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Der Skandal um von der Leyens Impfstoff-Megakäufe | Von Norbert Häring

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Der Skandal um von der Leyens Impfstoff-Megakäufe bei Pfizer wird immer größer

Ein Standpunkt von Norbert Häring.

Weil die Presse so umfassend und allgegenwärtig nicht über die Nachverhandlungen der EU-Kommission mit Pfizer über die viel zu vielen bestellten und bezahlten „Impfstoffe“ berichtet, will ich hier entgegen meiner Gewohnheit das Urheberrecht verletzen und einen zusammenfassenden Tweet-Text des EU-Parlamentariers Martin Sonneborn wiedergeben. Ich bin zuversichtlich, dass er mir das verzeiht.

Hier der etwas gekürzte Tweet von Sonneborn vom 6. Mai. Er scheint das Aktuellste und Informativste zu sein, was man zu dem Thema lesen kann. Die Lektüre des ausführlichen Textes ist ausdrücklich empfohlen, weil noch unterhaltsamer. Die Zwischenüberschriften sind von mir. Das atemberaubende mutmaßliche Zwischenergebnis der Neuverhandlung finden sie ganz unten unter Zusammenfassung:

„Guten Tag draußen an den Geräten,

gerade ist ein Zwischenergebnis der Nachverhandlungen zwischen der EU-Kommission und dem US-Pharmagiganten Pfizer durchgesickert – allerdings nicht zu uns oder ihnen da draussen, sondern zu Journalisten der britischen Financial Times und der Nachrichtenagentur Reuters.

Wenn deren Berichte zutreffen, dann schlägt die Kommission vor, die Pfizer gegenüber bestehende Zahlungsverpflichtung in Höhe von 10 Mrd. Euro durch eine Pfizer gegenüber bestehende Zahlungsverpflichtung in Höhe von 10 Mrd. Euro zu ersetzen. Ein interessantes Hütchenspiel.

Und während wir uns noch fragen, warum wir diesen Knaller nicht auch in der deutschen Presse finden können, wollen wir Entstehung & Inhalt der EU-Impfstoff-Verträge noch einmal kurz rekapitulieren.

Wie die Verträge zustande kamen

Im Mai 2021 hatte die Kommission den größten Deal der Pharmageschichte abgeschlossen. Nach zwei ersten Vereinbarungen (vom November 2020 und Februar 2021) mit Pfizer/Biontech über den Kauf von (insgesamt) 600 Mio. Dosen gab sie eine nochmalige Bestellung über zusätzliche 900 Millionen Dosen auf – mit einer Option auf 900 Millionen weitere, die (dankenswerterweise) nie ausgelöst wurde.

Es war der mit Abstand umfangreichste aller EU-Impfstoffverträge – und mit einem mutmaßlichen Volumen von 35 Mrd. Euro auch der größte Kaufvertrag, den die Kommission je mit einem singulären Marktakteur geschlossen hat. Allein das ist Grund genug für eine genauere Betrachtung.

Mit diesem dritten Pfizer-Vertrag stieg nicht nur die Abnahmemenge um 25% sondern auch der Preis: von 15,50 auf 19,50 Euro pro Dosis. Ein historisch einmaliger Megadeal, bei dem mit zunehmender Abnahmemenge auch die Stückpreise steigen? (…)

Zudem verschaffte die Kommission dem Unternehmen Pfizer, das den Markt bereits zuvor dominiert hatte, damit das Quasi-Monopol für den EU-Impfstoffmarkt – ein offener Verstoß gegen das – ansonsten mit Argusaugen gehütete – EU-Wettbewerbsrecht. Zu guter Letzt wurden sowohl Herstellerhaftung als auch spätere Vertragsanpassungen und Ausstiegsklauseln weitestgehend ausgeschlossen. (…)

Von von der Leyen persönlich ausgehandelt

Zustande gekommen war er übrigens, nachdem Frau von der Leyen über Monate in direktem fernmündlichen & kurznachrichtlichen Austausch mit Albert Bourla gestanden hatte, dem CEO eines weltbekannten Potenzmittelproduzenten, der ausweislich seiner eigenen Unternehmensgeschichte als bestenfalls unseriös eingestuft werden muss, wenn nicht gar als kryptokriminell. Kein anderer Pharmakonzern auf der ganzen Welt musste seiner Geschäftspraxis wegen so häufig von Behörden und Gerichten gemaßregelt werden wie Pfizer, im Durchschnitt viermal pro Jahr. In 22 Jahren bringt das Unternehmen es auf 90 dokumentierte Sanktionsmaßnahmen, denen teils gravierende Rechtsverstöße vorausgegangen sind. (Und das sind nur die, die aufgeflogen sind.)

Von der Leyen hat die offiziellen EU-Vertragsgespräche mit der Pharmaindustrie, die nach einem festgelegten Protokoll von mandatierten Verhandlungsführern und Experten der Kommission durchzuführen waren, allem Anschein nach erfolgreich unterlaufen und die Verhandlungen für diesen dritten, größten, teuersten, wettbewerbsverzerrendsten und stümperhaftesten Pfizer-Vertrag in seinen entscheidenden Teilen an sich gezogen – unter Überschreitung ihrer Amtszuständigkeit als Kommissionspräsidentin und Verletzung der für EU-Beamte verbindlichen Verfahrensvorschriften.

Das würde jedenfalls erklären, warum die Kommission dem Europäischen Rechnungshof für diesen einen Vertrag – im Unterschied zu allen anderen – keinerlei internes Bürokratiebeiwerk vorlegen konnte, keine Verhandlungsmitschriften, keine Vorverträge, keine handgekritzelten Galgenmännchen mit Zahlen dran, nichts.

Verträge werden hartnäckig geheim gehalten

Seit zwei Jahren verweigern Kommission und von der Leyen, die ihre Transparenzverbundenheit immer mit ohrenbetäubend geschmacklosen Verbalkaskaden simuliert hatte, nun schon die Veröffentlichung der abgeschlossenen Verträge – selbst Parlament und Untersuchungsausschuss bekommen nichts als durch Schwärzung unkenntlich gemachte Ausfertigungen zu Gesicht.

Ebenso kategorisch verweigern sie die Herausgabe der vertragsvorbereitenden SMS-Nachrichten zwischen von der Leyen und Bourla – und widersetzen sich damit nicht nur dem (rechtmäßigen) Auskunftsbegehren von Journalisten und EU-Abgeordneten, sondern auch den Anfragen der Europäischen Bürgerbeauftragten Emily O’Reilly und sogar der (ziemlich) nachdrücklichen Aufforderung des Europäischen Rechnungshofes.

(…) Über zwei Jahre nach den in Frage stehenden Vertragsabschlüssen kommt die weitere Aufrechterhaltung dieser institutionellen Intransparenz allmählich einem Akt böswilliger politischer Behinderung gleich, einer „Obstruktion“, so die Europäische Bürgerbeauftragte Emily O’Reilly, die es in höchstem Maße „verwirrend“ findet, dass von der Leyen sich immer noch weigert, auf die zahllosen Beschwerden und Klagen (u.a. von der New York Times) auch nur einzugehen. (…)

Und während die strafrechtliche Untersuchung der ursprünglichen Verträge durch die Europäische Staatsanwaltschaft EPPO, bekannt seit Oktober letzten Jahres, noch in vollem Gange ist, hat die Kommission es schon wieder getan.

Neuverhandlungen im Geheimen

Sie hat sich in neue Verhandlungen mit Pfizer begeben – natürlich nicht ohne die dezidierte Absicht, jede ihrer bisherigen Verfehlungen noch einmal in Zeitlupe zu wiederholen: Wieder wird hinter verschlossenen Türen in geheimen Verhandlungen unter Ausschluss der Öffentlichkeit und Umgehung ihrer eigenen Rechenschaftspflicht über die Verwendung von EU-Geldern zum EU-weiten Ankauf von Produkten eines einzigen US-Herstellers entschieden. Deutlicher könnte ein hinter institutionellem Gestrüpp verschanztes System seine notorische Unfähigkeit zur Selbstkorrektur nicht mehr zeigen.

Die zugänglichen Informationen sind daher erneut spärlich und nicht frei von Unklarheiten. Wir wagen es dennoch, uns das aktuelle Geschehen wie folgt zusammenzureimen.

Es geht um die Anpassung des gigantischen dritten von der Leyen-Pfizer-Vertrages, mit dem die Kommission sich zur Abnahme von 900 Mio. Dosen bis Ende 2023 verbindlich verpflichtet hatte. Etwa 400 Mio. dieser Einheiten wurden bereits geliefert, die restlichen 500 Mio. müssen in diesem Jahr von den EU-Mitgliedern noch abgenommen werden.

Unnötig zu erwähnen, dass die Nachfrage nach Impfstoffen praktisch zum Stillstand gekommen ist, während die Impfstofflager aus allen Nähten platzen und alle zuvor durch Aufdruck (sogar in Blindenschrift) angekündigten Verfallsdaten – eines nach dem anderen – nun überraschenderweise auch tatsächlich eingetreten sind. (…)

Erstaunlicherweise hat auch die Kommission sich lange dagegen gesträubt, diese bombastische Mutter aller verunglückten Verträge noch einmal anzurühren – trotz eines nicht mehr zu übersehenden Überangebots an Impfstoff in der EU. Erst nach massivem Druck aus Bulgarien, Polen, Ungarn, Litauen, Italien, Österreich, Rumänien u.a. erklärte sich die Kommission zur Aufnahme von Nachverhandlungen bereit, wenn auch mit einem markerschütternden Zähneknirschen der Stufe 8 (Richter-Skala).

Ausgangspunkt der Nachverhandlungen sind die noch (NICHT) abzunehmenden 500 Millionen Dosen. Beim Listenpreis von 20 Euro/Dosis ergibt das eine (aus dem 2021 abgeschlossenen Laien-Vertrag stammende) Verbindlichkeit in Höhe von 10 Mrd. Euro.

Der Financial Times zufolge sieht der nachverhandelte Vertrag nun vor, die abzunehmende Impfstoffmenge von 500 Mio. Dosen auf insgesamt 280 Mio. zu reduzieren. Abgenommen werden sollen künftig 70 Mio. Dosen pro Jahr bei gleichzeitiger Streckung des Lieferzeitraums bis 2026. Pfizer sei bereit, die ursprünglich bestellten, nun aber nicht abgenommenen Einheiten gegen eine Stornogebühr von 10,- Euro/Dosis zu streichen. Dies aber nur, wenn die EU im Gegenzug einen höheren Preis für die bis 2026 zu liefernden Dosen akzeptiere. In dunklen Schulhofecken (und der Pharmabranche) nennt man so etwas eine Flexibilitätsgebühr.

Wenn wir uns nicht verrechnet haben, dann macht das bei 220 Millionen in Abweichung zum ursprünglichen Vertrag zu streichenden Impfdosen einen Betrag von 2,2 Mrd. Euro. 2,2 Mrd. Euro Stornogebühr für eine nicht zu erbringende Leistung – das klingt nach einem Geschäft, das wir auch gern mal machen würden. (…)

In einer schriftlichen Stellungnahme von Gesundheitskommissarin Stella Kyriakides heißt es, man habe neben dieser „erheblichen Verringerung der Dosen“ (Stornogebühr: 2,2 Mrd.) auch die „Verlängerung unseres Vertrags bis weit über das Jahr 2023 hinaus“ erreicht.

Verlängerung, Sie haben richtig gehört. Dem neuesten Entwurf zufolge will die Kommission sich verpflichten, bis 2026 jährlich 70 Millionen Dosen abzunehmen, um ihren „Umstieg auf neuere Impfstoffe“ zu organisieren. Diese sind allerdings nicht mehr nach der bisherigen (20 Euro/Schuss), sondern einer noch unbekannten neuen Preisliste zu vergüten, die für jeden künftig angepassten Impfstoff einen gleichermaßen angepassten höheren Preis vorsieht.

Wenn wir uns nicht verrechnet haben, dann kommen damit nochmals mindestens 5,6 Mrd. Euro aus verbindlichen EU-Verträgen auf die Sparbücher und Offshore-Konten von Pfizer zu, falls diese bis dahin nicht geborsten sind. Und angesichts des von Pfizer aktuell in den USA aufgerufenen Verkaufspreises von 110 – 130,- Dollar/Dosis wird uns so schwindelig, dass wir das Ergebnis hier nicht mehr zuverlässig ausrechnen können.

Zusammenfassung

Fassen wir kurz zusammen: Die Kommission schlägt vor, auf 220 Mio. ursprünglich bestellte Pfizer-Dosen gegen eine Stornogebühr von 2,2 Mrd. Euro zu verzichten, und gibt im Gegenzug eine als umwidmende Nachverhandlung getarnte Neubestellung über 280 Mio. Einheiten auf, die mit einer Summe zwischen 5,6 Mrd. und einer anderen, die wir nicht mehr zuverlässig ausrechnen können, zu Buche schlägt.

Damit ersetzt sie eine Pfizer gegenüber bestehende Zahlungsverpflichtung in Höhe von (ziemlich genau) 10 Mrd. Euro durch eine Pfizer gegenüber bestehende Zahlungsverpflichtung in Höhe von (mindestens) 10 Mrd. Euro.

Unnötig zu erwähnen, dass Pfizer – Stichwort Steueroptimierung – seine in der EU erwirtschafteten Gewinne, bevor sie endgültig abfließen, natürlich über die noch legalen EU-Steueroasen Irland, Niederlande und Luxemburg abwickelt – zu einem Steuersatz, der Ihnen da draußen Tränen in die Augen treiben dürfte (12,5%).

Und unnötig zu erwähnen, dass die Kommission dem Unternehmen damit zum zweiten Mal die unangefochtene Monopolstellung im europäischen Covid-Impfgeschäft verschafft. „Wenn BioNTech/Pfizer in den nächsten Jahren etwa 70 Mio. Dosen pro Jahr liefert, ist das so ziemlich der gesamte Markt“, zitiert die Financial Times „eine mit den Verhandlungen vertraute Person“. Das ist nicht nur ein erneuter Verstoß gegen das EU-weit sakrosankte Wettbewerbsprinzip, sondern steht auch in krassem Gegensatz zum Gebot der Diversifizierung, das für die EU-Beschaffungspolitik nicht weniger gilt als für ihr Gesundheitsportfolio: „Die Diversifizierung des Portfolios ist entscheidend“, sagt die Leiterin der Europäischen Arzneimittelagentur, Emer Cooke. (…)

Dasselbe Prinzip gilt übrigens auch für die zunehmend enthemmten Waffen- und Munitionskäufe Ihrer EU. Die Bewilligung von Projekten aus dem 8 Mrd. Euro schweren Europäischen Verteidigungsfonds hat die Kommission einem undurchsichtigen Netz externer Experten übertragen, ohne dass die Vermeidung von Interessenskonflikten und die Einhaltung des EU-Verhaltenskodex dabei auch nur annähernd gesichert wären. Die Bürgerbeauftragte Emily O’Reilly

„wies darauf hin, dass die Namen dieser Experten nirgends zu finden sind – was für EU-Verhältnisse ungewöhnlich ist und ihrer Meinung nach eine öffentliche Kontrolle untergräbt.“ (Politico) (…)

P.P.P.S.: Ein von der französischen Grünen Michèle Rivasi eingebrachter Antrag, den Pfizer-Lobbyisten im Gegenzug für die Missachtung der europäischen Demokratie wenigstens ihren privilegierten Zugang zu den EU-Institutionen zu beschneiden, wurde vom Präsidium des Europäischen Parlaments blockiert, dem neben dem Gesicht von Parlamentspräsidentin Roberta Metsola auch die weltbekannten Vizes Rainer Wieland (CDU), Katarina Barley (SPD) und Nicola Beer (FDP) angehören. Man wolle, ließ das Präsidium wissen, Frau von der Leyen hierzu selbst befragen, höchstens unter Beiziehung der Fraktionsvorstände, aber unter Ausschluss jeder Öffentlichkeit, versteht sich. Und auch das erst irgendeines fernen Tages, wie wir sehen, denn seither sind ja erst zehn Präsidiumssitzungen und zehneinhalb Wochen verstrichen.“

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Dank an den Autor für das Recht zur Veröffentlichung des Beitrags.

+++ Dieser Beitrag erschien zuerst am 17. Mai 2023 bei norberthaering.de

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Bildquelle:  cortex-film / shutterstock


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