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Die Kraftspeicher für uns Wachgebliebene sind fast leer

Die Kraftspeicher für uns Wachgebliebene sind fast leer


Ein Meinungsbeitrag von Dirk C. Fleck.

Woran liegt es, dass die meisten Menschen sich empört abwenden, wenn man zu bedenken gibt, dass unsere Spezies wie ein Krebsgeschwür auf diesem Planeten wütet, was angesichts des ökologischen Desasters, das wir zu verantworten haben, doch nicht abwegig ist? Vielleicht würde das gigantische Heer der Empörten zur Einsicht kommen, wenn man ihnen eine Computersimulation zeigte, in der die letzten 150 Jahre, also die Zeit, in der das Industriezeitalter ökologisch voll zu Buche schlug, auf eine Stunde verdichtet wären. Angenommen, wir starten 1873 vor der amerikanischen Westküste in eine Umlaufbahn um die Erde. Pusteln bilden sich entlang der Pazifikküste, die an der Ostküste bereits zu bedenklichem Ausschlag herangewachsen sind. Nach der Atlantiküberquerung stellen wir fest, dass ganz Europa befallen ist. Es sind die Städte, die wie Metastasen ins Land greifen. Schmutzige Schlieren ergießen sich in Flüsse und Meere. Unterdessen schrumpfen die gigantischen Waldflächen in sich zusammen und machen braunen Wüsten Platz. Ein immer dichter werdendes Netz von Straßen und Schienen legt sich um den Globus, ganze Kontinente verschwinden unter einem diffusen Grauschleier. Endlich an den Ausgangspunkt zurückgekehrt, stellen wir fest, dass die Erde zu einer Geschwulst verfault ist, die von den Rauchschwaden unserer Brandschatzerei vielerorts gnädig verdeckt wird.

Natürlich wird die Zahl derer, die den Wahnsinn durchschauen, mit dem Politik und Wirtschaft auf diesem Planeten herumfuhrwerken, immer größer – eine effektive Gegenwehr ist jedoch nicht möglich. Es sind nicht die Herausforderungen, die uns ohnmächtig werden lassen, sondern das verbreitete Gefühl, nicht an der praktischen Umsetzung von Lösungsansätzen teilnehmen zu können. Das Problem ist nicht die Krise! Das wirkliche Problem ist das Gefühl der Machtlosigkeit, dieser Eindruck, mit gebundenen Händen dazustehen und nichts anderes tun zu können. Wir sind in einer Spirale des Machtentzugs gefangen, die uns immer machtloser werden lässt. Unsere Kinder und Enkelkinder werden deshalb in einer Welt leben müssen, die für die Tätergeneration schwer vorstellbar ist.

Die 2009 verstorbene Ballettdirektorin des Wuppertaler Tanztheaters, Pina Bausch, hat auf die Frage, wie sie sich ihre Zukunft wünscht, geantwortet:

„I don’t know … because … I think there are so big problems in the world, I … I wish … I hope … strength, a lot of strength … and love, I don’t know … a lot of strength.“

Was Pina sich in ihrer Sprachlosigkeit so sehnlich gewünscht hat, zeigt eines ganz klar: die Kraftspeicher für die Wachgebliebenen in unserer narkotisierten Zivilgesellschaft sind fast leer. Jetzt gilt es, angesichts des globalen Treibens einer durchgeknallten Finanz- und Politelite, die nicht nur den Ökozid nach Kräften befördert, sondern im geostrategischen Ränkespiel wieder offen auf die atomare Karte setzt, nicht den Verstand zu verlieren.

„Wir leben in einer Welt, in der Mediziner die Gesundheit zerstören, Juristen die Gerechtigkeit zerstören, Universitäten das Wissen zerstören, Regierungen die Freiheit zerstören, die Presse die Informationen zerstören, Religionen die Moral zerstören und unsere Banken die Wirtschaft zerstören, welche wiederum die Umwelt zerstört.“

Dieser Satz des US-amerikanischen Journalisten und Pulitzerpreisträgers Chris Hedges trifft den Nagel auf den Kopf. Angesichts solcher Verhältnisse bleibt uns nur noch die Wahl zwischen träumen und albträumen. Verschlafen sollten wir den Zusammenbruch unserer Zivilisation allerdings nicht. Obwohl ich glaube, dass genau das passieren wird.

Die meisten Menschen können die Indizien, die schon jetzt darauf hinweisen, nicht deuten. Sie können sich nicht einmal vorstellen, welche Verhältnisse uns ein politischer Notwehrreflex, den die zusammenbrechenden Natur- und Wirtschaftssysteme auslösen werden, bescheren wird. Da diese Gesellschaft das Ziehen der Notbremse in einem nicht mehr zu kontrollierendem Zug kategorisch ablehnt und sie die Fakten lieber schönredet als sie anzuerkennen, dürfen wir uns über die Maßnahmen, die uns in nicht allzu ferner Zeit  erwarten, nicht wundern – wir befördern sie geradezu.

Das Fatale ist, dass sich die dramatische Situation, in die wir uns gebracht haben, in unseren Medien kaum wiederfindet. Was müssten die Medien an diesem entscheidenden Wendepunkt unserer Geschichte leisten, wenn sie nicht tatsächlich als der bösartigste Reiter der neuen Apokalypse gelten wollen? Diese sah der geniale spanische Regisseur Luis Bunuel bereits in den zwanziger Jahren des letzten Jahrhunderts in Gestalt der Überbevölkerung, der Wissenschaft, des Technikwahns und eben der Medien über uns hereinbrechen!

Der kanadische Kriminalpsychologe Robert Hare, emeritierter Professor der University of British Columbia, behauptet, dass die Leitfiguren unserer Zerstörungskultur, also die Mitglieder der politischen und wirtschaftlichen Eliten, größtenteils Psychopathen sind. Ein Psychopath lässt sich definieren als jemand, der ohne Bedauern absichtlich Schaden verursacht. Robert Hare:

„Zu viele Menschen glauben, dass Psychopathen im Wesentlichen Killer oder Zuchthäusler seien. Die allgemeine Öffentlichkeit hat nicht gelernt, die sozialen Stereotype zu durchschauen, und kapiert nicht, dass Unternehmer, Politiker, Konzernchefs und andere erfolgreiche Persönlichkeiten, die möglicherweise nie ein Gefängnis von innen zu sehen bekommen, Psychopathen sein können“.

Wir alle stecken in persönlichen Geschichten fest, in der die Sorgen um unsere Familie, den Arbeitsplatz und die Gesundheit mehr wiegen, als ein historisches Ereignis, selbst wenn es von so großer Tragweite ist, wie das Ende unserer Zivilisation, das in seinen diffusen Erscheinungsformen allerdings kaum beweisbar ist, nicht jetzt. Und weil das so ist, weil wir uns nicht unnötig in Panik versetzen lassen, deuten wir Wahrheiten zu Verschwörungstheorien um. Uns ist es an dieser Stelle egal, ob der Umweltschutz systematisch ausgehöhlt oder ignoriert wird, uns kümmert es nicht mehr, dass die Grenzen zwischen Konzernen und Regierungen gänzlich aufgehoben werden. Und Folter, Freunde, Folter hat es schon immer gegeben. Lasst sie doch an jeder Straßenlaterne dieser Welt eine Kamera installieren, lasst sie unsere Mails lesen und unsere Telefonate abhören, sollen sie doch daran ersticken, mir doch egal. Die einzige Methode, alles zu kontrollieren, besteht darin, alles zu töten. Bitte sehr, sterben müssen wir schließlich alle einmal. Aber solange die Termine für Fußball-Endspiele noch stehen, interessiert uns das eigentliche Finale nur am Rande. Capice?

"Nichts erscheint erstaunlicher als die Leichtigkeit, mit der die Vielen von Wenigen regiert werden und die stillschweigende Unterwerfung, mit der Menschen ihre eigenen Gesinnungen und Leidenschaften denen ihrer Herrscher unterordnen." – David Hume (1711 – 1776) war ein schottischer Philosoph, Ökonom und Historiker.

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Dirk C. Fleck ist ein deutscher Journalist und Buchautor. Er wurde zweimal mit dem Deutschen Science-Fiction-Preis ausgezeichnet. Sein Roman “Go! Die Ökodiktatur” ist eine beklemmend dystoptische Zukunftsvision.

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Wir danken dem Autor für das Recht zur Veröffentlichung des Beitrags.

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Bildquelle: Arsenii Palivoda / Shutterstock.com


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