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Ermuntert die Nachgiebigkeit Putins die USA zum Krieg? | Von Wolfgang Effenberger

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Ein Standpunkt von Wolfgang Effenberger.

Während in den deutschen Medien die Angst vor einer relativ harmlosen „Omicron-Variante“ des Coronavirus geschürt wird, erhebt laut dem US-amerikanischen Ökonomen, Publizisten und ehemaligen stellvertretenden Finanzminister der Regierung Reagan, Paul Craig Roberts, „eine echte Gefahrensituation, die ich seit sieben Jahren [Putsch auf dem Maidan, W.E.] vorausgesehen habe, ihr tödliches Haupt“(1).

Anfang der 1980er Jahre trieb die „Nachrüstung“ mit den Moskau bedrohenden Pershing II Raketen millionenfach friedensbewegte Menschen auf die Straße; die aktuelle Neuauflage einer Stationierung von nuklear bestückbaren Hyperschallraketen Richtung Moskau am 8. November 2021 wird dagegen heute von den Medien einfach ausgeblendet, obwohl diese Stationierung Deutschland bis ins Mark bedroht: Protestdemonstrationen gibt es keine – die Kriegsgefahr durch eine solche Bedrohung Russlands wird schlichtweg nicht bemerkt. Dabei ist die „Gefahr eines Atomkriegs zwischen USA und Russland so groß wie seit Jahrzehnten nicht mehr“(2).

Der stellvertretende russische Außenminister Sergej Rjabkow sagte dazu am 18. November live im Ersten Russischen Fernsehen: "Uns macht vieles Sorgen, was bei den US-Amerikanern hinsichtlich ihrer Haltung zur Rolle der Nuklearwaffen passiert. Sie senken die Schwelle für den Einsatz von Atomwaffen, bereiten sich doktrinär und materiell darauf vor."(3)

Zum ersten Mal seit dem Ende des Kalten Krieges haben die USA das 56. U.S. Artillery Command reaktiviert - eine wichtige Einheit der US-Armee mit Sitz im Wiesbadener Stadtteil Mainz-Kastel, die einem Zwei-Sterne-General unterstellt ist. Der Kommandeur, Generalmajor Stephen Maranian, hatte am 3. November 2021 erklärt: "Die Reaktivierung des 56. Artilleriekommandos wird den US-Streitkräften in Europa und Afrika bedeutende Fähigkeiten für Operationen in mehreren Gebieten bieten... Es wird auch die Synchronisierung von gemeinsamen und multinationalen Feuern und Wirkungen sowie den Einsatz künftiger Boden-Boden-Langstreckenfeuer ermöglichen."(4)

Die britische Zeitung "The Sun" berichtete immerhin am 10. November 2021 unter der Überschrift "Dark Eagle has landed" über die Reaktivierung der US-Atomstreitkräfte mit Hyperschall-Langstreckenraketen des Typs Dark Eagle in Deutschland.

Die USA aktivieren eine nukleare Einheit in Deutschland. (Screenshot über The Sun)(5)

Wenige Tage zuvor hatte das Strategische Kommando der Vereinigten Staaten (United States Strategic Command; USSTRATCOM) im großangelegten nuklearen Kommando- und Kontroll- sowie Feldtrainingsmanöver „Global Thunder 22“ die nuklearen Fähigkeiten ausgetestet. Im Rahmen von „Global Thunder 22“ habe Washington den Abschuss von Atomwaffen gegen Russland sowohl aus westlicher als auch aus östlicher Richtung geprobt, so der russische Verteidigungsminister Sergej Schoigu.(6)

Diese Übung bildete den Abschluss einer ganzen Reihe von Manövern vor Russlands Haustür (im Rahmen von Defender 21).

Der Schwerpunkt lag im oder um das Schwarze Meer. Bereits Anfang August fand in Georgien das Manöver “Agile Spirit” statt. Daran nahmen über 2.500 Soldaten aus zwölf NATO-Mitgliedstaaten (Großbritannien, Deutschland, Spanien, Italien, Kanada, Lettland, Litauen, Polen, Rumänien, Vereinigte Staaten, Türkei und Estland) sowie aus Aserbaidschan, Georgien und der Ukraine teil.

Und am 4. August 2021 berichtete The Sun:

Größte Kriegsspiele der US-Marine seit 40 Jahren zur Vorbereitung auf den Dritten Weltkrieg in 17 Zeitzonen inmitten der Spannungen mit Russland, China und dem Iran 4. August 2021(7)

Seit 2014 ist zu beobachten, dass die Manöverfrequenz vor der Haustür Russlands stetig steigt und die Provokationen an Schärfe zunehmen. Bisher hat sich Putin zu keiner Reaktion verleiten lassen. Doch wie lange geht das noch gut?

Dass von US-Präsident Biden Friedenssignale in Richtung Russland ausgehen könnten, muss angesichts seiner Aussage "Ich akzeptiere von niemandem rote Linien"(8) ausgeschlossen werden. 1963 hatte der sowjetische Staatspräsident Chruschtschow die von Kennedy gezogene rote Linie akzeptiert und die sowjetischen Raketen aus Kuba abgezogen (die USA hatte bereits 1955 in der Türkei – also vor Russlands Haustür - JupiterC-Raketen stationiert).

Nach einer Reihe von westlichen Verlautbarungen, Russland baue seine Militärpräsenz an den Grenzen der Ukraine auf, erklärte Präsident Putin, dass Russland keine Konflikte an seinen Westgrenzen brauche, der Westen nehme seiner Meinung nach jedoch Moskaus Warnungen vor "roten Linien" nicht ernst.(9) Da kann man Putin nur zustimmen.

Nach Ansicht von Paul Craig Roberts ist diese Entwicklung eine Folge der Nachgiebigkeit des Kremls. Auf die heftigen Provokationen Washingtons und der NATO nach dem Maidan-Putsch habe Putin nur einmal beherzt reagiert, als er das überwältigende Votum der Bevölkerung auf der Krim für die Wiedereingliederung in die Russische Föderation akzeptierte – ohne diese Wiedereingliederung wäre der russische Marinestützpunkt im Schwarzen Meer verloren gewesen. Die Krim und der Schwarzmeerhafen Sewastopol wird seit den Krimkriegen (ein von 1853 bis 1856 dauernder militärischer Konflikt zwischen Russland und dem Osmanischen Reich sowie dessen Verbündeten Frankreich und Großbritannien) wie ein Kronjuwel geschützt.

Das Votum der Krimbewohner, die von ihrem Selbstbestimmungsrecht Gebrauch machten, wird vom Westen nicht anerkannt – so wie das Selbstbestimmungsrecht nach dem ersten Weltkrieg von USA und Großbritannien mit Füßen getreten wurde - und folglich die Eingliederung als Annexion gebrandmarkt.

Im März 2021 trat die VERORDNUNG DES PRÄSIDENTEN DER UKRAINE N2117 / 2021 "Über die Entscheidung des Nationalen Sicherheits- und Verteidigungsrates der Ukraine vom 11. März 2021 zur Strategie der Entbesetzung und Wiedereingliederung des vorübergehend besetzten Gebiets der Autonomen Republik Krim und der Stadt Sewastopol" in Kraft.(10) Die Umsetzung dieser Verordnung bedeutet nichts anderes als Krieg! Und zwar in Absprache mit USA, EU und NATO.

Während Putin dem Wunsch der Krimbewohner unmittelbar nachkam, lehnte er die gleiche Bitte der russischen Bevölkerung in den Republiken Donezk und Luhansk ab und setzte sie damit dem Krieg und der Zerstörung durch die ukrainische Armee und verschiedener neonazistischer ukrainischer Milizen aus. Feuerüberfälle sind an der Tagesordnung. Am 3. Dezember 2021 berichtete die Journalistin Alina Lipp aus dem Donbass, dass es in den letzten 10 Tagen drei Angriffe auf verschiedene Schulen gegeben habe.(11)

Allein bis Anfang Februar 2018 forderte der Konflikt im Osten der Ukraine mehr als 10.000 Menschenleben. Der Kriegszustand hat vor allem im Winter für die Zivilbevölkerung  verheerende Auswirkungen.(12) Das Minsker Maßnahmenpaket (Deutschland, Frankreich, Russland, Ukraine) vom 12. Februar 2015 brachte zwar Waffenstillstand, Gefangenenaustausch und Zugang für humanitäre Hilfe, aber keine nachhaltige Lösung für die leidende Bevölkerung im Donbass. So schwelt der Konflikt seit dem Putsch von 2014 weiter und bietet Washington Gelegenheit, Russland zu provozieren.

„Hätte der Kreml das Votum der Donbass-Russen für eine Rückkehr zu Russland akzeptiert, so Paul Craig Roberts, „wäre der Konflikt beendet worden, da die Ukraine sich nicht durch Angriffe auf russisches Gebiet selbst zerstört hätte. Ohne den anhaltenden Konflikt hätte Washington seine Machenschaften gegen Russland in der Ukraine nicht fortsetzen können“(13).

Eine Lösung der ukrainischen Situation scheint von Washington nicht gewollt zu sein. Es sieht eher so aus, dass die Ukraine als Rammbock gegen Russland dient.

Gemäß dem Langzeitstrategiepapier TRADOC 525-3-1 „Win in complex World 2020-2040“ sollen die US-Streitkräfte die von Russland und China ausgehende „Bedrohung abbauen“ – eine euphemistische Umschreibung für einen Angriffskrieg. In diesem Zusammenhang macht das alles Sinn.

Die Passivität Putins im Donbass und sein Versuch, sich auf Vereinbarungen mit den USA und der NATO zu verlassen, hat Paul Craig Roberts davon überzeugt, dass Washington und NATO-Minister Jens Stoltenberg davon ausgehen, dass es in Russland keinen Kampf gibt, und damit die Situation herbeigeführt, die er befürchtet habe: „Washington ist zu dem Schluss gekommen, dass Russlands rote Linien nur Rhetorik sind.“(14)

Und so werden die USA weiter ihr Ziel verfolgen, Russland in die Knie zu zwingen und zugleich einen Keil zwischen Deutschland und Russland zu treiben.

In einer für die Europäer erschütternden Offenheit legte der US-amerikanische Geostratege und Sicherheitsexperte George Friedmann am 4. Februar 2015 (ein knappes Jahr nach dem Maidan-Putsch) in Chicago die strategischen Ziele der USA in Europa auf den Tisch und machte gleich am Anfang seiner Rede deutlich, dass die USA keine “Beziehungen” mit “Europa” haben. Es gäbe nur bilaterale Beziehungen zu den europäischen Staaten.

„Das Hauptinteresse der US-Außenpolitik während des letzten Jahrhunderts, im Ersten und Zweiten Weltkrieg und im Kalten Krieg waren die Beziehungen zwischen Deutschland und Russland… Seit einem Jahrhundert ist es für die Vereinigten Staaten das Hauptziel, die einzigartige Kombination zwischen deutschem Kapital und deutscher Technologie sowie russischen Rohstoff-Ressourcen und russischer Arbeitskraft zu verhindern.“(15) Dieses politische Ziel verfolgen die USA auch mit der Drei-Meere-Initiative (Ostsee-Schwarzes Meer- Adria), die vor hundert Jahren in gleicher Absicht vom polnischen Diktator Pilsudski angedacht worden war.

WZ-Grafik/Quelle: tree-seas.eu

Pilsudskis Idee: ein gegen Deutschland und Russland gerichtetes Intermarium(16)

Auch diese Absicht müsste Putins Strategie berücksichtigen. Irritiert fragt Paul Craig Roberts: „Wie kann der Kreml vergessen, dass die Feindseligkeit der amerikanischen Elite gegenüber Russland so überwältigend ist, dass Präsident Trump mit einem von CIA, FBI und Justizministerium inszenierten „Russiagate“ konfrontiert wurde, nur weil er erklärt hatte, er wolle normale Beziehungen zu Russland wiederherstellen?“(17)

Und sein Artikel endet mit dem erschütterten Ausruf:

„Gott stehe den Russen und uns allen bei, wenn die Provokationen Washingtons ihren Marsch in den Krieg fortsetzen.“(18)

Die Berliner Neuauflage der Rot-grünen Kriegskoalition von 1998 (mit leichtem Gelbstich) wird wie 1999 (im völkerrechtswidrigen Angriffskrieg gegen Restjugoslawien) Washington behilflich sein.

Quellen und Anmerkungen:

1)Paul Craig Roberts: The Kremlin’s Strategic Blunders Are Leading to War, 2. December 2021 https://www.paulcraigroberts.org/2021/12/02/the-kremlins-strategic-blunders-are-leading-to-war/

2)Kreml: USA senken Schwelle für einen Atomschlag 19. Nov. 2021

https://de.rt.com/international/127361-kreml-usa-senken-schwelle-fur-nuklearen-erstschlag-/

3)https://tass.ru/politika/12966329

MOSCOW, November 18. /TASS.

4)https://www.janes.com/defence-news/news-detail/us-army-reactivates-56th-artillery-command-in-europe

5) https://www.thesun.co.uk/news/16695568/us-nuclear-germany-eagle-hypersonic-missiles-moscow/

6)https://uncutnews.ch/die-strategischen-fehler-des-kremls-fuehren-zum-krieg/

7)Chris Bradford: Biggest US Navy war games in 40 years to prepare for WW3 across 17 times zones amid tensions with Russia, China and Iran 4 Aug 2021 https://www.thesun.co.uk/news/15777064/biggest-us-navy-drills-40-years-world-war-three

8)https://www.sueddeutsche.de/politik/ukraine-biden-will-russland-von-angriff-abhalten-1.5480742

9)https://noticias-do-mundo.com/de/putin-gefiel-die-spannung-im-westen-um-russische-truppen-an-der-grenze.html

10)Link Original: https://www.president.gov.ua/documents/1172021-37533 keine englische Übersetzung auf offizieller Seite verfügbar

11)Persönliche mail. Siehe auch Alina Lipp Neues aus Russland https://t.me/s/neuesausrussland

12)https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/ukraine-node/-/1506200

13)https://uncutnews.ch/die-strategischen-fehler-des-kremls-fuehren-zum-krieg/

14)Ebenda

15)George Friedman am 4. Februar 2015 in Chicago unter https://www.youtube.com/watch?v=oaL5wCY99l8&feature=youtu.be; hier die gesamte Rede über 70 Minuten https://www.youtube.com/watch?v=QeLu_yyz3tc

16)v=oaL5wCY99l8&feature=youtu.be

17)https://uncutnews.ch/die-strategischen-fehler-des-kremls-fuehren-zum-krieg/

18)Ebenda

+++ Danke an den Autor für das Recht zur Veröffentlichung des Beitrags. +++ Bildquelle: Photographer RM / shutterstock


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