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Dr. Motte oder: Wie er lernte, die Kontaktschuld zu hassen

Dr. Motte oder: Wie er lernte, die Kontaktschuld zu hassen


Ein Beitrag von Eugen Zentner.

Die Kontaktschuld ist zu einem beliebten wie wirksamen Instrument geworden, politisch Andersdenkende zu diskreditieren und aus dem gesellschaftlichen Diskurs zu verbannen. Wer sie auf sich geladen hat, entscheiden nicht die Fakten und schon gar nicht die Opfer, sondern Instanzen, die an hegemonialen Narrativen weben und sich selber die Deutungshoheit zuschreiben – allen voran die Leitmedien und ihr woker Anhang. Um eine Kontaktschuld zu konstruieren, scheuen diese keine noch so manierierten Akrobatik-Stücke. Da werden Menschen in die rechte Ecke geschoben, wenn sie mit Leuten geredet haben, deren Verwandte bei einem Fußballspiel in einer Kurve standen, wo auch Glatzköpfige zu sehen waren. Dieses Schicksal ereilt auch jene, die für ihre Kritik an der Regierungspolitik Applaus von der „falschen Seite“ bekommen. Aber eigentlich reicht es schon aus, wenn man die Corona-Maßnahmen auf der gleichen Bühne anprangert wie ein Vertreter einer unliebsamen Partei – selbst wenn man das vorher nicht gewusst hat und nicht wissen konnte.

Aber so funktioniert das nun mal: Der Kontakt zum Feind, ja zu dem absolut Bösen, lässt sich schnell herstellen, und sei es über zehn Ecken. Die Moralisten an den Schalthebeln der Meinungsmache zeigen sich bei dieser Kulturtechnik als sehr kreativ. Was nicht passt, wird passend gemacht. Da kann jemand Jahre zuvor noch so lange linke Positionen vertreten haben – wenn er oder sie nur einmal die Grenzen des Sagbaren überschreitet, schlagen die selbsternannten Meinungswächter zu und verpassen den vermeintlichen Delinquenten das Etikett „Antisemit“, „Corona-Leugner“, „Rechtsextremist“, „Verschwörungstheoretiker“ oder neuerdings auch „Querdenker“. Dieses perfide Spiel mussten in den letzten zwei Corona-Jahren so ziemlich alle über sich ergehen lassen, die die Maßnahmen-Politik kritisierten – Aktivisten, Künstler, Juristen, Ärzte, Pädagogen, ja selbst Politiker. Sie wurden geframt und diffamiert bis zur Unkenntlichkeit.

Nun erwischte es einen, der sich bislang hartnäckig bemüht hatte, nicht zu diesem Lager gezählt zu werden – Dr. Motte. Der Initiator der Loveparade-Nachfolge «Rave the Planet» hielt auf der Techno-Demonstration das Logo der «Freedom Parade» hoch, einer Organisation um den Aktivisten und DJ Captain Future, die seit Beginn der Corona-Politik regelmäßig dagegen protestiert. Auch sie verbindet Protest mit Musik und verfolgt die Philosophie, dass zivilgesellschaftlicher Widerstand auch Spaß machen muss. Weil sie aber als eine Veranstaltung daherkommt, die sich gegen die Maßnahmen-Politik wendet, wurde sie mit jenen Etiketten versehen – über den Umweg der Kontaktschuld natürlich. Mit ihr hat sich nun auch Dr. Motte infiziert.

Weil er auf der Berliner Techno-Veranstaltung das Logo der «Freedom Parade» hochhielt, klebt an ihm der Aufkleber „Querdenker“. Von T-Online, über die TAZ bis hin zur WELT tobten die Leitmedien wie besessen. Von einem „Querdenker-Symbol“ war die Rede, von einem „Eklat“, von einer „Nähe zu Covid-Verschwörern“. In diesem Zuge versäumte man auch nicht, Mottes vorherige Vergehen aufzuzählen. Der Star der Techno-Szene war plötzlich in Ungnade gefallen, ohne wirklich zu wissen, warum. Am Tag nach der «Rave the Planet»-Veranstaltung und dem ausgiebigen Medien-Framing reagierte er schließlich, um sich schleunigst zu distanzieren. Diese Pille danach müssen heutzutage alle schlucken, die das Kind der Kontaktschuld nicht behalten wollen. Also entschuldigte sich Motte, so wie es die Meinungswächter erwarten. Ihm sei etwas Dummes passiert, schrieb er untertänigst auf Facebook. Es handle sich um ein Missverständnis seinerseits: „Ich kannte dieses Symbol nicht und sah darauf nur Herzen, ein Peace-Zeichen und die Worte ‚Freedom Parade‘. Darin konnte ich nichts Schlechtes erkennen.“

Er konnte es nicht, weil es daran nichts Schlechtes gibt. Das Schlechte erkennen nur die woken Supermoralisten, die allzu leichtfertig mit der Kontaktschuld-Keule um sich hauen. Auf Twitter legte Motte nach: „Ich distanziere mich hiermit von querdenkern und ähnlichen organisationen. Nie wieder Faschismus.“ Offenbar hat der Techno-Guru das Framing der Leitmedien übernommen, ohne vorher zu recherchieren, um was es auf der «Freedom Parade» eigentlich geht: Frieden, Freiheit, Selbstbestimmung. Um „nichts Schlechtes“ also, um Motte noch einmal zu zitieren. Mit Faschismus hat die Veranstaltung so viel zu tun wie «Rave the Planet» mit «Wacken». Mottes Gang nach Canossa konnte jedoch nicht verhindern, dass die Initiative «Mein Grundeinkommen» sich kurze Zeit später von ihm distanzierte und eine gemeinsame Veranstaltung absagte.

Die Initiative verlost regelmäßig ein monatliches Grundeinkommen an Teilnehmende für die Dauer von einem Jahr. Kurz nach dem «Rave the Planet»-Event war eine Verlosung geplant, die Dr. Motte hätte moderieren sollen. Doch das Hochhalten des «Freedom Parade»-Logos kam für die Initiative einem Zivilisationsbruch gleich: „Wir verurteilen und dulden seit jeher keine antisemitischen, rassistischen, homo- und transfeindlichen oder anderweitig diskriminierenden oder verschwörungsgläubigen Äußerungen jedweder Art“, lautete die skurrile wie aufschlussreiche Begründung für die Absage. Dr. Motte musste sich die Augen reiben angesichts dieser abstrusen Logik. Wie werden aus einem Symbol mit Herzen und einem Peace-Zeichen „antisemitische, rassistische, homo- und transfeindliche oder anderweitig diskriminierende oder verschwörungsgläubige Äußerungen“, dachte er sich sicherlich.

Diese Verwunderung spricht auch aus seinem Tweet, in dem er auf die Entscheidung von «Mein Grundeinkommen» reagiert: „Schade daß @meinbge sich nicht mit mir über den Vorfall gesprochen haben. Sondern ur teilnimmt (sic), an einer Schlammschlacht. Dass macht mich leider traurig.“ Den gleichen Vorwurf kann man aber Dr. Motte selbst machen. Auch er hätte vorher mit den Initiatoren der «Freedom Parade» sprechen können, bevor er sich von ihnen distanzierte und sie mit „Faschismus“ in Verbindung brachte. Nun befindet er sich in der gleichen Position wie sie – völlig unerwartet und zu Unrecht. Plötzlich klebt auch an ihm rechter Dreck, mit die woken Meinungsführer werfen, wenn ihnen irgendeine Geste, Äußerung oder Handlung nicht gefällt. Die «Freedom Parade» hat den Vorfall gelassen kommentiert, mit einem Post im dem eigenen Telegram-Kanal, der ins Schwarze trifft: „Nun laden die vom bedingten Grundeinkommen den Dr. Motte aus, weil er unseren Freedom Parade Sticker hochgehalten hat. Dabei hat Motte mit uns genau so wenig zu tun wie wir mit Rechtsradikalen, aber diese Kontaktschuld ist ansteckender als jeder Virus.“

Die Gefahr ist tatsächlich enorm, wie der Fall Dr. Motte vor Augen führt. Niemand darf sich in Sicherheit wiegen. Alle können sich mit dem Kontaktschuld-Virus infizieren und es weitergeben, unabhängig von der politischen Orientierung und Denkweise. Vielleicht dringt diese Einsicht nun bis zu denjenigen durch, die – um im Pandemie-Jargon zu bleiben – die Kontaktschuld verharmlost haben. Dr. Motte gehörte bislang sicherlich dazu, wie seine Statements in den sozialen Medien verdeutlichen. Deswegen hat der Vorfall auch etwas Positives. Er sensibilisiert die neuen Opfer für den perfiden Missbrauch der Kontaktschuld und bringt sie hoffentlich zum Nachdenken darüber, ob die bisherigen „Infizierten“ nicht vielleicht genauso unbegründet in die Rolle der vermeintlichen Delinquenten geraten sind. Umso mehr Menschen sich mit der Kontaktschuld anstecken, desto schneller kommt es zu einer gesellschaftlichen Durchseuchung. Und dann, so zumindest die Hoffnung, verschwindet dieses tückische Virus endlich aus der Welt.

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Danke an den Autor für das Recht zur Veröffentlichung des Beitrags.

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Bildquelle: PhFedorVasilev / shutterstock.com


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