Tagesdosis

Deutschland und Israel: Eine unzerstörbare Geschäftsbeziehung | Von Tom J. Wellbrock

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Ein Kommentar von Tom J. Wellbrock.

In Deutschland gleicht der vermeintliche Kampf gegen den Antisemitismus einer Aufgabe, von der die Existenz der Bundesrepublik abhängt. Doch so moralisch perfekt sich das Land auch geben mag, das Verhältnis zu Israel ist schwierig. Beide Seiten verbindet Machtwille und Geschäftigkeit miteinander.

Der Aufbau der Bundesrepublik Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg hätte unmöglich gelingen können, ohne altgediente Nazis mit einzubauen in die neuen Strukturen. Die dafür notwendige Anzahl an Menschen war zu gering, zumindest, wenn man alle Nazis außen vorgelassen hätte. Dementsprechend war der Mief des Faschismus auf jedem neuen Schreibtisch spürbar und zeichnete sich auf jedem Bürostuhl ab.

Ein Gefühl der Scham und der Schuldgefühle wollte sich lange Zeit nicht einstellen in Deutschland, und speziell die BRD, also der westliche Teil des Landes, zeigte immer wieder Reflexe, die heute verstörend wirken mögen. So sagte der damalige Bundeskanzler Konrad Adenauer 1966 in einem Gespräch mit Günter Gaus:

"Die Macht der Juden auch heute noch, insbesondere in Amerika, soll man nicht unterschätzen. Und daher habe ich sehr überlegt und sehr bewusst – und das war von jeher meine Meinung – meine ganze Kraft darangesetzt, so gut es ging, eine Versöhnung herbeizuführen zwischen dem jüdischen Volk und dem deutschen Volk."

Die Rolle der USA behagte Adenauer überhaupt nicht, wie sich weiter unten noch zeigen wird. Zur Klärung der "Judenfrage" (O-Ton Adenauer) gehörte für ihn aber auch eine enge wirtschaftliche Zusammenarbeit. Schon früh entstanden wirtschaftliche Kooperationen zwischen West-Deutschland und Israel, die sich in erster Linie auf Waffenlieferungen fokussierten. Dies geschah jedoch im Geheimen, denn die arabischen Länder hatten dafür aus zwei Gründen wenig Verständnis.

Zum einen wurden die ersten deutschen Waffen nach Israel noch vor der offiziellen diplomatischen Anerkennung durch die BRD geliefert. Zum anderen war der israelische Staat auf arabischem Boden entstanden, und wenngleich diese Staatsgründung nicht verhindert werden konnte, war es doch aus arabischer Sicht nur schwer zu ertragen, dass Israel nun auch noch üppig mit Waffen ausgestattet werden sollte.

Auch die diplomatische Anerkennung Israels durch die BRD dauerte recht lange, erst 1965 war es so weit. Auch hier waren die Befindlichkeiten der arabischen Länder ausschlaggebend, die man nicht verärgern wollte. Nach der offiziellen Aufnahme diplomatischer Beziehungen lieferte Deutschland dann auch ganz offiziell Waffen an Israel.

Israel und Deutschland: Aus der Opfersicht und der politischen Perspektive

Für viele Überlebende des Hitler-Faschismus war die Beziehung zu Deutschland naturgemäß lange Zeit durch Schmerz und Wut geprägt. Das zeigte sich unter anderem in einer massiven Ablehnung des "Blutgeldes", also Reparationen, die die BRD an Israel zahlen sollte. Nicht wenige Israelis wollten dieses Geld nicht, an dem in ihren Augen Blut klebte.

Jenes "Blutgeld" war das Ergebnis des Luxemburger Abkommens aus dem Jahr 1952, in dem sich Deutschland zur Zahlung von Reparationen verpflichtete. Israels Ministerpräsident David Ben Gurion dagegen sah das deutlich weniger emotional. Er hatte große Pläne mit Israel, wollte das Land von einem Agrarland zu einer Industrienation machen, und dafür brauchte er Geld, also nahm er die Reparationen gern an. 1965 war für Gurion der Nationalsozialismus im wahrsten Sinne schon Geschichte, was an folgendem Zitat deutlich wird:

"Ich kam schon vor vielen Jahren zu der Überzeugung, dass wir heute mit einem völlig veränderten Deutschland zu tun haben. Von historischer Warte aus kann natürlich nicht vergessen werden, was das Hitler-Deutschland uns angetan hat. Aber heute gibt es kein Nazi-Deutschland mehr und es kann sich auch meines Erachtens nicht noch mal ein Nazi-Deutschland entwickeln, weil sich einmal das Volk selbst wandelte und weil sich auch das gesamte Weltbild veränderte. Und wenn wir auch niemals vergessen dürfen, was geschah, so dürfen wir heute nicht auf dieser Basis des damaligen Geschehens handeln."

Diese Äußerungen Gurions wurden in Israel nicht flächendeckend begrüßt, um es vorsichtig zu formulieren. Und das hing womöglich nicht nur mit Gurion zusammen, sondern auch mit dem, was man in Deutschland beobachten konnte. So war beispielsweise der erste deutsche Botschafter in Israel ausgerechnet ein ehemaliger Wehrmachtsmajor, und selbst wenn man berücksichtigt, dass es Deutschland an nicht-faschistischem Personal fehlte, war diese Besetzung eines Diplomaten nicht gerade ein Zeichen von Empathie (um es erneut vorsichtig zu formulieren).

Zu diesem Zeitpunkt war in der BRD Ludwig Erhardt Kanzler, und er stand vor der Herausforderung, die Überlebenden des Hitler-Regimes nicht zu verärgern und seinen eigenen Wahlkampf, in dem er sich gerade befand, schadlos zu überstehen. Und so ließ er den Wehrmachtsmajor als Botschafter zu und argumentierte, dass die Wehrmacht einer der Hauptgegner Hitlers gewesen sei.

Deutsche Politiker und die Waffen-SS

Kürzlich brach folgende Aussage des AfD-Politikers Maximilian Krah ihm das politische Genick, nicht im übertragenen Sinne tödlich, aber doch sehr schmerzhaft:

"Es gab sicherlich einen hohen Prozentsatz an Kriminellen, aber nicht alle waren kriminell. Ich werde nie sagen, dass jeder, der eine SS-Uniform trug, automatisch ein Verbrecher war."

Der Aufschrei danach war laut und moralisch triefend. Einmalig in der deutschen Geschichte sei Krahs Entgleisung gewesen, sagten die einen, die endgültige Verharmlosung des Nationalsozialismus, meinten die anderen. Dem lohnt es sich, nachzugehen, denn vor Krah sind ganz andere Kaliber mit Aussagen zu zitieren, gegen die die des AfD-Politikers fast schon harmlos wirken. Erneut sei an Konrad Adenauer erinnert, der sich wie folgt äußerte:

"Ich weiß schon längst, dass die Soldaten der Waffen-SS anständige Leute waren. Aber, solange wir nicht die Souveränität besitzen, geben die Sieger in dieser Frage allein den Ausschlag, so dass wir keine Handhabe besitzen, eine Rehabilitierung zu verlangen. Machen Sie einmal dem Ausland ... deutlich, dass die Waffen-SS keine Juden erschossen hat, sondern als hervorragende Soldaten von den Sowjets gefürchtet war!"

Kurt Schumacher (SPD) äußerte, er habe "keine Vorbehalte gegenüber den Zusammenschlüssen ehemaliger SS-Angehöriger und lehne auch in Bezug auf die SS jede ‚Kollektivschuld‘ ab."

Und Franz-Josef Strauß (CSU) schrieb in einem Brief an SS-Veteranen:

"Wie ich persönlich über die Leistungen der an der Front eingesetzten Verbände der Waffen-SS denke, wird Ihnen bekannt sein. Sie sind selbstverständlich in meine Hochachtung vor dem deutschen Soldaten des letzten Weltkrieges eingeschlossen."

Diese Zitate stammen von namhaften westdeutschen Politikern, und sie verdeutlichen nicht nur die fehlende Aufarbeitung des Hitler-Faschismus, sondern auch die kontinuierliche Russophobie in der BRD. Den guten Beziehungen zwischen West-Deutschland und Israel konnten derlei Aussagen aber nicht schaden, und das hängt eben auch mit den Waffengeschäften beider Länder zusammen.

Deutsche Waffen für Israel

Nachdem die diplomatischen Beziehungen zwischen der BRD und Israel aufgenommen worden waren, setzten sich die deutschen Waffenlieferungen an Israel fort. Diese Form der Wirtschaftspolitik hatte Folgen. Der von Israel 1967 geführte Sechstagekrieg wäre ohne die deutschen Waffenlieferungen so nicht durchführbar gewesen. Die Konsequenzen dieses Krieges liegen etwa in der israelischen Besetzung der Golanhöhen, des Westjordanlandes, Ostjerusalem und eben des Gaza-Streifens. Die deutsche Verantwortung an der heutigen Situation im Gaza-Streifen und den anderen angesprochenen Gebieten kann gar nicht oft genug betont werden.

"Waffenbrüder" wie die in Gestalt Deutschlands und Israels sind keine guten Freunde, sondern eiskalte Geschäftsleute, die einander wichtig sind, weil sie sich gegenseitig mit Waffen und Macht ausstatten. Die "Staatsräson" in Deutschland verdeckt die simple Tatsache, dass es sich bei der Beziehung zwischen Israel und Deutschland um eine Geschäftsbeziehung handelt und interne, über Jahrzehnte gewachsene Prozesse nicht einfach abzuschalten sind.

Daher kam es Kanzler Olaf Scholz sehr gelegen, als Benjamin Netanjahu in seinem Beisein sagte, die Hamas seien die "neuen Nazis". Eine bessere Rechtfertigung der uneingeschränkten Unterstützung Israels durch Deutschland kann es gar nicht geben. Die Anträge auf Haftbefehle des Internationalen Strafgerichtshofs gegen israelische Politiker waren wie Sand im Getriebe der reibungslos laufenden Rüstungsmaschine zwischen Israel und Deutschland. Doch dieser "Sand" wird keine ernsthaften Auswirkungen auf das weitere Funktionieren der Geschäftsbeziehung haben. Das Band ist zu stark, als dass es durch den Internationalen Strafgerichtshof oder massenhaften Mord Israels im Gaza-Streifen zerschnitten werden könnte.

+++ Wir danken dem Autor für das Recht zur Veröffentlichung des Beitrags. +++ Bildquelle: esfera / shutterstock


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