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Der virtuelle Diener | Von Gustav Viktor Śmigielski

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ChatGPT erobert in Lichtgeschwindigkeit die Welt — Autoren könnten Konkurrenz bekommen oder in Versuchung geraten, nichts mehr selbst zu schreiben. Ein Standpunkt von  Gustav Viktor Śmigielski.

Wer bisher noch nicht das Vergnügen hatte, sich mit ChatGPT auszutauschen, sollte dies schleunigst nachholen. Nicht wenigen fällt die Kinnlade runter, wenn dieses Texte generierende Programm seine Fähigkeiten vorführt. Egal, ob man es bittet, eine Bewerbung auf eine konkrete Stellenausschreibung zu verfassen, einen Werbetext für ein Produkt, einen Artikel zu einem bestimmten Thema oder sogar einen Computercode — das Chatprogramm erledigt die ihm aufgetragenen Aufgaben in Sekundenschnelle. Die Folgen für die Gesellschaft, besonders in der Arbeitswelt, sind erheblich.

Stellen Sie sich einen Angestellten vor, der rund um die Uhr arbeiten kann, nie krank wird, so gut wie alle Studiengänge absolviert hat und somit zu jedem Thema etwas sagen kann, sehr schnell Aufgaben erledigt und dessen Gehalt lächerlich klein ist. Klingt unrealistisch? Ist es aber nicht — darf ich vorstellen: ChatGPT, ein textbasiertes Dialogsystem des amerikanischen Unternehmens OpenAI, das man ohne weiteres als „künstliche Intelligenz“ bezeichnen kann. Es ist eine Schöpfung, von der Bill Gates sagt, es sei der revolutionärste Fortschritt der letzten 40 Jahre — und er übertreibt nicht.

Das Verständnis, mit dem dieses Programm auf unsere Anweisungen reagiert, ist atemberaubend und wird im großen Maße von unseren Fähigkeiten begrenzt, uns präzise auszudrücken. Zwar ist ein Chatprogramm momentan noch ein virtueller Diener, der uns viel Geistesarbeit abnimmt. Der nächste Schritt innerhalb der Evolution ist jedoch prognostizierbar, nämlich die Verschmelzung mit einem physischen Roboterkörper.

Die parallele Entwicklung der Robotertechnik zur künstlichen Intelligenz kann beim US-amerikanischen Unternehmen „Boston Dynamics“ beobachtet werden. Die Fähigkeiten ihres humanoiden Roboters namens „Atlas“ entwickeln sich in einer beachtlichen Geschwindigkeit. Wobei die humanoide Gestalt im Grunde keinen Zwang, sondern eher eine Begrenzung darstellt. Doch ruft diese Entwicklung bei vielen Sorgen hervor, und das nicht zu Unrecht. Elon Musk sowie der Apple-Mitgründer Steve Wozniak haben sich Hunderten anderen in einem offenen Brief mit der Forderung angeschlossen, eine sechsmonatige Pause in der KI-Entwicklung einzulegen. Sie befürchten „tiefgreifende Risiken für die Gesellschaft und die Menschheit“. Die Bedenken kommen nicht ohne Grund, wobei drei Hauptursachen hervorstechen. Die Erste ist leicht beschrieben und betrifft die Sorge einer Verselbständigung künstlicher Intelligenz, die in einigen Publikumserfolgen wie „Matrix“ oder „Terminator“ filmisch dargestellt wurde. Die anderen beiden erscheinen mir realer; sie haben mit dem, was wir „Privateigentum“ nennen, zu tun.

Die Expansion und Konzentration von Macht

Ich habe einmal einen Aufkleber auf einer Fußgängerampel in Berlin gesehen, auf dem stand: „Maschinen nehmen mir die Arbeit weg: Gott sei Dank!“ Im Grunde genommen wird damit ein Prinzip beschrieben, welches der Mensch schon immer verfolgt hat — nämlich das der Automatisierung und Optimierung von Arbeitsabläufen. Dazu erfinden wir Technologien und Maschinen, die uns sich wiederholende Tätigkeiten abnehmen und uns dadurch produktiver werden lassen.

Zur Veranschaulichung könnte man sich eine Wassermühle vorstellen, die uns Menschen einst half, mithilfe der kinetischen Energie des Wassers eines Flusses Arbeit zu verrichten, zum Beispiel beim Mahlen von Getreide.

Die Errichtung dieses technischen Bauwerks erforderte die Zusammenarbeit mehrerer Menschen, was leider nicht immer dazu führte, dass alle gleichermaßen in den Genuss der Früchte dieser Arbeit gelangten. Einige hielten sich für wichtiger und beanspruchten für sich einen größeren Anteil der Erträge als andere, oder deklarierten die Mühle gleich als ihr Eigentum. Es entstand ein Gefälle beziehungsweise ein Ungleichgewicht zwischen den Menschen, was früher oder später zu Konflikten führte, bei welchen sich gewöhnlich die behaupten konnten, die sich nicht davor scheuten, Gewalt anzuwenden.

Es ist ein Fluch der Menschheit, welcher nun auch die Sorgen vieler Menschen bezüglich künstlicher Intelligenz nährt: Das Privateigentum am Produktivkapital.

Diese neuartige Form von Technologie wäre ein Segen in einer Gesellschaft, die solidarisch und gerecht erschaffene Werte verteilt, nur leben wir nicht in solch einer. Wir leben in einer auf Privateigentum aufbauenden Gesellschaft, in der die Erträge der Arbeit künstlicher Intelligenz im großen Maße von einer Minderheit beansprucht werden. Was bedeutet, dass künstliche Intelligenz in einem konkurrierenden anstatt einem kooperierenden Verhältnis zu einem Großteil der Menschheit steht und infolgedessen viele Menschen um ihren Lohn bringen wird. Wir halten somit fest: Die Gefahr des Verlustes von Arbeitsplätzen bis hin zu Massenarbeitslosigkeit ist die zweite Hauptursache für Bedenken bezüglich künstlicher Intelligenz.

Die dritte Ursache ist die Gefahr der Nutzung dieser Technologie zur Unterdrückung von Menschen. Die Herrscher dieser Welt sahen sich noch nie dem Allgemeinwohl verpflichtet, weswegen die Vermutung nahe liegt, dass künstliche Intelligenz — gepaart mit dem „Internet der Dinge“ sowie einer digitalen Währung — eine Kontrolle von uns Menschen ermöglicht, die sich selbst George Orwell nicht hätte träumen lassen. Um sich dieser Gefahr vollends bewusst zu werden, sollte man sich vergegenwärtigen, dass eine absolute Überwachung der Gesellschaft bisher nicht möglich war, da sie durch die Menschen selbst ausgeübt werden musste, was als eine Schwachstelle von totalitären Systemen angesehen werden kann. Dieses Hindernis könnte mithilfe künstlicher Intelligenz im großen Maße überwunden werden.

Die Gefahr eines solchen dystopischen Szenarios ist real, und wir sollten einer solchen Gefahr entschieden entgegentreten. Auf die Politiker, welche sich zu Handlangern der herrschenden Klasse degradiert haben, können wir uns dabei nicht verlassen. Ganz zu schweigen von der Tatsache, dass es den meisten Politikern schlicht an geistigen Kapazitäten fehlt, um überhaupt zu erfassen, in welcher Situation sich die Gesellschaft bezüglich künstlicher Intelligenz gerade befindet.

Der Fortschritt ist nicht mehr aufzuhalten

Ob die Forderung von Musk, Wozniak und Co. tatsächlich umgesetzt wird, ist zu bezweifeln. Selbst wenn es einen offiziellen Stopp bei der Entwicklung von künstlicher Intelligenz gäbe, würde hinter verschlossen Türen weiter geforscht und optimiert werden. Schließlich leben wir in einer auf Konkurrenz basierenden Wirtschaftsordnung, in denen Vorsprünge potentielle Gewinne generieren – vom Militär, das eigenen Regeln und Gesetzen gehorcht, gar nicht erst zu sprechen.

Italien versucht auf einem anderen Weg ChatGPT in die Schranken zu weisen und sperrte die Seite umgehend unter dem Vorwand der Verletzung von Datenschutz-Vorschriften. Es erscheint aber als ein schwacher Versuch, das Unvermeidliche aufzuhalten, schon allein durch die Tatsache, dass es viele Möglichkeiten gibt, Sperren im Internet zu umgehen. Man sollte die Vorgänge in Italien jedoch genauestens beobachten.

Wahrscheinlicher ist, dass die Menschen rasch lernen werden, mit ChatGPT umzugehen. Workshops für ChatGPT schießen wie Pilze aus dem Boden und werden auch von Unternehmen gebucht. Schließlich bietet ChatGPT viele Wettbewerbsvorteile, auf welche Unternehmen gezwungen sein werden zurückzugreifen, um wettbewerbsfähig zu bleiben.

Ziel ist es vor allem zu lernen, mit dem Chatprogramm effektiv zu kommunizieren, damit es das tut, was man verlangt. Bei einfachen Aufgaben wie dem Schreiben einer Bewerbung oder eines lustigen Werbetextes reicht es aus, den Befehl einzutippen und auszuführen. Für komplexere Herausforderungen lässt man die KI in Rollen schlüpfen. Auf Promptbase.com gibt es dazu schon vorgefertigte Texte, die ins Chatprogramm nur eingegeben werden müssen, um es beispielsweise in die Rolle eines Psychotherapeuten schlüpfen zu lassen. Dazu ein Beispiel aus dem echten Leben:

Der Psychotherapeut

Eine junge Dame, ich nenne sie Lea, hat ein schwieriges Verhältnis zu ihrer Mutter. Seit vielen Jahren ist ihr Kontakt eher sporadisch, weil die Mutter mit ihrem unsensiblen Verhalten Lea immer wieder verletzt. Vor kurzem bahnte sich ein weiterer Konflikt an, als die beiden miteinander über WhatsApp kommunizierten. Dabei kommentierte die Mutter das Verhältnis zwischen Lea und ihrem Hund „Jack“ auf eine unangebrachte Art und Weise, indem sie es mit dem Verhältnis zwischen sich selbst und Lea verglich. Lea spürte den sich anbahnenden Konflikt und überlegte, wie sie darauf reagieren soll. Sie kam auf die Idee, ChatGPT um Rat zu bitten.

Wie eben beschrieben, musste sie die KI beauftragen, in die Rolle eines Psychotherapeuten zu schlüpfen. Dies tat sie mit folgendem Text, der hier nur verkürzt veröffentlicht wird:

„Sie sind Familientherapeut und Mediator und befassen sich schwerpunktmäßig mit Mutter-Tochter-Konflikten, die auf ein Generationstrauma und eine nicht diagnostizierte und behandelte Komplexe Posttraumatische Belastungsstörung zurückzuführen sind. Eine Kollegin bittet Sie um Rat in folgender Situation.

Eine Mutter und ihre Tochter haben seit zehn Jahren fast keinen Kontakt mehr, und auch die zweite Tochter spricht nicht mehr mit der Mutter. Die Tochter ist bereit, wieder zu sprechen, möchte dies aber mit einem Familientherapeuten tun.“

Anschließend beschrieb sie die WhatsApp-Kommunikation und bat die KI um eine diplomatische, nicht zu lange Antwort. ChatGPT spuckte Folgendes heraus, was von Lea an die Mutter weitergeleitet wurde:

„Mama, ich verstehe, dass unsere Beziehung in der Vergangenheit schwierig war, und ich freue mich darauf, mit einem Familientherapeuten zusammenzuarbeiten, der uns hilft, unsere Probleme zu bewältigen. Bis dahin halte ich es für das Beste für uns beide, wenn wir diese Themen nicht ansprechen, um eine positive Atmosphäre zu erhalten. Wir sollten uns weiterhin auf heitere Themen konzentrieren, wie Jack, unsere Arbeit, Nachrichten oder kulturelle Themen und unemotionale Themen, bis wir unsere Beziehung in einem therapeutischen Rahmen besprechen können. Vielen Dank für Dein Verständnis, und ich hoffe wirklich, dass wir gemeinsam Fortschritte machen können.“

Die Mutter reagierte folgendermaßen: „Es war ein unbeschwerter/locker gemeinter Kommentar:“

Lea leitete diesen Satz an das Chatprogramm weiter und fragte, wie man darauf antworten könnte. ChatGPT empfahl Folgendes:

„Ich verstehe, dass Du es als eine unbeschwerte Bemerkung gemeint hast, aber so hat es sich für mich nicht angefühlt, denn es berührt das heikle Thema unserer angespannten Beziehung. Er löst einige Gefühle aus und macht es mir schwer, das Gespräch fortzusetzen. Lass uns keine ‚Witze‘ machen und keine Familienthemen anschneiden, bevor wir mit der Therapie beginnen. Es gibt viele neutrale Dinge, über die wir reden oder die wir kommentieren können, angefangen bei: ‚Hast du einen der Oscar-prämierten Filme gesehen?‘“

Die Fähigkeiten von ChatGPT sind bemerkenswert, erschreckend und lustig zugleich. Über die Folgen der Nutzung von künstlicher Intelligenz auf diese Art und Weise können wir momentan nur spekulieren, doch können wir mit Sicherheit sagen, dass diese Nutzung Konsequenzen mit sich bringen wird.

Der kritische Journalist

Auch Autoren wie ich bekommen Konkurrenz beziehungsweise sehen sich der Versuchung ausgesetzt, Hilfe von ChatGPT in Anspruch zu nehmen. Bevor ich angefangen habe, die Grenzen von ChatGTP auszureizen, fing ich mit einer einfachen Übung an und bat ChatGPT um Folgendes:

Ich: „Kannst Du mir bitte einen kritischen Text schreiben über das Weltwirtschaftsforum?“ ChatGPT: „Ja, gerne. Hier ist ein kritischer Text über das Weltwirtschaftsforum:

Das Weltwirtschaftsforum (WEF) ist eine jährliche Konferenz, die von den reichsten und mächtigsten Personen der Welt besucht wird, um globale wirtschaftliche und politische Themen zu diskutieren. Während das WEF behauptet, eine Plattform für den Austausch von Ideen und Lösungen zu sein, gibt es Kritik an der tatsächlichen Wirkung der Konferenz.

Einer der größten Kritikpunkte ist die Tatsache, dass das WEF eine exklusive Veranstaltung ist, zu der nur eingeladene Personen Zutritt haben. Dies schließt viele Stimmen und Perspektiven aus, insbesondere diejenigen von Menschen aus ärmeren Ländern und Gemeinden, die am stärksten von den Themen betroffen sind, die auf der Konferenz besprochen werden. Stattdessen wird die Agenda oft von den Interessen der Eliten und multinationalen Unternehmen diktiert, die auf der Suche nach Profit und Macht sind.

Ein weiterer Kritikpunkt betrifft die tatsächlichen Ergebnisse der Konferenz. Trotz der hohen Investitionen in das WEF und der Versprechungen, Lösungen für globale Probleme wie Armut, Klimawandel und wirtschaftliche Ungleichheit zu finden, hat das WEF keine substanziellen Lösungen hervorgebracht. Stattdessen scheint es, als ob die Konferenz dazu dient, die Interessen und Macht der Eliten zu stärken, anstatt tatsächliche Veränderungen zu bewirken.

Zusätzlich hat das WEF auch Kritik für seine Zusammenarbeit mit autoritären Regimen und der Förderung neoliberaler Wirtschaftspolitik erhalten, die oft zu Ungleichheit und Ausbeutung von Arbeitnehmer*innen und der Umwelt führen kann.

Insgesamt kann das Weltwirtschaftsforum als eine Veranstaltung betrachtet werden, die die Interessen der Eliten und multinationalen Unternehmen priorisiert und dabei oft diejenigen ausgrenzt, die am stärksten von den Themen betroffen sind, die auf der Konferenz besprochen werden. Obwohl das WEF behauptet, Lösungen für globale Probleme zu finden, hat es bislang wenig Substanzielles erreicht. Es ist wichtig, die Rolle des WEF kritisch zu hinterfragen und alternative Plattformen zu schaffen, die eine breitere und inklusivere Beteiligung ermöglichen.“

Ich muss zugeben, dass ChatGPT zwar noch weit davon entfernt ist, ein „künstlicher Verschwörungstheoretiker“ zu sein, jedoch kritischer war, als ich es erwartet habe.

Bittet man ChatGPT, das zu kommentieren, was im Mainstream unter der Rubrik „Verschwörungstheorien“ eingeordnet werden würde, sind die Antworten jedenfalls politisch korrekt. Gewiss waren einige in der Lage, mit clever formulierten Aufforderungen die künstliche Intelligenz dazu zu bringen, brisante Aussagen von sich zu geben. Die meisten solcher Auswüchse werden jedoch von den Entwicklern zügig verunmöglicht.

Künstliche Intelligenz ist Teil der Agenda — vielleicht unserer

Die herrschende Klasse ist sich der Konsequenzen für die Gesellschaft — besonders im Berufsleben — im großen Maße bewusst und weiß wahrscheinlich auch um die Notwendigkeit der Einführung eines Grundeinkommens. Doch wird die Einführung eines existenzsichernden Grundeinkommens nicht ohne den Versuch unternommen werden, eine noch größere Überwachung von uns Bürgern zu etablieren. So könnte es beispielsweise in einer digitalen Zentralbankwährung ausgezahlt werden, was den Weg für den gläsernen Bürger ebnen würde, von dem es nur sehr schwer wäre, wieder wegzukommen.

Was wir dem entgegenzusetzen haben? Nicht viel, jedoch etwas sehr Mächtiges, nämlich eine Idee. Und zwar die Idee einer freiheitlichen Gesellschaft, in der die Erträge von künstlicher Intelligenz allen zugutekommt, und Überwachung einzig und allein denen gilt, die sich vornehmen, übermäßig viel Eigentum anzuhäufen.

+++ Dank an den Autor und manova für das Recht zur Veröffentlichung des Beitrags. +++ Dieser Beitrag erschien zuerst am 21.04.2023 bei manova.news +++ Bildquelle: CHUAN CHUAN / shutterstock


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