Austritt des Deutschen Gewerkschaftsbundes aus dem Friedensbündnis Schwerin: DGB endgültig Teil der Kriegsphalanx.
Ein Kommentar von Wolfgang Effenberger.
Am 29. März 2023 beschloss der Stadtausschuss des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) den Austritt aus dem Schweriner Bündnis für Frieden. Als Grund dafür wurden die Positionen des Friedensbündnisses angegeben: Leugnen der Aggression Russlands oder relativiertes DDR-Unrecht.
Da die Vertreter des DGB die Vorgeschichte des Ukraine-Konflikts vollkommen ausklammern und den Beginn des Krieges mit dem russischen Angriff vom 24. Februar 2022 festsetzen, wird unreflektiert das Mantra aus Brüssel von der wertebasierten internationalen Ordnung und dem unprovozierten brutalen russischen Angriff auf die Ukraine nachgebetet.
Fabian Scheller, DGB-Regionsgeschäftsführer Rostock-Schwerin, weist eingangs in seinem Anschreiben an das Friedensbündnis darauf hin, dass der DGB und seine Gewerkschaften viele Jahre die Arbeit des Friedensbündnisses begleitet und unterstützt haben,
„obwohl wir zu einem Teil der Forderungen des Bündnisses eine andere Position haben. Der DGB setzt sich weiter für weltweiten Frieden und Abrüstung ein und stellt sich schützend vor Menschen, die auf Grund von Krieg, Not oder Hunger zu uns kommen und hier Schutz suchen. Gemeinsam mit internationalen Gewerkschaftsorganisationen organisieren wir internationale Solidarität.“(1)
Der DGB setzt sich für weltweiten Frieden, Abrüstung und internationale Solidarität ein?
Wo und wann hat der DGB seine Stimme gegen die seit 1999 mit dem völkerrechtswidrigen Krieg gegen Jugoslawien begonnenen US-Interventionen erhoben? Diese Kriege waren wirklich alle unprovoziert und fanden 10.000 Meilen von den USA entfernt statt. Seit 1999 verzichten die USA bei ihren Kriegen sogar offen auf ein UN-Mandat und treten somit die UN-Charta mit Füßen.
„Schon lange kritisieren wir die Kooperation des Schweriner Friedensbündnis mit Organisationen, die im aktuellen Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine die hauptsächliche Verantwortung bei der NATO sehen und die der Ukraine das Recht auf Selbstverteidigung absprechen“, schreibt Fabian Scheller, der in diesem Zusammenhang Organisationen wie den ISOR Sozialverein e.V., die MLPD, den RotFuchs e.V., den Verein zur Pflege der Tradition der NVA und den Grenztruppen der DDR e.V. benennt. Letztere stünden mit ihrem politischen Selbstverständnis nicht an der Seite der DGB-Gewerkschaften. Sie „relativieren DDR-Unrecht, relativieren Russlands Rolle als Aggressor eines völkerrechtswidrigen Angriffskriegs und verbreiten politische Vorstellungen, die mit den Werten der DGB-Gewerkschaften unvereinbar sind.“ Der Vorwurf des Relativierens - der immer wieder gern unbegründet in den Raum gestellt wird - ist der Totschläger eines jeden Diskurses.
Abschließend stellt Scheller dogmatisch fest, dass „die neuere politische Verbindung und Überschneidung einiger Mitglieder des Schweriner Friedensbündnisses, ihre Zusammenarbeit mit der Initiative ‚Aufstehen‘ und der Partei ‚Die Basis‘ eine Mitgliedschaft des DGB und seiner Mitgliedsgewerkschaften im Schweriner Friedensbündnis nicht mehr zulassen und deshalb den Austritt des DGB aus dem Friedensbündnis erforderlich machen“. Es folgt die Bitte, den DGB und alle acht Mitgliedsgewerkschaften als Mitglied aus den aktuellen Unterlagen/Veröffentlichungen und den Onlineauftritten des Friedensbündnisses zu löschen.
Das Schweriner Friedensbündnis steht nach eigener Aussage für Frieden, soziale Gerechtigkeit und Menschenrechte:
„Wer heute von Frieden redet, darf über Kriege nicht schweigen! Wir sind offen für alle, die mit uns gemeinsam für Frieden, soziale Gerechtigkeit und Menschenrechte eintreten wollen. Uns verbindet unser Engagement für den Frieden vor Ort und auf der Welt. Wir haben unterschiedliche Weltanschauungen und Nationalitäten und kommen aus verschiedenen Kulturen. Unsere Mitglieder eint die Befürchtung, dass sich aus den Krisenherden und Kriegen auf der Welt wieder ein großer Krieg entwickeln wird.“ (2)
Das Schweriner Friedensbündnis sieht die Zivilgesellschaft in der Pflicht, eine starke Friedensbewegung auf die Beine zu stellen und fordert:
„Nie wieder Krieg! Nirgendwo! Nicht in unserem Namen! Wir wollen keine Aufrüstung, keine Kriegseinsätze und keine Eskalationspolitik.“(3)
Grundsatzprogramm des DGB vom November 1996
In diesem Programm wird im Kapitel IV (Anforderungen an unsere demokratische Gesellschaft) und dort unter Absatz 2 (Menschenrechte, Frieden und Abrüstung) die aktuelle Verpflichtung der Gewerkschaften zum Einsatz für „Freiheit und Gleichheit, ein Leben und Arbeiten in Selbstbestimmung und Würde - ohne Unterdrückung, Bedrohung und Not“ aufgeführt. (4)
Um diesen hehren Zielen Geltung zu verschaffen, muss der Krieg als solcher geächtet und die Mahnung von Willy Brandt beachtet werden:
„Im Atomzeitalter darf es unter keinen Umständen zum militärischen Konflikt zwischen den großen Mächten kommen. Es gäbe für unendlich viele Menschen keine Rettung. Zum Krieg, vor dem so viele Menschen Angst haben, brauchen nicht so viele hinzugehen, und er wird doch alle ereilen. Dies ist es ja, was die Angst in Deutschland stärker macht als anderswo: dass das eigene Volk ausgelöscht sein könnte, ohne dass es sich selbst hätte auch nur aufbäumen können. Ich kann dies nicht als gefährlichen Unsinn beiseiteschieben. Ich kann auch niemandem garantieren, Atomwaffen seien nur dazu da, nicht eingesetzt zu werden. Ich identifiziere mich mit denen, die ein Gefühl existentieller Bedrohung haben: Der Frieden ist nicht alles, aber alles ist ohne den Frieden nichts..“(5)
1996 schien die Mahnung von Willy Brandt noch nicht vergessen zu sein. So fordert das Grundsatzprogramm auf der gleichen Seite, dass soziale, ökonomische und ökologische Konflikte auf zivilem Weg ohne militärische Gewalt gelöst und die Vereinten Nationen zur allgemein respektierten Weltorganisation für ein friedliches Zusammenleben der Völker, zur Achtung der Menschenrechte und der humanitären Hilfe weiterentwickelt werden müssen.
Das steht alles schon am Anfang der Präambel der UN-Charta von 1945:
„Wir, die Völker der Vereinten Nationen - fest entschlossen, künftige Geschlechter vor der Geißel des Krieges zu bewahren, die zweimal zu unseren Lebzeiten unsagbares Leid über die Menschheit gebracht hat“.(6) Seit über 78 Jahren gibt es immer wieder wohlfeile Aufrufe, doch es hat sich nichts getan - im Gegenteil!
Richtig wird im Grundsatzprogramm erkannt, dass die Auflösung der Warschauer Vertragsorganisation und der Sowjetunion der Block-Konfrontation und der bis dahin bipolaren Struktur den Boden entzogen hat. Dadurch seien historisch einmalige Möglichkeiten für Frieden und Abrüstung eröffnet worden. Was für ein Trugschluss! 1991 begann mit dem US-Krieg gegen den Irak eine Reihe von Kriegen, die ausschließlich dem Ziel dienten, eine unipolare Weltordnung unter US-Führung durchzusetzen: „Wichtigstes Ziel muss sein, einen Zustand der gemeinsamen Sicherheit zu schaffen, der Krieg in Europa unmöglich macht“. Bereits drei Jahre später überzogen die USA mit dem völkerrechtswidrigen Angriff auf Rest-Jugoslawien die Region mit Krieg und starteten anschließend einen Reigen von „farbigen Revolutionen“.
Laut dem Grundsatzprogramm ist eine gemeinsame Sicherheit geeignet, „den europäischen Nationen eine friedliche Zukunft zu sichern und den Völkern Osteuropas die begründete Aussicht auf bessere Lebensumstände zu eröffnen.“
Das lässt sich aber nur einlösen, wenn weltweit die Sicherheitsbedürfnisse der „Anderen“ ebenfalls respektiert werden und allen Menschen auf diesem Planeten eine begründete Aussicht auf bessere Lebensumstände eröffnet wird.
Für den russischen Außenminister Sergej Lawrow hat sich die Europäische Union dem amerikanischen Diktat vollständig unterworfen; er verweist auf die Unterzeichnung der Gemeinsamen Deklaration [Joint Declaration] durch NATO und EU zur Zusammenarbeit am 10. Januar 2023. Darin heißt es ausdrücklich, dass das Bündnis und die EU die Aufgabe verfolgen,
„alle politischen, wirtschaftlichen und militärischen Mittel im Interesse der „Goldenen Milliarde“ einzusetzen – damit sind die Bürger von NATO und EU gemeint. Der Rest ist nach den Worten des Hohen Vertreters der EU für Außen- und Sicherheitspolitik, Josep Borrell, ein „Dschungel“, der die Entwicklung des „blühenden Gartens“ verhindere. Deshalb solle dieser Dschungel neu formatiert, an die Bedürfnisse der Goldenen Milliarde angepasst und in eine neue Art von Kolonie verwandelt werden, die man mit neuen Methoden rücksichtslos abschöpfen könne. Die Mittel sind bekannt: „Dämonisierung, Erpressung, Sanktionen, Androhung von Gewalt und Vieles mehr“.(7)
Klarsichtig wird im Grundsatzprogramm erkannt, dass die Wahrnehmung der Realität über Medien vermittelt und politische Debatten sowie gesellschaftliche Diskussionen wesentlich durch die Medien beeinflusst werden. „Die demokratische Verfassung und Kultur unserer Gesellschaft hängen entscheidend davon ab, wie demokratisch ihre Medien, deren Inhalte und die Kommunikationsstrukturen sind. Information, Bildung und Unterhaltung müssen zur Weiterentwicklung der Demokratie beitragen sowie die kulturelle Vielfalt widerspiegeln und fördern.“(8) Die innere Presse- und Rundfunkfreiheit sei für Frieden und Demokratie unerlässlich.
Was machen nun die Gewerkschaften angesichts von Medien, die sich von diesem Auftrag immer weiter entfernen? Sie stimmen in den allgemeinen Propaganda-Chor mit ein. Dabei könnten die Gewerkschaften durchaus ein Leuchtturm für eine demokratische Medienvielfalt sein.
Zum Auftakt des "Labour 7 Gipfels der Gewerkschaften" (Anfang Mai 2022) – keine zwei Monate nach dem russischen Angriff auf die Ukraine – empfing Bundeskanzler Olaf Scholz, damals zugleich Vorsitzender der G7-Präsidentschaft, die Gewerkschaftsspitzen aus den G7-Staaten im Kanzleramt. Sie machten ihre Anforderungen an Nachhaltigkeit, an die Stärkung eines regelbasierten Multilateralismus, an Investitionen in Gesundheit sowie in die ökologische und digitale Transformation und zum Schutz demokratischer Grundwerte gegenüber dem G7-Vorsitzenden deutlich. „Die deutsche Präsidentschaft hatte 2022 den G7-Gipfel unter das Motto "Fortschritt für eine gerechte Welt" gestellt."(9)
Hier taucht wieder die Chimäre des regelbasierten Multilateralismus und das Beschwören einer gerechten Welt auf. Solche Phrasen werden vom Rest der Welt nicht mehr ernst genommen.
Auch die Forderung, die EU müsse in der Lage sein, sich mit ihren demokratischen Grundwerten und dem Wirtschafts- und Gesellschaftsmodell eines sozialen Europas in der zunehmend globalen Systemrivalität behaupten, erscheint angesichts der devoten Ausführung der Befehle Washingtons lächerlich. Der Gehorsam der EU gegenüber den USA gefährdet das Überleben Europas.
Die Zerschlagung ukrainischer Gewerkschaften war nie ein Thema. Es gab auch keine Stellungnahme des DGB zum Massaker im und um das Gewerkschaftshaus in Odessa am geschichtsträchtigen 2. Mai 2014.
Tragödie im Gewerkschaftshaus von Odessa - bis heute nicht aufgeklärt
Am 2. Mai 2014, dem Tag der Tragödie, kam es in der Innenstadt von Odessa (der ukrainischen Hafenstadt am Schwarzen Meer) zu straßenschlachtähnlichen Zuständen zwischen anti- und pro-russischen Aktivisten, die sich gegen Abend immer weiter in Richtung Gewerkschaftshaus verlagerten und die sechs Todesopfer forderten. Schließlich mussten die pro-russischen Aktivisten schutzsuchend in das Gewerkschaftshaus fliehen, das daraufhin unter bis heute nicht geklärten Umständen in Flammen aufging. Im Feuer kamen 32 Menschen ums Leben; weitere 10 Personen starben, als sie aus den Fenstern sprangen.(10) Die Feuerwehr begann erst 40 Minuten nach Brandbeginn mit dem Löschen, obwohl die Station nur wenige hundert Meter entfernt ist.(11)
Noch am Abend des 2. Mai 2014 wurden mehrere Dutzend pro-russische Aktivisten festgenommen, von denen die meisten zwei Tage später wieder freigelassen wurden. Nach langer Untersuchungshaft wurden im September 2017 die letzten der pro-russischen Aktivisten von einem Gericht freigesprochen. „Dieses bemerkte ausdrücklich, dass die staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen einseitig geführt wurden. Allein einer der Anführer der pro-russischen Aktivisten wurde in Abwesenheit zu einer fünfjährigen Haftstrafe verurteilt. Bei diesen Verfahren ging es nicht um den Brand, sondern um die vorherigen Straßenkämpfe“(12).
Dagegen blieben die anti-russischen Aktivisten weitgehend unbehelligt. Bis heute wurde niemand für den Brand und die dortigen Todesfälle bestraft, und es ist auch bis jetzt nicht untersucht worden, wer das Feuer legte.
Für Staatsanwalt Dr. Eike Fesefeldt - vom 13. Mai 2019 bis 12. Mai 2021 als Trial Lawyer vom Land Baden-Württemberg zum Internationalen Strafgerichtshof entsandt - wären die unzureichenden Ermittlungen der ukrainischen Behörden allein schon Grund für eine Untersuchungskommission. „Aber die Prioritäten liegen woanders: Auch weiterhin erscheint es zentral, die Ursachen und Hintergründe des Feuers zu identifizieren.“(13)
Odessa-Massaker: DGB-Spitze schweigt
Nachdem die DGB-Spitze sich nicht zu den Vorgängen um das Gewerkschaftshaus in Odessa äußerte, erschien am 14. Mai 2014 von Andreas Köhn, Fachbereichsleiter der Gewerkschaft ver.di für Medien, Kunst und Industrie in Berlin-Brandenburg, Berufsgruppe Journalismus ein geharnischter Gastkommentar in der "Jungen Welt":
„Viele Mitglieder der DGB-Einzelgewerkschaften hatten spätestens am Montag, den 5. Mai 2014, eine Stellungnahme, zumindest eine Presseerklärung der Gewerkschaftsspitze, insbesondere des DGB zu der Brandschatzung des Gewerkschaftshauses in Odessa am 2. Mai erwartet. Dieses Datum ist für die deutsche Gewerkschaftsbewegung nicht nur historisch wichtig, sondern auch Handlungsauftrag, weil am 2. Mai 1933 deutsche Gewerkschaftshäuser von der paramilitärischen Kampforganisation der Nationalsozialisten (der SA) gestürmt, Gewerkschaftseigentum beschlagnahmt sowie Gewerkschafter verschleppt, gefoltert und ermordet wurden. Am 2. Mai 2014 sind in und vor dem Gewerkschaftshaus in Odessa mindestens 42 Menschen durch die faschistischen Mordbrenner zu Tode gekommen. Die Täter sind Mitglieder des »Rechten Sektors«, die sich als Nachfolger der nationalistischen Bandera-Banden und der Angehörigen der SS-Division Galizien verstehen. Diese waren verantwortlich für den Massenmord, die sogenannte Säuberung der Westukraine von Juden, Polen und Russen während der deutschen Besatzung. In vielen gewerkschaftlichen Gliederungen, unter anderem bei ver.di, herrscht heute völliges Unverständnis über das Schweigen der Gewerkschaftsspitzen zu dem Verbrechen von Odessa…“(14)
Offener Brief ehemaliger Top-Gewerkschafter an Außenminister Heiko Maas
Ein weiterer Lichtblick in dem nun fast 10 Jahre andauernden Versagen der deutschen Gewerkschaften durch Anpassung bis zur Unkenntlichkeit ist neben dem Kommentar von Andreas Köhn ein mutiger Friedensappell ehemaliger Top-Gewerkschafter.
Am 14. Oktober 2020 wandten sich die Ehemaligen, welche Funktionen in den großen Einzelgewerkschaften, im Journalismus, im Arbeitsrecht oder auf Unternehmensebene als Betriebsräte, Gesamtbetriebsräte, Aufsichtsräte und in der Selbstverwaltung der Sozialkassen ausgeübt hatten, in einem offenen Brief an den damaligen Außenminister Heiko Maas (2019-2021).
Darin hielten sie u.a. fest, dass sie nach dem Beitritt der DDR und dem vermeintlichen Sieg des Kapitalismus über den Kommunismus eine kontinuierliche Abkehr der herrschenden Politik von den Grundwerten einer sozialen Demokratie, wie sie das Grundsatzprogramm der SPD ziert, feststellen müssen. Das zentrale Anliegen des erwähnten Grundsatzprogramms sei allerdings die Friedenspolitik. So sei eine Politik, die sich strikt an die Charta der Vereinten Nationen bindet, nötiger denn je.
Nach dieser Einführung wird dem Außenminister vorgeworfen, dass er offensichtlich einen anderen Weg gewählt hat und eine Politik des „Wandels durch Provokation und Konfrontation“ betreibt.
Er verfolge mit der Stationierung von Kampftruppen der Bundeswehr unmittelbar an der russischen Grenze, der andauernden Stationierung von Nuklearwaffen auf bundesdeutschem Gebiet, der Unterstützung des US-Drohnenkrieg mit unzähligen ermordeten Unschuldigen die Ziele kapitalistisch-geostrategischer Interessen:
„Sie erhöhen die Kriegsgefahr, machen mit ihrer Handlungsweise Deutschland zum Frontstaat und Mitteleuropa zur Hauptkampfzone.“(15)
Zusammenfassend wird festgestellt, „dass Ihr Wirken als deutscher Außenminister dem Zusammenhalt der hiesigen Gesellschaft weder dienlich noch dem Wohlergehen der abhängig Beschäftigten, dem wir alle jahrzehntelang gedient haben, zuträglich ist.“
Der Brief endet mit dem Aufruf, „entweder aktiv friedenspolitisch sinnvolle Politik zu betreiben oder dieses Amt aufzugeben.“(16)
Auch dieser Appell verdienter hoher Gewerkschafter, der den fatalen Kriegskurs und den drohenden Verfall unserer ethischen Grundlagen dramatisch aufzeigt, verhallte ungehört.
Parallelen zum "Krefelder Appell"(17) 1980 und dem Vorgang in Schwerin 2023
Der Vorgang in Schwerin erinnert Eberhard Fehrmann – ehemaliger Abteilungsleiter beim DGB-Bundesvorstand (1983-1986) und beim Vorstand der IG Metall (1986-1990) – ein wenig an den "Krefelder Appell" von 1980, der nicht nur auf das Schweigen der Gewerkschaften stieß, „sondern gewerkschaftsintern uns hauptamtliche Sekretäre aufforderte, diesen Appell nicht zu unterschreiben und auch nicht zur Bonner Demonstration zu gehen. Natürlich waren wir alle mit Kind und Kegel auf der Demonstration in Bonn, die vermutlich zu den mächtigsten Statements der deutschen Friedensbewegung nach 1945 zu zählen ist. Wir sind heute noch stolz darauf, dabei gewesen zu sein. Selbst die Schmerzen in den Schultern, die durch das stundenlange Herumtragen meiner Tochter hervorgerufen wurden, zählen zu diesen schönen und stolzen Erinnerungen. Was beide Vorgänge so ähnlich macht ist das defizitäre Verständnis des gewerkschaftlichen Einheitsgebotes“(18).
Für Fehrmann ist es ja eines der großen Errungenschaften der deutschen Gewerkschaftsbewegung nach ihrer Neugründung 1949 gewesen, sich nicht mehr in liberal, sozialistisch und christlich orientierte Richtungen aufzuspalten, sondern alle Arbeitnehmer einheitlich und gemeinsam – ohne Anschauung ihrer politischen Einstellung – in nach Branchen strukturierten Gewerkschaften zu organisieren. "Hütet die Einheit wie euren Augapfel" war das Vermächtnis, „das 1979 auf einer Konferenz zur 30-jährigen Wiederkehr der DGB-Gründung von den alten Gründungsmitgliedern an uns jungen Sekretäre weitergegeben wurde. Die Wirklichkeit war ein wenig anders: die politische Einheitsgewerkschaft war immer eine sozialdemokratische Gewerkschaft mit Respektierung einer christlichen Minderheitenposition (ein Vorstandsmitglied kam immer aus den Sozialausschüssen der CDU). Linkere politische Positionen wurden systematisch aus Führungsfunktionen herausgehalten (Ausnahmen: IG Metall, IG Druck und Papier, IG Holz und Kunststoff, Gewerkschaft Handel, Banken und Versicherungen). Der Krefelder Appell wurde auch von der DKP mitgetragen und richtete sich gegen den SPD-Kanzler Schmidt“(19).
Zurück in die Gegenwart:
„Die jetzige Vorsitzende des Bundes-DGB Yasmin Fahimi ist Mitglied der IG Bergbau, Chemie und Energie (BCE), war Bundestagsmitglied und ehemalige Generalsekretärin der SPD sowie Mitglied des Seeheimer Kreises. Sie trägt die Politik des Hamburger Bellizisten Olaf Scholz loyal mit, so wie Heinz Oskar Vetter die Aufrüstungspolitik Helmut Schmidts klaglos mitgetragen hat. Mir ist auch kein Vorsitzender einer Einzelgewerkschaft bekannt, der nicht Mitglied der SPD ist. Beide Vorgänge, der von 1980 und der heutige zeichnen sich also durch einen dem Toleranzgebot der gewerkschaftlichen Einheit widersprechenden Ausschluss friedenspolitischer Positionen und der Unterwerfung unter eine historisch einmalige konfliktfördernde sozialdemokratische Regierungspolitik aus.“(20)
Ein Unterschied will Fehrmann aber nicht unter den Teppich kehren: „Während die konfliktbejahende Position des DGB von 1980 keinerlei Auswirkungen auf die ökonomische und soziale Lage der Arbeitnehmer in der Bundesrepublik hatte, könnte der aggressive Konfliktkurs der Scholz-Regierung gegenüber Russland gleichbedeutend sein mit einer suizidalen Industriepolitik. Denn ein wesentlicher Faktor der Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Industrie bestand in den privilegierten Handelsbeziehungen der deutschen Industrie zu Russland, deren Kern die Lieferung beispiellos günstiger Energieträger (Gas, Öl) ausmachte. Der dauerhafte Wegfall dieser volkswirtschaftlich fundamentalen Handelsbeziehung könnte das Ende des deutschen verarbeitenden Gewerbes sein, das sich auch gegenüber kostengünstigen asiatischen Konkurrenten in Teilbereichen als einer der widerstandsfähigsten Industriestandorte des Westens behauptet hatte. Ohne das günstige (und vergleichsweise saubere) russische Gas ist diese volkswirtschaftliche Position Deutschlands im globalen Wettbewerb nicht zu halten. Die USA sind einen westlichen Konkurrenten los, der zudem in eine noch stärkere wirtschaftliche Abhängigkeit von dem transatlantischen Hegemon zu geraten droht. Es wäre die Pflicht der Gewerkschaften, namentlich des DGB, gewesen, im Interesse der deutschen Arbeitnehmer diesen Aspekt in den nationalen Diskurs einzubringen und Politik zu zukunftsweisenden Antworten zu drängen. Das nicht getan zu haben und dem aggressiven Militarismus sozialdemokratischer Politik sprachlos zuzuschauen, ist frevelhaft. Aber noch verwerflicher ist es, Organisationen und Menschen zu diffamieren und auszugrenzen, die auf Beendigung des Krieges und Verständigung mit Russland drängen, nicht zuletzt, weil sie die existenzielle Sorge um die wirtschaftliche Zukunft Deutschlands bewegt. Diese auszugrenzen, ist mit gewerkschaftlichen Werten nicht zu vereinbaren. Moral macht blind und intolerant. Das lehrt uns Schwerin.“(21)
Auf dem Internationaler Sozialistenkongreß zu Stuttgart (18. bis 24. August 1907) beantragten die russischen Delegierten Wladimir Iljitsch Lenin und Julius Martoff, beide begründeten 1895 den Petersburger Kampfbund zur Befreiung der Arbeiterklasse, zusammen mit der polnischen Delegierten Rosa Luxemburg folgende Änderungen zur Resolution Bebels: „... Droht der Ausbruch eines Krieges, so sind in den beteiligten Ländern die Arbeiter und ihre parlamentarischen Vertreter verpflichtet, alles aufzubieten, um den Ausbruch des Krieges durch Anwendung entsprechender Mittel zu verhindern … Falls der Krieg dennoch ausbrechen sollte, sind sie verpflichtet, für dessen rasche Beendigung einzutreten und mit allen Kräften dahin zu streben, um die durch den Krieg herbeigeführte wirtschaftliche und politische Krise zur politischen Aufrüttelung der Volksschichten und zur Beschleunigung des Sturzes der kapitalistischen Klassenherrschaft auszunutzen“.(22)
Das liegt 116 Jahre zurück. Trotz zweier katastrophaler Weltkriege, einem kostspieligen Kalten Krieg und weltweit vieler Stellvertreterkriege ist hinsichtlich einer Friedenspolitik kein Fortschritt zu verzeichnen –im Gegenteil: Am 28. Februar 2023 äußerte sich im Rahmen einer Senatsanhörung zum Ukrainekrieg General Kellogg: „..wenn man die Ukrainer siegen lässt, ist ein strategischer Gegner vom Tisch und wir können uns auf das konzentrieren, was wir gegen unseren Hauptgegner tun sollten, und das ist im Moment China… Und wenn wir dabei scheitern, müssen wir vielleicht einen weiteren europäischen Krieg führen. Das wäre dann das dritte Mal“(23).
Quellen und Anmerkungen:
Wolfgang Effenberger, Jahrgang 1946, erhielt als Pionierhauptmann bei der Bundeswehr tiefere Einblicke in das von den USA vorbereitete „atomare Gefechtsfeld“ in Europa. Nach zwölfjähriger Dienstzeit studierte er in München Politikwissenschaft sowie Höheres Lehramt (Bauwesen/Mathematik) und unterrichtete bis 2000 an der Fachschule für Bautechnik. Seitdem publiziert er zur jüngeren deutschen Geschichte und zur US-Geopolitik. Zuletzt erschienen vom ihm:
„Schwarzbuch EU & NATO“ (2020)
sowie
"Die unterschätzte Macht" (2022)
1) https://katapult-mv.de/artikel/dgb-tritt-aus-friedensbuendnis-aus
https://schweriner-friedensbuendnis.de/
2) Ebda
3) https://schweriner-friedensbuendnis.de/
4) https://www.dgb.de/themen/++co++article-mediapool-a9fa09863177d704d888ed62e1ae6fc5
5) Rede zum 100-jährigen Bestehen des Verlages J.H.W. Dietz Nachf., 3. Nov. 1981(content/uploads/2019/09/WB_BerlinerAusgabe_05.pdf#page=363)
6) https://unric.org/de/charta/
8) https://www.dgb.de/themen/++co++article-mediapool-a9fa09863177d704d888ed62e1ae6fc5
9) L7-Gewerkschaftsgipfel fordert: Das globale Gemeinwohl gestalten
https://www.dgb.de/presse/++co++0a4fd1ce-d1d2-11ec-96dd-001a4a160123
11) Soweit bekannt, sind diese Fälle zwar seit 2016 angeklagt, aber bislang nicht abgeschlossen worden.
13) Ebda.
15) Wolfgang Effenberger: Schwarzbuch EU & NATO Warum die Welt keinen Frieden findet. Höhr-Grenzhausen 2020, im Anhang ist der gesamte Aufruf (551-555) abgedruckt, hier S. 553f
16) Eba., S. 554
17) Der Krefelder Appell war ein Aufruf der westdeutschen Friedensbewegung an die damalige Bundesregierung, die Zustimmung zur Stationierung neuer atomarer Mittelstreckenraketen in Europa zurückzuziehen und innerhalb der NATO auf eine Beendigung des atomaren Wettrüstens zu drängen. Er wurde am 16. November 1980 in Krefeld öffentlich vorgestellt und bis 1983 von über vier Millionen Bundesbürgern unterzeichnet.
18) Eberhard Fehrmann. Mail vom 23. Mai 2023 an Wolfgang Effenberger (Auszug)
19) Ebda.
20) Ebda.
21) Ebda.
22) Resolution zu _Militarismus und die internationalen Konflikte)), in) Internationaler Sozialistenkongreß zu Stuttgart. 18. bis 24. August 1907. Berlin 1907. S. 102
23) https://www.youtube.com/watch?v=tmmPHvlbdwI
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+++ Bildquelle: Achim Wagner/ shutterstock
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