Ein Standpunkt von Anke Behrend.
Wer schwanger werden kann, ist kein Mann – das gilt nicht mehr. Im Zeitalter der alternativen Wahrheiten und in Aussicht stehenden Zwangsmedikationen kann man sich immerhin sein Geschlecht aussuchen.
Die Schwangerschaft des Mannes ist kein Meilenstein der Reproduktionsmedizin, für deren Umsetzung auf Grund massenhafter Nachfrage seit Jahren größte Anstrengungen unternommen worden wären. Anstrengungen wurden durchaus unternommen. Sie waren allerdings ideologischer Art. Ende Januar 2022 präsentierte der US-amerikanische Hard- und Softwareentwickler Apple seine neuen Emojis (Bildschriftzeichen), darunter den »schwangeren Mann«.
Menschen, die schwanger werden können, sind nach wie vor mit den dafür notwendigen Organen und Hormonen ausgestattet, die ihr Körper gemäß ihrer Genetik, dem nicht vorhandenen Y-Chromosom, ausbildet. Diese unumgängliche Tatsache nannte man bisher Geschlecht – unabhängig davon, wie die Person sich kleidet, verhält, fühlt oder sozial einordnet. Das Geschlecht war bisher in der gesamten belebten Natur eine biologische Kategorie zur Beschreibung der Fortpflanzungsfunktion eines Organismus, die durch mannigfaltige aber seltene Fehlbildungen nicht in ihrem Wesen negiert oder zu einem Spektrum wird.
Daneben existiert das soziale Geschlecht, das natürlich und zwangsläufig dem biologischen nachrangig ist, denn die meisten Spezies mit biologischer Fortpflanzung verfügen nicht über ein Sozialleben. Für das soziale Geschlecht, das Gender, existiert im Deutschen kein eigener Begriff. Es umfasst die gesellschaftlichen Zuschreibungen, Erwartungen und Erzählungen, die Angehörige der biologischen Kategorie Geschlecht betreffen. Sie fungieren als soziale Platzanweiser, werden nahezu unmerklich praktiziert und als unabänderlich und natürlich begründet mit der Biologie. Egal wie unterschiedlich und gegensätzlich diese Zuschreibungen sein mögen, gerät »Frauen als Gruppe« ihre Biologie als Legitimation für Rollenzwänge zum Nachteil.
Rollenzwänge überwinden
Völlig zu Recht entwickelte sich im Zuge der Aufklärung die Emanzipationsbewegung zur Befreiung beider Geschlechter von limitierenden Zuschreibungen, denn auch Männer werden durch Rollenzwänge eingeschränkt. Die Gesellschaft sollte so beschaffen sein, dass jeder Mensch mit seinem individuellen Körper seine individuellen Bedürfnisse möglichst frei erfüllen kann. Die Lebensperspektiven für Frauen und Männer erweiterten sich. Doch auch starke Beharrungskräfte traten auf den Plan, denn es gab Machtpositionen und Einfluss zu verlieren.
Mit dem Einsickern der Identitätspolitik in die feministischen Bewegungen begann eine Umdeutung der Begriffe Geschlecht (engl. Sex) und Gender. Nun wurde die sogenannte Geschlechtsidentität mehr und mehr zum bestimmenden Maßstab. Sie bezeichnet, wie eine Person sich selbst »identifiziert«, gegebenenfalls auch losgelöst von ihrer Biologie. Inzwischen ist folglich eine schwangere Person, die sich als Mann fühlt und identifiziert, ein schwangerer Mann.
Diese Deutung steht dem ursprünglichen Ansatz der Emanzipation, Rollenzwänge zu überwinden, diametral entgegen. Denn ein Geschlecht, das sich nicht mehr biologisch verifizieren lässt, ist für seine Definition zwangsläufig auf Gender-Zuschreibungen angewiesen und kann diese nicht überwinden, ohne sich selbst abzuschaffen. Somit ist klar, dass die Emanzipation von Rollenzuschreibungen, also die Emanzipation der Geschlechter, nicht das Ziel der Identitätspolitik ist.
Die Frage lautet also: was ist das Geschlecht?
Ist es eine subjektive Identität oder eine verifizierbare Realität, über die man mit allgemein verständlichen und gültigen Begriffen sprechen kann? Faktisch oder postfaktisch? Wenn Geschlecht eine Identität ist, welche Geschlechter haben Lebewesen ohne Identität? Wie bezeichnen wir Menschen mit unterschiedlicher Genetik und Organen? Es existieren Fremdbezeichnungen aus dem identitätspolitischen Lager: Menstruators, Uterushaver oder »Menschen mit Vulva«, die Frauen wie in voremanzipatorischen Zeiten auf ihre Biologie reduzieren. Doch einen schwangeren Mann nicht Mann zu nennen, ist in diesem Umfeld ein Hassverbrechen.
Der biologische Unterschied zwischen den Geschlechtern hat einen Einfluss auf die Lebensführung, die Gesundheit und die Biografie. Er sollte jedoch keinen Einfluss auf die Freiheit einer Person, ihre Lebenschancen und ihre Stellung in der Gesellschaft haben oder sie zu stereotypem Verhalten nötigen. Das Geschlecht mit dem Gender – die Biologie mit dem Sozialen – gleichzusetzen, ist ein Rückfall in voremanzipatorische Zeiten und im Wesen reaktionär.
Da hilft es wenig, wenn Menschen die Rollenzuschreibungen ablehnen, sich selbst als geschlechtslos, agender, nichtbinär oder dergleichen bezeichnen. Zwar mögen die Gender-Zuschreibungen binär oder sogar disparat daherkommen, das menschliche Sozialverhalten ist es nicht. Unabhängig von der Binarität in der Biologie vereint jeder Mensch das gesamte Spektrum an Eigenschaften und Verhaltensweisen in sich und wäre nach postmoderner Lesart faktisch genderfluid. Menschen ohne biologisches Geschlecht existieren nicht, ohne soziale Zuschreibungen aber auch nicht.
Kann man sich überhaupt als Mann oder als Frau fühlen?
Wie fühlt es sich an, eine Fledermaus zu sein? Wir werden es niemals wissen, wie der US-amerikanische Philosoph Thomas Nagel 1974 in seinem Essay »What Is It Like to Be a Bat?« ausführte. Wir werden nicht einmal wissen, wie es sich anfühlt, eine andere Person zu sein, geschweige denn eine andere Biologie oder einen anderen Körper zu haben. Einen »falschen« Körper kann es nicht geben, denn jeder hat nur diesen einen, egal wie man ihn verändern mag.
Es gibt keine Norm, keinen Vergleich oder Standard, wie ein »Mann« sich zu fühlen hat. Aber ganz sicher wird das Erleben der eigenen Existenz ein anderes sein, wenn man einige Jahrzehnte seines Lebens menstruiert, schwanger werden und Kinder gebären kann. Jeder Mensch kann sich nur als sich selbst fühlen, denn das Fühlen ist höchst individuell und abhängig von den subjektiven Wahrnehmungen, dem eigenen Körper und der individuellen Sozialisation.
Unbenommen kann man Rollenzuschreibungen für sich ablehnen, annehmen und gestalten. An der Biologie ändert dies freilich nichts. Man kann sich also als Mitglied einer Gruppe fühlen, an die diese oder jene Rollenzuschreibungen gerichtet sind und die gemeinsame biologische Eigenschaften aufweist. Aus letzteren kann man sich nicht heraus-identifizieren oder heraus-definieren.
Was macht eine Frau aus? Röcke, Hosen, lackierte Fingernägel sind Moden. Weder das Geschlecht eines Menschen noch seine Identität sind eine Mode, denn Moden ändern sich innerhalb kürzester Zeit. Wer den Rollenerwartungen nicht entsprechen möchte, hat die Freiheit, dies zu tun. Die Gleichsetzung von Geschlecht und Gender ist dafür weder notwendig noch emanzipatorisch.
Worum geht es im Kern?
Es geht um Macht: um die Definitionsmacht. Es ist der Kampf des Postfaktischen gegen die Realität. Auf einem Frauenqoutenplatz der Fraktion der Grünen sitzt seit dieser Legislaturperiode mit Tessa Ganserer eine Transfrau im Bundestag. Ganserer ist biologisch und juristisch männlich und nimmt den Platz einer biologischen Frau ein. Die Jungen Liberalen Bayern erteilen kritischen Feministinnen Sprechverbot, »Transfrauen sind Frauen, keine Diskussion! «. Dabei gäbe es einiges zu diskutieren, denn selbstverständlich müssen Transpersonen im Parlament ihren Platz bekommen. Warum nicht eine Quote für Transpersonen?
In der Süddeutschen Zeitung vom 18. Februar 2022 forderte die Schriftstellerin Nele Pollatschek konsequenterweise »Schafft die Frauen ab«, denn die Verwendung des Wortes Frau könnte bei Transpersonen Missempfinden auslösen. Begriffe wie Mutter und Vater, Muttermilch, Muttersprache stehen zur Disposition. Die Trans-Schwimmerin Lia Thomas ist nicht die erste Transperson, die im Frauensport sämtliche Rekorde bricht und biologisch weibliche Konkurrentinnen abdrängt.
Die Inklusion von Transpersonen hat sich von der guten Absicht ins Gegenteil verkehrt und ist frauenfeindlich und exkludierend geworden. Selbstdeklaration meist biologisch männlicher Personen wiegt schwerer als die biologische und sexuelle Lebensrealität von Frauen. Ihre Begriffe, ihre Räume und Selbstbezeichnungen werden männlicher Fremdbestimmung unterworfen. Frauenrechte werden faktisch von biologischen Männern ad absurdum geführt. Nur wenige trauen sich im Klima der Cancel Culture (systematische Bestrebungen zum Ausschluss von Personen oder Organisationen) zu widersprechen. Steht doch sofort der Vorwurf der Transfeindlichkeit im Raum, schickt Kritiker in die rechte Ecke und bringt sie zum Schweigen.
Erwähnt sei an dieser Stelle die Initiative »Geschlecht zählt« (geschlecht-zaehlt. de) zur Aufklärung über das geplante Selbstbestimmungsgesetz, welches unter anderem die Änderung des Geschlechtseintrags und »geschlechtsangleichende« medizinische Behandlungen ab dem 14. Lebensjahr per Sprechakt (Selbstauskunft) ohne Einwilligung der Eltern vorsieht und Jugendliche einer boomenden »geschlechtsangleichenden« Medizin zuführt. Überdies soll es ein sanktionsbewehrtes Offenbarungsverbot geben, was bedeutet, dass nach der Geschlechtsänderung der Name oder das vormalige Geschlecht nicht mehr genannt werden dürfen. Während also die gefühlte Identität der einen kompromisslos zu respektieren ist, ist die faktische Identität der anderen nur noch Verfügungsmasse.
Eine neue totalitäre Ideologie
Feministinnen und mutige Frauen wie die britische Schriftstellerin J.K. Rowling sehen und thematisieren diese Entwicklungen seit Jahren – von der Öffentlichkeit belächelt und vom woken »Feminismus« niedergebrüllt, verfemt und gecancelt. Nun endlich, es könnte bereits zu spät sein, ist die verhinderte Debatte im Mainstream angelangt: »Nach Nationalismus und Kommunismus wächst eine neue totalitäre Ideologie heran, ich nenne sie ›identitär‹, andere ›woke‹«, schreibt Harald Martenstein kürzlich in der Welt, nachdem auch er ohne Diskussion für ein Denk- und Sprechverbrechen gecancelt wurde.
Die Woke-Ideologie (»erwacht«) ist längst nicht mehr ein Geschlechterthema, ein Gedöhns. Denn während einige Ewiggestrige händereibend die Selbstzersetzung des Feminismus bejubeln, breitet sich eine Ideologie der Denk- und Sprechverbote aus. Eine neue Irrationalität greift Raum und bedroht unser aller Freiheit – wie immer im Namen einer »guten Sache«. Mit ihren niedrigschwelligen Formeln und Dogmen bietet sie moralische Selbsterhöhung und das wärmende Gefühl der richtigen Seite. Dieses Gefühl ist trügerisch und gefährlich. Das lehren uns Geschichte und Gegenwart. »Wenn das Denken die Sprache korrumpiert, korrumpiert die Sprache auch das Denken.« – George Orwell
Anke Behrend ist Redakteurin der Wochenzeitung Demokratischer Widerstand. Der DW ist die einzige staats-, konzern-, und parteiunabhängige Zeitung in deutscher Sprache. Sie wurde von Anselm Lenz gegründet und erscheint seit 17. April 2020. Der DW ist durch Verteiler in ganz Deutschland, Österreich und der Schweiz schnell zu einer der auflagenstärksten Wochenzeitungen in Europa geworden. Durch ein reguläres Postversandabonnement baut sich der Stamm der Zeitung immer weiter aus. Weiteres unter demokratischerwiderstand.de.
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Wir danken der Autorin für das Recht zur Veröffentlichung des Beitrags.
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Bildquelle: Olena Yakobchuk/ shutterstock
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