größere Abhängigkeit von westlichem Geld und westlicher Technologie. Das passt nicht jedem.

„Es muss ein gerechter Übergang sein, der die existenzielle Situation verschiedener Gemeinschaften berücksichtigt, vor allem die der Arbeiter, die in der Industrie für fossile Brennstoffe arbeiten“, sagt Südafrikas Präsident Cyril Ramaphosa.

Die gesamte Geschichte der kolonialen und postkolonialen Welt zeigt eines: Die Leute aus dem Westen bauen keine Schulen, Krankenhäuser und Universitäten, sie hinterlassen eine Wüste von Pumpen, mit denen sie alle möglichen Bodenschätze abpumpen können, und eine durch und durch korrupte Elite, die ihnen das ermöglicht. Die Ukraine kann als neues Pilotprojekt betrachtet werden, das bereit ist, alles aufzugeben: Land, Bodenschätze, Industrie und Menschen, um einen Teil des Kuchens zu bekommen. Nun, zumindest irgendwann.

Am Freitag sagte die Chefin der EU-Kommission, sie könne sich die Ukraine in 20 oder 30 Jahren kaum außerhalb der EU vorstellen. Das ist keine besonders schöne Perspektive. Auch eine Einladung in die NATO wird es nicht geben.

„Auf dem Gipfel in Vilnius und während der Vorbereitung des Gipfels diskutieren wir nicht über eine offizielle Einladung. Wir diskutieren darüber, wie wir die Ukraine näher an die NATO heranführen können“, sagte NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg.

Heranführen kann man sie. Und sie dort auch weiter halten – mit einem engen Halsband und an der kurzen Leine.

Es ist unwahrscheinlich, dass die aktuellen Ereignisse in Russland die Beziehungen Kiews zu seinen europäischen und transatlantischen Herren verändern werden.

Ende der Übersetzung

+++ Dank an den Autor für das Recht zur Veröffentlichung des Beitrags. +++ Dieser Beitrag erschien zuerst am 26. Juni 2023 auf dem Blog anti-spiegel.ru. +++ Bildquelle:  Below the Sky / shutterstock 


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