Standpunkte

Die Opfer deutscher Kriege | Von Carl Rheinländer

audio-thumbnail
Podcast
0:00
/1260

Die Rolle Deutschlands als Verbündeter der USA und Mitglied in der NATO besiegelt die anteilsmäßige Verantwortlichkeit für viele Tausend Tote, Hunderttausende Verletzte und ungezählte Vertriebene pro Jahr.

Ein Standpunkt von Carl Rheinländer.

 

Hinweis zum Beitrag: Der vorliegende Text erschien zuerst im „Rubikon – Magazin für die kritische Masse“, in dessen Beirat unter anderem Daniele Ganser und Hans-Joachim Maaz aktiv sind. Da die Veröffentlichung unter freier Lizenz (Creative Commons) erfolgte, übernimmt apolut diesen Text in der Zweitverwertung und weist explizit darauf hin, dass auch der Rubikon auf Spenden angewiesen ist und Unterstützung braucht. Wir brauchen viele alternative Medien!

Die Glaubwürdigkeit der gebetsmühlenhaft wiederholten Forderung von Politik und Medien nach Akzeptanz der Corona-Maßnahmen aus „Solidarität mit den Risikogruppen“ löst sich von selbst in nichts auf, wenn man die Opferzahlen all der anderen Bereiche politischen Falsch- oder Nichthandelns betrachtet. Hier wird durch gezielte Unterlassung entsprechender Maßnahmen aus wirtschaftlichen und ideologischen Erwägungen heraus ein Vielfaches an vorzeitigen Todesfällen pro Jahr verursacht und lapidar hingenommen. An einen kleinen Teil dieser Fälle, nämlich an die Opfer aus US- und NATO-geführten Konflikten weltweit, sollte gerade jetzt auch aus Anlass des Abzugs westlicher Truppen aus Afghanistan und wegen der Äußerung von SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz, nur NATO-treue Koalitionspartner zu akzeptieren, erinnert werden.

Die Nation, welche seit Ende des Zweiten Weltkriegs die mit Abstand meisten Kriege geführt und Konflikte geschürt hat, sind die USA. Diese Tatsache ist eigentlich unbestritten und mit genügend Beweisen unterlegt. Auch wurden Pläne für weitere Interventionen von US-Verantwortlichen des Öfteren in der Öffentlichkeit kommuniziert. Hier einige prominente Stimmen dazu:

Martin Luther King sagte, auf den Vietnamkrieg angesprochen, in einer Rede einmal:

„(…) ich wusste, dass ich nie wieder meine Stimme gegen die Gewalt der Unterdrückten in den Ghettos erheben konnte, ohne vorher ein klares Wort an den größten Gewaltverursacher der heutigen Welt gerichtet zu haben: meine eigene Regierung. Um dieser Jungen willen, um dieser Regierung willen, um der Hunderttausende willen, die unter unserer Gewalt zittern, kann ich nicht schweigen.“

Der Guardian berichtete, was Nelson Mandela anlässlich des Irakkriegs 2003 sagte, die USA, die rücksichtslos Atombomben auf Hiroshima und Nagasaki abgeworfen hätten, hätten keine moralische Autorität, um die Welt zu kontrollieren.

„Wenn es ein Land gibt, das unaussprechliche Gräueltaten in der Welt begangen hat, dann sind es die Vereinigten Staaten von Amerika. Sie kümmern sich nicht um menschliche Wesen.“

Noam Chomsky bemerkte:

„Was kann man über ein Land sagen, in dem ein Wissenschaftsmuseum in einer großen Stadt eine Ausstellung zeigen kann, in der Menschen aus einem Hubschrauber Maschinengewehrsalven auf vietnamesische Hütten abfeuern, wobei ein Licht blinkt, wenn ein Treffer erzielt wird? Was kann man über ein Land sagen, in dem eine solche Idee überhaupt in Betracht gezogen werden kann? Man muss um dieses Land weinen. (...) Mir scheint es, dass eine Art Entnazifizierung nötig ist.“

Julien Assange, der Gründer von Wikileaks, stellte als Beispiel für die Grausamkeit des US-Militärs unter anderem ein ähnliches, diesmal aber reales Video ins Internet, in dem zu sehen ist, wie US-Soldaten am 12. Juli 2007 über Bhagdad/Irak aus einem Hubschrauber heraus ohne Vorwarnung mindestens 12 Zivilisten mit Maschinengewehrsalven niedermähen und sich darüber noch lustig machen (hier eine kommentierte Kurzversion).

Der Washingtoner Publizist William Blum, früher tätig im US-Außenministerium und seitdem scharfer Kritiker der US-Außenpolitik, nannte vier Gründe dafür, wieso sich die USA, ohne dass sie irgendwelchen Angriffen ausgesetzt wären, nahezu ständig im Krieg befinden:

  1. „Um den Weg für US-Unternehmen zu ebnen und zu sichern.“
  2. „Um der US-Waffenindustrie, die Kongressmitgliedern großzügig Geld spendet, Einnahmen zu verschaffen.“
  3. „Um jegliches Gesellschaftsmodell zu verhindern, das eine Alternative zum Kapitalismus sein könnte.“
  4. „Um die politische und wirtschaftliche Macht über möglichst viele Gebiete zu erweitern.“

Alan Greenspan, langjähriger Vorsitzender der US-Federal-Reserve, sagte laut Irish Times vom 17. September 2007: „Ich finde es bedauerlich, dass es politisch unkorrekt ist zuzugeben, was alle schon wissen: Beim Irak-Krieg geht es um das Erdöl.“

Trotz all dieser Offensichtlichkeiten nutzen die deutschen Standard-Medien jede Gelegenheit, um jemanden, der auf die Kriegslüsternheit der USA hinweist, als „Antiamerikanisten“ zu verunglimpfen.

Bis 30 Millionen Ermordete nach 1945

Etliche Millionen Menschen wurden nach 1945 durch Kriege oder andere kriegerische Auseinandersetzungen getötet, welche die USA direkt selbst geführt oder die sie angezettelt, geschürt und mit verschiedensten Mitteln unterstützt haben.

Es gibt dazu auch genauere Zahlen. Die sehr ausführliche Studie von James A. Lucas aus dem Jahr 2015 nennt die Dimension von 20 bis 30 Millionen Menschen, die nach 1945, also nach dem Zweiten Weltkrieg, in Konflikten getötet wurden, welche die USA komplett oder zum maßgeblichen Anteil verursacht hatten. Darüber hinaus gibt es Schätzungen, dass auf jeden in Kriegen getöteten Menschen 10 weitere kommen, die erheblich verletzt wurden und vielleicht verstümmelt und behindert geblieben sind. Das wären dann zusätzlich 200 bis 300 Millionen Menschen, denen lebenslanges Leid zugefügt wurde.

Konsequenterweise muss man auch all die Betroffenen benennen, die vielleicht ohne schwere körperliche Verletzung, aber mit seelischen Traumata, mit der Vernichtung ihres Hab und Guts und/oder mit der dauerhaften Schädigung ihrer regionalen Lebensgrundlagen zurechtkommen müssen beziehungsweise die an der erzwungenen Nachkriegsordnung leiden. Ob es wohl reicht, hier die Gesamtzahl auf 500 bis 1.000 Millionen Menschen zu schätzen, die nach 1945 durch die USA getötet, verletzt oder massiv existenziell geschädigt wurden?

Selbst wenn man sehr konservative Berechnungen nimmt, wie etwa im Buch des Politologen Jon Tirman vom Massachusetts Institute of Technology (MIT), „The Deaths of Others: The Fate of Civilians in America's Wars“, wird das Ausmaß der Tragik deutlich. Er beklagt hauptsächlich, dass den USA nur ihre eigenen gefallenen Soldaten wichtig sind, nicht aber die vor Ort getöteten Zivilisten.

Auch bei Tirman werden es zweistellige Millionenzahlen an getöteten Menschen, die direkt der Aggression der USA zum Opfer gefallen sind: „Zwischen sechs und sieben Millionen Menschen starben allein in Korea, Vietnam und im Irak, die meisten von ihnen Zivilisten.“ Tirman beklagt ebenfalls, dass die Opferzahlen in Kriegen viel zu niedrig berechnet werden: „Der Umstand, dass wir kein offizielles System kennen, um die Opfer zu zählen, ist ein Indiz für die sorglose Haltung, die unsere Kriege begleitet.“

Für die Opfer in diesen drei Kategorien ist Deutschland als NATO-Bündnispartner der USA direkt mitverantwortlich. Noch niemals ist von einer deutschen Regierung eine selbstbewusste und deutliche Kritik im Vorfeld eines solchen Konfliktes ausgegangen beziehungsweise wurde in dessen Verlauf wirklich entschieden auf eine sofortige Beendigung gedrängt. Im Gegenteil wurden die von den USA vorgebrachten Gründe für die Aggressionen übernommen und in den allermeisten Standard-Medien gegenüber der Bevölkerung als objektiv richtig dargestellt und die Intervention als notwendig verteidigt.

Ganz im Sinne der totalen Unterordnung des eigenen Verstandes unter die Doktrin der NATO, werden die USA im Dauerschleifen-Refrain als befreundete Nation bezeichnet, die nichts anderes tut, als weltweit Demokratie und Freiheit zu verteidigen. Tirman dazu:

„Von Atomwaffen und Teppichbombardements im Zweiten Weltkrieg bis hin zu Napalm und Daisy Cutter in Vietnam und darüber hinaus haben wir unsere Waffen absichtlich eingesetzt, um eine große Anzahl von Zivilisten zu töten und unsere Gegner in die Kapitulation zu treiben. Die Amerikaner sind sich dieser Tatsachen jedoch meist nicht bewusst und glauben, dass amerikanische Kriege grundsätzlich gerecht, notwendig und ‚gut‘ sind.“

Von dieser Vorstellung sind bis heute noch etliche Quellen durchdrungen, wenn sie das Thema aufgreifen. So ist auch der entsprechende Wikipedia-Artikel nicht objektiv und beschreibt in der rechten Spalte die Interventionen in ignoranter Weise einfach nur aus der Sicht der USA (eine andere Liste zu den US-Kriegen seit 1775 unter dem Link hier).

Die Formen der US-geführten Kriege sind sehr unterschiedlich und reichen von direkten Interventionen mit Truppeneinsatz über indirekte Beteiligungen mit Unterstützung von Oppositionskräften vor Ort, etwa mit Waffen, Knowhow, strategischer Erfahrung, Propaganda oder Aufklärungsinformationen, bis hin zu geheimdienstlich organisierten Destabilisierungen und Morden, Handelsboykotten, Sanktionen und der Bereitung sämtlicher sonstiger als irgendwie effektiv angesehener Schwierigkeiten für ein Land, das sich dem Einfluss der USA verweigert oder nicht im gewünschten Maße öffnet.

Der „Frontier Myth“ als Freibrief für Gewalt

Zum überheblichen Bewusstsein der US-Administration (Exzeptionalismus der USA, siehe auch Texte und Vorträge von Professor Rainer Mausfeld auf YouTube) und der sie stützenden Bevölkerungsminderheit in den USA gibt es verschiedenste Einschätzungen von US-Amerikanern selbst. Der Vorwurf, die USA seien ein verhaltensgestörter imperialistischer Kriegstreiber, wird etwa in den Büchern von Michael Moore, Noam Chomsky und anderen Intellektuellen immer wieder geäußert. US-Kabarettisten entwickelten daraus bitterböse Auftritte, wie etwa George Carlin, der hier das US-Kriegsbewusstsein sprechen lässt: „What? They have bigger dicks??! — Bomb them!!“ (Was? Die haben größere Schwänze??! — Bombardiert sie!!)

Die Kaltschnäuzigkeit der Amerikaner ist nach Meinung von Jon Tirman auf den Begriff „The frontier myth“ — nach Richard Slotkin — zurückzuführen. Nach diesem Mythos stehen Amerikaner stets an einem Ort, wo gleich nebenan die Zivilisation endet. Er sanktioniert Gewaltanwendung, wenn sie dazu dient, „Wilde“ zu unterwerfen oder zu vernichten, die der Eroberung neuen Landes durch US-Amerikaner im Wege stehen. „Während Jahrhunderten ist der Mythos Grenze eine der unverwüstlichsten nationalen Erzählweisen gewesen.“

Demgemäß lässt sich der Begriff der Wilden noch beliebig ausweiten. So wurden dazu auch „schlitzäugige“ Asiaten gezählt, wie in Vietnam und Korea, muslimische „Kameltreiber und Turbanträger“ wie im Irak und Afghanistan, „Anhänger des Diktators“ wie in Syrien, militante Islamisten oder sonstige Repräsentanten „gesetzloser Kulturen“, die es für die USA mit allen Mitteln zu unterwerfen galt und noch gilt. So schrieb, laut Tirman, auch Robert D. Kaplan 2004 im Wall Street Journal: „Die Metapher vom roten Indianer ist eine Gedankenstütze, die unter Vertretern der liberalen Nomenklatura Unbehagen auslöst; Feldoffizieren der Armee und der Marineinfanterie aber leuchtet sie ein, weil sie die Herausforderungen des Kampfes im frühen 21. Jahrhundert perfekt widerspiegelt.“ Deshalb wohl lautete der militärische Codename für die Operation zur Tötung Osama bin Ladens im Mai 2011 auch „Geronimo“.

Über das pure Töten hinaus geht die Schuld ja noch erheblich weiter. Die USA und damit auch ihr Bündnispartner Deutschland sind beispielsweise auch für 37 Millionen Flüchtlinge nur in den vergangenen beiden Jahrzehnten, also nur im neuen 21. Jahrhundert, verantwortlich, wie das Watson Institute for International and Public Affairs an der Brown University in Providence/Rhode Island in einer Studie herausarbeitete. Viele weitere interessante Studien zu US-Interventionen finden sich auf der Website des Watson-Instituts, wie beispielsweise die Opferzahlen und Kosten aller US-Interventionen im Irak seit 1960.

Eine objektive Darstellung der niederträchtigen Gründe für verdeckte oder offen geführte US-Kriege kommt in deutschen Standard-Medien, also im öffentlich-rechtlichen Rundfunk, in Zeitungen privater Verleger oder in Internet-Redaktionen von beispielsweise E-Mail-Anbietern nicht vor. Die wirklichen Verantwortlichkeiten für all diese schrecklichen Taten werden stets routinemäßig unterschlagen und verdreht. Es hat schon etwas von System, wie immer nur die Sicht deutscher Bundesregierungen gestützt wird, die sich seit Jahrzehnten wirtschaftlich, militärisch und vertraglich fest im Griff des transatlantischen Lobbyismus befinden.

Dieser menschenverachtende Kadavergehorsam deutscher Diskursführer gegenüber den USA besitzt zutiefst irrationale Züge. Wenn es Deutschland wirklich um Menschenrechte ginge, müsste unser Staat den USA in einer betont lauten öffentlichen Diskussion erklären, dass die weitere Zusammenarbeit ab sofort an bestimmte Bedingungen geknüpft wird. Die Zusicherung Deutschlands im Nordatlantikpakt der NATO, die sogenannte Vandenberg-Resolution, nach der „jedes europäische Land für die Zusage der USA, es zu verteidigen, auch zusagen müsse, die USA zu verteidigen“, muss auf den Prüfstand. Da Deutschland diese Verteidigung der USA ja niemals militärisch leisten könnte, hat es sie jahrzehntelang in Form von Parteinahme für die USA in sämtlichen Konflikten umgesetzt. Wer jedoch Verbrechen deckt, wird selbst zum Verbrecher.

Standard-Medien als Kriegstreiber

Auch andere Verbindungen, umfangreiche wirtschaftliche Verflechtungen, vor allem aber der Einfluss US-amerikanischer Oligarchen und Investoren in die Redaktionen deutscher Zeitungsverlage hinein müssen unter dem Eindruck der bis heute andauernden Gewaltexzesse der USA überprüft werden. Vor allem müssten die öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten in dieser Sache eine klare Gegenposition zur Berichterstattung der privaten Medien beziehen. Gerade sie, die doch unabhängig von unreflektierter Parteinahme für die USA sein sollten, müssen endlich ihre Scheuklappen-Sicht und ihre schon totalitär zu nennende Haltung aufgeben und für die Menschenrechte und gegen die in vielfältigsten Formen stattfindenden US-Kriege eintreten.

Den USA weiterhin die Treue zu halten, ist doch längst nicht mehr begründbar, schon gar nicht, wenn man als Bundesregierung in irgendeiner Weise nach Solidarität mit gefährdeten Menschen ruft. Ein seit Ende des Zweiten Weltkriegs unbestrittener Konsens in der deutschen Öffentlichkeit war doch, dass von Deutschland nie mehr ein Krieg ausgehen sollte. Wie aber will man demgegenüber begründen, dass von Deutschland die Duldung von Krieg ausgeht, ja dass mithilfe dieser Duldung der Kriege des großen „Verbündeten“ diese Kriege erst führbar werden?

Liegt dies nicht auch längst schon in dem menschenverachtenden Bereich, vor dem Deutschland sich hüten müsste? Aus welchem Grund sollte Deutschland dieses willkürliche Töten und Zerstören des durchgedrehten „Weltpolizisten“ weiter durchgehen lassen? Weil die USA weltweit angeblich immer nur für die Freiheit eintreten und dass deshalb alles, was die USA tun, gut sein MUSS? Was ist das für eine Freiheit, bei der es nur um den Vorrang amerikanischer Interessen und die Idealisierung des US-Exzeptionalismus geht?

Und sind wir in Deutschland nicht schon ebenso gefährlich weit verroht wie die USA? Beispielsweise ist uns gleichgültig, was im Jemenkrieg mit gelieferten deutschen Kriegsgeräten geschieht. Saudi-arabische Kriegstreiber mit Unterstützung der USA halten mit aus Deutschland gelieferten Schiffen seit Jahren eine Seeblockade aufrecht, um den jemenitischen Widerstand auszuhungern. Mit deutscher Unterstützung wird dort Hunger als brutale Kriegswaffe eingesetzt. Der Freitag schreibt:

„Die 85.000 seit Kriegsbeginn im Jemen verhungerten Kleinkinder wurden ermordet. Von der Saudi-Emirate-Koalition, die — ermöglicht einzig durch die Unterstützung des Westens — Hunger als militärische Waffe missbraucht. Und damit durchkommt.“

Save the Children, eine große Hilfsorganisation, die bereits seit 1963 im Jemen arbeitet, schreibt:

„Nach Schätzung von Save the Children sind 85.000 Kinder seit dem Kriegsbeginn im Jahr 2015 an extremem Hunger gestorben. Tag für Tag steigt diese schreckliche Zahl an.“

Auch die BBC berichtete, der Independent und andere Medien. In Deutschland müsste das Thema jeden Tag in die Nachrichten, gerade weil deutsche Schiffe und Waffen an diesem Krieg beteiligt sind. Das stillschweigende Einverständnis deutscher Politik mit diesem Verbrechen müsste öffentlich angeprangert werden.

Der Journalist Jakob Reimann schreibt:

„Die beschämende Wucht dieser Bilder der jemenitischen Kinder, die ihre letzten physischen Kräfte für gelegentliche Atemzüge aufwenden, gerade so noch nicht tot, ist ein Schlag ins Gesicht des Menschheitsgewissens. Als monströses Zeugnis der Schande menschengemachten Elends sollten sie ebenso ihren Weg ins kollektive Bewusstsein finden wie die Bilder der ausgemergelten Buchenwald-Häftlinge oder die der von Agent Orange missgebildeten Kinder in Vietnam. Doch der Jemen scheint unendlich weit weg, der brutale Krieg findet einfach keinen Platz in der öffentlichen Wahrnehmung.“

Wird damit nicht der eigentliche Skandal deutlich? Sind die Buchenwald-Häftlinge, die allein auf das Konto Deutschlands gingen, nicht Anlass genug, um auch gegen heutige politische Morde zu intervenieren? Nach Ende des Zweiten Weltkriegs wurden Teile der deutschen Bevölkerung, deren Bezeichnung als „Hitlers willige Vollstrecker“ nicht unbegründet ist, in die Kinos getrieben, damit sie dort US-amerikanische Filmaufnahmen aus deutschen KZs wie Buchenwald anschauen. Sollte man nicht auch alle Wähler jener heutigen deutschen Parteien, die Waffenexporte ermöglichen, in die Kinos verpflichten, um ihnen dort Aufnahmen der zerbombten Städte und der halbtoten Kinder im Jemen vorzuführen?

31.000 Tote jährlich, allein für Deutschland

Und vielleicht noch eines der vielen Beispiele auf der Welt für verheerende Folgen von Kriegen der USA und ihrer Verbündeter:

„Immer mehr Kinder sind unterernährt oder leiden durch eine einseitige, vitaminarme Ernährung unter folgenreichen Mangelerscheinungen, heißt es im Report ‚Hidden Hunger in Syria‘ (Versteckter Hunger in Syrien). Der jahrelange Krieg in Syrien, die Einschränkungen durch das Coronavirus und massenhafte Arbeitsplatzverluste haben die Lebensgrundlage von Millionen von Menschen in Syrien vernichtet.“

Hier ist besonders das perfide Verhalten der deutschen Standard-Medien herauszustellen: Gegenüber Feinden der USA verhält man sich gemäß der politischen Routine ebenfalls feindlich, nutzt als Quellen ausschließlich NATO-freundliche Propaganda-Stellen, wie beispielsweise die obskure „Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte“, berichtet betont subjektiv, gegenüber den Tätern unterwürfig, und versucht dabei, Schaden von der US-Administration fernzuhalten.

Der Krieg in Syrien wurde von NATO-Ländern in Gang gesetzt, dafür gibt es genügend Indizien. Die deutsche Öffentlichkeit wurde über die Zusammenhänge ebenso in unverschämter Art und Weise getäuscht und ebenso mittels Dauerfeuer aus einseitigen Halbwahrheiten auf Linie gebracht, wie jetzt in der Coronakrise.

Trotz möglicher sonstiger Fürsprecher, die noch auftreten könnten, um irgendwelche guten Seiten an der Politik der USA herauszustellen, lässt sich die Mitschuld Deutschlands an mindestens 20 Millionen Todesopfern und weiteren vielen Hundert Millionen Vertriebenen und schwer Geschädigten aus US-Konflikten seit 1945 nicht abstreiten. Auch dieser Kategorie von Opfern gegenüber erscheint die Behauptung, man wolle mit den Corona-Maßnahmen möglichst viele alte und kranke Menschen vor dem baldigen Tode bewahren, als moralisch getarntes Ablenkungsmanöver.

Die verantwortlichen Journalisten in den Standard-Medien, die in der Coronakrise die Mehrheitsmeinung der Bevölkerung manipulieren, sollten sich auch diesen Satz von Tirman zweimal durchlesen:

„Vielleicht die wichtigste Konsequenz ist jene, dass die Gleichgültigkeit unseren militärischen und politischen Führern erlaubt, weitere Interventionen zu verfolgen.“

Vielleicht ändert sich dann ihre überaus unangemessene Haltung, wenigstens vielleicht die Haltung der Öffentlich-Rechtlichen zur allgemeinen US-Loyalität der Regierung noch rechtzeitig, bevor die aktuellste der Konfrontationen, die von stümperhaften Maulhelden gezielt geschürte Feindschaft zu Russland, nicht mehr umkehrbar wird und auf uns zurückschlägt.

An dieser Stelle sollte man auch Zahlen zu den bundesrepublikanischen Kriegsopfern nennen. Hier besteht eine gewisse Schwierigkeit darin, dass man nicht alle NATO-Länder in gleicher Weise für die Todesopfer in US-Gewaltkonflikten verantwortlich machen kann. Zum einen sind manche erst spät Mitglied geworden, und zum anderen besitzen einige auf Grund ihrer geringen Bevölkerungszahl so gut wie keinen Einfluss.

Zur Berechnung wähle ich deshalb nur jene Länder, die bis zum Jahr 2000 schon Mitglied waren. Sie haben zusammen eine Bevölkerungszahl von gut 890 Millionen. Weiter verwende ich den Mittelwert von 25 Millionen Todesopfern (Lucas) durch US- und NATO-geführte Militäroperationen — was im Sommer dieses Jahres 2021 wohl erheblich zu niedrig angesetzt ist — und nehme einen Zeitraum von 75 Jahren an (1945 bis 2020).

Rechnung: 25 Millionen dividiert durch 890 Millionen, multipliziert mit 83 Millionen — Bevölkerung Deutschlands —, ergibt 2,33 Millionen Tote aus US-Kriegen, für die nur Deutschland verantwortlich ist. Diese Zahl dividiert durch 75 Jahre ergibt eine jährliche Verantwortlichkeit von gut 31.000 Todesopfern oder, wie wir in Corona-Zeiten belieben zu sagen, vorzeitigen Todesfällen.

Dazu kommen für unser Land mindestens weitere 300.000 meist schwer verletzte Menschen jährlich, die aller Wahrscheinlichkeit nach ebenfalls vorzeitig sterben, und eine noch weit höhere Zahl in sonstiger Weise geschädigter Menschen im Umfeld der kriegerischen Konflikte, wie etwa Flüchtlinge und später unter zerstörten Existenzbedingungen in der Region lebende Menschen.

Schließlich zeichnet diese Analyse einen zynischen Treppenwitz der Geschichte zu Ende: Jene konservativen Kräfte in Deutschland, welche die Aufnahme von Flüchtlingen entweder offen oder mittels unangemessener Flüchtlingsgesetze subtil verdeckt ablehnen, fördern gleichzeitig in überaus radikaler Weise, dass aus Menschen in anderen Ländern überhaupt erst Flüchtlinge werden: Einerseits vertreten sie eine wirtschaftliche Ordnung, welche mittels Verschärfung der Klimaerwärmung und Verwüstung weiter Landesteile infolge von Rohstoffabbau Profite generiert und nebenbei die Lebensräume von Millionen Menschen unbewohnbar macht, und andererseits befürworten sie strikt eine globale militärische Ordnung, die zusätzlich millionenfach Menschen durch massive Bedrohung aus ihrer angestammten Heimat vertreibt.

Anmerkung:

Dieser Text ist ein leicht veränderter Auszug aus dem kürzlich erschienen Buch „Hinter der Solidaritäts-Fassade — Fatale Corona- und verweigerte Zukunftspolitik — Anmerkungen zur systemrelevanten Verantwortungslosigkeit“. Ein Essay von Carl Christian Rheinländer sen. (2021, Books on Demand, 460 Seiten, 20 Euro).

+++Danke an den Autoren für das Recht zur Veröffentlichung des Beitrags. +++ Dieser Beitrag erschien am 18. September 2021 im Rubikon – Magazin für die kritische Masse. +++ Bildquelle: Sebastian Castelier / shutterstock


+++
Ihnen gefällt unser Programm? Machen wir uns gemeinsam im Rahmen einer "digitalen finanziellen Selbstverteidigung" unabhängig vom Bankensystem und unterstützen Sie uns bitte mit Bitcoin: https://apolut.net/unterstuetzen#bitcoinzahlung

Informationen zu weiteren Unterstützungsmöglichkeiten finden Sie hier: https://apolut.net/unterstuetzen/

+++
Bitte empfehlen Sie uns weiter und teilen Sie gerne unsere Inhalte in den Sozialen Medien. Sie haben hiermit unser Einverständnis, unsere Beiträge in Ihren eigenen Kanälen auf Social-Media- und Video-Plattformen zu teilen bzw. hochzuladen und zu veröffentlichen.

+++
Abonnieren Sie jetzt den apolut-Newsletter: https://apolut.net/newsletter/

+++
Unterstützung für apolut kann auch als Kleidung getragen werden! Hier der Link zu unserem Fan-Shop: https://harlekinshop.com/pages/apolut

Carl Christian Rheinländer Frontier Myth Gewaltverursacher Glaubwürdigkeit Irakkrieg 2003 Jakob Reimann James A. Lucas Jon Tirman Kriegsbewusstsein