Ein Meinungsbeitrag von Nic von Studenten Stehen Auf.
Am 04. September 2022 beschloss die Bundesregierung, Studenten und Azubis eine einmalige Pauschalzahlung von 200€ als Ausgleich zu den immer weiter steigenden Energiepreisen auszuzahlen. Zur Abwechslung einmal Geld vom Staat zu bekommen, klingt im ersten Moment nach einer netten Sache. Vor allem für junge Menschen in Ausbildung, die bekanntlich wenig Geld haben. Jedoch braucht man nicht denken, dass diese 200€ tatsächlich kostenlos sind, wie es propagiert wird: Wir bezahlen mit unseren Daten und letztendlich mit unserer Freiheit.
Die fortschreitende Digitalisierung schlägt auch an dieser Stelle zu, sodass das Anmeldeverfahren für die Pauschalzahlung rein digital abläuft, ohne die Möglichkeit auf ostasiatische Transistor-Technologie zu verzichten und trotzdem von unserem Staat gleichberechtigt zu werden. Erstmal hört sich das sinnvoll an: Die Anzahl von Studenten und Azubis in Deutschland ist hoch wie noch nie mit mehr als 4 Millionen[1][2]. Da bietet es sich an, eine einfache und zugängliche Antragsmöglichkeit zu wählen, die so wenig manuelle Arbeit wie nur nötig braucht. Und da junge Menschen im Umgang mit digitalen Medien sowieso Vorreiter sind und sich digitale Prozesse sehr gut automatisieren lassen, ist ein digitales Verfahren naheliegend.
Grundsätzlich wäre an alldem auch nichts auszusetzen - nur wenn der Einzelne nicht mehr die Wahl hat, sondern auf den digitalen Weg gezwungen wird, stellt das ein Problem dar. Konkret wird zur Beantragung der Pauschalzahlung ein sogenanntes „BundID-Konto” benötigt. Die Erstellung eines solchen Kontos kann mit der elektronischen Funktion des Personalausweises, einem ELSTER-Zertifikat oder einem Passwort, für welches die Universitäten persönliche Daten an die entsprechenden Behörden weitergeben, erfolgen. Auf der Fragen-und-Antworten-Seite des Bundes zur Einmalzahlung findet sich dazu folgende Information: „Das BundID-Konto ist das Nutzerkonto des Bundes.”[3]
Und was sich bereits ein bisschen wie digitale Identität anhört, könnte durchaus der erste Schritt in Richtung eines Sozialkreditsystems und der totalen Überwachung sein. Einem Sozialkreditsystem liegt prinzipiell erst einmal nur eine automatisierte Sammlung, Ordnung, Sortierung und Korrelation von personenbezogenen Daten zugrunde. Ob man bestimmtes Verhalten sanktioniert, belohnt oder einfach nichts macht, spielt erstmal keine Rolle. Denn diese Bewertung kann sich durch einen Wechsel der Regierung schlagartig ändern. Der entscheidende Punkt ist, dass man die notwendigen Daten geordnet und mit einer echten Identität verknüpft speichert.
Und das ist genau der Punkt, an dem die „BundID” ins Spiel kommt. Zum jetzigen Zeitpunkt wirkt ein „BundID-Konto” harmlos, denn es ist erst einmal nur als Möglichkeit gedacht, mit dem gigantischen Bürokratieapparat zu interagieren. Wieder auf der Fragen-und-Antworten-Seite des Bundes zur Einmalzahlung kann man folgende Informationen nachlesen:
„Übrigens: Das BundID-Konto können Sie auch für andere Online-Behördengänge nutzen, zum Beispiel für den BAföG-Antrag.”[3]
Wow, wie praktisch! Und eigentlich ist ja dann auch egal, ob ich das jetzt über das BundID-Konto mache oder über meine Gemeinde vor Ort beispielsweise... so könnte man denken. Aber es macht einen enormen Unterschied, wenn man das Ganze mit den Gefahren eines Überwachungsstaats im Hinterkopf betrachtet. Denn Bürokratie im echten Leben ist dezentral, langsam, ineffizient und macht Fehler. Es ist extrem schwierig, aufwendig und teuer, solche Daten zu korrelieren. Und das ist wie oben schon beschrieben der Knackpunkt bei einem Sozialkreditsystem: Das Ganze muss schnell und automatisiert funktionieren. Denn ansonsten ist es einfach wegen des schieren Arbeitsaufwandes nicht möglich.
Das entkräftet auch das Pro-Digitalisierungs-Argument „Die wissen ja sowieso schon alles”. Das mag in einigen Bereichen sogar stimmen, ist aber insofern irrelevant, dass es um die Art und Weise geht, wie diese Informationen beschafft und gespeichert werden. Je schneller, effizienter, zentralisierter und automatisierter, desto einfacher ist es, ein Sozialkreditsystem zu etablieren. Wenn man sich erst einmal auf die jetzige Funktion des BundID-Kontos beschränkt, ermöglicht das also der Bundesregierung, genau zu wissen, wer wann etwas beantragt hat sowie den Bearbeitungsstand des Antrags.
Aber auch die in den Anträgen enthaltenen personenbezogenen Informationen werden gespeichert, zum Beispiel in welchem Ort jemand studiert oder eine Ausbildung macht. Und all das wird zentral gespeichert über alle deutschen Bürger. Jedoch kann niemand vorhersagen, was in Zukunft passiert. Ein BundID-Konto mag zum gegenwärtigen Zeitpunkt noch optional sein, bis auf Ausnahmen wie im Fall dieser Einmalzahlung des Bundes an Studenten und Azubis. Jedoch ist es keineswegs auszuschließen, dass dieses Konto in Zukunft allgemein verpflichtend wird. Und durch die vermutete Arbeitserleichterung aufseiten des Staates hätte dieser mindestens einen guten Grund.
Wie man eine allgemeine digitale Identität mit entsprechender Infrastruktur, die alle personenbezogenen Daten zentral vereint, missbrauchen kann, ist ziemlich offensichtlich. Mithilfe einer digitalen Identität hätte man die Corona-Maßnahmen noch härter ansetzen können, um somit wirklich alles zu kontrollieren. Stattdessen wurden Ausgangssperren und G-Regeln teils nur halbherzig überprüft und es war manchen sogar möglich, ihr Leben normal weiterzuführen ohne jemals auch nur einen Test gemacht zu haben.
Aber nicht nur solche Ausnahmezustände könnte man nutzen, um unerwünschtes Verhalten zu sanktionieren. Je effizienter die Datensammlung, Strukturierung und Korrelation wird, desto weiter öffnen sich Tür und Tor für Missbrauch. Das extremste Beispiel dazu findet man in China: Dank Gesichtserkennung können Bürger sogar ohne Mobiltelefon verfolgt werden, jegliche Bürokratie wird nur noch über das Smartphone abgewickelt und auch die öffentliche Infrastruktur ist derart vernetzt, dass sogar der Zugang zu Bus und Bahn selektiv eingeschränkt werden kann. Wenn man über die gegenwärtige Situation nachdenkt, könnte man auf die Idee kommen, ein „Menschenrecht auf analoges Leben” oder Digitalfreiheit oder ähnliches zu fordern. Grundsätzlich klingt das sinnvoll. Jedoch würde eine solche Forderung ein neues Fass an Fragen und Problemen aufmachen.
Zwar hat man an sich ein Recht auf ein Leben ohne digitalen Einfluss und es gibt kein Gesetz, das so ein Leben per se unmöglich macht. Die Formulierung eines solchen Menschenrechtes müsste aber differenziert sein, denn es geht nicht um ein analoges Leben als solches, sondern um ein analoges Leben in unserer Gesellschaft. Sobald man diese Unterscheidung macht, fällt einem auf, dass wir längst jenseits eines Punktes sind, an dem so ein analoges Leben überhaupt noch möglich wäre: in der jetzigen Gesellschaft ohne Computer und ohne Internetzugang zu existieren, ist faktisch unmöglich. Um am sozialen Leben teilhaben zu können, braucht inzwischen jeder das Internet. Eine Gleichberechtigung ist also schon von Anfang an eine sinnlose Forderung.
Man könnte fordern, dass die Regierung einen nicht dazu verpflichtet, digitale Medien zu verwenden. Das wäre eine sinnvolle Forderung, mit der sich wahrscheinlich eine digitale Identität vorerst verhindern ließe. Jedoch macht die Interaktion mit dem Staat meist nur einen Bruchteil des Lebens eines durchschnittlichen Bürgers aus, während die Nutzung von privaten Dienstanbietern online heutzutage viel mehr im Vordergrund steht. Big-Tech-Unternehmen wie Facebook, Apple, Microsoft und Google arbeiten eng mit Geheimdiensten zusammen und letztendlich auch mit dem Staat[4]. Die Dienste und Produkte dieser Firmen aus dem eigenen Leben zu verbannen, ist nahezu unmöglich. Aber man kann und sollte versuchen, wann immer möglich Alternativen zu nutzen, die die eigene Privatsphäre, Freiheit und Anonymität respektieren.
Wenn man aus dem Bereich des Digitalen herauszoomt, stellt man zudem fest, dass es immer soziale Zwänge gibt, bestimmte Technologien zu nutzen, da diese unsere Gesellschaft beeinflussen und formen. Wer auf dem Land wohnt, braucht in den meisten Fällen beispielsweise ein Auto. Das aber nur, weil Autos unsere Gesellschaft dahingehend verändert haben, dass sie notwendig geworden sind. Das digitale Zeitalter stellt uns gesellschaftlich gesehen jedoch vor größere Herausforderungen, als die, die Autos hervorgebracht haben. Die Frage nach einer Linie, die man gesellschaftlich nicht überschreiten will oder sollte, ist keine einfache. Dass man nicht in einer deutschen Version des chinesischen Überwachungsstaats enden will, ist klar. Aber welche Rolle hat der Staat, wenn es darum geht, bestimmte Technologien einzuschränken und andere mit offenen Armen zu empfangen und voranzutreiben?
Was das Ganze noch weiter erschwert, ist, dass wir als Gesellschaft kein Ziel mehr haben. Wir können nicht sagen, ob eine bestimmte Herangehensweise uns näher an unser Ziel bringt oder nicht, weil wir kein halbwegs klar definiertes Ziel haben. Oder eher gesagt, keine Ziele, welche durchdacht sind und sich ineinander nicht widersprechen. Das beste Beispiel ist der Widerspruch zwischen der Bekämpfung der Schere zwischen Arm und Reich, und den immer weitgreifenderen Bestrebungen, CO2-Emissionen gegen Null gehen zu lassen. Auch die zunehmende Digitalisierung und damit einhergehenden Möglichkeiten der Überwachung, stehen einer pluralistischen Gesellschaft, in der jeder seine Meinung frei äußert, stark entgegen.
Auch wenn wir als Gesellschaft kein klares, übergreifendes Ziel mehr haben, hat unsere Bewegung Stauf sehr wohl (mindestens) ein Ziel - nämlich eine freie Gesellschaft. Und diese schließt eine Totalüberwachung aus. Um dieser Gesellschaft einen Schritt näher zukommen, gilt es, hier und jetzt „Nein!” zum Digitalzwang sagen. Jedes Vorzeichen einer totalen Überwachung muss so früh wie möglich erkannt und noch im Keim erstickt werden. Das liegt allein in unseren Händen.
Quellen und Anmerkungen
(3) https://www.einmalzahlung200.de/eppsg-de/faq-haeufige-fragen-und-antworten
(4) https://www.washingtonpost.com/wp-srv/special/politics/prism-collection-documents/
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Dieser Beitrag erschien zuerst am 29.3.2023 auf dem Blog von "Studenten Stehen Auf".
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Wir danken dem Autor für das Recht zur Veröffentlichung dieses Beitrags.
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Bildquelle: Oliver.zs / Shutterstock.com
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