Ein Kommentar von Thomas Röper.
Im Westen müssen derzeit all jene mit Problemen rechnen, die Verständnis für die Palästinenser aufbringen, auch wenn sie keine Sympathisanten der Hamas sind. Diese Tendenz einer weiteren Einschränkung der Meinungsfreiheit im Westen war dem russischen Fernsehen einen Kommentar wert.
In Deutschland macht sich aktuell strafbar, wer eine Palästina-Fahne zeigt. Dass Palästina und die Hamas nicht das gleiche sind, stört die deutschen Behörden dabei nicht. Und auch in anderen Ländern des Westen wird gegen diejenigen, die Verständnis für die Palästinenser zeigen, durchgegriffen.
Das ist die berüchtigte Cancel Culture, bei der abweichende Meinungen gecancelt, also verboten, abgeschafft oder getilgt werden. Dieses westliche Phänomen der Einschränkung der Meinungsfreiheit wird in Russland mit Unglauben beobachtet, denn in Russland kennt man derartige Tendenzen nicht. Daher war das dem Moderator des wöchentlichen Nachrichtenrückblicks des russischen Fernsehens einen kritischen Kommentar wert, den ich übersetzt habe.
Beginn der Übersetzung: Etwas zu ertragen, auch bekannt als Toleranz, die Meinungsfreiheit und schließlich der Sinn für Humor, auf den die Briten traditionell stolz sind – all diese Dinge, die untrennbar mit der britischen Kultur verbunden zu sein schienen, haben sich im Zuge der unerwarteten Nahost-Krise als ein leichter Flitter entpuppt, der nun blitzschnell abgefallen ist. Eine Zeichnung des berühmten britischen Karikaturisten Steve Bell, die Israels Premierminister mit Boxhandschuhen zeigt, scheint zu knurren: „Leute von Gaza, verschwindet endlich!“
Bild von Steve Bell einzusehen auf der Seite anti-spiegel.ru
Steve Bell ist ein talentierter Künstler, der sich bei der Zeitung The Guardian viel erlauben durfte. Er porträtierte regelmäßig Premierminister Boris Johnson, wobei er sich nicht um die Gesichtszüge kümmerte.
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Er porträtierte auch Premierministerin Theresa May ohne Gesicht und zeigte stattdessen ihre legendären Leopardenschuhe, die sie zu schwierigen Verhandlungen trug. Steve Bell ist so beliebt, dass er es sich sogar leisten konnte, die Königin von England vor ihrer Thronrede im Parlament zu karikieren.
Doch nun ist das vorbei. Steve Bell wurde vom Guardian entlassen. Und zwar wegen der Netanjahu-Karikatur. Das heißt, man darf Karikaturen von der Königin von England zeichnen, von britischen Premierministern auch, aber vom Premierminister Israels nicht. Punktum.
Für Steve Bell war die Entscheidung des Guardian, seinen Vertrag nicht zu verlängern, ein Schock:
„Der Guardian hat jedes Recht, meine Karikatur nicht zu veröffentlichen, aber so etwas sollte er nicht tun. Alles, was hier geschieht, verhindert eine Diskussion über dieses schwierige, aber wichtige Thema“, meinte Bell.
Er ist, wie man sieht, in der alten Kultur geblieben. Die neue hat ihn überholt, die Cancel Culture. Steve Bell wurde entlassen, so wie sechs BBC-Reporter, die im Nahen Osten arbeiteten, wegen Sympathie für die Palästinenser entlassen wurden.
Das Gleiche geschieht in Amerika. Drei Sendungen mit muslimischen Moderatoren wurden bei MSNBS ohne jede Erklärung abgesetzt. Aber das ist nicht alles. Amerikanische Universitäten – Harvard und Stanford sind hier die Vorreiter – setzen Studenten auf schwarze Listen, um Arbeitgeber zu informieren, damit diese nicht auf die Idee kommen, sie einzustellen. Alles begann, als 30 Studentenvereinigungen einen offenen Brief veröffentlichten, in dem es hieß, dass Israel „die volle Verantwortung für die stattfindende Gewalt trägt“. Daraufhin wurden alle als Terroristen abgestempelt und ihnen wurde ihre berufliche Zukunft genommen.
Tausende Anhänger der Palästinenser beschwerten sich über die Sperrung ihrer Beiträge auf Facebook und Instagram. Verallgemeinernd kann man sagen, dass jede Position „für“ Palästina im Westen Selbstmord ist.
Ein weiteres Beispiel: Gegen den französischen Fußballstar Karim Benzema, Gewinner des Ballon d’Or und Held von 37 Toren für die französische Nationalmannschaft, wird derzeit gehetzt. Seine Posts über den Gazastreifen könnten den Star seine französische Staatsbürgerschaft kosten. Ein weiterer französischer Star-Fußballer, Youssef Atal, hat seinen Vertrag mit Nizza verloren. Eric Cantona, der Veteran und Stolz des französischen Fußballs, steht unter vernichtender Kritik. Er wird schikaniert, weil er auf seiner Seite die Geschichte des palästinensisch-israelischen Konflikts beschrieben hat. Der deutsche Verein Bayern München bereitet ein hartes Durchgreifen gegen Nissairou Mazaroui vor. Ein anderer Verein, Mainz, hat Anwar El-Ghazi von Spielen und sogar vom Training ausgeschlossen. Alles wegen einer „falschen“ Haltung zu Palästina.
Der Internationale Schwimmverband hat den ägyptischen Meister aus allen offiziellen Angaben gestrichen. Abdel Rahman Sameh hat bei der Weltmeisterschaft in Griechenland Gold über 50 Meter Schmetterling gewonnen und damit die anerkannten Spitzenreiter, den Amerikaner Michael Andrew und den Australier Isaac Cooper, blamiert. Nun wurde Abdel Rahman Sameh gecancelt, weil er bei einer Siegerehrung sagte, es sei nicht der richtige Zeitpunkt, sich zu freuen, während seine Brüder in Palästina sterben. Nun erhalten er selbst und seine Familie Morddrohungen in sozialen Medien.
Die westliche Welt des Film- und Showbiz hält im Moment still. Die sind völlig eingeschüchtert. Alle erinnern sich daran, wie die spanischen Stars Penelope Cruz, ihr Ehemann Javier Bardem und der zweifache Oscar-Preisträger Pedro Almodovar vor fast zehn Jahren einen offenen Brief unterzeichneten, in dem sie das Vorgehen Israels im Gazastreifen als „Genozid“ bezeichneten und sofort auf die schwarze Liste Hollywoods gesetzt wurden – eine Stopp-Liste für Dreharbeiten. Später löste sich das irgendwie auf, aber die Lektion war nachdrücklich erlernt.
Jetzt hat der legendäre amerikanische Pornostar libanesischer Abstammung Mia Khalifa ihren Vertrag mit dem Magazin Playboy verloren. Alles wegen ein paar Sätzen zu der Bildunterschrift in sozialen Medien „Baby, wach auf, Palästina befreit sich“.
„Wenn du die Situation in Palästina betrachtest und nicht auf der Seite der Palästinenser stehst, dann bist du auf der falschen Seite der Apartheid, das wird die Geschichte mit der Zeit zeigen“,
schrieb Khalifa zu dem Bild.
Und der Vollständigkeit halber: Wie könnte man bei all dem nicht an die keusche Öko-Aktivistin Greta Thunberg denken? Das amerikanische Portal Politico berichtet, dass der Sprecher der israelischen Streitkräfte vorschlägt, sie als Unterstützerin des Terrorismus zu bezeichnen:
„Jeder, der sich in Zukunft in irgendeiner Weise mit Greta identifiziert, ist ein Unterstützer des Terrors.“
Und das alles für ein einfaches Foto von Greta Thunberg mit der Bildunterschrift:
„Heute streiken wir in Solidarität mit Palästina und dem Gazastreifen. Die Welt muss einen sofortigen Waffenstillstand, Gerechtigkeit und Freiheit für die Palästinenser und alle leidenden Zivilisten fordern.“
Und um das Bild des kulturellen Wandels im Westen zu vervollständigen, eine brutale, aber aufschlussreiche Geschichte aus den USA: Ein Einwohner des US-Bundesstaates Illinois namens Joseph Chube, 71 Jahre alt, hat in einem Anfall von Rassenhass einen 6-jährigen Jungen erstochen und seine Mutter verletzt. Sie sind Palästinenser, die eine Wohnung von Joseph Chube gemietet hatten. Die Mutter und der Sohn sind US-Bürger. Auf das Kind wurde 26 Mal eingestochen, auf seine Mutter Hanan Shaheen mehr als ein Dutzend Mal. Die Polizei erklärte, dass Mutter und Sohn „wegen ihres islamischen Glaubens und des aktuellen Konflikts im Nahen Osten zwischen der Hamas und den Israelis“ angegriffen wurden.
Dieser grausame Fall ist ein Beispiel dafür, wie die Cancel Culture im Westen nicht nur die akademische Elite, den Journalismus, die Welt des Films und den großen Sport betrifft. Der Hass verbreitet sich in der westlichen Gesellschaft, wie man sagt, von unten nach oben – durch die Straßen der Städte, Hinterhöfe und Hauseingänge…
Mit dem Vormarsch der von den USA unterstützten israelischen Armee auf den Gazastreifen wird der Hass nur noch zunehmen. Aber kann er wie ein Ventil reguliert werden? Das ist die Frage.
Und noch eine. Die BLM-Bewegung gewinnt heute in den USA neue Energie und einen neuen Sinn. Sie sind jetzt alle pro-palästinensisch und anti-israelisch. Sollen sie jetzt auch gecancelt werden? Und wie?
Wenn man darüber nachdenkt, ist die Cancel Culture auch noch ansteckend. Islamische Radikale wollen Israel selbst canceln. Die Hamas ist ja nicht allein. Da ist die Hisbollah im Libanon, da ist der Iran. Pakistan fordert bereits, eine Atombombe auf Israel zu werfen und es so zu canceln. Man sollte es mit dem Canceln nicht übertreiben.
Ende der Übersetzung
Quellen und Anmerkungen
Dank an den Autor für das Recht zur Veröffentlichung des Beitrags.
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Dieser Beitrag erschien zuerst am 23. Oktober 2023 bei anti-spiegel.ru
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Bildquelle: Jorm Sangsorn / shutterstock
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