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Ein IGH-Urteil zu Palästina | Von Jochen Mitschka

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Ein Standpunkt von Jochen Mitschka.

Am 19. Juli 2024 veröffentlichte der Internationale Gerichtshof (IGH) in Den Haag eine urteilende Stellungnahme zur Rolle Israels in Palästina. Es ist das höchste Gericht der UN, welches bei Streitigkeiten über unterschiedlichen Interpretationen von UN-Gesetzen, Regeln und Resolutionen urteilt, und in seiner Funktion als beratendes Organ der UN eine finale Interpretation von UNO-Vorschriften, Verboten und Geboten abgibt. Es geht im vorliegenden Fall noch nicht um die Frage des Völkermordes in Gaza, sondern um die Besatzung Palästinas durch Israel allgemein. Was in westlichen Medien als „Kritik an Siedlungspolitik“ oder mit ähnlichen Überschriften berichtet wird, ist in Wahrheit eine grundsätzliche Abrechnung mit Israels Apartheid- und Besatzungspolitik als Ganzes. Und nachdem das Gericht schon zur allgemeinen Situation so deutliche und klare Worte findet, kann man erwarten, dass es im Fall des Völkermordes in Gaza ähnlich deutlich urteilen wird.

Ich will hier einige der wichtigsten Passagen übersetzt, natürlich ohne juristische Gewähr, wiedergeben, und damit dem Trend entgegenwirken, statt den Link und den Text zu verbreiten, nur seine medialen Interpretationen zu veröffentlichen, was insbesondere die so genannten Künstlichen Intelligenzen tun. Fragt man sie nach dem Link, geben sie Links zu Medien. Sie tun, was man ihnen befahl. Dem Leser soll die schwere Prüfung des Lesens und Verstehens abgenommen werden. Ich hoffe, man erkennt im letzten Satz die Satire, denn in der heutigen Welt ist Politik nicht mehr von Satire zu unterscheiden. Tatsächlich kann nur derjenige den ganzen Umfang der Verurteilung, welche in dem Dokument enthalten ist, verstehen, der sich den enormen Umfang der Vorwürfe anschaut. Das Gericht bestätigt alle Vorwürfe hinsichtlich Annexion und Apartheid, die jeder schon seit vielen Jahren sehen konnte, deren Existenz aber von deutschen Politikern bewusst mit der VerleumdungAntisemitismus“ vom Tisch gewischt wurden.

Besonders blamabel ist dieses beurteilende Gutachten für die deutschen Politiker, welche am 17. Mai 2019 im Bundestag Reden führten, welche vollkommen an der Realität vorbei gingen, und es ist eine Bestätigung der Politik der BDS-Bewegung (Boykott, Desinvestition, Sanktionen), deren Forderungen im Detail den Forderungen entsprechen, welche nun mit diesem Urteil durch den IGH formuliert wurden. Während 2019 die Bewegung von der deutschen Politik implizit als „antisemitisch“ verleumdet wurde.

Der Titel des Urteils lautet: Beratende Stellungnahme über

„Rechtliche Folgen, die sich aus der Politik und Praktiken Israels im besetzten Palästinensischen Gebiet ergeben, einschliesslich Ost-Jerusalem.“

Ich möchte mit dem Schluss beginnen, und dann zu den einzelnen Punkten des Urteils ein paar Beispiele aufzeigen.

Zitat: (285) Aus diesen Gründen kommt das Gericht [Abstimmungsverhalten der Richter im Originaldokument, nicht in der deutschen Übersetzung]

(1) Einstimmig zum Schluss, dass es für die Abgabe des erbetenen Gutachtens zuständig ist;

(2) Mit vierzehn Stimmen gegen eine beschließt, der Bitte um ein Gutachten nachzukommen;

(3) [ist das Gericht] der Auffassung, dass die fortgesetzte Präsenz des Staates Israel im besetzten palästinensischen Territorium rechtswidrig ist;

(4) [ist das Gericht] der Auffassung, dass der Staat Israel die Pflicht hat, seine unrechtmäßige Präsenz im besetzten palästinensischen Gebiet so schnell wie möglich zu beenden;

(5) [ist das Gericht] der Auffassung, dass der Staat Israel verpflichtet ist, unverzüglich alle neuen Siedlungsaktivitäten zu beenden, und Evakuierung aller Siedler aus dem besetzten palästinensischen Gebiet vorzunehmen;

(6) [ist das Gericht] der Ansicht, dass der Staat Israel verpflichtet ist, den Schaden wiedergutzumachen, welche allen betroffenen natürlichen und juristischen Personen im besetzten palästinensischen Gebiet entstehen;

(7) [ist das Gericht] der Auffassung, dass alle Staaten verpflichtet sind, die Situation, die sich aus der unrechtmäßigen Anwesenheit des Staates Israel im besetzten palästinensischen Gebiet ergibt, nicht als rechtmäßig anzuerkennen und keine Hilfe oder Unterstützung bei der Aufrechterhaltung der Situation zu leisten, die durch die fortgesetzte Anwesenheit des Staates Israel im besetzten palästinensischen Gebiet entsteht;

(8) [ist das Gericht] der Auffassung, dass internationale Organisationen, darunter die Vereinten Nationen, die Verpflichtung haben, die Situation, die sich aus der unrechtmäßigen Anwesenheit des Staates Israel im besetzten palästinensischen Gebiet ergibt, nicht als rechtmäßig anzuerkennen;

(9) [ist das Gericht] der Auffassung, dass die Vereinten Nationen und insbesondere die Generalversammlung, die um diese Stellungnahme ersucht hat, sowie der Sicherheitsrat die genauen Modalitäten und weiteren Maßnahmen prüfen sollten, die erforderlich sind, um die unrechtmäßige Präsenz des Staates Israel im besetzten palästinensischen Gebiet so schnell wie möglich zu beenden. Zitat Ende.

Während die Punkte (1) und (2) formale sind, geht es ab Punkt (3) mit der Beurteilung der Besetzung Palästinas los. Das Gericht hat die Rechtswidrigkeit sehr ausführlich begründet. Hier nur ein kleiner Teil der Erklärungen, wie es dazu kam.

Zitat:

(106) (…) Ebenso darf die Besatzungsmacht nach Artikel 50 Absatz 5 der Vierten Genfer Konvention die Anwendung einer Reihe von Vorzugsmaßnahmen, die vor der Besetzung getroffen wurden, nicht behindern; und nach Artikel 54 Absatz 1 darf sie den Status von Beamten oder Richtern im besetzten Gebiet nicht ändern. Darüber hinaus verleiht die in Artikel 55 der Haager Landkriegsordnung festgelegte Regel der Besatzungsmacht lediglich den Status des Verwalters und Nutzungsberechtigter von öffentlichen Gebäuden, Immobilien, Wäldern und landwirtschaftlichen Grundstücken im besetzten Gebiet. Diese Bestimmungen betonen, dass die Besetzung als vorübergehender Zustand zu verstehen ist, während dessen die Ausübung der Autorität der Besatzungsmacht über fremdes Gebiet zum Wohle der einheimischen Bevölkerung geduldet wird.

(109) Die Tatsache, dass eine Besetzung verlängert wird, ändert an sich nicht ihren Rechtsstatus nach dem humanitären Völkerrecht. Obwohl das Besatzungsrecht auf dem vorübergehenden Charakter der Besetzung beruht, setzt es keine zeitlichen Grenzen, die als solche den Rechtsstatus der Besetzung ändern würden. Stattdessen muss die Rechtmäßigkeit der Anwesenheit der Besatzungsmacht im besetzten Gebiet im Lichte anderer Regeln beurteilt werden. Insbesondere besteht eine Besetzung darin, dass ein Staat tatsächliche Kontrolle über ein fremdes Territorium ausübt (siehe Absätze 91-92 oben). Um zulässig zu sein, muss eine solche Ausübung tatsächlicher Kontrolle daher jederzeit mit den Regeln über das Verbot der Androhung oder Anwendung von Gewalt, einschließlich des Verbots von Gebietserwerb durch Androhung oder Anwendung von Gewalt, sowie mit dem Recht auf Selbstbestimmung vereinbar sein. Daher kann die Tatsache, dass eine Besetzung verlängert wird, Auswirkungen auf die Rechtfertigung der fortgesetzten Anwesenheit der Besatzungsmacht im besetzten Gebiet nach internationalem Recht haben(…). Zitat Ende

Das Gericht geht dann darauf ein, dass ein Besatzungsregime alles unterlassen muss, was auf eine endgültige Inbesitznahme eines besetzten Landes hinausläuft, dass es verpflichtet ist, die Zivilbevölkerung ausreichend zu versorgen, und insbesondere die Ausbeutung von Ressourcen ausschließlich der besetzten Zivilbevölkerung zugute kommen müssen. Es fährt dann fort:

Zitat:

(126) Der Gerichtshof stellt fest, dass Gebiet C reich an natürlichen Ressourcen ist (2). Es gibt Beweise dafür, dass Israel diese natürlichen Ressourcen, darunter Wasser, Mineralien und andere natürliche Ressourcen, zum Nutzen seiner eigenen Bevölkerung ausbeutet, zum Nachteil oder sogar zum Ausschluss der lokalen palästinensischen Bevölkerung. Zitat Ende

Insbesondere die Siedlungspolitik wird durch das Gericht kritisch geprüft.

Zitat:

(111) (…) Im Französischen werden die beiden Konzepte durch die Verwendung der Begriffe „colonie“ bzw. „colonisation“ unterschieden. Die französische Fassung der Resolution verwendet den Begriff „colonisation“ und weist damit darauf hin, dass der Gerichtshof aufgefordert ist, die Siedlungspolitik Israels umfassend zu prüfen. Die Tatsache, dass Frage (b), die den Kontext für die Auslegung von Frage (a) bildet, Siedlungen als Politik oder Praxis beschreibt, bestätigt diese Auslegung.

(112) Dem Gerichtshof ist bewusst, dass manchmal zwischen „Siedlungen“ und „Außenposten“ unterschieden wird, wobei letztere unter Verstoß gegen innerstaatliches israelisches Recht errichtet wurden. Nach Auffassung des Gerichtshofs ist diese Unterscheidung für die Feststellung, ob die betreffenden Gemeinden Teil der Siedlungspolitik Israels sind, unerheblich. Entscheidend ist, ob sie mit Unterstützung Israels errichtet oder unterhalten werden. In dieser Hinsicht stellt der Gerichtshof fest, dass Israel regelmäßig Schritte unternimmt, um Außenposten rückwirkend zu legalisieren und ihnen die für deren Aufrechterhaltung notwendige Infrastruktur bereitzustellen. Zitat Ende.

Das Gericht kritisiert dann deutlich den Transfer von Zivilbevölkerung. Ebenso werden die Beschlagnahme und Enteignung von Grundstücken und Wohnungen kritisiert. Es erklärt ausführlich, dass für die israelischen Siedlungen Ressourcen gestohlen werden, welche der palästinensischen Bevölkerung dann fehlen, und erklärt, warum das gegen gültiges Völkerrecht verstößt. Schließlich werden Beispiele angeführt, wie die palästinensische Gesellschaft „rückentwickelt“ wird, und durch Israel systematisch der eigenen Möglichkeiten beraubt wird.

Zitat:

(130) Der unabhängigen internationalen Untersuchungskommission und der UNCTAD zufolge haben Israels Wasser- und Landpolitik zu einer Verringerung der landwirtschaftlichen Nutzfläche von 2,4 Millionen Dunam (ungefähr 2.400 Quadratkilometer) im Jahr 1980 auf rund 1 Million Dunam (ungefähr 1.000 Quadratkilometer) im Jahr 2010 geführt, während der Anteil der Landwirtschaft am Bruttoinlandsprodukt des besetzten palästinensischen Gebiets von 35 Prozent im Jahr 1972 auf 12 Prozent im Jahr 1995 und auf weniger als 4 Prozent im Jahr 2020 zurückging. Darüber hinaus hat die Ausweitung der Siedlungen und Industriegebiete zur Verschmutzung von Süß- und Grundwasser beigetragen. Die schwindenden Wasservorräte und die damit verbundene Umweltzerstörung haben den palästinensischen Agrarsektor schwer geschwächt und die Beschäftigungsmöglichkeiten verringert (4).

(131) Die unabhängige internationale Untersuchungskommission stellte fest, dass 86 Prozent des an Mineralien reichen Jordantals und des Toten Meeres praktisch unter der Gerichtsbarkeit der Regionalräte der israelischen Siedlungen stünden und dass die Siedlungen auf Kosten der Palästinenser Mineralien abbauen und fruchtbares Ackerland bewirtschaften(5). Der unabhängigen internationalen Untersuchungskommission zufolge hat Israel Bergbaukonzessionen für von Israel betriebene Steinbrüche in Gebiet C erteilt. Der größte Teil der geförderten Rohstoffe wird nach Israel transferiert (6). Demgegenüber wird berichtet, dass Israel seit 1994 keine Steinbruchgenehmigungen mehr an palästinensische Unternehmen in Gebiet C erteilt hat(7).

(133) Auf der Grundlage der ihm vorliegenden Beweise ist der Gerichtshof der Auffassung, dass Israels Nutzung der natürlichen Ressourcen im besetzten palästinensischen Gebiet nicht mit seinen Verpflichtungen nach internationalem Recht vereinbar ist. Indem Israel einen großen Teil der natürlichen Ressourcen an seine eigene Bevölkerung, einschließlich der Siedler, umleitet, verstößt es gegen seine Verpflichtung, als Verwalter und Nutzungsrechteinhaber zu handeln. In diesem Zusammenhang erinnert der Gerichtshof daran, dass die Verlegung seiner eigenen Bevölkerung in das besetzte palästinensische Gebiet durch Israel gegen das Völkerrecht verstößt (siehe Absatz 119 oben). Daher kann nach Auffassung des Gerichtshofs die Nutzung der natürlichen Ressourcen im besetzten Gebiet nicht mit Bezug auf die Bedürfnisse dieser Bevölkerung gerechtfertigt werden. Der Gerichtshof ist ferner der Auffassung, dass Israel, indem es den Zugang der palästinensischen Bevölkerung zu Wasser, das im besetzten palästinensischen Gebiet verfügbar ist, stark einschränkt, nicht im Einklang mit den internationalen Verpflichtungen des Staates steht, mit seiner Verpflichtung, die Verfügbarkeit von Wasser in ausreichender Menge und Qualität sicherzustellen(8). Der Gerichtshof stellt fest, dass das Oslo-II-Abkommen zwar Wasser und Abwasser im besetzten palästinensischen Gebiet regelt(9), dieses Abkommen jedoch nicht so verstanden werden kann, dass es Israels Verpflichtung nach dem humanitären Völkerrecht schmälert, Wasser in ausreichender Menge und Qualität bereitzustellen (siehe Absatz 102 oben). In Anbetracht des Vorstehenden kommt der Gerichtshof auch zu dem Schluss, dass Israels Politik der Ausbeutung der natürlichen Ressourcen im besetzten palästinensischen Gebiet nicht mit seiner Verpflichtung vereinbar ist, das Recht des palästinensischen Volkes auf dauerhafte Souveränität über die natürlichen Ressourcen zu respektieren. Zitat Ende.

Israels Militärrecht

Einen großen Teil der Begründung des Urteils nimmt auch die völkerrechtlich verbotene Ausweitung israelischen Rechts auf das besetzte Palästina ein. Auch hier nur ein kleiner Einblick:

Zitat:

(136) Israel hat sein Militärrecht weitgehend an die Stelle des lokalen Rechts gesetzt, das zu Beginn der Besetzung im Jahr 1967 in den besetzten palästinensischen Gebieten galt. Verstöße gegen das israelische Militärrecht werden von israelischen Militärgerichten und nicht von lokalen Zivil- oder Strafgerichten verhandelt. Darüber hinaus wenden die zuständigen israelischen Militärbehörden auf Siedler in der Praxis das für Zivilisten in Israel sowie für nichtisraelische Juden im Westjordanland geltende Recht an. Infolgedessen genießen Siedler im Westjordanland die Rechte und Privilegien der israelischen Staatsbürgerschaft sowie den Schutz der israelischen Gesetze und Sozialleistungen. Darüber hinaus unterliegen Siedler nicht israelischen Militärgerichten, sondern werden vor israelischen Zivilgerichten angeklagt. Palästinenser im Westjordanland unterliegen somit dem Militärrecht und den Militärgerichten, während Siedler vom Strafrecht und dem Strafjustizsystem profitieren, das für Zivilisten in Israel gilt. Zitat Ende.

Israels ethnische Säuberungen

Schließlich wird natürlich auch ausführlich auf die Zwangsvertreibung von Palästinensern eingegangen.

Zitat:

(144) Der Gerichtshof weist darauf hin, dass gemäß Artikel 49 Absatz 1 der Vierten Genfer Konvention „einzelne oder Massenverbringungen sowie Deportationen geschützter Personen aus besetzten Gebieten in das Gebiet der Besatzungsmacht oder in das Gebiet eines anderen Landes, ob besetzt oder nicht, verboten sind, ungeachtet der Gründe“. Der Wortlaut dieser Bestimmung unterscheidet zwischen „Verbringungen“ einerseits und „Deportationen ... aus besetzten Gebieten in das Gebiet der Besatzungsmacht oder in das Gebiet eines anderen Landes“ andererseits. Nach der üblichen Bedeutung dieser Begriffe sind alle zwangsweisen Verbringungen geschützter Personen verboten, auch Verbringungen innerhalb der besetzten Gebiete. (…) Zitat Ende

Das Gericht erwähnt ausdrücklich, dass es nicht eines physischen Zwanges bedarf, um von Vertreibung auszugehen, und es weist ausdrücklich darauf hin, dass sich alle Ausnahmen, die im Völkerrecht genannt werden, ausschließlich auf vorübergehende Transferierung von Menschen zu deren eigener Sicherheit sein kann. Und so ist es nicht verwunderlich, dass das Gericht in Punkt 147 abschließt mit den Worten:

„Nach Auffassung des Gerichtshofs verstoßen Israels Politik und Praxis gegen das Verbot der Zwangsumsiedlung der geschützten Bevölkerung gemäß Artikel 49 Absatz 1 der Vierten Genfer Konvention.“

Gewalt gegen Palästinenser

In einem ganzen Kapitel geht das Gericht auch ausführlich auf die Gewalt Israels gegen Palästinenser ein. Auch hier nur ein kleiner Auszug:

Zitat:

(152) Dem Gerichtshof vorliegende Beweise deuten darauf hin, dass israelische Sicherheitskräfte nach Angriffen von Siedlern oder im Rahmen palästinensischer Demonstrationen gegen den Siedlungsausbau mit unnötiger oder unverhältnismäßiger Gewalt gegen Palästinenser vorgehen. Die unabhängige internationale Untersuchungskommission hat mehrere Vorfälle gemeldet, bei denen israelische Sicherheitskräfte scharfe Munition eingesetzt haben, um Demonstrationen von Palästinensern niederzuschlagen, was zu Hunderten von Toten und Verletzten führte(10). Laut einem Bericht des Generalsekretärs der Vereinten Nationen aus dem Jahr 2023 wurden Muster identifiziert

„von israelischen Sicherheitskräften, die bei ihren Strafverfolgungsoperationen im Westjordanland militärische Taktiken anwenden … Die israelischen Sicherheitskräfte scheinen es versäumt zu haben, Schritte zu unternehmen, um Konfrontationssituationen zu deeskalieren oder sicherzustellen, dass potenziell tödliche Gewalt nur als letztes Mittel eingesetzt wird, wenn dies unbedingt erforderlich ist, um Leben zu schützen oder schwere Verletzungen durch eine unmittelbare Bedrohung zu verhindern.“(11)

Demselben Bericht zufolge wurden im Jahr 2022 im Westjordanland und in Ostjerusalem mehr Palästinenser getötet als in jedem anderen Jahr seit 2005 (ebd., Abs. 13).

(153) Darüber hinaus wird berichtet, dass palästinensische Frauen und Mädchen geschlechtsbezogener Gewalt in Form von exzessivem Gewalteinsatz und Missbrauch, einschließlich physischem, psychischem und verbalem Missbrauch und sexueller Belästigung, durch israelische Sicherheitskräfte und Siedler ausgesetzt sind(12). Zitat Ende.

Das Gericht stellt dann eindrücklich fest, dass die israelischen Siedlungen illegal sind.

Zitat:

(155) Im Lichte des Vorstehenden bekräftigt der Gerichtshof, dass die israelischen Siedlungen im Westjordanland und in Ostjerusalem sowie das mit ihnen verbundene Regime unter Verletzung des Völkerrechts errichtet wurden und aufrechterhalten werden(13). Zitat Ende

Ein weiteres Kapitel beschäftigt sich mit der Frage der illegalen Annexion palästinensischen Gebietes. Und das Gericht stellt eindeutig, auf Grund der über Jahrzehnte von allen israelischen Regierungen verfolgten Politik fest, dass Israel illegal handelt, und durch Zerstörung und Zwangsumsiedlung ethnische Säuberungen vornimmt, auch wenn dieser Begriff nicht explizit erwähnt wird. Auch hierzu nur ein Beispiel:

Zitat:

(165) Der Gerichtshof ist der Auffassung, dass die Maßnahmen Israels in Ostjerusalem ein unwirtliches Umfeld für die palästinensische Bevölkerung schaffen. Da Israel Ostjerusalem als sein eigenes Territorium behandelt, betrachtet es die dort lebenden Palästinenser als Ausländer und verlangt von ihnen, dass sie über eine gültige Aufenthaltserlaubnis verfügen (siehe Ziffern 192-197). Nach israelischem Recht gibt es außerdem ein Baugenehmigungssystem, dessen Verletzung den Abriss im Eilverfahren sowie hohe Geldstrafen zur Folge hat (siehe Ziffern 214-217 unten). Im Jahr 2019 erklärte der Generalsekretär der Vereinten Nationen, dass mindestens ein Drittel aller palästinensischen Häuser in Ostjerusalem keine von Israel ausgestellte Baugenehmigung besitze. In der Folge waren über 100.000 Einwohner der Gefahr der Zerstörung ihrer Häuser und der Zwangsumsiedlung ausgesetzt(14). Darüber hinaus begann Israel 2018 mit einem Prozess zur Regelung von Landtiteln in Ostjerusalem, im Rahmen dessen Landbesitzansprüche geprüft und endgültig im israelischen Grundbuch eingetragen werden. Laut dem Generalsekretär der Vereinten Nationen wird Israels Prozess der Landbesitzregistrierung in Gebieten der israelischen Siedlungsexpansion fortgeführt, was die israelische Kontrolle über zusätzliches Territorium in Ostjerusalem ausweiten würde(15). Alle diese Maßnahmen üben Druck auf die Palästinenser in Ostjerusalem aus, die Stadt zu verlassen.

(168) In diesem Zusammenhang nimmt der Gerichtshof den Bericht der unabhängigen internationalen Untersuchungskommission zur Kenntnis, die im Jahr 2022 feststellte:

„Israel betrachtet die Besatzung als eine dauerhafte Einrichtung und hat – im Grunde genommen – Teile des Westjordanlands annektiert, während es versucht, sich hinter einer Fiktion der Vorübergehenden zu verstecken. Zu den Handlungen Israels, die eine faktische Annexion darstellen, gehören die Enteignung von Land und natürlichen Ressourcen, die Errichtung von Siedlungen und Außenposten, die Aufrechterhaltung eines restriktiven und diskriminierenden Planungs- und Bauregimes für Palästinenser und die extraterritoriale Ausweitung des israelischen Rechts auf israelische Siedler im Westjordanland.“ (16). Zitat Ende

Während in Israel offen erklärt wird, man habe ja das Gebiet in einem Krieg „gewonnen“, erklärt das Gericht ausdrücklich das Gewaltverbot des Völkerrechts zur Aneignung von Eigentum bzw. Landbesitz.

Schließlich geht das Gericht auch auf die Frage der Diskriminierung ein, und stellt glasklar fest, dass es sich um ein Apartheid-Regime handelt.

Zitat:

(229) Der Gerichtshof stellt fest, dass Israels Gesetze und Maßnahmen eine nahezu vollständige Trennung zwischen den Siedler- und palästinensischen Gemeinden im Westjordanland und Ostjerusalem erzwingen und aufrechterhalten sollen. Aus diesem Grund ist der Gerichtshof der Ansicht, dass Israels Gesetze und Maßnahmen einen Verstoß gegen Artikel 3 der UN-CERD darstellen. Zitat Ende.

Schließlich erklärt das Gericht ausführlich das Recht der Palästinenser auf Selbstbestimmung und auf einen eigenen Staat. Und der Gerichtshof erklärt die Anwesenheit Israels in Palästina für rechtswidrig:

Zitat:

(261) (…) Der anhaltende Missbrauch seiner Position als Besatzungsmacht durch Israel durch Annexion und Behauptung einer dauerhaften Kontrolle über das besetzte palästinensische Gebiet sowie die fortgesetzte Vereitelung des Selbstbestimmungsrechts des palästinensischen Volkes verletzt grundlegende Prinzipien des Völkerrechts und macht die Anwesenheit Israels im besetzten palästinensischen Gebiet rechtswidrig. Zitat Ende

Die rechtlichen Folgen, welche das Urteil erklärt, sind umfassend, und nicht zuletzt werden alle Staaten aufgefordert, Israel daran zu hindern, die rechtswidrige Besatzung aufrecht zu erhalten. Mit anderen Worten:

Jede Waffenlieferungen Deutschlands an Israel sind ebenfalls rechtswidrig und werden, neben anderen Gründen, zukünftig zu Reparationsforderungen Palästinas führen.

Es gäbe noch viel mehr zu schreiben über den Inhalt und die rechtlichen Konsequenzen dieses zweifelsohne erstaunlichen Urteils. Erstaunlich, weil es mit so großer Mehrheit und so eindeutig gefällt wurde. Aber für mehr muss ich wohl auf ein hoffentlich zur Buchmesse in Frankfurt von mir erscheinendes Buch verweisen.

Hinweise und Quellen

Der Autor schreibt zu tagesaktuellen Themen unter https://x.com/jochen_mitschka

(1) https://www.icj-cij.org/sites/default/files/case-related/186/186-20240719-adv-01-00-en.pdf

(2) „Wirtschaftliche und  soziale Auswirkungen der israelischen Besatzung auf die Lebensbedingungen der palästinensischen Bevölkerung  im besetzten palästinensischen Gebiet, einschließlich Ostjerusalem, und der arabischen Bevölkerung im besetzten  syrischen Golan“, UN-Dok. A/78/127-E/2023/95 (30. Juni 2023), Abs. 61; Weltbank, Gebiet C und die Zukunft der  palästinensischen Wirtschaft (2013), S. 21-25

(3) siehe „Israelische Siedlungen im besetzten palästinensischen Gebiet, einschließlich Ost- Jerusalem, und auf den besetzten syrischen Golanhöhen: Bericht des Generalsekretärs“, UN-Dok. A/78/554 (25. Oktober 2023), Abs. 15-20; „Israelische Siedlungen im besetzten palästinensischen Gebiet, einschließlich Ost-Jerusalem, und auf den besetzten syrischen Golanhöhen: Bericht des Hohen Kommissars der Vereinten Nationen für Menschenrechte“, UNDok. A/HRC/52/76 (15. März 2023), Abs. 14-15

(4) „Bericht der unabhängigen internationalen  Untersuchungskommission für das besetzte palästinensische Gebiet, einschließlich Ostjerusalem, und Israel“,  UN-Dok. A/77/328 (14. September 2022), Abs. 72; „Bericht über die Hilfe der UNCTAD für das palästinensische  Volk: Entwicklungen in der Wirtschaft des besetzten palästinensischen Gebiets“, UN-Dok. TD/B/67/5 (5. August 2020), Abs. 31

(5) „Bericht der unabhängigen internationalen Untersuchungskommission  zur Untersuchung der Auswirkungen der israelischen Siedlungen auf die bürgerlichen, politischen,  wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte des palästinensischen Volkes im gesamten besetzten  palästinensischen Gebiet, einschließlich Ost-Jerusalem“, UN-Dok. A/HRC/22/63 (7. Februar 2013), Abs. 36

(6) „Bericht der unabhängigen internationalen Untersuchungskommission für das besetzte  palästinensische Gebiet, einschließlich Ostjerusalem, und Israel“, UN-Dok. A/77/328 (14. September 2022),  Abs. 37

(7) „Wirtschaftliche und soziale Auswirkungen der  israelischen Besatzung auf die Lebensbedingungen der palästinensischen Bevölkerung im besetzten  palästinensischen Gebiet, einschließlich Ostjerusalem, und der arabischen Bevölkerung im besetzten  syrischen Golan“, UN-Dok. A/74/88-E/2019/72 (13. Mai 2019), Abs. 86

(8) Artikel 55 der  Vierten Genfer Konvention

(9) Artikel 40 des Anhangs I von Anlage III des Oslo-II-Abkommens

(10) „Bericht der unabhängigen internationalen Untersuchungskommission über das  besetzte palästinensische Gebiet, einschließlich Ostjerusalem, und Israel“, UN-Dok. A/78/198 (5. September  2023), Abs. 12-21; „Bericht der unabhängigen internationalen Untersuchungskommission über das besetzte  palästinensische Gebiet, einschließlich Ostjerusalem, und Israel“, UN-Dok. A/77/328 (14. September 2022), Abs.  68

(11) „Israelische Praktiken, die die  Menschenrechte des palästinensischen Volkes im besetzten palästinensischen Gebiet, einschließlich  Ostjerusalem, beeinträchtigen: Bericht des Generalsekretärs“, UN-Dok. A/78/502 (2. Oktober 2023), Abs. 14.

(12) „Bericht der unabhängigen internationalen Untersuchungskommission für das besetzte palästinensische Gebiet,  einschließlich Ostjerusalem, und Israel“, UN-Dok. A/77/328 (14. September 2022), Abs. 59

(13) siehe „Rechtliche Folgen des Baus einer Mauer im besetzten palästinensischen Gebiet“, Gutachten, IGH-Berichte  2004 (I), S. 184, Abs. 120

(14) „Israelische Siedlungen im besetzten  palästinensischen Gebiet, einschließlich Ostjerusalem, und dem besetzten syrischen Golan: Bericht des  Generalsekretärs“, UN-Dok. A/74/357 (20. September 2019), Abs. 31

(15) „Israelische Siedlungen im besetzten palästinensischen Gebiet, einschließlich  Ostjerusalem, und dem besetzten syrischen Golan: Bericht des Generalsekretärs“, UN-Dok. A/78/554 (25.  Oktober 2023), Abs. 22

(16) „Bericht der unabhängigen internationalen  Untersuchungskommission für das besetzte palästinensische Gebiet, einschließlich Ostjerusalem,  und Israel“, UN-Dok. A/77/328 (14. September 2022), Abs. 76

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Dank an den Autor für das Recht zur Veröffentlichung dieses Beitrags.

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Bildquelle: oliverdelahaye / shutterstock


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