Tagesdosis

Entstehung und Entwicklung von BRICS – Teil 2 | Von Rainer Rupp

audio-thumbnail
Podcast
0:00
/1260

Russlands entscheidende Rolle –Teil II Ein Kommentar von Rainer Rupp.

In diesem zweiten Teil kommen Auszüge aus der Rede des Außenministers Russlands, Sergej Lawrow, bei der Sitzung des UN-Sicherheitsrats über „Die multilaterale Zusammenarbeit zugunsten der Bildung einer gerechteren, demokratischeren und nachhaltigeren Weltordnung“, New York, am 16. Juli 2024. In dieser Rede thematisiert Lawrow die Position der BRICS im Spannungsfeld zwischen der US-diktierten, regelbasierten internationalen Ordnung, mit der sich der Kollektive Westen bewusst außerhalb der Charter der Vereinten Nationen und der Vorschriften des Völkerrechts stellt.

Die NATO begnügt sich derweil nicht mehr mit dem von ihr entfesselten Krieg gegen Russland, der mit den Händen der illegalen Regierung in Kiew geführt wird, auch nicht mehr mit der Dominanz des gesamte OSZE-Raum. Nach der fast vollständigen Zerstörung der grundlegenden Vereinbarungen im Bereich der Rüstungskontrolle setzen die USA weiterhin auf Konfrontation. Vor kurzem haben die Anführer der Nato-Staaten auf dem Gipfeltreffen in Washington ihre Ansprüche auf eine führende Rolle nicht nur im Euro-Atlantischen Raum, sondern auch in der Asien-Pazifik-Region zum Ausdruck gebracht. Es wird erklärt, dass die NATO sich nach wie vor nach der Aufgabe richtet, das Territorium ihrer Mitglieder zu schützen, aber um das heutzutage zu tun müsse die Allianz ihre Dominanz auf den gesamten eurasischen Kontinent und die angrenzenden Meeresgebiete ausdehnen. Die militärische Infrastruktur der NATO dringt in die Region des Pazifischen Ozeans vor, mit dem offensichtlichen Ziel, die ASEAN-zentrierte Architektur zu untergraben, die seit Jahrzehnten auf den Prinzipien der Gleichberechtigung, der gegenseitigen Berücksichtigung von Interessen und auf Konsens basierte.

Als Ersatz für die um die ASEAN aufgebauten inklusiven Mechanismen bilden die USA und die ihnen untergeordnete Verbündeten geschlossene, konfrontative Blöcke wie AUKUS und andere „Vierer-“ und „Dreierblöcke“. Vor kurzem erklärte die stellvertretende Pentagon-Chefin Kathleen Hicks, dass die USA und ihre Verbündeten

„sich auf langwierige Kriege vorbereiten müssten, und zwar nicht nur in Europa“.

Um Russland, China und andere Länder, deren unabhängige Politik als Herausforderung für die Hegemonie betrachtet wird, „abzuschrecken“, zerstört der Westen mit seinen aggressiven Handlungen das ursprünglich nach seinen eigenen Vorstellungen geschaffene neo-liberale Globalisierungssystem.

Washington hat alles getan, um die Grundlagen der gegenseitig vorteilhaften Energiekooperation zwischen Russland und Deutschland und Europa insgesamt zur Explosion zu bringen (unter anderem buchstäblich durch die Organisation von Terroranschlägen auf die Nord-Stream-Pipelines). Berlin schwieg damals. Heute sehen wir eine weitere Demütigung Deutschlands, dessen Regierung sich bedingungslos der Entscheidung der USA unterwarf, US-Mittelstreckenraketen in Deutschland zu stationieren. Der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz sagte es einfach so:

„Die USA haben beschlossen, Präzisionswaffen in Deutschland zu stationieren, und das sei eine gute Entscheidung“.

Die USA haben dies beschlossen.

Zugleich erklärt John Kirby, Koordinator für strategische Kommunikation in Washington, im Namen des US-Präsidenten: „Wir streben nicht den dritten Weltkrieg an. Das hätte schreckliche Folgen für den europäischen Kontinent“. Das war ein Freudscher Versprecher: In Washington geht man anscheinend davon aus, dass von einem neuen globalen Krieg die USA verschont werden, während Europa zerstört wird. Wenn die Strategie der Biden Administration auf einer solchen Analyse basiert, dann ist das ein äußerst gefährlicher Irrtum. Und die Europäer sollten natürlich erkennen, welche Rolle als Selbstmörder hier für sie vorbereitet wird.

Die Amerikaner, die den gesamten kollektiven Westen „unter die Waffen“ gerufen haben, haben den Sanktions- und Wirtschaftskrieg gegen unerwünschte Staaten ausgeweitet und eine beispiellose Kampagne einseitiger Zwangsmaßnahmen gestartet, die vor allem Europa wie ein Bumerang treffen und zu einer weiteren Fragmentierung der Weltwirtschaft führen. Unter den neo-kolonialen Praktiken der westlichen Länder leiden vor allem die Länder des Globalen Südens in Asien, Afrika und Lateinamerika.

Illegitime Sanktionen, zahlreiche protektionistische Maßnahmen, Beschränkungen beim Zugang zu Technologien widersprechen direkt der wahren Multilateralität und schaffen erhebliche Hindernisse für das Erreichen der Ziele der Entwicklungsagenda der Vereinten Nationen (für den globalen Süden).

Wo sind all die Attribute des freien Marktes, die die USA und ihre Verbündeten der Welt in all den vielen Jahren aufgezwungen haben? Marktwirtschaft, fairer Wettbewerb, Unantastbarkeit des Eigentums, Unschuldsvermutung, Bewegungsfreiheit für Menschen, Waren, Kapital und Dienstleistungen – all das ist heute abgeschafft. Die Geopolitik hat die einst für den Westen heiligen marktwirtschaftlichen Gesetze begraben. Vor kurzem hörten wir öffentliche Forderungen offizieller Vertreter der USA und der EU gegenüber China, die „übermäßige Produktion“ in den High-Tech-Bereichen zu reduzieren, weil der Westen auch in diesen Bereichen seine jahrelangen Vorteile zu verlieren beginnt. Statt marktwirtschaftlicher Prinzipien gilt jetzt die „Regel basierte Ordnung“.

Die Handlungen der USA und ihrer Verbündeten behindern die internationale Zusammenarbeit und den Aufbau einer gerechteren Welt. Ganze Länder und Regionen werden als Geiseln genommen, und den Völkern wird es nicht ermöglicht, die in der UN-Charta festgeschriebenen souveränen Rechte umzusetzen. Diese Handlungen lenken von der so notwendigen gemeinsamen Arbeit zur Regelung von Konflikten im Nahen Osten, in Afrika und anderen Regionen, zum Abbau globaler Ungleichheit, zur Bekämpfung von Hunger und Krankheiten, von Terrorismus und Drogenkriminalität ab.

Ich bin überzeugt, dass sich diese Situation – natürlich bei gutem Willen – ändern lässt. Daher möchten wir eine Reihe von Schritten zur Diskussion vorstellen, die darauf abzielen, das Vertrauen wiederherzustellen und die internationale Lage zu stabilisieren.

1. Es ist notwendig, die Ursachen der in Europa ausgebrochenen Krise ein für alle Mal zu beseitigen. Die Bedingungen für einen nachhaltigen Frieden in der Ukraine wurden vom Präsidenten der Russischen Föderation, Wladimir Putin, dargelegt, ich werde sie hier nicht wiederholen.

Eine politisch-diplomatische Regelung muss mit konkreten Schritten zur Beseitigung der Bedrohungen für die Russische Föderation, die von der westlichen, euroatlantischen Richtung ausgehen, ergänzt werden. Bei der Vereinbarung gegenseitiger Garantien und Vereinbarungen müssen die neuen geostrategischen Realitäten auf dem eurasischen Kontinent berücksichtigt werden, wo sich eine gesamtkontinentale Architektur einer wirklich gleichen und unteilbaren Sicherheit bildet. Europa riskiert, hinter diesem objektiven historischen Prozess zurückzubleiben. Wir sind bereit, nach einem Interessengleichgewicht zu suchen.

2. Die Wiederherstellung des regionalen und globalen Kräftegleichgewichts muss von aktiven Bemühungen zur Beseitigung von Ungerechtigkeiten in der Weltwirtschaft begleitet werden. In einer multipolaren Welt darf es keine Monopolisten in der Währungs- und Finanzregulierung, im Handel oder Technologien geben. Diese Ansicht wird von der überwiegenden Mehrheit der Weltgemeinschaft geteilt. Von besonderer Bedeutung ist die schnellstmögliche Reform der Bretton-Woods-Institutionen und der WTO, deren Tätigkeit das tatsächliche Gewicht der nichtwestlichen Wachstums- und Entwicklungszentren widerspiegeln sollte.

3. Ernsthafte, qualitative Veränderungen müssen auch in anderen Institutionen der globalen Verwaltung stattfinden, wenn wir wollen, dass sie zum Wohle aller funktionieren. Dies betrifft vor allem unsere Organisation, nämlich BRICS, die die Verkörperung der Multilateralität darstellt und über eine einzigartige, universelle Legitimität und allgemein anerkannte breite Kompetenz verfügt.

Ein wichtiger Schritt zur Wiederherstellung der Effizienz der UNO wäre die erneute Bestätigung durch alle ihre Mitglieder, dass sie alle Grundsätze der UN-Charta in ihrer Gesamtheit und ihrem Zusammenhang respektieren, statt sie selektiv auszulegen. Über die Form, die eine solche Bestätigung annehmen könnte, kann gemeinsam nachgedacht werden.

Eine große Arbeit leistet die auf Initiative Venezuelas gegründete Freundesgruppe zur Verteidigung der UN-Charta. Wir laden alle Länder, die sich für die Vorherrschaft des Völkerrechts einsetzen, sich dieser Initiative anzuschließen.

Ein Schlüsselelement der Reform der Vereinten Nationen sollte die Änderung der Zusammensetzung des Sicherheitsrats sein, obwohl dies allein nicht ausreichen wird, um eine produktive Arbeit zu gewährleisten, wenn es keine grundlegende Einigung über die Arbeitsmethoden zwischen den ständigen Mitgliedern geben wird. Diese Überlegung hebt jedoch nicht die Notwendigkeit auf, geografische und geopolitische Verzerrungen im Sicherheitsrat zu beseitigen, wo heute die Länder des kollektiven Westens überrepräsentiert sind. Ein längst ausgereifter Schritt ist die Erzielung einer möglichst breiten Einigung über konkrete Parameter der Reform, die darauf abzielt, die Repräsentanz Asiens, Afrikas und Lateinamerikas zu stärken.

Es sind auch Veränderungen in der Personalpolitik des Sekretariats erforderlich, um die Dominanz von Bürgern und Staatsangehörigen westlicher Länder in den Verwaltungsstrukturen der Organisation zu beseitigen. Der Generalsekretär und seine Mitarbeiter sind verpflichtet, die Grundsätze der Unparteilichkeit und Neutralität strikt und ohne Ausnahmen einzuhalten, wie es Artikel 100 der UN-Charta vorschreibt, woran wir immer wieder erinnern müssen.

4. Zur Stärkung der multipolaren Grundlagen des internationalen Lebens sollen neben der UNO auch andere multilaterale Vereinigungen beitragen. Dazu gehört die G20, in der sowohl die Länder der Weltmehrheit, als auch westliche Staaten vertreten sind. Das Mandat der G20 ist streng auf Wirtschafts- und Entwicklungsfragen beschränkt, daher ist es wichtig, dass der substantielle Dialog auf dieser Plattform frei von Versuchen ist, jeweils aktuelle, geo-politische Themen einzubringen. Andernfalls wird diese nützliche Plattform zunichtegemacht.

Eine immer größere Rolle beim Aufbau einer gerechten multilateralen Ordnung auf Grundlage der Grundsätze der UN-Charta spielen die BRICS und die Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit. Dort sind Länder aus verschiedenen Regionen und Zivilisationen vereint, die auf Grundlage von Gleichheit, gegenseitigem Respekt, Konsens und gegenseitig akzeptablen Kompromissen zusammenarbeiten – das ist der „Goldstandard“ multilateraler Zusammenarbeit unter Beteiligung von Großmächten.

Von praktischer Bedeutung für die Etablierung der Multipolarität sind regionale Vereinigungen wie die GUS, die OVKS, die EAWU, die ASEAN, der Golfkooperationsrat, die Arabische Liga, die Afrikanische Union und die CELAC. Wir halten es für eine wichtige Aufgabe, vielfältige Verbindungen zwischen ihnen aufzubauen, auch unter Einbeziehung des Potenzials der Vereinten Nationen. Der russische Vorsitz im Rat wird eine der nächsten Sitzungen der Zusammenarbeit der UNO mit eurasischen regionalen Organisationen widmen.

Russlands Präsident Wladimir Putin sagte auf dem BRICS-Parlamentsforum am 9. Juli in Sankt Petersburg:

„Der Aufbau einer Weltordnung, die das tatsächliche Kräfteverhältnis widerspiegelt, ist ein schwieriger und in vielerlei Hinsicht sogar schmerzhafter Prozess.“

Wir sind der Ansicht, dass Diskussionen zu diesem Thema, ohne in fruchtlose Polemik abzugleiten, auf Grundlage einer nüchternen Analyse aller Fakten geführt werden sollten. Es ist vor allem notwendig, die professionelle Diplomatie, die Dialogkultur, die Fähigkeit zuzuhören und die Kanäle für Krisenkommunikation wiederherzustellen.

Davon, ob Politiker und Diplomaten in der Lage sind, eine Art gemeinsame Zukunftsvision zu formulieren, hängen Millionen Menschenleben ab. Ob unsere Welt vielfältig und gerecht sein wird, das hängt nur von den Mitgliedsstaaten ab. Der Pfeiler dafür, das möchte ich nochmals betonen, ist vorhanden – das ist die Charta unserer Organisation, BRICS.

Auf dieser Basis würden die Vereinten Nationen in der Lage sein, die aktuellen Meinungsverschiedenheiten zu überwinden und bei den meisten Fragen einen Konsens zu erzielen. „Das Ende der Geschichte“ ist nicht gekommen. Wollen wir gemeinsam im Interesse des Beginns der Geschichte der wahren Multilateralität arbeiten, die den Reichtum der kulturellen und zivilisatorischen Vielfalt der Völker der Welt widerspiegelt. Wir laden zur Diskussion ein, die selbstverständlich nur offen und ehrlich geführt werden sollte.

+++

Dank an den Autor für das Recht zur Veröffentlichung dieses Beitrags.

+++

Bildquelle: Dilok Klaisataporn / shutterstock


+++
Ihnen gefällt unser Programm? Machen wir uns gemeinsam im Rahmen einer "digitalen finanziellen Selbstverteidigung" unabhängig vom Bankensystem und unterstützen Sie uns bitte mit Bitcoin: https://apolut.net/unterstuetzen#bitcoinzahlung

Informationen zu weiteren Unterstützungsmöglichkeiten finden Sie hier: https://apolut.net/unterstuetzen/

+++
Bitte empfehlen Sie uns weiter und teilen Sie gerne unsere Inhalte in den Sozialen Medien. Sie haben hiermit unser Einverständnis, unsere Beiträge in Ihren eigenen Kanälen auf Social-Media- und Video-Plattformen zu teilen bzw. hochzuladen und zu veröffentlichen.

+++
Abonnieren Sie jetzt den apolut-Newsletter: https://apolut.net/newsletter/

+++
Unterstützung für apolut kann auch als Kleidung getragen werden! Hier der Link zu unserem Fan-Shop: https://harlekinshop.com/pages/apolut

Afrikanische Union Arabische Liga ASEAN AUKUS Bretton-Woods-Institution CELAC EAWU fairer Wettbewerb podcast