Ein Meinungsbeitrag von Dirk C. Fleck.
Tiere haben Erdbeben, Tsunamis oder Vulkanausbrüche weit vor uns auf dem Schirm. Vielleicht sind sie gar in der Lage, ein sich veränderndes soziales Klima auszumachen, bevor es den Menschen bewusst wird. Vielleicht nimmt ihr sensibles Ortungs- und Wahrnehmungssystem die Schwingungen eines solchen Umbruchs wie den kühlen Lufthauch wahr, den eine herannahende U-Bahn in die Station drückt. Wenn dem so sein sollte, müssten die Tiere äußerst irritiert sein. Denn in Milliarden Herzen wächst zur Zeit etwas heran, was von unschätzbarem Wert ist: die Sehnsucht nach einer besseren Welt! Diese Sehnsucht ist mit Händen zu greifen und zwar überall auf der Erde. Die Menschen haben die Seele der Gier-Kultur nämlich endgültig satt. Jetzt braucht es nur noch diesen einen Schmetterlingsflügelschlag, um das gewaltige Sehnsuchtspotenzial kurzzuschließen.
Es gibt genügend Alternativen, um sich aus den Fängen einer erbarmungslosen Wachstumsgesellschaft zu befreien. Sobald wir verstehen, dass es ohne Weiteres möglich ist, sich gegenüber den Kapitalinteressen zu emanzipieren, dass es möglich ist, eine Gemeinschaft nach eigenen Vorstellungen aufzubauen, um wieder in den Genuss von Kommunikation und Mitmenschlichkeit zu kommen, werden wir auch den Mut finden, etwas Neues zu wagen. Diese Neuorientierung wird nicht gradlinig verlaufen und viele Irritationen mit sich bringen, aber sie wird den Menschen von Anfang an und bei jedem Schritt etwas zurückgeben, was ihnen solange gefehlt hat: Lebensfreude.
Solche Vorstellungen mögen angesichts der herrschenden Probleme visionär und verträumt wirken, aber eine Gesellschaft, die keine Visionen entwickelt, ist nicht zukunftsfähig. Zum ersten Mal in unserer Geschichte sind wir mit der selbstverursachten Zerstörung aller biologischen Lebensgrundlagen konfrontiert. Keine Generation vor uns hatte eine solche Bedrohung auszuhalten. Die eigentliche Frage, die wir uns also zu stellen haben, lautet: kollektiver Selbstmord oder geistige Erneuerung?
Wie ist es möglich, dass alle zerstörerischen Handlungen, die wir erleben müssen, von den Verantwortlichen als kreative Taten gefeiert werden? Die Bombardierung anderer Länder, der Bau von Staudämmen, das Versprühen von Insektiziden, die weltweiten Impfkampagnen, die Erschaffung genmanipulierter Organismen – dies alles wird als notwendig, fortschrittlich und kreativ empfunden. Wir begreifen Gesundheit als Leistung der pharmazeutischen Industrie, wir verstehen soziale Sicherheit als etwas, was Polizei und Justiz herstellen. So ist es auf fast allen Gebieten: wir glauben ausschließlich an ordnungspolitische oder technische Lösungen. Das ist krank.
In meiner Maeva-Trilogie sagt die Protagonistin, die ich als eine Art Jeanne d’Arc der Ökologie angelegt habe, in ihrer Antrittsrede zur URP-Vorsitzenden* Folgendes:
„Was wollen wir? Wer sind wir? Was brauchen wir? Indem wir uns dies fragen, schulen wir nicht nur unsere Wahrnehmung, wir formulieren auch unsere Bedürfnisse neu. Die Gestaltung einer besseren Welt hängt nicht zuerst davon ab, wie viel umweltschonende Technik wir einsetzen und wie nachhaltig wir wirtschaften – eine bessere Welt ist nur möglich, wenn wir zu einer grundsätzlich anderen Lebens- und Weltanschauung finden. Bisher haben wir den Umweltschutz lediglich als Menschenschutz begriffen, bisher sprachen wir ausschließlich von Beständen, wenn von der Natur die Rede war. Wir machten in allem unsere Rechnung auf. Dieses Denken war nicht dem Leben verpflichtet, sondern einer Buchhaltungsmentalität. Damit ist jetzt Schluss. Die Krise, in der wir uns befinden, ist eine Krise der Herzen. Es gibt inzwischen viele Menschen auf der Welt, die das verstanden haben, und täglich werden es mehr. All das passiert in einem ungeheuren Tempo, und es passiert jetzt.“
Das ist nun sehr idealistisch nach vorne gedacht. Kann man machen in einem Roman. Aber die Realität ist leider ein ganz anderer Schnack. In unseren sogenannten Demokratien ist der Bürger zum willfährigen Dulder legalisierter Schweinereien geworden. Wir dümpeln als amorphe Verfügungsmasse in einem Meer aus Dummheit. Wir sind, klingt hart, politische Gefangene, die sich auf einem äußert verengten und kontrollierten Meinungskorridor, die Illusion von Freiheit erlauben. Wir schlucken die aufgetischten Lügen wie Glückspillen, die nie erprobt wurden. So ist es kein Wunder, dass der aus globaler Frustration erwachsene Wertewandel keine Hoffnung macht, sondern Angst. Die Menschen haben Angst vor Chaos und Anarchie, Angst davor, unterzugehen in diesem Endzeit-Szenario, in dem sich jeder gegen jeden zu behaupten versucht. Bevor genügend von uns verstehen, dass es möglich ist, Frieden zu schließen, dass es Spaß bringen könnte, unseren verschmutzten Lebensraum gemeinsam aufzuräumen und sich neu einzurichten, wird noch einige Zeit vergehen. Aber irgendwann kippt die Situation, dann beginnt die Sehnsucht, von der ich anfangs sprach, die scheinbar unverrückbaren Strukturen eines alten Machtgefüges von innen heraus zu unterminieren.
Was diese Sehnsucht von einer besseren Welt betrifft, so glaube ich durchaus, dass ihre Saat eines Tages aufgehen wird. Unsere Träume umgeben die Erde wie einen Mantel, der von allen Menschen, die jemals gelebt haben gewebt wurde und in den wir uns jederzeit hüllen dürfen. Alles, absolut alles, ist von der einen oder anderen Person einmal imaginiert worden – es ist vorhanden, sozusagen als Erbe der Menschheit. Und wenn wir von einer besseren Welt träumen, so können wir das nur tun, weil wir uns an diesem Schatz bedienen dürfen. Je mehr Menschen das zur gleichen Zeit tun, desto größer ist die Chance, dass unsere Träume Gestalt annehmen.
*URP - United Regions of the Planet
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Dirk C. Fleck ist ein deutscher Journalist und Buchautor. Er wurde zweimal mit dem Deutschen Science-Fiction-Preis ausgezeichnet. Sein Roman “Go! Die Ökodiktatur” ist eine beklemmend dystoptische Zukunftsvision. 2023 erschien sein aktuelles Buch „HEROES. Mut, Rückgrat, Visionen“.
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Wir danken dem Autor für das Recht zur Veröffentlichung des Beitrags.
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Bildquelle: Man As Thep / Shutterstock.com
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