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"Der Ukraine-Konflikt" – Gut recherchiertes Sachbuch mit vielen Kontextinformationen

"Der Ukraine-Konflikt" – Gut recherchiertes Sachbuch mit vielen Kontextinformationen


Eine Rezension von Eugen Zentner.

Der Hintergrund-Verlag hat ein weiteres Buch aus seiner Reihe «WISSEN KOMPAKT» herausgebracht. Ging es im vorherigen Werk um die Wandlung der Grünen, steht nun der Ukraine-Konflikt im Mittelpunkt. Auf knapp 85 Seiten erläutert Autor Georg Auernheimer schlaglichtartig, wie Russlands Nachbarland zum Kriegsschauplatz wurde, allerdings aus einer andren Perspektive und mit einem gewissen Verständnis für Moskau. Es gehe nicht darum, "diesen Krieg zu rechtfertigen", schreibt er an einer Stelle, sondern die Maßstäbe zurechtzurücken, "die in der westlichen Propaganda stark verrückt worden sind".

Auernheimer, seit Jahren als Wissenschaftler und Publizist mit politischen Themen beschäftigt, hat sich breit informiert. In seinem Buch verweist er sowohl auf Leitmedien und alternative Nachrichtenportale, greift auf Daten der Statista zurück, zitiert ehemalige Pentagon-Mitarbeiter, Investigativjournalisten oder Aussagen aus Oliver Stones Dokumentarfilm "Ukraine on Fire", der die Vorgeschichte des Konflikts seit dem Maidan-Aufstand 2014 nachzeichnet. Dort setzt auch Auernheimer an, geht aber zeitlich etwas weiter zurück, um gleich im ersten Kapitel den geopolitischen und geschichtlichen Kontext zu liefern. Dort wird zum Beispiel daran erinnert, dass die USA die Ukraine seit 2014 mit enormen Finanzhilfen und Waffenlieferungen unterstützen.

Dahinter stünden Interessen, die Washington schon länger verfolge. Als eines davon nennt Auernheimer die Vereitelung einer eurasischen Kooperation zwischen EU und Russland. Damit in Verbindung stehe das Interesse, auf dem europäischen Markt als Hauptlieferant fossiler Energie zu agieren und Moskau als Konkurrenten auszuschalten. Diese Thesen stützt der Autor auf der sogenannten strategy of predominance – der Strategie der Vorherrschaft, die die Geopolitiker der USA nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion ausgearbeitet haben. Die Leitlinien, zitiert er aus dem Original, empfahlen, "jede feindliche Macht daran zu hindern, Regionen unter ihre Kontrolle zu bringen, deren Ressourcen es ihr erlauben würden, den Status einer Großmacht zu erlangen".

Von diesem geopolitischen Kontext geht Auernheimer zur Orangen Revolution über, den er als Putsch bzw. einen Regierungsumsturz bezeichnet. Der Akzent der Ausführungen liegt vor allem auf dem Einfluss rechter Gruppierungen, um die es auch dann geht, wenn der Autor den langen Prozess des "Nation Building" zusammenfasst. Dieses Kapitel ist vielleicht das interessanteste im Buch, weil es geschichtlich beleuchtet, woher der ausgeprägte Nationalismus herrührt und welche Ursachen er hat. Teile der heutigen Ukraine, lernen die Leser, waren schon immer ein Spielball größerer Mächte und lebten nicht nur unter der Herrschaft der Sowjetunion, sondern auch Polens oder der K.u.K.-Monarchie.

So schwierig sich die Bildung einer Nation gestaltet, schreibt Auernheimer, so dominant seien mittlerweile die rechten Gruppierungen: "Nationalistische, teilweise faschistoide Kampfverbände waren maßgeblich an dem achtjährigen Krieg der ukrainischen Regierung gegen die abtrünnigen Verwaltungsbezirke beteiligt. Sie trugen die Bodenkämpfe aus. Brüche des Waffenstillstands gingen oft auf ihr Konto." Ihr Einfluss beschränke sich jedoch nicht auf das Militär, sondern weite sich auf alle gesellschaftlichen Bereiche aus. Den Rechten, so Auernheimer, sei es gelungen, "was in den 1960er Jahren in vielen Ländern den Linken gelungen war, nämlich die Kultur- und Subkulturszene für sich zu vereinnahmen und damit besonders für Jugendliche attraktiv zu werden".

Welche Dimensionen das angenommen hat, demonstriert er anhand des Asow-Regiments, das mehr als eine Organisation mit einem militärischen Zweig sei. Da sie rund 20.000 Anhänger zähle, stelle sie mittlerweile eine Bewegung dar: "Asow hat einen Jugendverband und ein Netzwerk von Jugendcamps", schreibt Auernheimer, indem er sich auf die Recherchen des kanadischen Journalisten Michael Colborne bezieht. Das Regiment betreibe „Kampfsportvereine, Buchclubs, soziale Zentren, Tattoo-Studios (sic), aber auch eine Kunstgalerie“. Diese und andere Institutionen trügen zu einem Kulturkampf bei, der in einer Geschichtsrevision gipfele. Betroffen sei vor allem die russische Kultur: "In Kiew und anderen Städten wurden Straßen und Plätze umbenannt. Denkmäler, die an die Sowjetära erinnerten, waren schon in den Jahren vorher gestürzt worden. Nun wurden aber im August 2022 von der Kiewer Stadtverwaltung nicht nur die Namen derer, die an diese Ära erinnerten getilgt, und auch nicht nur der Name des Zaren Peter, sondern auch die Namen russischer Schriftsteller, Künstler etc. aus dem 19. Jahrhundert."

Während die Vorgeschichte des Konflikts und der Einfluss des rechtens Sektors in der Ukraine viel Platz bekommen, wird der gegenwärtige Krieg relativ kurz abgehandelt. Seinen Verlauf bildet Auernheimer in einer stichwortartigen Chronologie ab, die er anschließend kommentiert: "Wenn man sich die Zahlen der zivilen Opfer in den ersten Kriegstagen ansieht, dann muss man den russischen Angriff als schonend beurteilen, vor allem wenn man Vergleiche mit US-geführten Angriffskriegen heranzieht." Im Buch dient die Geopolitik der Vereinigten Staaten oftmals als Folie, auf der der Autor unter anderem die Interessen Russlands quasi ex negativo erläutert.

Moskau wird überwiegend als zurückhaltender Akteur dargestellt, als eine geopolitische Macht, die sich zu wehren weiß, aber eigentlich „lange Zeit eine Appeasement-Politik betrieben“ habe und selbst in der Kriegsführung „auf Schonung von Leib und Leben der Zivilbevölkerung bedacht“ sei. Russland führe zwar einen Angriffskrieg, so Auernheimers Schlussfolgerung, aber keinen Vernichtungskrieg, wie es die westlichen Leitmedien darstellten. Der Autor kritisiert sie teilweise scharf und wirft ihnen vor, über wichtige Ereignisse wie zum Beispiel die seit 2014 andauernden Angriffe der Ukraine auf Städte und Dörfer im Donbass nicht berichtet zu haben.

Nicht viel besser weg kommen die Regierungen westlicher Staaten, insbesondere die der USA und Großbritanniens, die, wie Auernheimer anhand glaubhafter Quellen veranschaulicht, kein Interesse an einem Friedensabkommen hatten und den ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj unter Druck setzten. Warum? Die Antworten finden sich am Schluss in einem Kapitel, wo der Autor die Verlierer und Gewinner benennt. Zu den Letzteren zählt er unter anderem die "Aktionäre der Rüstungsindustrie und der Wirtschaftszweige, die für die Ausstattung der Truppen zuständig sind". Von dem Krieg profitieren sollen aber auch Konzerne mit einem Schwerpunkt auf dem Agrarsektor. Wie dieser umstrukturiert wird, führt Auernheimer ebenfalls kurz aus, allerdings so verständlich, dass man einen guten Eindruck von den Vorgängen hinter den Kulissen bekommt. Solche Passagen zeichnen sein Buch aus, weil sie Informationen liefern, die selbst auf alternativen Nachrichtenportalen schwer zu finden sind – von den Leitmedien ganz zu schweigen.

Das Buch ist hier erhältlich: https://www.buchkomplizen.de/buecher/hintergrund-verlag/der-ukraine-konflikt.html +++ Danke an den Autor für das Recht zur Veröffentlichung des Beitrags. +++ Bildquelle: Tomas Ragina / Shutterstock


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