Tagesdosis

Die Demokratie als Wille und Vorstellung | Von Roberto J. De Lapuente

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Tagesdosis 12122024
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Noch eine Studie fördert zutage, dass die Zustimmung für die Demokratie schwindet — das politische Berlin gibt sich besorgt und tut so, als sei Demokratietreue ein bloßer Willensakt.

Ein Kommentar von Roberto J. De Lapuente.

Schock für Helldeutschland: Nur noch bei 42 Prozent der Bürger findet die Demokratie Anklang. Oder um es genauer zu sagen: Lediglich 42 Prozent der befragten Bürger einer Studie fühlen sich in der hiesigen Demokratie noch wohl. Die Universität Leipzig hat zusammen mit der Otto-Brenner- und der Heinrich-Böll-Stiftung diese Studie zum Thema durchgeführt. Die „Restampel“, wenn man so will — die Stiftung der Sozialdemokraten und jene der Grünen vereint im Kampf gegen alle, die der Demokratie schaden wollen. Natürlich, die Befragten wollen ihr nicht schaden — sie formulieren nur ihr Empfinden. Doch Studien wie diese rechtfertigen die sogenannte Demokratieförderung, für die sich — Zufall! — ganz besonders die SPD und die Grünen aussprechen. Aber schließlich ist Demokratieförderung mit der Ausschüttung beträchtlicher Gelder verquickt ...

Die Studie wurde natürlich wieder durch die Medien gereicht. Besorgte Kommentatoren griffen sie auf: Artikel schürten Angstzustände. Und Politiker formulierten Durchhalteparolen und machten wieder einmal darauf aufmerksam, wie wichtig unsere Demokratie doch sei. An dieser Stelle wird aus den Befragten einer Studie ein Heer aus Demokratiezersetzern. Man tut gerade so, als seien ihre Zweifel der Grund für die Entdemokratisierung. Hätten sie geschwiegen, wäre das System noch intakt. Man spürt sehr deutlich, wie Demokratie in diesen Kreisen aufgefasst wird: Sie ist ein Bekenntnis — nicht mehr.

Demokratie ist Teilhabe — und nicht Bekenntnis

Offenbar ist Demokratie ganz billig zu haben. Man muss nur behaupten, dass es eine gibt und dass sie funktioniert, sich an die Hände nehmen und es immer wieder beschwören — und schon ist sie da. Und wenn Zweifel auftreten, dann gilt das schnell als infam, als Unterwanderung der Verabredung, die man getroffen hat. Man sieht sofort destruktive Geister am Werk, denen man harsch begegnen muss. Prozesse, die bei Menschen die Erkenntnis begünstigen, dass es mit der Demokratie nicht — oder nicht mehr — weit her ist, scheint es dabei nicht zu geben. Nur dass man in Zweifel zieht, dass sie noch funktioniert, ihren Aufgaben noch nachkommt, löst Reflexe aus, die im Wesentlichen immer wieder Demokratie per Sprechakt herzustellen versuchen. Darauf kommen wir noch zurück.

So gut wie alle Beiträge aus der Politik zu diesem Thema drehen sich um einen Punkt: Wir haben eine Demokratie — und zu der müssen wir uns bekennen. Jedem AfD-Wähler versucht man das einzuflüstern.

Neuerdings auch jedem Wähler des Bündnisses Sahra Wagenknecht. Sie sollen demokratisch wählen — was immer das bedeuten mag. Damit verbunden wird aber nichts als ein Lippenbekenntnis.

Dass diese Demokratie — die nie perfekt und stets ausbaufähig war, nun aber immer unkenntlicher gemacht wird — ihre Erdung in der Teilhabe hat, findet als Argumentationslinie nicht statt. Jedes System, selbst die Diktatur, benötigt eine breite Basis derer, die davon profitieren. Wenn heute immer mehr Menschen kundtun, dass sie diese Demokratie als gescheitert betrachten, dann sagen sie damit auch: Ich profitiere nicht mehr von diesem System. Oder: Ich kann nicht mehr teilhaben. Das Fundament ist natürlich materialistisch — und gleichermaßen auf den Prinzipien von Freiheitsrechten errichtet. Wenn die ökonomische Teilhabe wegbricht oder stark in Mitleidenschaft gezogen wird, während auch noch die Möglichkeiten entzogen werden, als autonome Person durch den Alltag zu gehen, weil Freiheitsrechte — zum Beispiel die Meinungsfreiheit — unterminiert werden, dann ist die Erwiderung der Demokratiezweifel mit ideologischer Bekenntniskultur nun wirklich völlig verquer.

Partizipation galt viele Jahre in dieser Republik als die eigentliche Grundlage zum Verfassungspatriotismus. Es schien der Politologie früherer Dekaden klar zu sein, dass man ökonomische Sicherheit innerhalb freiheitlicher Rahmenbedingungen benötigt, um einen systemischen Rückhalt erwirken zu können. Mit reinen Plattitüden, fast konfessionellen Ansprachen, mit einem Credo allein ist Demokratie nicht so mir nichts, dir nichts herstellbar — nicht an ihren Worten kann man sie messen, sondern an ihren Taten, um es biblisch auszudrücken.

Demokratietreue als identitätspolitischer Akt

Ein wenig erinnert das an das juristische Meisterwerk der Stunde, an das hiesige Selbstbestimmungsgesetz, das den Bürgern wie ein Jahrhundertcoup präsentiert wurde. Es ist unwesentlich, wie Sie sich biologisch ausgeprägt haben. Ob Sie einen Penis haben oder nicht, ob Sie immer Mann waren, gestern noch Ihrer Maskulinität frönten oder heimlich Damenunterwäsche trugen: Wenn Sie heute zur Behörde gehen und einfach nur mit einigen halbwegs geradebrechten Worten skizzieren können, warum Sie ab heute als Frau gelten wollen, dann steht Ihrer holden Weiblichkeit nichts mehr im Wege. Und das alles funktioniert lediglich per Sprechakt. Sie behaupten etwas und machen daraus eine Tatsache.

Es wird kein psychologisches Gutachten mehr benötigt, keine fachmännische Expertise — anders gesagt: Ein Beweisverfahren für Ihre Geschlechtsveränderungen tut nicht mehr Not. Ihr Wille und Ihre Vorstellung machen Sie zur Frau oder zum Mann oder zu einem Geschlecht, das zwischen den biologischen Gewissheiten anzusiedeln sein dürfte.

Mit dem Demokratiebegriff, wie er von den besorgten Eliten aus dem politisch-medialen Komplex gebraucht wird, ist es ähnlich.

Kaum wird anhand von Umfragen oder Studien deutlich, dass eine gewisse summarische Größe an Einwohnern im Land mit dem System hadert, fühlt sich die Bewusstseinsindustrie — im Grunde die zeitgenössische Priesterkaste — aufgerufen, per Sprechakt die Zustimmung zu erneuern.

Demokratie: Das ist für sie lediglich Identität.

Beim Einschwören auf die Demokratie gebrauchen diese Leute den schlichtesten Moralismus, der überhaupt gerade noch vorstellbar ist. Sie zeigen mit dem Finger auf jene, die nicht mehr fest an die Segnungen der Demokratie glauben wollen. Die nicht mehr den Willen, nicht mehr die Vorstellungskraft aufbringen, im derzeitigen politischen System einen Ansatz zur Beseitigung diverser Probleme zu sehen — zum Beispiel, weil das System durch Lobbyismus und Korruption aufgeweicht, ja bis zur Unkenntlichkeit pervertiert wurde.

Als sei das Zutrauen in den demokratischen Staat durch einige nachdenkliche Sätze, durch einige Belehrung, mittels Repetition hohler Floskeln und Durchhalteparolen, ein wenig warmen Worten und moralistischem Fingerzeig ganz leicht und locker herstellbar, äußern sich Journalisten und Politiker immer dann, wenn wieder mal in Erfahrung gebracht wurde, dass es in Deutschland Menschen gibt, die demokratisch hadern — was immer das im Detail letztlich bedeuten mag. Dieser Umgang zeigt auch, wie diese Funktionäre der Bundesrepublik die Bevölkerung wahrnehmen: Als Kinder – denn denen „verargumentiert“ man Gegebenheiten ohne Argumente, nur mit schlechtem Gewissen und schwarzer Pädagogik. Dem Bürger sollte man aber mehr geben als reine Sprechakte, um sie mit belehrender Erwachsenenattitüde vom System zu überzeugen.

Demokratiepriester ohne Gott

Es ist müßig, an dieser Stelle darauf hinzuweisen, dass der angeblich fehlende demokratische Wille vieler Bürger in einem Gesellschaftsmodell geschieht, das sich längst von dem, was man Demokratie nennt, entfernt hat. Die Geschicke des Landes haben nicht die Bürger in der Hand: So will eine knappe Mehrheit dieser Tage laut Politbarometer ein Ende des Ukrainekrieges gegen Gebietsabtretungen. Das Gegenteil wird geschehen: Die Grünen bleiben, wie es im Augenblick aussieht, Regierungspartei — und die Lieferung von Taurus-Raketen wird vermutlich stattfinden, ganz unabhängig vom mehrheitlichen Willen der Bevölkerung.

Das ist nur ein aktuelles Exempel.

Die letzten Jahrzehnte sind voller Transformationen innerhalb der Gesellschaft, die von der Mehrheit nicht gewollt waren, aber dennoch gegen deren Willen durchgesetzt wurden.

Lobbyorganisationen diktieren den politischen Kurs, und Anwaltskanzleien schreiben für die Regierenden die Gesetzgebung für jene Bereiche der Gesellschaft, in denen sie zudem hochkarätige Mandanten vertreten. Staatssekretäre und deren Stäbe lesen dann noch quer, sind aber häufig fachlich nicht in der Lage, dem überhaupt mit scharfen Blick zu begegnen. Kurz und gut: Die demokratischen Prozesse wurden arg geschliffen und teils ins Privatwirtschaftliche verlagert.

Und weil dem so ist, etablierte sich eine Art von Bewusstseinsindustrie, die nichts Handfestes entgegenzusetzen hat. Sie postuliert nicht eine Rückkehr zu mehr Partizipation und mehr Fairness durch Transparenz, sondern behauptet einfach, man müsse an das System glauben — weil es kein besseres System gebe als jenes, in dem wir uns bewegen. Solche Kasten hielt sich die politische und ökonomische Macht zu allen Zeiten. Früher noch religiös aufgeladen. In atheistischen Zeiten wie diesen schiebt man den Transzendenzaspekt natürlich zur Seite. Nun lädt man das System zu etwas auf, das unantastbar sein soll — wer daran zweifelt, der wird zum Ketzer. Und daher muss das Bekenntnis besonders laut herausgebrüllt, ein Credo in alle Welt hinausposaunt werden.

Die, die an der Demokratie zweifeln, wie manche Studie heute vermeintlich aufdeckt, wollen ja nicht unbedingt ein System, in dem eine starke Kraft alleine entscheidet — ihnen schwebt vielleicht ein Gemeinwesen vor, in dem die Bürger mehr Entscheidungskompetenz besitzen.

Wie auch immer das dann aussehen mag: Vermutlich sind die, welche die bundesrepublikanische Demokratie kritisieren, keine Gegner der Demokratie, sondern ganz besonders innige Demokratiebefürworter — Demokratiebefürworter auf der Suche nach einer Demokratie, die es in Deutschland nicht gibt. Und dass sie dieser Demokratieabwesenheit mit der Wiederholung von vorgekauten Floskeln, die Demokratie suggerieren sollen, begegnen müssen, zeigt ihnen eines ganz sicher an: Sie haben recht — denn Demokratie besteht nicht aus Worten, sie gründet auf Taten. Sie ist keine ideelle, sondern eine materielle Institution.

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Wir danken dem Autor für das Recht zur Veröffentlichung des Beitrags.

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Roberto J. De Lapuente, Jahrgang 1978, ist gelernter Industriemechaniker und betrieb acht Jahre lang den Blog ad sinistram. Von 2017 bis 2024 war er Mitherausgeber des Blogs neulandrebellen. Er war Kolumnist beim Neuen Deutschland und schrieb regelmäßig für Makroskop. Seit 2022 ist er Redakteur bei Overton Magazin. De Lapuente hat eine erwachsene Tochter und wohnt in Frankfurt am Main

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Dieser Beitrag erschien zuerst am 11. Dezember 2024 bei Manova.

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Bildquelle: Artur Bogacki / shutterstock


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