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Die Aufwärtsspirale | Von Simone Bach

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Wir können den umweltschädlichen Teufelskreis verlassen und in eine Kreislaufwirtschaft eintreten.

Hinweis zum Beitrag: Der vorliegende Text erschien zuerst im „Rubikon – Magazin für die kritische Masse“, in dessen Beirat unter anderem Daniele Ganser und Hans-Joachim Maaz aktiv sind. Da die Veröffentlichung unter freier Lizenz (Creative Commons) erfolgte, übernimmt apolut diesen Text in der Zweitverwertung und weist explizit darauf hin, dass auch der Rubikon auf Spenden angewiesen ist und Unterstützung braucht. Wir brauchen viele alternative Medien!

Ein Kommentar von Simone Bach.

Wiederverwertung statt Verschleiß: Dieses Prinzip des Wirtschaftens ist an und für sich nicht neu. Noch immer aber scheinen viele Hersteller und Endverbraucher es nicht verstanden zu haben, obwohl wir so viel Zeit für eine Kehrtwende nicht mehr haben. Der Naturschutzbund Deutschland e.V. (NABU) warnt: „Rund 16.000 Kilogramm Rohstoffe verbraucht jeder Mensch in Deutschland — pro Jahr!“ Und nur maximal 12 Prozent davon stammten aus dem Recycling. Das müsste nicht sein, denn eine konsequente Kreislaufwirtschaft wäre schon lange machbar.

Berücksichtige man dabei nicht nur das Eigengewicht der Importe, sondern auch den Rohstoffverbrauch, der im Ausland bei der Produktion der importierten Güter anfällt, also die Vorketten, betrage der Verbrauch sogar 17 Tonnen jährlich. Im Jahr 1970 haben die Menschen der Natur weltweit etwa 27 Milliarden Tonnen Rohstoffe entnommen, 2017 waren es bereits 91 Milliarden. Für 2060 werden, wie der NABU berichtet, jährlich 167 Milliarden Tonnen prognostiziert (1).

Dieser Raubbau bedeutet: Emissionen und Schadstoffe werden freigesetzt, Flächen verbraucht und riesige Abfallmengen entstehen. Alles zusammen führe laut NABU dazu, dass die Grenzen unseres Planeten damit überschritten würden. Mögliche Lösungen: Reduzierung des Rohstoffverbrauchs und geschlossene Materialkreisläufe. Eine 2021 vom NABU in Auftrag gegebene Studie untersuchte mit einem besonderen Blick auf Baustoffe, wie viele und welche Rohstoffe in Deutschland verbraucht werden, wie viel recycelt wird und wo die größten Potenziale für eine bessere Kreislaufwirtschaft liegen (2).

Dass Kreislaufwirtschaft ohne großzügige Subventionen seitens der Regierung sowie ohne die Bereitschaft der Industrie und Verbraucherinnen und Verbraucher eine Utopie bleiben dürfte, liegt auf der Hand. Der NABU erstellte eine Liste von Forderungen mit dem Schwerpunkt Kreislaufwirtschaft speziell zur vergangenen Bundestagswahl. Einige der Elemente daraus beziehen sich auf die Stärkung von Reparaturen, von umwelt- und recyclingfreundlichem Design sowie auf ein Ende von Plastikmüllexporten in Länder außerhalb der EU. Doch Ideen wie diese blieben selbst dann, wenn sie eine adäquate politische Unterstützung bekämen, nur ein Tropfen auf den heißen Stein.

Problematische Müllverbrennungsanlagen

Hierzu lässt der NABU wissen, dass in Deutschland derzeit 66 Müllverbrennungsanlagen (MVA) mit einer jährlichen Gesamtkapazität von etwa 20,6 Millionen Tonnen im Einsatz sind. Dazu kämen Ersatzbrennstoffkraftwerke (EBS), in denen „aufbereitete“ Abfälle mit höheren Heizwerten als die gemischten Abfallfraktionen in Müllverbrennungsanlagen verbrannt würden, wie geschredderte Altreifen oder Abfälle aus der mechanisch-biologischen Abfallbehandlung (MBA). In den Verbrennungsanlagen landeten jedoch große Mengen Abfälle, die eigentlich vermieden, wiederverwendet oder recycelt werden könnten. Diese Wertstoffe gingen beim jetzigen Vorgehen allerdings unwiederbringlich in Rauch auf. Das sei unnötig und behindere eine umfassende Kreislaufwirtschaft (3).

Abgesehen davon, dass in den MVA Produkte verbrannt werden, die sich im Rahmen einer konsequenten Kreislaufwirtschaft wiederum als Ressourcen nutzen ließen, stehen deren Emissionen immer wieder unter Verdacht, gesundheitsschädlich zu sein. Auch der Bund für Umwelt- und Naturschutz e.V. ist der Ansicht, dass Abfälle für maximalen Klima- und Ressourcenschutz möglichst vermieden oder aber recycelt werden müssten und fordert, der Irrweg, Wertstoffe zu verheizen, müsse ein Ende finden. Weil es aber immer noch billiger und einfacher sei, Abfälle zu verbrennen statt wiederzuverwerten, würden nach wie vor große Mengen verbrannt (4).

Kryorecycling und der blinde Fleck der Industrie

In dem Artikel „Die Scheuklappen-Diskussion“ wurde bereits am Rande auf das Kryorecycling hingewiesen. Dieses Verfahren wurde schon vor Jahrzehnten von Professor Dr. Harry Rosin, Umweltmediziner und seinerzeit Leiter des Hygiene-Instituts in Dortmund und seinem Team entwickelt. Das Kryorecycling wurde im Labormaßstab mehrfach erprobt, von Fach-Ingenieuren für Kältetechnik und mechanische Verfahrenstechnik sowie von Wirtschaftsingenieuren geprüft, für gut befunden und mitgestaltet. Nicht nur viele Kunststoffe, sondern auch Elektroschrott, beispielsweise alte Handys, könnten mittels dieser Kältetechnik tiefgefroren, kleingemahlen und dann wieder in nutzbare Rohstoffe sortiert werden.

Rosin, der Anfang der 1990er-Jahre auch den FCKW-freien Kühlschrank erfand, begann zusammen mit seinem Team, das in den Öko-Kühlschränken zirkulierende Kältemittelgemisch zu modifizieren. Diese Weiterentwicklung ermöglicht sehr tiefe Temperaturen von bis zu minus 160 Grad. In diesem Temperaturbereich lassen sich Kunststoffe verspröden, zu feinem Granulat vermahlen und sortenrein trennen. Der auf diese Weise gewonnene Rohstoff kann wiederum genutzt werden.

Doch warum weiß kaum jemand, dass es ein solches Verfahren gibt? Weil die Medien weitgehend dazu schweigen. Eine der wenigen Ausnahmen ist ein Artikel, der am 30. Juni 2009 im Deutschlandfunk erschien. Darin steht, dass der einstige Industriepartner Mannesmann nach der Übernahme durch Vodafone das Interesse an dem Verfahren verlor. Mehrere Pilotprojekte auf kommunaler Ebene seien daher nie über das Planungsstadium hinausgekommen. Die Argumente der Kritiker: zu kompliziert, zu unausgereift, zu teuer. Der Redakteur Ralf Krauter befragte dazu auch Professor Dr. Christian Jooß, Institut für Materialphysik an der Georg-August-Universität Göttingen und Experte für das Verhalten von Werkstoffen bei tiefen Temperaturen.

„Was der Realisierung hauptsächlich im Wege steht, ist, dass eben ein anderes Konzept in Deutschland bisher sehr stark unterstützt wurde, nämlich die Müllverbrennung, wo dann ein größerer Teil der Kunststoffe eingebracht wird“, so Jooß. Müllöfen seien ein lukratives Geschäft, an dem längst auch Energieriesen wie E.ON kräftig verdienten — mit Ersatzbrennstoff-Kraftwerken, in denen brennender Müll nebenbei noch ein bisschen Strom erzeuge. Durch das Kryorecycling ließen sich nach aktuellem Stand der Technik rund 90 Prozent der dort verheizten Kunststoffe wieder verwerten (5).

Weitere Informationen zum Thema Kryorecycling finden Interessierte zudem hier.

Zu den größten Müllverursachern gehören übrigens nicht nur private Haushalte, sondern besonders auch die Pharmaindustrie, heute mehr denn je. Bereits 2008 wurden die fatalen Auswirkungen dieser Branche und ihr ausgeklügeltes System von Korruption und Profitgier in der Fontal21-Produktion „Das Pharma-Kartell“ dokumentiert. Zu sehen ist dort, wie Staatsanwaltschaften gegen Wände laufen, Menschen bedroht, Medien gekauft sowie gefährliche Medikamente vermarktet werden (6).

Die Partei die Grünen wurde übrigens bereits 2008 auf das Kryorecycling aufmerksam gemacht, zeigte aber kein Interesse daran. Auf eine entsprechende Anfrage des Umweltpolitikers Felix Staratschek antwortete die Partei unter anderem: „Es sind aus unserer Sicht erhebliche Zweifel angebracht, ob das Kryorecycling-Verfahren ein effizientes Verfahren ist“ (7). Das wurde damit begründet, dass „sehr viel Energie“ für den Prozess aufgewendet werden müsse. Doch stimmt das?

Nicht sein kann, was nicht sein darf?

Dieses neue indirekte Kühlsystem mit geschlossenem Kältemittelkreislauf soll tatsächlich sehr viel preiswerter als alle Cryogen-Verfahren mit flüssigem Stickstoff sein. Nach dem Vorschlag von Rosin und Mitarbeitern ließen sich die Effizienz und der Preisvorteil noch steigern, wenn die indirekte Kühlung mit einem direkt wirkenden Kühlsystem (nach dem Heat-Pipe-Prinzip) in einem kompakten Kältetunnel kombiniert würde. So steht es auf der Seite „Kreislauf-Leben“ des Forums für sauberes Trinkwasser (8).

Ferner heißt es dort, dass die Fachleute der Firma Messer-Griesheim an der industriellen Weiterentwicklung dieser Kohlenwasserstoff-Tiefkältetechnik mitarbeiten wollten, was jedoch der damalige Mutterkonzern, die Firma Hoechst, untersagt hätte. Sogar für die Mahl- und Sortiertechnik hätten Rosin und sein Team realistische Vorschläge erarbeitet und sie experimentell erprobt, bis die Stadtverwaltung Dortmund ihr Hygiene-Institut, das Rosin leitete, im Rahmen einer „Privatisierungsmaßnahme“ schloss.

Dieses Beispiel zeigt wie unzählige andere, dass die Abhängigkeiten zwischen Politik, Industrie und Wirtschaft konkrete Lösungen rund um die dringendsten Probleme dieser Welt behindern, statt sie nach vorne zu bringen.

Eine besonders beklagenswerte Rolle nehmen in dieser Dynamik sogenannte Public Private Partnerships ein. Zu den prominentesten Kritikern dieser unglückseligen Verbandelungen gehört Dr. Werner Rügemer, Publizist, Buchautor, Referent und Berater sowie Experte für Internationale Kapital- und Arbeitsverhältnisse, Privatisierung, Unternehmenskriminalität und die Entwicklung des Weltsystems nach Prinzipien des Völkerrechts und der Menschenrechte.

Public Private Partnership meint eine Partnerschaft zwischen dem Staat und der Privatwirtschaft. Ob es bei dieser Art von Partnerschaften um Augenhöhe geht oder der Staat auf Druck der Wirtschaft und auf Steuerzahlers Kosten in die Knie gezwungen wird, beantwortet Werner Rügemer in seinen Büchern und in einem Vortrag, der hier zu finden ist und der seit 2012 gerade einmal 477 mal aufgerufen wurde. Zum Vergleich: Ein Video mit einem neuen Song der Sängerin Adele, am 15. Oktober 2021 auf ihrem YouTube-Kanal hochgeladen, hatte am 21. Oktober um 16.19 Uhr bereits 93.542.401 Aufrufe.

Das Elend namens Drittmittelförderung

Der Einfluss der Privatwirtschaft auf das gesamte Bildungssystem, besonders auf die Universitäten, erlaubt inzwischen kaum noch eine universelle, industrieunabhängige Bildung. Als eine Maßnahme gegen diese Entwicklung wurde im Oktober 2004 die 1. Offene Universität als ein notwendiger Gegenpol durchgeführt.

„Angesichts gravierender Probleme in der Natur- und Gesellschaftsentwicklung brauchen wir gerade heute eine Wissenschaft, welche die heutigen Menschheitsprobleme zu lösen imstande ist und den Bedürfnissen des Gemeinwohls gerecht zu werden vermag“, steht auf der Website der Offenen Akademie, einer Initiative, die sich für „eine öffentliche und grundsätzliche Debatte über die Richtung engagiert, in die sich unser Bildungssystem und mit ihm Hochschule, Forschung und Wissenschaft entwickeln“ (9).

Money makes the world go round

Es bleibt, wie es scheint, vorerst noch ein Kampf zwischen David und Goliath. Auf der einen Seite wünschen sich viele Menschen längst Veränderungen und es gibt technische Möglichkeiten, um diese auch herbeizuführen. Auf der anderen Seite will der Moloch des Geldes um jeden Preis Rendite und Gewinne generieren, um seine eigene Existenz zu sichern, vor allem auch die der Spitzenverdienerinnen und -verdiener. Und wofür das alles? Damit einige Individuen dieser Spezies für ein paar Jahrzehnte Lebenszeit auf dieser Erde in Luxus schwelgen können?

Zur Erinnerung: Allein in Deutschland leben laut dem Portal Statista etwa 45 Millionen Christen. (10) Dass kapitalistische Systeme sich bei einer derartigen Dichte von Menschen mit dieser religiösen Orientierung so flächendeckend durchsetzen konnten und noch können, erstaunt mich. Denn in der Bibel, in der Apostelgeschichte steht:

„Und die Menge der Gläubigen war ein Herz und eine Seele; und auch nicht einer sagte, dass etwas von seinen Gütern sein eigen sei, sondern alle Dinge waren ihnen gemeinsam. Und mit großer Kraft legten die Apostel Zeugnis ab von der Auferstehung des Herrn Jesus, und große Gnade war auf ihnen allen. Es litt auch niemand unter ihnen Mangel; denn die, welche Besitzer von Äckern oder Häusern waren, verkauften sie und brachten den Erlös des Verkauften und legten ihn den Aposteln zu Füßen; und man teilte jedem aus, so wie jemand bedürftig war“ (11).

Und im Matthäusevangelium (Mt 6,24) steht:

„Niemand kann zwei Herren dienen; denn entweder wird er den einen hassen und den anderen lieben, oder er wird einem anhangen und den anderen verachten. Ihr könnet nicht Gott dienen und dem Mammon.“

+++Danke an die Autorin für das Recht zur Veröffentlichung des Beitrags. +++ Dieser Beitrag erschien zuerst am 5. November 2021 bei Rubikon – Magazin für die kritische Masse. +++ Bildquelle: Miha Creative / shutterstock


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