Ein Standpunkt von Friedemann Willemer.
Das ist des Pudels Kern der Bundesrepublik Deutschland: Ein totalitärer Parteienstaat, der sich hinter der Fassade des Grundgesetzes verbirgt.
Kernaussage des Grundgesetzes, das nach Aussage seiner Verfasser eine Demokratie in Deutschland garantieren sollte, ist:
Alle Staatsgewalt geht vom deutschen Volke aus, Artikel 20 Abs. 2, Satz 1 Grundgesetz.
Das deutsche Volk soll seine Staatsgewalt in Wahlen und Abstimmungen ausüben.
Die Parteien haben den Souverän bis heute auf Wahlen reduziert. Ein Akt der Kastration; denn mit den Wahlen, die Volkssouveränität nur simulieren sollen, begibt sich das deutsche Volk freiwillig in die Knechtschaft eines totalitären Parteienstaats. Dieses Ergebnis haben die etablierten Parteien, allen voran CDU/CSU und SPD, seit der ersten Stunde der Bundesrepublik angestrebt und inzwischen zu höchster Vollendung gebracht.
„Diese Unwahrheit aufzuhellen ist Voraussetzung jeder gedeihlichen Entwicklung.
(Karl Jaspers, Wohin treibt die Bundesrepublik? 1966)
Um diese, für sie äußerst komfortable, Lage nicht zu gefährden, verweigern die Parteien dem deutschen Volk seit Jahrzehnten die Ausübung seiner vorverfassungsrechtlichen verfassungsgebenden Gewalt; denn eine Verfassungsdebatte könnte die Büchse der Pandora, in den Kreisen der Parteien Volkssouveränität genannt, öffnen, ihre Demokratielüge entlarven und zur direkten Demokratie führen.
„Die Lügen in ihrem Grunde sind das Gift der Staaten.“
(Karl Jaspers, Wohin treibt die Bundesrepublik?)
Die Verweigerung der Verfassungsgebung durch das Volk ist mit der Entstehungsgeschichte des GG unvereinbar.
Die Verweigerung der poivoirs constitués steht im eklatanten Widerspruch zum historischen Hintergrund des Artikels 146 GG a.F. umfassend beschrieben bei Dürig/Herzog/Scholz, Grundgesetz, Artikel 146 Rn. 13 – 18.
Carlo Schmidt stellte zur Schlussbestimmung des Grundgesetzes fest:
„Die letzte Bestimmung des Grundgesetzes ist ein Artikel, in dem gesagt wird, dass das Grundgesetz automatisch an dem Tage außer Kraft tritt, in dem eine Verfassung wirksam wird, die vom deutschen Volk in freier Entscheidung beschlossen worden ist. Die neue, die echte Verfassung unseres Volkes, wird also nicht im Wege der Abänderung dieses Grundgesetzes geschaffen werden, sie wird originär entstehen und nichts in diesem Grundgesetz wird die Freiheit des Gestaltungswillens unseres Volkes beschränken, wenn es sich an diese Verfassung macht. Wann dieser Tag sein wird, wissen wir nicht. Ich für meine Person möchte hoffen, dass ihm der Gründungstag der vereinigten Staaten von Europa auf dem Fuße folgen wird.“
Außerdem erklärte Carlo Schmidt in der 9. Sitzung des Plenums vom 06.05.1949:
„Das Anwendungsgebiet des Grundgesetzes ist nicht geschlossen. Jeder Teil Deutschlands kann ihm beitreten. Aber auch der Beitritt aller deutschen Gebiete wird dieses Grundgesetz nicht zu einer gesamtdeutschen Verfassung machen können. Diese wird es erst dann geben, wenn das deutsche Volk die Inhalte und Formen seines politischen Lebens in freier Entscheidung bestimmt haben wird.“
Carlo Schmidt hat damit die Prämissen einer die Volkssouveränität anerkennenden Verfassungsgebung unmissverständlich benannt.
Die Parteien haben mit dem Einigungsvertrag diese Prämissen ad acta gelegt.
„Die Entstehungsgeschichte und die Systematik des Einigungsvertrages dokumentieren ein Verständnis des verfassungsändernden Gesetzgebers, das nach dem endgültigen Abstreifen des Provisorischen aller verfassten Gewalt dem freien, unkonditionierten Rückgriff auf die verfassungsgebende Gewalt keinen Raum gibt“ (Dürig/Herzog/Scholz, Grundgesetz, Artikel 146 Rn. 22).
Der verfassungsändernde Gesetzgeber – Bundestag und Bundesrat – wollte mit dem Einigungsvertrag die verfassungsgebende Gewalt des deutschen Volkes beseitigen und alle im Deutschen Bundestag vertretenen Parteien sind nicht bereit, dem deutschen Volk in Ausübung seiner verfassungsgebenden Gewalt die Option zu geben, eine spezifische öffentliche Verfassungsdebatte zu führen und über eine Verfassung abzustimmen.
Dieser Zustand ist für eine Republik, die ein totalitärer Parteienstaat ist, ideal. In dieser Republik bestimmen Parteien die Vertreter von Legislative, Exekutive und Judikative und in der Geburtsstunde „ihrer“ Republik „ihre“ Verfassung.
Für eine demokratisch verfasste Staatsordnung ist das jedoch untragbar und verletzt den Souverän in seinen Grundrechten aus Artikel 2 Abs. I .i. V. m. Artikel 20 Abs. I und II GG; denn die Bundesrepublik Deutschland behauptet, ein demokratischer Bundesstaat sein zu wollen, in dem alle Staatsgewalt vom Volke ausgeht, das heißt der Staat in den Händen des Volkes und nicht der Parteien.
Die Parteien haben mit dem Einigungsvertrag in Artikel 4 Nr. 6 die Vorschrift des Artikels 146 in höchst zweideutiger Weise neu gefasst, so dass die deutsche Staatslehre von der rätselhaftesten Bestimmung des ganzen Grundgesetzes ausgeht, was Gegenstand einer anhaltenden staatsrechtlichen Kontroverse ist.
Mit diesem unfertigen Orakelspruch offenbaren die Parteien, dass die Staatsgewalt nicht vom deutschen Volke, sondern von den Parteien ausgehen soll, von Parteien, die nach Artikel 21 Abs. 1 Satz 1 GG lediglich bei der politischen Willensbildung des Volkes mitwirken sollen, gemeinsam mit einzelnen Bürgerinnen und Bürgern sowie gesellschaftlichen Gruppen, Vereinigungen und Verbänden. Dies kann nur bedeuten, selbst wenn man den Parteien mit dem Bundesverfassungsgericht „Organqualität“ einräumt, dass die Parteien sich auf eine Mitwirkung an der politischen Willensbildung des Volkes zu beschränken haben und ihr Wirken nicht zu einer Bevormundung des Volkes führen darf, insbesondere indem sie vorschreiben, welche Verfassung der Souverän zu akzeptieren hat.
Die Ausübung der Staatsgewalt beginnt in einer Republik, die sich dem Demokratiegebot untergeordnet hat, mit einem Diskurs und einer Abstimmung der Staatsangehörigen über die zu verfassende Staatsordnung und die Voraussetzungen dafür, sollte der Gesetzgeber nach der Wiedervereinigung Deutschlands in Freiheit ohne schuldhaftes Verzögern schaffen. Stattdessen ein unfertiger, bewusst nebulöser Orakelspruch.
Die verfassungslose Anarchie
Was aber ist, wenn der Gesetzgeber seiner verfassungsrechtlichen Verpflichtung nicht nachkommt? Die staatsrechtlichen Konsequenzen könnten verheerend sein.
Die vom Parlamentarischen Rat aus der verfassungsgebenden Gewalt des Volkes abgeleitete Legitimation zur Verfassungsgebung, gegenständlich beschränkt auf die Schaffung einer Übergangsverfassung, wurde mit der Wiedervereinigung gegenstandslos. Das kann nur dazu führen, dass nach Vollendung der Einheit Deutschlands das zeitliche und räumliche Provisorium des Grundgesetzes ohne Bestätigung durch den pouvoir constituant seine Legitimität verliert mit der Folge eines verfassungslosen Zustandes.
Damit endet die Legitimation für die verfassungsrechtlichen Institutionen des Grundgesetzes. Ihrem Handeln fehlt die Rechtsgrundlage, d. h. die verfassungsrechtlichen Institutionen agieren, nach Ablauf der Übergangszeit zur Einholung der Entscheidung des Souveräns über seine Verfassung, illegal. Dieses Ergebnis leitet sich zwangsläufig aus der Entscheidung des Grundgesetzes für den pouvoir constituant ab. Nur er ist Träger der verfassungsgebenden Gewalt und nur er kann dem Grundgesetz nach dem Ende der Übergangszeit Legitimität verleihen.
Entsprechend hat der Parlamentarische Rat bei seinem Akt der Notgeschäftsführung für das deutsche Volk die Geltung des übrigen Verfassungsrechts an den pouvoir constituant geknüpft. Ohne Bestätigung des grundgesetzlichen Provisoriums durch das deutsche Volk leben wir in Deutschland spätestens seit Beginn des 21. Jahrhunderts nach Ablauf der Übergangszeit in einer verfassungslosen Anarchie mit der Folge, dass alles staatliche Handeln seitdem illegal wäre.
Die Staatsraison gebietet dem Gesetzgeber, d. h. den Parteien, unverzüglich das verfassungslose Interregnum durch Umsetzung des Artikels 146 GG zu beseitigen und damit zugleich die rätselhafteste Bestimmung des Grundgesetzes zu entschlüsseln.
Es ist unverantwortlich, dass die Parteien in ihrer Absicht, das deutsche Volk unter Verstoß gegen Artikel 20 Abs. 2 S. 2 GG auf Wahlen zu reduzieren, derart katastrophale staatsrechtliche Konsequenzen billigend in Kauf nehmen.
Was hindert die Parteien daran, einen verfassungsrechtlichen Schlussstrich zu ziehen und dem deutschen Volk zu „gestatten“ dem Grundgesetz, „das sich als deutsche Verfassung bewährt hat und in Fachkreisen der Verfassungsrechtler als Markenzeichen für die in Deutschland geltende freiheitliche demokratische Staatsordnung gilt“, so in einer Endlosschleife die Parteienvertreter und ihre Claqueure in den Medien, seinen Segen zu geben.
Fehlt dem deutschen Volk nach über 70 Jahren Bundesrepublik noch immer die nötige politische Reife für diesen „unerlässlichen“ Erkenntnisgewinn im Sinne der politischen Eliten.
Darf deshalb das deutsche Volk unter keinen Umständen in die Prozesse staatlicher Willensbildung, insbesondere der Verfassungsgebung, mit einbezogen werden, sondern muss von den Parteien vor sich selbst bis in alle Ewigkeit geschützt werden? Ist das der Inhalt des Demokratiegebotes der Bundesrepublik Deutschland?
„Die reinste Form des Wahnsinns ist es, alles beim Alten zu lassen und gleichzeitig zu hoffen, dass sich etwas ändert.“ (Albert Einstein)
Am 12. September 2023 hat der Autor zusammen mit 37 Bürgern Verfassungsbeschwerde zu Artikel 146 GG erhoben, mit dem Ziel, den Gesetzgeber, also die Parteien, zu verpflichten, dem deutschen Volk Gelegenheit zu geben, über seine Verfassung zu diskutieren und abzustimmen.
Die Beschwerde ist beim Bundesverfassungsgericht unter dem Aktenzeichen 1 BvR 1786/23 rechtshängig. Die Erfolgsaussichten sind gering, da die Richter des Verfassungsgerichts „ihre“ Richter sind, die in einem intransparenten, nicht öffentlichen Verfahren von den Parteien bestimmt wurden.
Die Erfolgsaussichten würden sich jedoch erheblich verbessern, wenn nicht nur 38 Bürger Verfassungsbeschwerde erheben, sondern Millionen Deutsche dem Verfassungsgericht anzeigen, dass sie die Verfassungsbeschwerde unterstützen und über ihre Verfassung diskutieren und abstimmen wollen.
Die Aussichten, dass sich auch nur tausend Deutsche der Verfassungsbeschwerde anschließen, sind jedoch noch geringer als die Erfolgsaussichten der Verfassungsbeschwerde selbst; denn Faulheit und Feigheit sind im Sinne von Immanuel Kant, „Beantwortung der Frage: Was ist Aufklärung?“ 1784, die Ursachen, warum die Mehrheit des deutschen Volkes seit der Geburtsstunde der Bundesrepublik sich freiwillig immer wieder mit den Wahlen in die Knechtschaft der einen – die „ihr“ Volk bevormundende Parteienoligarchie – begibt.
Laut dawum.de Wahltrend vom 07. Januar 2024, wollen 66,9 % des deutschen Volkes weiterhin die Parteien dieser Oligarchie wählen, die das deutsche Volk seit dem 23. Mai 1949 „alle miteinander so behandelt, dass sie Leibeigene und Sklaven sind. Wie könnten wir das nennen? Ist das Feigheit?“ (Étienne de La Boétie, Von der freiwilligen Knechtschaft des Menschen, um 1550) oder die reinste Form des Wahnsinns?
Quellen und Anmerkungen
Dank an den Autor für das Recht zur Veröffentlichung dieses Beitrags.
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Bildquelle: SergeyCo/ Shutterstock.com
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