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Die Schwierigkeit BRICS zur neuen Weltordnung auszubauen | Von Jochen Mitschka

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Ein Standpunkt von Jochen Mitschka.

Nachdem sich Indien offensichtlich in eine Art Militärallianz mit den USA und deren Verbündeten eingelassen hat, vermutlich um den Rivalen China zu schwächen, verlor Indien aber im Globalen Süden an Image, wird nicht mehr als dessen Vertreter angesehen. Und Diplomaten aus vielen Staaten des Globalen Südens suchten nach Alternativen, natürlich neben China. Eine davon war, so seltsam es auch klingen mag, Pakistan. Und das trotz dessen wirtschaftlichen Problemen und trotz des letzten von den USA geförderten Putsches, der mit dem Sturz des gewählten Premierministers, und der Verweigerung von Neuwahlen recht erfolgreich war. Nun könnte Indien aber bemerkt haben, dass seine Politik der Unterstützung der USA, seinem Einfluss in der Welt nicht dienlich ist. Also schauen wir uns den Schluckauf genauer an, mit dem BRICS derzeit zu tun hat.

BRICS ohne Indien?

Unter dem Titel: Indiens „BRICS-Zwiespalt verschärft sich“, schreibt der meinen Hörern sicher bekannte M.K. Bhadrakumar am 26. November, dass Indiens Versuch, mit einer alten Strategie, den Atomnachbarn und Konkurrenten Pakistan zu isolieren, nicht mehr funktioniere. Pakistan habe Indien eben „den Mittelfinger gezeigt“, als das Land sich offiziell um die BRICS-Mitgliedschaft bewarb.

Man könne davon ausgehen, meint Bhadrakumar, dass die fähigen Diplomaten Islamabads die nötige Vorarbeit geleistet haben, bevor sie den formellen Antrag abschickten. Pakistan war eines der Länder, welches vom südafrikanischen Präsidenten Cyril Ramaphosa am 21. November eingeladen worden war, über die Situation im Nahen Osten zu diskutieren. Indien war dabei vom Außenminister S. Jaishankar vertreten worden.

Ganz im Interesse der USA, waren die Äußerungen des indischen Vertreters so gar nicht nach dem Geschmack des Globalen Südens. Er hat Israel nicht für seinen barbarischen Angriff auf den Gazastreifen als „Kollektive Bestrafung“ für den Hamas-Angriff am 7. Oktober verurteilt. Den Angriff der Hamas im Gegensatz zur verständnisvollen Beschreibung der Bombardierung durch Israel, aber als „verabscheuungswürdigen terroristischen Akt“. Außerdem bezeichnete Jaishankar Israels Bombardierung des Gazastreifens verniedlichend als den „andauernden Konflikt zwischen Israel und der Hamas in Gaza“. Die wichtige Frage eines sofortigen Waffenstillstandes ignorierte Jaishankar komplett. Womit sich die Politik Indiens vollkommen in Linie mit der Bidens zeigte.

Seine, vom Rest des globalen Südens abweichende Haltung hatte u.A. dazu geführt, dass es keine gemeinsame Abschlusserklärung gab, womit der Auftrag aus Washington wohl als erfüllt angesehen werden konnte. Bhakdrakumar schreibt dann:

„Was jedoch den Atem raubte, war der Abschiedsgruß, den er dem BRICS-Publikum gab, indem er erklärte: ‚Die internationale Gemeinschaft ist heute mit einer sehr komplexen Situation konfrontiert, die viele Dimensionen hat. Wir müssen uns mit ihnen allen befassen und dabei Prioritäten setzen.‘ Es ist gut möglich, dass Jaishankars Seitenhieb auf Russland abzielte - er ist ein hervorragender Schütze, wenn es darum geht, Pfeile in den Rücken zu schießen - und er wurde in Moskau gebührend zur Kenntnis genommen. Alles in der Diplomatie hat einen Kontext, nicht wahr?  Als Pakistans geschäftsführender Premierminister Anwaarul Haq Kakar am 18. Oktober am Rande des Dritten „Belt and Road“- Forums in Peking mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin zusammentraf, um eine Reihe von Themen wie Naher Osten, Terrorismus und Lebensmittelsicherheit zu erörtern, war er der dritte pakistanische Premierminister, der im vergangenen Jahr mit dem russischen Präsidenten zusammentraf, während die wirtschaftlichen und diplomatischen Beziehungen zwischen den beiden Ländern zunahmen.“(1)

Bhadrakumar beschreibt dann die zahlreichen Konsultationen und gegenseitige Besuche von Diplomaten Russlands und Pakistans. Ganz offensichtlich mit dem Ziel, die indische Blockade der Entwicklung von BRICS zu brechen. Dabei, so erklärt Bhadrakumar, sei Pakistan in der Vergangenheit aus Rücksicht auf die indische Sensibilität diplomatisch von Russland eher vorsichtig behandelt worden. Was sich nun aber wohl ändert. Aus russischer Sicht sei Pakistan heute ein repräsentativeres Mitglied des Globalen Südens als Indien, das sich auf die Seite der USA geschlagen habe.  Und die "Authentizität" Pakistans sollte, was nicht überrascht, eine wichtige Überlegung für Russlands aktuelle außenpolitische Strategien sein.

Mich überraschte diese Entwicklung. Denn Pakistan hatte seit dem Putsch versucht, das Wohlwollen der USA nicht zu verspielen. Bhadrakumar meint aber, dass außer Frage stehe, dass auch die derzeitig an der Macht befindlichen Politiker Pakistans aufrichtige Befürworter der Multipolarität im internationalen System seien. Pakistan versuche seiner Meinung nach nicht mehr, sich als "wichtiger Nicht-NATO-Verbündeter" [MNNA] der Vereinigten Staaten zu profilieren. Details dazu in Anhang (4).

Pakistan genieße außerdem auch die Unterstützung Chinas sowie einiger der neuen Mitglieder, die im Januar aufgenommen werden - insbesondere die Saudi-Arabiens, des Irans und der Vereinigten Arabischen Emirate.

Indien, so Bhadrakumar weiter, steht nun vor der Qual der Wahl. Technisch gesehen habe Delhi die Möglichkeit, den Antrag Pakistans abzulehnen. Aber es werde seltsam klingen, wenn der Antrag Pakistans wegen angeblicher Unterstützung des Terrorismus blockiert wird. Die Mehrheit der Staaten dürfte die fehlende Glaubwürdigkeit erkennen, besonders da sich die folgenden Informationen verbreiten.

Statt Indien für seine Zuwendung dem alten Imperium gegenüber dankbar zu sein, scheint sich das Gegenteil zu entwickeln. Unmittelbar nach dem kanadischen Vorwurf einer indischen Verwicklung in die Ermordung des khalistanischen Separatisten Nijjar folgte eine angebliche Demarche der USA bei der indischen Regierung, die einen ähnlichen Vorwurf erhebt - so eine Meldung der Financial Times, die das wohl nicht ohne OK der US-Regierung verbreitet hat.

Bhadrakumar berichtet, dass in einem Interview mit der BBC vor zwei Tagen der FT-Berichterstatter seine Behauptung wiederholt hat, dass ein Team aus Washington Delhi besuchte, um Indien zu raten, von solchen kriminellen Handlungen Abstand zu nehmen. Unbekannt sei zum jetzigen Zeitpunkt nur, ob diese angebliche Operation in letzter Minute abgebrochen wurde.

Eine derartige Berichterstattung in den westlichen Medien schade Indiens Selbstdarstellung als überzeugter Anhänger des Völkerrechts und als treuer Loyalist der "regelbasierten Ordnung" in erheblichem Maße, erklärt Bhadrakumar. Und im Fall einer Ablehnung von Pakistan wegen „Terrorismusunterstützung“, könne es so aussehen, als würde Indien aus einem Glashaus heraus mit Steinen nach Pakistan werfen. Während Indien also Ansehen im Westen verliert, erodiert auch das Image im Globalen Süden, da das Land zu offensichtlich versucht, die Wünsche der USA in vielen Fällen zu erfüllen, auch und gerade, wenn es gegen den Willen und die Interessen des Globalen Südens verstößt. Bhadrakumar erklärt, dass sich im Globalen Süden der Eindruck verfestige, dass Indien nur ein widerwilliges Mitglied von BRICS sei. Was zu einem Ruf nach Pakistans Mitgliedschaft geführt habe.

„Je mehr sich die BRICS-Staaten bemühen, die von den USA dominierte Finanz- und Handelsarchitektur umzugestalten, desto größer werden wohl die Vorbehalte Indiens gegenüber der Gruppe. Der Kern des Problems besteht darin, dass Indien BRICS nicht mehr als ein Vehikel betrachtet, das die von den USA dominierten internationalen Institutionen herausfordert, sondern dass sich Delhi mit dem Status quo zufrieden gibt, solange es von Washington als ‚unverzichtbarer Partner‘ anerkannt wird.

Dieser Widerspruch ist nicht leicht aufzulösen. (…) Aber auch ein Austritt aus den BRICS ist keine Option, da Indien von seiner Mitgliedschaft profitiert - obwohl es kaum einen nennenswerten Beitrag zur Weiterentwicklung der Gruppierung leistet. Das Gute an der BRICS-Mitgliedschaft Pakistans wird sein, dass sie das Gleichgewicht innerhalb der Gruppe zugunsten einer transformativen Agenda verschiebt und sie homogener macht.“(1)

Das Verhalten Indiens überrascht nicht, wenn man die Geschichte des Landes kennt. Schon Mahatma Gandhi hatte keine wirklichen sozialrevolutionären Ideen. So hatte er auch angeboten, indische Soldaten gegen Aufständische in Afrika einzusetzen, und sein Hauptziel war es immer, dass der indische Mittelstand von Großbritannien als gleichwertig anerkannt wurde.

Trotzdem wird Indien wohl weiterhin ein Teil von BRICS bleiben, aber durch immer mehr neue Mitglieder wird der Einfluss langsam aber sicher geringer.

Farbrevolution in Bangladesh?

Die ganze Region steht im Moment im Fokus der US-Außenpolitik, um den Aufstieg Chinas „einzudämmen“. Nicht nur Pakistan könnte bald wieder einmal das Ziel eines Putsches der USA oder einer Farbrevolution sein. Die Sprecherin des russischen Außenministeriums, Maria Zakharova, hatte mitgeteilt, dass der US-amerikanische Botschafter ein wichtiges Mitglied der Opposition des Landes traf, und er „Informationsunterstützung“ versprochen habe, falls es bei den geplanten Protesten zu Auseinandersetzungen mit der Polizei gebe.

Sie wurde dann noch deutlicher und warnte während einer Pressekonferenz davor, dass die USA eine Farbrevolution in Bangladesch inszenieren könnten. Sie verglich den Botschafter mit einer Persönlichkeit wie Victoria Nuland und deutete an, dass Bangladesch bald seinen eigenen "Euro-Maidan" erleben könnte. Natürlich wurde das von der US-Regierung sofort als reine Propaganda zurückgewiesen. Allerdings gibt es bei Andrew Korybko mindestens drei Artikel, die in der Anlage (2) verlinkt sind, welche das Thema behandeln.

Kurz erklärt, hatte die Premierministerin Sheikh Hasina die USA im letzten Frühjahr beschuldigt, sie stürzen zu wollen, um Bangladesch dafür zu bestrafen, dass es sich den antirussischen Sanktionen des Westens widersetzt. Aber inzwischen gibt es natürlich noch einen weiteren Grund für einen Regimechange. Denn durch ihn könnte man den Druck auf Indien erhöhen, bevor es sich wieder stärker der BRICS-Politik zuwendet.

Indiens Flitterwochen vorbei?

Und damit kommen wir unweigerlich zu einer Analyse von Andrew Korybko: „India's Honeymoon With The West Might Finally Be Over"(3) (Indiens Flitterwochen mit dem Westen könnten endgültig vorbei sein).

Korybko erklärt die politischen Bewegungen auf Grund der scheinbaren Annäherung der USA an China beim kürzlich erfolgten Besuch des chinesischen Xi in Washington.

Der Autor meint, dass es möglicherweise einen Silberstreif am Horizont gebe, womit er die Verbesserung der Beziehungen zwischen Russland und Indien meinte. Das könne die Tatsache sein, dass die russisch-indische strategische Partnerschaft eine zentrale Rolle spiele, um den bipolaren Prozessen zwischen China und den USA entgegenzuwirken.

Dann erwähnt der Artikel Details zu den bereits angedeuteten Tötungen durch Indische Geheimdienste. Die Financial Times habe unter Berufung auf US-Quellen berichtet, dass das FBI in der Vergangenheit ein indisches Komplott zur Ermordung eines als Terroristen eingestuften Sikh-Separatisten auf US-Boden vereitelt haben soll. Biden habe dies bei seinen Gesprächen mit Premierminister Modi auf dem G20-Gipfel zur Sprache gebracht, aber zu diesem Zeitpunkt hätten Beamte die Details bereits an US-Verbündete weitergegeben, nachdem im Juni eine ähnliche Person in Kanada getötet worden war, die Delhi zuvor ebenfalls als Terrorist eingestuft hatte.

Allerdings weist Korybko darauf hin, dass Kanadas scheinbarer „makelloser Ruf“, gemeint ist als Vertreter des Völkerrechts, beschädigt sei, nachdem ungenannte indische Quellen und angesehene Experten darauf hingewiesen hatten, dass das Land jahrelang unter dem Vorwand der "Menschenrechte" Sicherheitsbedrohungen für andere Länder ausbrütete.

Nach anfänglichen Zögern hätten dann die „FiveEyes“, also die fünf Länder, die eine enge Geheimdienstzusammenarbeit vereinbart hatten, Kanada in seinen Angriffen auf Indien unterstützt. Diese Verschiebung sei Teil des Machtspiels der liberal-globalistischen Fraktion der USA gegen ihre vergleichsweise pragmatischeren Konkurrenten, ein Machtspiel, das nach der erfolgreichen Reise von Premierminister Modi in die USA im Juni schärfer denn je geworden sei.

Die eine Gruppe sei der Ansicht, dass Indien unter dem Vorwand der "Menschenrechte" unter Druck gesetzt werden muss, um es zu geostrategischen Zugeständnissen zu zwingen, während die andere Gruppe dagegen sei, sich in die Angelegenheiten Indiens einzumischen, da dies ihre auf China ausgerichtete strategische Partnerschaft schwächt. In diesem langwierigen Kampf, der seit dem Beginn des Stellvertreterkriegs zwischen der NATO und Russland in der Ukraine in eine beispiellos intensive Phase eingetreten sei, hätten die Pragmatiker kurzzeitig gesiegt, aber die Liberal-Globalisten noch lange nicht aufgegeben.

Die Politik jeder dieser Fraktionen gegenüber Indien, so Korybko weiter, werde auch durch ihre jeweilige Politik gegenüber China beeinflusst. Die aggressivsten Liberal-Globalisten wollen auch die Gesellschaft dieses Zivilisationsstaates verändern, während die Gemäßigten unter ihnen die Möglichkeit einer "Konvergenz" zu dem, was manche als "G2"/"Chimerica" bezeichnen, nicht ausschließen, was die Bimultipolarität wiederherstellen würde. Dieses Konzept beziehe sich auf das chinesisch-amerikanische Duopol, das seinen übergroßen Einfluss auf die Gestaltung der Weltordnung auf Kosten der allgemeinen Souveränität der anderen festigt.

Was die Pragmatiker betrifft, so seien sie nicht so sehr daran interessiert, die chinesische Gesellschaft zu verändern, obwohl die aggressivsten unter ihnen tatsächlich an einem Regimewechsel interessiert sind, auch wenn dies ein unrealistisches Szenario ist. Ihr Ansatz gegenüber China sei vielmehr durch die Fortsetzung des Großmachtwettbewerbs zwischen den beiden gekennzeichnet. Die Aggressiven wollen diese Rivalität niemals deeskalieren, während die Gemäßigten die Deeskalation als taktische Möglichkeit in Betracht ziehen.

Dieser Einblick in die Politik der beiden Fraktionen gegenüber China sei nach dem jüngsten Xi-Biden-Gipfel am Rande des APEC-Gipfels in San Francisco, bei dem beide Länder Fortschritte bei ihrer Annäherung gemacht hätten, von Bedeutung. Vor dem Bericht der Financial Times sei unklar, gewesen ob es sich um einen Sieg der gemäßigten Liberal-Globalisten oder der gemäßigten Pragmatiker handelte, aber jetzt sei es wohl deutlich geworden, dass die Liberal-Globalisten über ihre Rivalen gesiegt haben. In seinem Artikel folgen dann 10 Links zu Artikeln, die das unterstreichen sollen.

Korybko schreibt, dass der Artikel in der Financial Times mindestens fünf Monate nach dem angeblichen Anschlag auf den in den USA lebenden, aber von Indien als Terroristen bezeichneten Separatisten veröffentlicht wurde. Dies deutet darauf hin, dass die Regierung alles in ihrer Macht Stehende getan habe, um ein Durchsickern von Informationen über das angebliche Komplott zu verhindern, und dass ihr dies überraschenderweise gelungen ist, obwohl in der Zwischenzeit Informationen über vergleichsweise wichtigere politische Angelegenheiten wie der Druck der USA auf die Ukraine zur Wiederaufnahme der Friedensgespräche mit Russland durchgesickert waren. Nach dem Gipfeltreffen zwischen Xi und Biden sei dann aber alle Vorsicht in den Wind geschlagen worden, und dieselbe Regierung, die sich in dieser Angelegenheit äußerst bedeckt gehalten hatte, gab den üblichen „Leakern“ freie Hand.

Der Zweck scheine darin zu bestehen, China mit einer Geste des guten Willens zu zeigen, dass die USA Indien nicht mehr bevorzugen, um so das große strategische Ziel der "Konvergenz", also eine Annäherung und Übereinstimmung von Zielen, voranzutreiben, das die beiden Staatsoberhäupter erörtert haben könnten, und somit die jüngste Phase des Machtspiels der Liberal-Globalisten zu erreichen.

Man könne auch davon ausgehen, dass die USA Pakistan in gewissem Maße vorab einen Tipp gaben, da ungenannte Quellen aus diesem Land The Intercept Details über "Indiens Todesschwadronen" zugespielten, die angeblich von Delhi benannte Terroristen töten.

Wie es dazu aus pakistanischer Sicht kam, erklärt Korybko, könnte zwei Gründe gehabt haben. Im ersten Szenario könnten die mit den USA verbündeten Kräfte Pakistans diese Details aus Solidarität mit ihrem traditionellen Partner an The Intercept weitergegeben haben, während im zweiten Szenario jemand dies zu dem Zweck getan haben könnte, den internationalen Druck auf Indien zu erhöhen und damit den nationalen Interessen Pakistans zu dienen. Abgesehen von den Motiven gehe es darum, dass dieser Bericht dem der Financial Times nur einen Tag vorausging, was den Zeitpunkt sehr verdächtig mache und darauf hindeute, dass er Teil einer größeren koordinierten Informationsoperation war.

Unabhängig davon, was man hinter all dem vermuten möge, bestehe kein Zweifel daran, dass die langjährigen westlichen Behauptungen der pragmatischen US-Politiker, Indien müsse aus Solidarität zur „größten Demokratie der Welt“ gegen China unterstützt werden, diskreditiert wurde. In der [westlichen] Öffentlichkeit werde nun der Eindruck erweckt, dass Indien tatsächlich eine "Schurkendemokratie", wenn nicht sogar ein "Schurkenstaat" ist, wodurch der emotionale Vorwand für die Rechtfertigung des von dieser Fraktion geplanten Großmachtwettbewerbs in Asien gegen China wegfällt.

Dies mache Indien strategisch viel verwundbarer gefühlten chinesischen Aggressionen in Gebieten, die unter indischer Kontrolle stehen, die Peking immer noch als sein Staatsgebiet beansprucht. Es sei nicht mehr so selbstverständlich wie früher, dass sich der Westen im Falle eines ernsthaften Konflikts mit China um eine dieser Regionen, von denen es mehrere gibt, hinter Indien stellen würde. Übrigens: Es gibt auch solche Gebiete, die Indien für sich beansprucht, die aber von China kontrolliert werden. Die Volksrepublik sei sich dieser neuen Dynamik durchaus bewusst, meint Korybko.

Das Ergebnis stelle die Grundlage der strategischen Partnerschaft zwischen Indien und den USA in Frage, welche beide Länder in den letzten drei Jahrzehnten nach den Vorstellungen der pragmatischen politischen Fraktion der USA aufgebaut haben. Dies stelle einen beispiellosen Sieg für die gemäßigt liberal-globalistische Strömung der USA dar.

Die aggressivsten Mitglieder der Liberal-Globalisten, die die chinesische Gesellschaft verändern wollen, werden sich daher damit begnügen müssen, stattdessen die indische zu verändern, da ihre gemäßigte Unterfraktion nun eine neue Entspannung mit der Volksrepublik anstrebe.

Sie werden viel zu tun haben, denn in einer Analyse zu den fünf neuen Herausforderungen für die indische Sicherheit wurde davor gewarnt, dass sich diese Gruppierung vor den Wahlen im Januar in Manipur, im benachbarten Bangladesch und im Frühjahr in Indien verstärkt einmischen könnte. In Verbindung mit dem möglichen neuen militärischen Druck Chinas an seiner nördlichen Peripherie, vor dem der Westen möglicherweise die Augen verschließt, könnte Indien bald in die strategische Defensive geraten.

Selbst wenn dieses Worst-Case-Szenario nicht eintrete, so Korybko, könnten Indiens Flitterwochen mit dem Westen endgültig vorbei sein, wenn die pragmatische US-Fraktion nicht bald die Kontrolle über die Politik des Blocks des Neuen Kalten Krieges gegenüber dieser südasiatischen Großmacht von ihren liberal-globalistischen Rivalen zurückerobert.

Die deutsche FAZ erkennt interessanterweise keine geostrategischen Hintergründe.(5) Der letzte Absatz hört sich vollkommen entspannt an:

„Die Vereinigten Staaten haben aber auch eine ganz andere Bedeutung für Indien, wie die Zeitung ‚The Indian Express‘ am Freitag schrieb. Kein anderer Partner sei für Indien strategisch so wichtig wie Amerika. Neu-Delhi könne sich daher keine ablehnende Haltung gegenüber amerikanischen Bedenken erlauben. Die Vorfälle seien zwar ein Test für die Beziehungen, doch die beiden Seiten dürften mit ‚diplomatischer Reife‘ reagieren. Derzeit bemühten sich auch Indien und Kanada um Deeskalation. Seit Mittwoch vergibt Indien wieder elektronische Visa an Kanadier. Am selben Tag hatte Kanadas Ministerpräsident Trudeau an dem von Indien ausgerichteten virtuellen G-20-Gipfel teilgenommen.“

Fazit

Sollten Indiens Flitterwochen mit dem Imperium in einem Rosenstreit enden, wäre das für viele Länder, welche dazu neigen, zwar Multipolarismus zu reden, aber Imperialismus zu unterstützen, eine Warnung. Und auch für Indien könnte eine neue Phase der intensiveren Unterstützung des Projektes beginnen.

Indiens Ignoranz gegenüber den Leiden der Palästinenser hat zu einer großen Unruhe im Globalen Süden geführt, und die Position Chinas weiter gesteigert, obwohl China in erster Linie verbal agiert. Was auf Grund seiner jahrzehntelangen und immer wieder gepredigten Nichteinmischungspolitik auch gar nicht anders möglich ist.

Nein, Gaza ist noch nicht vergessen. Und sollten die Gerüchte stimmen, dass Saudi-Arabien bereit ist, den Wiederaufbau von Gaza zu finanzieren, und Israel ließe das zu, wäre zwar einerseits die ethnische Säuberung durch Israel gescheitert, aber anderseits der Weg für eine Wiederannäherung Israels und Saudi-Arabiens geöffnet, ebenso wie die Realisierung eines neuen wichtigen Handelsweges von Indien nach Europa, was letztendlich allen Ländern der Region und am Ende auch den Palästinensern zugute kommen könnte.

Wer mehr über die mögliche Gaza-Lösung mit Hilfe von Saudi-Arabien lesen will, kann Informationen und weiterführende Hinweise im Link (6) finden.

Ich kann mich nur an wenige Situationen erinnern, in denen die Geopolitik sich so hektisch und scheinbar widersprüchlich entwickelte.

Hinweise und Quellen: Der Autor twittert zu tagesaktuellen Themen als https://twitter.com/jochen_mitschka

(1) https://www.indianpunchline.com/indias-brics-quandary-deepens

(2) https://korybko.substack.com/p/whys-the-us-scheming-to-carry-out - https://korybko.substack.com/p/indias-reported-pushback-against - https://korybko.substack.com/p/indias-reported-pushback-against

(3) https://korybko.substack.com/p/indias-honeymoon-with-the-west-might

(4) Kurioserweise sei Anfang dieses Jahres im US-Kongress ein Gesetzentwurf von Andy Biggs eingebracht worden, einem Abgeordneten, der Mitglied des republikanischen Hindu Caucus aus Arizona ist. Der Gesetzentwurf sieht vor, dass der US-Präsident dem Kongress eine Bescheinigung vorlegen muss, dass Islamabad bestimmte Bedingungen erfüllt hat, damit Pakistan den MNNA-Status behält. Was, wie Bhadrakumar nun meint, Pakistan jetzt egal sein kann.

(5) https://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/steckt-indien-hinter-einem-mordversuch-in-den-usa-19336377.html

(6) https://korybko.substack.com/p/saudi-arabia-is-expected-to-eventually

+++ Dank an den Autor für das Recht zur Veröffentlichung dieses Beitrags. +++ Bildquelle: Migren art /shutterstock


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Andrew Korybko Anwaarul Haq Kakar APEC-Gipfel Bangladesh Belt and Road BRICS china Cyril Ramaphosa Financial Times