Ein Standpunkt von Tilo Gräser.
Vier namhafte Persönlichkeiten aus unterschiedlichen gesellschaftlichen Bereichen – ein Musiker, ein Militär, ein Pädagoge und ein Politiker – fordern einen „Verständigungsfrieden“ zwischen der Ukraine und Russland. Sie warnen vor den Folgen der weiteren Eskalation, die zu einem alles zerstörenden Atomkrieg führen könne. Diese Gefahr sei heute größer als in den Jahrzehnten zuvor. Ihre Initiative fordert, den Krieg zu eliminieren.
„Nie zuvor war der Mensch einem Armageddon so nahe wie heute, war der Faden des nuklearen Damoklesschwertes über unseren Häuptern so dünn wie heute, das Bewusstsein der Gefahr so wenig präsent wie heute.“ Mit diesen drastisch warnenden Worten rufen Persönlichkeiten zu einer Initiative auf, die den Krieg in der und um die Ukraine einhegen und überwinden soll. Sie sprechen sich für einen „Verständigungsfrieden“ aus, „der den Krieg um die Ukraine in der Perspektive der Sicherheitsinteressen der Ukraine und Russlands einhegt, den Krieg im Rahmen des Völkerrechts schließlich in einem Versöhnungsfrieden überwindet und – in einer umfassenden gesamteuropäischen Sicherheitsarchitektur – auch die Frage von ‚Schuld und Sühne‘ aufhebt“.
Die Unterzeichner der Initiative „Zur Einhegung und Überwindung des Krieges in der Ukraine und um die Ukraine“ haben sich im „Arbeitskreis Gemeinsames Haus Europa“ zusammengefunden. Dazu gehören der Dirigent und Pianist Justus Frantz <1>, der ehemalige Generalinspekteur der Bundeswehr und Vorsitzende des Nato-Militärausschusses Harald Kujat, der Geschäftsführer der Carl-Friedrich von Weizsäcker-Gesellschaft <2>, Bruno Redeker, sowie Horst Teltschik, Berater des früheren Bundeskanzlers Helmut Kohl und ehemalige Chef der Münchner Sicherheitskonferenz.
Die Initiative wurde schon am 12. Februar auf der Webseite der Weizsäcker-Gesellschaft online veröffentlicht <3>, wurde aber bisher medial kaum beachtet. Nur das Schweizer Magazin „Zeitgeschehen im Fokus“ druckte <4> sie bisher ab. Vielleicht ist das der Fall, weil die Initiative sich der einseitigen Schuldzuweisung an Russland verweigert. Dagegen heißt es, „gegenseitige Schuldzuweisungen – selbst da, wo sie zutreffen oder zutreffen sollten – eignen sich weder zur Versöhnung, noch taugen sie zur Einhegung von Kriegen und schon gar nicht für jenen Weg von tausend Meilen, die Institution Krieg als anerkanntes Mittel der Konfliktlösung zu überwinden: ‚Wer da ohne Sünde ist, der werfe den ersten Stein.‘“
Die Autoren berufen sich vor allem auf den Physiker Carl Friedrich von Weizsäcker, der nach dem Zweiten Weltkrieg vor einem Atomkrieg warnte und sich für Frieden einsetzte. Er hatte schon vor Jahrzehnten darauf aufmerksam gemacht, dass es Krieg zu allen Zeiten gab und die Leiden des Krieges uralt sind. Doch seit dem 20. Jahrhundert und vor allem mit der Erfindung der Atombombe sei die Situation „grundlegend anders als alle früheren“. Die moderne Technik könne „den Krieg in eine totale Katastrophe verwandeln“, wird von Weizsäcker zitiert. Weil die Menschheit einen solchen Krieg nicht überleben könne, sei es „notwendig, ihn als Institution zu überwinden“.
Die Initiative der vier Persönlichkeiten verzichtet anders als beispielsweise das vieldiskutierte „Manifest für Frieden“ <5> auf gegen Russland gerichtete Allgemeinplätze. Allerdings liegt auch sie an dem Punkt falsch, wenn es heißt: „Der Krieg ist nach Europa zurückgekehrt, mit dem Krieg um die Ukraine zum zweiten Male nach dem Zweiten Weltkrieg.“ Dabei lassen Frantz, Kujat, Redeker und Teltschik den Nato-Krieg gegen Jugoslawien 1999 aus, ebenso wie die jugoslawischen Teilungskriege zuvor.
Sie verweisen vor allem darauf, dass in die aktuelle Auseinandersetzung in der Ukraine die beiden Großmächte USA und Russland involviert sind, die über 90 Prozent aller nuklearen Waffensysteme verfügen. Ebenso erinnern sie an die Kuba-Krise 1962, in der „wir noch soeben davongekommen“ seien. Der damalige US-Präsident John F. Kennedy habe noch gewusst:
„Vor allem müssen Atommächte, während sie ihre eigenen lebenswichtigen Interessen verteidigen, jene Konfrontation abwenden, die einen Gegner vor die Wahl zwischen einem demütigenden Rückzug oder einem Atomkrieg stellen. Ein solcher Kurs im Atomzeitalter wäre nur der Beweis für den Bankrott unserer Politik – oder für einen kollektiven Todeswunsch für die Welt.“
Nach dem Ende des Kalten Krieges sei das Bewusstsein von der permanenten Gefahr eines Atomkrieges „weitgehen verblasst“, stellen die Autoren fest. Dabei sei diese Gefahr nicht geringer geworden, vor allem in Folge der Entwicklung der Waffentechnik.
Mit der Initiative fordern sie ein „das ganze Bild“ zu sehen. Dazu zählen sie das instabile und riskante „Gleichgewicht des Schreckens“. Aber ebenso die Tatsache, dass „die Ukraine bei allen eigenständigen Zielen de facto letztlich auch für die geostrategischen Interessen der Vereinigten Staaten in der Rivalität mit den beiden anderen Großmächten Russland und China kämpft“. Es gehe dabei nicht nur um die lebenswichtigen Interessen der Ukraine, sondern auch um diejenigen Europas. Dem drohe das Schicksal eines nuklearen Schlachtfeldes, des nuklearen „Armageddons“.
Die Autoren der Initiative schreiben, „unter der Bedingung moderner Technik dürfen Kriege nicht mehr geführt werden. Und wenn sie doch geführt werden, sie so zu ihrem Ende zu bringen, dass dieses Ende nicht ein weiteres Versailles hervorbringt, nicht zum Geburtshelfer von Anschlusskriegen wird.“
Russland dürfe nicht vor die Wahl eines demütigenden Rückzuges oder eines Atomkrieges gestellt werden, warnen die vier Persönlichkeiten: „Im Gegensatz zu einem starken Strom veröffentlichter Meinungen braucht das Gemeinsame Haus Europa nicht allein die Ukraine, sondern ebenso Russland.“ Einem Verständigungsfrieden zwischen der Ukraine und Russland müsse der Weg geebnet werden, der zu einem Versöhnungsfrieden werden und dann in eine gesamteuropäische Sicherheitsarchitektur führen müsse.
Die Autoren der Initiative blicken über den aktuellen militärischen Konflikt in der Ukraine hinaus und sprechen sich dafür aus, die vertrauensbildenden Maßnahmen zwischen Ost und West wiederzubeleben. Sie verweisen auf den Ex-US-Außenminister Henry Kissinger, der den „Westfälischen Frieden“ von 1648 als „neues Konzept der internationalen Ordnung“ beschrieb. Dabei sei es um Verfahrensweisen und nicht um inhaltliche Fragen gegangen. „So konnte jeder als ‚Völkerrechtssubjekt‘ anerkannte Staat – der Idee nach zumindest – seine jeweils eigene Kultur, Politik, Religion und inneren Strukturen bewahren und durch das System gegen Einmischung von außen geschützt sein.“
Die Initiative stellt der kriegsfördernden „Mission universell empfundener Werte“ den „Kompass allgemeingültiger Werte“ entgegen. Diese Orientierung habe 1990 die „Charta von Paris“ ermöglicht, mit der Chance zu einer „Friedens- und Sicherheitsordnung von Vancouver bis Wladiwostok“. Das endgültige Ziel sei es, „die Institution Krieg zu eliminieren“: „Nicht die Elimination der Konflikte, die Elimination einer bestimmten Art ihres Austrags ist der unvermeidliche Friede der technischen Welt“, wird dazu der Physiker von Weizsäcker zitiert.
„Nach wie vor gilt: ‚Keine Sicherheit ohne Amerika‘, aber eben auch: ‚Keine Sicherheit ohne Russland.‘“, so die Autoren. „Und wenn wir noch einmal davonkommen, dann wird ebenso gelten: auch ‚Keine Sicherheit ohne China.“ Am Ende des Textes der Initiative wird noch einmal Kissinger zitiert: „In unserer Zeit, der eine noch unheilvollere Zukunft droht, müssen wir das Notwendige tun, bevor wir von den Ereignissen überrollt werden.“ Und das „zu einem Zeitpunkt, zu dem ein möglicher Ausgang noch nicht abzusehen ist“.
Quellen
<1> https://www.justus-frantz.de/ <2> https://www.cfvw.org/cfvw.html <3> https://www.cfvw.org/cfvw/gesellschaft/initiative/initiative.html <4> https://www.zeitgeschehen-im-fokus.ch/de/newspaper-ausgabe/nr-3-vom-6-m%25C3%25A4rz-2023.html#article_1490 <5> https://www.change.org/p/manifest-f%25C3%25BCr-frieden +++ Dank an den Autor für das Recht zur Veröffentlichung des Beitrags. +++ Dieser Beitrag erschien zuerst am 13. März 2023 bei hintergrund.de +++ Bildquelle: Alones / shutterstock
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