Ein Meinungsbeitrag von Julian Aicher.
Leutkirch – Bäche, in denen Bäume schwimmen. Sie waren die vergangenen Regentage zu „bewundern“. Beachtliche Energie dank treibender Tropfen. Strom für ganze Tal-Landschaften. Etwa das Obere Eschachtal zwischen Leutkirch-Schmidsfelden und Urlau. Dank heimischer Wasserkraft. Das halten Fachleute für möglich. Etwa der Ingenieur und Wasserkraftler Josef Dennenmoser aus Uttenhofen. Sein Wasserkraft-Kollege Julian Aicher aus der Rotismühle schreibt für "dieBildschirmzeitung Leutkirch". Außerdem berichtet er gelegentlich im "ok Oberschwabenkanal" im Net. In unserem Beitrag hier öffnet Aicher tiefere Einblicke in die Welt der fließenden Energie:
Mächtig Kraft. Selbst schwere Wurzelstöcke schwemmt die Hofser Ach bei Starkwasser ans Stauwehr der Rotismühle. Am 28. August 2023 trieb die Ach einen über 10 Meter langen Baum vor das Wehr. Wuchtige Energie also in der Kraft des Wassers. Foto: Julian Aicher
Energie vom Himmel. Tropfen für Tropfen. Beim Verdunsten von der Sonne in Wolken gezogen. Daher gilt Wasserkraft als Tochter der Sonnenenergie. Schon seit Jahrtausenden vom Menschen genutzt, um seine Arbeit zu erleichtern. Genauer: Stürzen 100 Liter Wasser in 1 Sekunde 1 Meter tief, setzen sie dabei 1 Kilowatt Energie frei. Bis zu 90 % dieser Wucht verwandeln moderne Wasserkraftanlagen in Strom. Ein "Wirkungsgrad" von 90 %! Ein Kohlekraftwerk weist dagegen meist den "Wirkungsgrad" von rund 40% auf.
"Es klappert die Mühle am rauschenden Bach." Bis vor wenigen Jahrzehnten gehörten kleine Wassermühlen zum deutschen Alltag wie heute Tankstellen. Wo Wasser energisch wirkte, erleichterten die Leute damit ihr Tun. Um 1900 brummelten, ratterten und surrten in deutschen Bächen und Flüssen rund 80.000 Wassertriebwerke. Heute sind es noch etwa 8000. Ein Zehntel.
Strom fürs ganze Obere Eschachtal?
Die Turbine steht noch. Und der Generator nebendran auch. Startklar. "Vielleicht zwei, drei Tage baggern am Stausee hier oben – und das Ding könnt' wieder anlaufen." Mit dem "Ding" meinte Roman Christmann sein Wasserkraftwerk in Schmidsfelden. So seine Zuversicht vor etwa drei Jahren. Noch bis über die Jahrtausendwende 2000 hinaus lieferte diese Maschinerie für das beeindruckende Glasmacherdorf an der Oberen Eschach deutlich über 200.000 Kilowattstunden Strom pro Jahr. Genug für 100 Privatleute. Mehr als in Schmidsfelden wohnen. Dazu auch dieser kurze Film im Internet-Bereich YouTube: Das Glasmacherdorf Schmidsfelden - Folge 7 - Rio - Regenerativ in Oberschwaben.
Warum drehen sich dort die wasserkraft-bewegten Räder nicht wieder? Behörden blockieren. Vor allem das Landratsamt Ravensburg. Eine der Begründungen für die Behinderung: Die Wasserkraftanlage störe Fische. Ein IHK-vereidigter Gewässerökologe, der den Ort schon mehrmals besuchte, behauptet das Gegenteil.
Sperren in Schmidsfelden für Wasserkraft? Eine Ausnahme in dem Land, das angeblich so heftig für Erneuerbare Energien wirkt? Nein. Leider nein. Diplomingenieur Josef Dennenmoser aus Uttenhofen betreibt selbst drei Wasserkraftanlagen. Alle außerhalb des Landkreises Ravensburg. Dennenmoser, der unzählige Kilometer entlang von Bächen und Flüssen gewandert war, um geeignete Stellen für Wasserkraft zu finden, dachte lange nach. Einige seiner Erkenntnisse in diesem YouTube-Film: Interview Dennenmoser.
Die zündende Idee
Schließlich kam ihm die Idee: Wenn Wasserkraft-Stauwehre angeblich Fische am "Wandern" hindern – warum dann nicht eine Wasserkraftanlage ohne Stauwehr entwickeln? Ergebnis: Nahe der ehemaligen "Emerlander Mühle" bei Hinznang plante Dennenmoser ein Wassertriebwerk ganz ohne Stauwehr. Wie genau, verriet er dem "ok Oberschwabenkanal" mit diesem Film: Projekt Wasserkraft an der Eschachmühle.
Außerdem mit Papier-Plänen, die er dem Landratsamt Ravensburg übersandte. Allein von dort gab es bisher keine Genehmigung für die äußerst fischfreundliche Idee. Immerhin hatte sich Landrat Harald Sievers (CDU) schon mal via Zoom-Konferenz mit Josef Dennenmoser über sein Vorhaben unterhalten.
Der Uttenhofer Müllerssohn und Diplomingenieur Josef Dennenmoser ist davon überzeugt: Mit heimischer Wasserkraft könnten an der Oberen Eschach zwischen Schmidsfelden und Urlau so viele elektrische Kilowattstunden erzeugt werden, wie die Bürgerschaft dort selbst privat verbraucht.
"Das weiche Wasser bricht den Stein." Und transportiert Holz. Nach Starkwasser zeigen sich Zweige, Äste und Stämme am Stauwehr Leutkirch-Rotismühle. Alle antransportiert von der Hofser Ach. Fließendes Wasser mit der Schubkraft für Holz-Transport. Foto: Julian Aicher
Viele kleine für ein ganzes Großes
Allerdings: Energie dank treibender Tropfen zu gewinnen, beschränkt sich in Leutkirch nicht auf die Eschach. Auch andere Gewässerläufe bieten sich an. So bringen elektrische Kilowattstunden aus dem Generator neben den hauseigenen Wasserrädern im Gasthof „Obere Mühle" in Ausnang die Lampen zum Leuchten.
Vor 1970 zeigten sich nicht wenige kleinere Bachläufe als Kraftquellen. Manche nicht einmal mit einem Zehntel von dem, was etwa durch die Eschach rauscht. So gewann ein Wasserrad in Winterstetten 2 Kilowatt Leistung aus nur 30 Litern pro Sekunde. Am Ellerazhofer Weiher brachten 25 Sekundenliter einst 1,3 kW.
Einst in Gospoldshofen
Da bildet Leutkirch übrigens keine Ausnahme bei der fließenden Wucht. In Gospoldshofen setzten 6 Liter Wasser, die dort 6,85 Meter tief stürzten, 0,5 Kilowatt Leistung. Das wirkt geringer als manche Sonnenstrom-Flächen auf Dächern heute. Andererseits leistete das kleine Triebwerk am Ellerazhofer Weiher immer noch deutlich mehr als ein „Balkonmodul" mit bis zu 300 Kilowattstunden pro Jahr – bei rund 300 Watt Leistung: Also aus dessen Solarzellen kein Viertel von dem, was der Auslauf am Ellerazhofer Weiher bewirkte.
Einst bei Adrazhofen
Andere "Kleinwasserkraft"-Orte brachten auf Leutkircher Markung derweil weit mehr. Zum Beispiel die Riedlesmühle bei Adrazhofen. Dort rauschten bis zu 200 Liter Wasser pro Sekunde 3,75 Meter tief durchs Wasserrad – mit immerhin 8,7 Kilowatt Leistung. Da sich Bäche und Flüsse nicht nur nutzen lassen, wenn die Sonne scheint, konnte diese Anlage pro Jahr rund 40.000 Kilowattstunden Energie gewinnen. Zum Vergleich: Eine Privatperson braucht in Deutschland etwa 1.500 Kilowattstunden Strom pro Jahr.
Mehr noch: Wasserkraft bietet weit mehr als Elektrizität. Darf man dem Freiburger Agrarwissenschaftler Dr. Werner Konold glauben, dann entstanden viele der Weiher in Oberschwaben als Speicher. Als Wasserspeicher für die Mühlen und ähnliche Gewerke direkt drunter. Etwa die Geisler-Mühle unterhalb des Leutkircher Stadtweihers oder die Wuhrmühle am Auslauf des Wuhrmühlerweihers bei Waltershofen. Oder der Rösslerweiher bei Ravensburg. Energie speichern: seit dem Mittelalter bewährt – und heute wieder hochmodern.
Schlichte Technik – große Wirkung: Sind die Staufallen des Wasserkraftwerks Rotismühle verschlossen (auf den Bild geöffnet), fließt wuchtiges Nass im Triebwerkskanal zu den Turbinen. Elektrischer Höchst-Ertrag: bis zu 80.000 Kilowattstunden Strom pro Jahr. Genug für 40 Privatpersonen (zu je 1.500 Kilowattstunden Jahresbedarf). In Rotis leben etwa 35 Leute. Foto: Julian Aicher
Mittelalterlicher Wasserbaukunst – heute hochmodern
Der Rösslerweihr bei Ravensburg – er ist nur eine von 20 Stauhaltungen des "Stillen Bachs." Dieses wunderbare Zeugnis mittelalterlicher Wasserbaukunst breitet sich in Schlier und Weingarten über 25 Quadratkilometer aus. Mit beschaulichen Wanderwegen am Wasser – teils auch im Wald. Erstmals in Urkunden erwähnt: im Jahr 1043. Mühlenforscher Dr. Lutz Dietrich Herbst aus Ummendorf (Kreis Biberach) hat erst jetzt wieder eine Broschüre dazu mit herausgebracht.* Der "Stille Bach" galt als als Energiequelle für 13 Turbinen – hauptsächlich in Weingarten. Manche noch heute aktiv. Darunter die der Sägerei Habisreutinger. Kraftpakete mit insgesamt 1.800 Kilowatt Nennleistung. Genug für rund 7.000 Privatleute.
Nicht zuletzt bieten sich die "Stille-Bach"-Weiher aber an, um Wasser zurückzuhalten. Rückhalt. Mal bei Hochwasser, mal für Trockenzeiten. Immer wieder auch, um das Grundwasser zu bestärken. Stau-Weiher – mal zum Badespaß, mal als Lebensbereich für Fische. Ähnlich denkbar auch bei Leutkirch mit neueren Rückhalte-Seen? Etwa dem Staubecken, das Julius Baltasar Christmann vor 100 Jahren oberhalb von Schmidsfelden plante? Und in vielen heute schon vorhandenen Weihern. Wie die des "Stillen Bachs". Im Mittelalter angelegt – und heute wieder hochmodern in Zeiten des Klimawandels. Also in Jahren und Jahrzehnten mit voraussichtlich mehr und heftigeren Wetterextremen – wie Hochwasser und längerer Trockenheit.
Wasserkraft – sie könnte in und um die "Große Kreisstadt Leutkirch" Strom für viel mehr Leute liefern. Bewährt und bei der Bevölkerung beliebt. Heimisch und vergleichsweise verlässlich. Wasserkraft – eine uralte Kultur, die wieder neu belebt werden kann. Sichtbar etwa auch in der Karte unter http://www.kreis-ravensburg-regenerativ.de/ und auf www.rio-s.de.
Wie meinte der Biologe und Physiker Ernst Ulrich von Weizsäcker vom „Club of Rome" dazu?:
"Da gibt es wieder viel zu tun".
Packen wir's an!
Blick auf eine alte Amtskarte (wohl 1900) zur Wasserkraft im ehemaligen Landkreis Wangen. Wasserräder drehten sich unter anderem dort, wo schwarze Punkte mit Nummerierung sind. Leider geht der Knick-Falz des Behörden-Dokuments direkt durch die Darstellung Leutkirchs. Foto: Christine Abele-Aicher
*Dr. Lutz Dietrich Herbst - "Der Stille Bach und seine Gewässer. Unterwegs zu den 18 Stationen des Wasserbauhistorischen Wanderwegs der Gemeinden Weingarten und Schlier." Weingarten, Schlier, 2023. Erhältlich über: akt@weingarten-online.de www.weingarten-online.de www.schlier.de
Über den Autor
Julian Aicher betreibt in der Rotismühle bei Leutkirch ein Kleinwasserkraftwerk. Jahres-Höchstertrag 1994/1995: rund 80.000 elektrische Kilowattstunden. Aicher arbeite von 2000 bis 2020 im Vorstand der „Arbeitsgemeinschaft Wasserkraftwerke Baden-Württemberg e. V. mit. Ihr gehörte er bis 2021 an. Julian Aicher hat in den letzten 30 Jahren zahlreiche, wohl Hunderte von Wassertriebwerken besucht. Sein 2001 gegründetes Büro rio's erarbeitete unter anderem die Wanderausstellung "Wasserkraft und Fischerei": www.rio-s.de. In der rio-s-Seite verlinkt: mehrere YouTube-Filme über Wasserkraft, an denen Aicher mitarbeitete. Etwa Win - Wasserkraft ist naturverträglich oder Rot an der Rot - Ortschaft mit beispielhafter Wasserkraft-Nutzung. Zum Thema gab er auch immer wieder Interviews: Die Macher auf apolut.net: Julian Aicher – Wasserkraftwerk-Inhaber.
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Dieser Beitrag erschien zuerst am 31.8.2023 auf dieBildschirmzeitung.de.
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Wir danken dem Autor für das Recht zur Veröffentlichung dieses Beitrags.
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Bildquelle: pfalztv / Shutterstock.com
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