Die militärische Industrie in den USA saugt die Volkswirtschaft aus und bringt Millionen in In- und Ausland den Tod — all das unter dem Beifall einer manipulierten Öffentlichkeit.
Ein Standpunkt von Chris Hedges.Welche Regierung wäre Ihnen lieber — eine, die eine überschaubare Menge Geldes für konstruktive Zwecke ausgibt und dabei den Wohlstand der Bürger mehrt; oder eine, die auf Kosten der Allgemeinheit Unsummen in Werkzeuge des Tötens investiert? Eigentlich wäre diese Frage nicht schwer zu beantworten. Dennoch wählen große Mehrheiten alle vier Jahr in den USA ihren eigenen wirtschaftlichen Niedergang, wählen gefährliche Militärabenteuer an vielen Orten der Welt, den Tod ihrer Kinder und die Verarmung breiter Bevölkerungsschichten. Des Rätsels Lösung: Es gibt in Amerika keine Partei von Gewicht, die Vernunft und Humanität vertritt. Parallel zum parasitären militärisch-industriellen Komplex sorgt eine ebenso potente Medien-Phalanx dafür, dass die Opfer ihrem Ausgesaugtwerden nur selten Widerstand entgegensetzen. Der Parasit wird den Tod seines Wirts und damit letztlich auch seinen eigenen in Kauf nehmen. Wenn ein Ende dieses Evil Empire überhaupt denkbar ist, dann dürfte dieses zuvor Millionen Unschuldige und Missbrauchte mit sich in den Untergang reißen.Die USA sind eine Stratokratie, eine vom Militär dominierte Regierungsform. Für beide herrschenden Parteien gilt es als unumstößlich, sich in einem Stadium der dauerhaften Kriegsvorbereitung zu befinden. Sakrosankt sind die gigantischen Budgets der Kriegsmaschinerie, deren Milliarden Dollar für Verschwendung und Betrug ignoriert werden. Ihre militärischen Fiaskos in Südostasien, Zentralasien und dem Mittleren Osten sind im riesigen schwarzen Loch geschichtlicher Amnesie verschwunden.
Diese Amnesie bedeutet, dass niemals Rechenschaft abgelegt werden muss. Sie erlaubt der Kriegsmaschinerie, das Land wirtschaftlich auszuweiden und das Imperium in einen selbstzerstörerischen Konflikt nach dem anderen zu treiben. Die Militaristen gewinnen jede Wahl. Sie können nicht verlieren.
Es ist unmöglich, gegen sie zu stimmen. Der Kriegsstaat ist eine Götterdämmerung „ohne die Götter“, wie Dwight Macdonald schreibt. Seit Ende des Zweiten Weltkriegs hat die (US-)Regierung mehr als die Hälfte ihrer Steuereinnahmen für vergangene, gegenwärtige und zukünftige Militäroperationen ausgegeben. Dabei handelt es sich um die größte unterstützende Einzelmaßnahme der Regierung. Militärsysteme werden bereits vor ihrer Produktion verkauft — mit der Garantie, dass enorme Kostenüberschreitungen gedeckt werden. Auslandshilfe ist an den Kauf US-amerikanischer Waffen gekoppelt. Ägypten, das etwa 1,3 Milliarden US-Dollar an ausländischer Militärfinanzierung erhält, muss diese Zuwendungen für den Kauf und die Instandhaltung von US-Waffensystemen verwenden. Israel hat seit 1949 von den USA 158 Milliarden US-Dollar an bilateraler Unterstützung erhalten — den Löwenanteil hiervon seit 1971 in Form von Militärhilfe, wobei ein Großteil davon für Waffenkäufe bei US-amerikanischen Waffenproduzenten zurückgeflossen ist. Die US-amerikanische Öffentlichkeit finanziert die Forschung, Entwicklung und Produktion von Waffensystemen und kauft dann eben diese Waffensysteme im Interesse, also für ausländische Regierungen. Es ist ein Kreislauf aus Wohlfahrtsmaßnahmen für Unternehmen. Zwischen Oktober 2021 und September 2022 haben die USA 877 Milliarden US-Dollar für das Militär aufgewendet — das ist mehr als die folgenden zehn Länder zusammen, darunter China, Russland, Deutschland, Frankreich und Großbritannien. Diese enormen Militärausgaben haben gemeinsam mit den steigenden Kosten eines profitorientierten Gesundheitssystems die Staatsverschuldung der USA auf über 31 Billionen US-Dollar getrieben — das sind fast fünf Billionen mehr als das gesamte Bruttoinlandsprodukt der USA. Dieses Ungleichgewicht ist nicht tragfähig — insbesondere dann nicht, wenn der US-Dollar nicht mehr die Weltreservewährung darstellt. Im Januar 2023 haben die USA mit einer Rekordsumme von 213 Milliarden US-Dollar die Zinsen der Staatsschulden bedient. Die mit Kriegspropaganda bombardierte Öffentlichkeit bejubelt ihre Selbstopferung. Sie schwelgt in der verachtenswürdigen Schönheit unserer militärischen Stärke. Sie spricht in gedankentötenden Klischees, die von Massenkultur und Massenmedien ausgespuckt werden. Sie verinnerlicht die Illusion der Allmacht und suhlt sich in Selbstbeweihräucherung.
Der Kriegsrausch ist eine Plage. Er verleiht ein emotionales Hoch, das sich der Logik, der Vernunft und den Fakten entzieht. Keine Nation ist dagegen immun.
Der gravierendste Fehler europäischer Sozialisten am Vorabend des Ersten Weltkrieges war die Überzeugung, dass die Arbeiterklassen Frankreichs, Deutschlands, Italiens, Österreich-Ungarns, Russlands und Großbritanniens aufgrund von Konflikten zwischen imperialistischen Regierungen nicht in widerstreitende Stämme gespalten werden würden. Die Sozialisten versicherten einander, dass sie sich dem selbstmörderischen Abschlachten von Arbeitern in Schützengräben verweigern würden. Dennoch sind fast alle sozialistischen Führer von ihrem Antikriegsstandpunkt abgewichen und haben den Kriegseintritt ihrer jeweiligen Nation unterstützt. Die Handvoll derer, die dies nicht taten, wie Rosa Luxemburg, wurden ins Gefängnis gesteckt. Eine Gesellschaft, die von Militaristen dominiert wird, pervertiert ihre sozialen, kulturellen, wirtschaftlichen und politischen Institutionen, um den Interessen der Kriegsindustrie zu dienen. Das Wesen des Militärs wird durch Vorwände verschleiert: Das Militär wird zur Durchführung humanitärer Hilfsaktionen eingesetzt, es evakuiert gefährdete Zivilisten, wie wir es im Sudan sehen, wo militärische Aggression als „humanitäre Intervention“ bezeichnet wird oder als Möglichkeit, Demokratie und Freiheit zu schützen, oder man singt ein Lob auf das Militär, weil es eine wesentliche zivilgesellschaftliche Rolle übernimmt, indem es jungen Rekruten Führung, Verantwortung, Ethik und bestimmte Fähigkeiten beibringt. Das wahre Gesicht des Militärs — einer Gemetzelindustrie — wird verborgen. Das Mantra eines militarisierten Staates ist die nationale Sicherheit. Wenn jede Diskussion mit der Frage nach nationaler Sicherheit beginnt, enthält jede Antwort Gewalt oder die Androhung von Gewalt. Wenn die Gedanken von internen und externen Bedrohungen beherrscht werden, wird die Welt in Freund und Feind, in Gut und Böse eingeteilt.
Militarisierte Gesellschaften sind ein fruchtbarer Boden für Demagogen. Militaristen wie Demagogen sehen in anderen Kulturen einen Spiegel ihrer selbst: bedrohlich und aggressiv. Sie sind nur auf Vorherrschaft aus.
Es lag nicht in unserem nationalen Interesse, zwei Jahrzehnte lang im ganzen Nahen Osten Krieg zu führen. Es liegt nicht in unserem nationalen Interesse, mit Russland oder China Krieg zu führen. Aber Militaristen brauchen den Krieg wie Vampire das Blut. Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion setzten sich Michail Gorbatschow und später Vladimir Putin für eine Aufnahme in westliche Wirtschafts- und Militärallianzen ein. Ein Bündnis mit Russland hätte die Forderung nach einer Erweiterung der NATO zunichte gemacht — die USA hatten versprochen, diese Erweiterung nicht über die Grenzen Deutschlands hinaus zu verwirklichen. Zudem wäre es unmöglich gewesen, ost- und mitteleuropäische Länder davon zu überzeugen, Milliarden für US-amerikanische Militärguter auszugeben. Moskaus Anregungen wurden abgewiesen. Russland wurde zum Feind stilisiert — ob es wollte oder nicht. Nichts davon brachte uns mehr Sicherheit. Washingtons Entscheidung, sich in die inneren Angelegenheiten der Ukraine einzumischen und 2014 einen Putsch zu unterstützen, führten zu einem Bürgerkrieg und schließlich zur Invasion vonseiten Russlands. Für jene jedoch, die vom Krieg profitieren, ist es ein gutes Geschäftsmodell, Russland sowie China zu Feinden zu erklären. Die Aktienkurse von Northrop Grumman und Lockheed Martin stiegen infolge des Ukrainekonfliktes um 40 beziehungsweise 37 Prozent. Ein Krieg mit dem Industriegiganten China würde die globalen Lieferketten unterbrechen und hätte verheerende Folgen für die US-amerikanische und die Weltwirtschaft. Apple produziert 90 Prozent seiner Produkte in China. Letztes Jahr belief sich der US-Handel mit China auf 690,6 Milliarden (US-Dollar). Im Jahr 2004 war die US-Produktionsleistung mehr als doppelt so hoch wie die Chinas. Heute ist Chinas Produktion fast doppelt so hoch wie die der Vereinigten Staaten. China produziert weltweit die meisten Schiffe, den meisten Stahl und die meisten Smartphones. Es beherrscht die globale Produktion von Chemikalien, Metallen, Schwerindustrieanlagen und Elektronik. Bei den seltenen Erden ist China der größte Exporteur, verfügt über die größten Reserven und ist weltweit für 80 Prozent der Veredelung verantwortlich. Seltene Erden sind unverzichtbar für die Herstellung von Computerchips, Smartphones, Fernsehbildschirmen, Medizingeräten, Leuchtstoffröhren, Autos, Windkraftanlagen, intelligenten Bomben, Kampfjets und Satellitenkommunikation.
Ein Krieg mit China würde zur massiven Verknappung einer Vielzahl von Gütern und Rohstoffen führen — manche davon unerlässlich für die Kriegsindustrie — und US-Unternehmen lahmlegen. Inflation und Arbeitslosigkeit würden in die Höhe schießen. Es käme zu Rationierungen. Globale Aktienmärkte würden zumindest kurzfristig geschlossen.
Eine globale Depression wäre die Folge. Sollte die US-Marine in der Lage sein, Öllieferungen nach China zu blockieren und dessen Seewege zu unterbrechen, könnte der Konflikt nuklear ausgetragen werden. In „NATO 2030: Unified for a New Era“ („NATO: Vereinigt für eine neue Ära“; (Bemerkenswert ist hier die Wahl des Begriffs „unified“ und nicht „united“. Bei „unified“ klingt mit an, dass es jemanden gibt, der die Staaten zusammengeführt hat, wogegen „united“ — vereint — hier neutraler ist; Anmerkung der Übersetzerin) sieht das Militärbündnis die Zukunft als Kampf mit rivalisierenden Staaten, vor allem mit China, um die Hegemonie. Es ruft zu einer Vorbereitung auf einen langwierigen globalen Konflikt auf. Mike Minihan, General der Luftwaffe und Leiter des Air Mobility Command, stellte im Oktober 2022 einer gut besuchten Militärkonferenz sein „Mobility Manifesto“ vor. Während dieser verwirrenden, panikmachenden Hetzrede argumentierte Minihan, dass Amerikas Kinder einer regelbasierten Ordnung unterworfen sein würden, die nur einem Land (China) nützen würde, wenn die USA ihre Kriegsvorbereitungen gegen China nicht dramatisch verschärften. Laut New York Times trainiert die Marine-Infanterie Einheiten für Strandangriffe — das Pentagon geht davon aus, dass die ersten Gefechte mit China hier stattfinden werden, an „der ersten Inselkette“, zu der „Okinawa und Taiwan bis Malysia“ gehören „sowie in der südchinesischen See und an umstrittenen Inseln in den Spratlys und Paracelsen“. Militaristen ziehen Gelder aus Sozial- und Infrastrukturprogrammen ab. Sie lassen Geld in die Forschung und Entwicklung von Waffensystemen fließen und vernachlässigen erneuerbare Energietechnologien. Brücken, Straßen, Stromnetze und Dämme brechen zusammen. Schulen verfallen. Die heimische Produktion ist im Niedergang begriffen.
Die Öffentlichkeit ist verarmt. Die brutalen Formen der Kontrolle, die die Militaristen im Ausland erproben und perfektionieren, finden den Weg zurück in die Heimat. Militarisierte Polizei. Militarisierte Drohnen. Überwachung. Riesige Gefängniskomplexe. Aufhebung grundlegender Bürgerrechte. Zensur.
Jene wie Julian Assange, die die Stratokratie herausfordern, die deren Verbrechen und selbstmörderischen Wahnsinn aufdecken, werden erbarmungslos verfolgt. Der Kriegsstaat jedoch birgt in sich die Saat seiner eigenen Zerstörung. Er wird die Nation ausschlachten, bis sie zusammenbricht. Davor aber wird er um sich schlagen wie ein geblendeter Zyklop, in dem Versuch, seine schwindende Macht durch willkürliche Gewalt wiederherzustellen. Die Tragödie besteht nicht darin, dass sich der US-Kriegsstaat selbst zerstören wird. Die Tragödie besteht darin, dass wir dabei so viele Unschuldige mit uns reißen werden. +++
Dank an den Autor für das Recht zur Veröffentlichung des Beitrags.
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Dieser Beitrag erschien zuerst am 18. Juli 2023 bei manova.news
+++ Redaktionelle Anmerkung: Dieser Text erschien zuerst unter dem Titel „The Enemy from Within“ bei The Chris Hedges Report. Er wurde von Gabriele Herb ehrenamtlich übersetzt und vom ehrenamtlichen Manova-Korrektoratsteam lektoriert.
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Bildquelle: Juergen Nowak/ shutterstock
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