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Es gibt diese Momente im Leben …

Es gibt diese Momente im Leben …


Ein Kommentar von Dirk C. Fleck.

„Immer wieder tauchte nach 1945 die Frage auf, ob es denkbar sei, daß es je zu einem dritten Weltkrieg kommen könne. Ich glaube, wir befinden uns schon mittendrin. Nur bemerkt es offenbar niemand, weil dieser Krieg nicht territorial, sondern zeitlich geführt wird. Wir haben einen erbarmungslosen Krieg gegen unsere eigenen Kinder und Enkel, gegen die kommenden Generationen, entfesselt. Wir werden ihnen eine verwüstete Welt hinterlassen, auf der das Leben für sie sehr schwer sein wird. Aber da sie ja nicht zurückschlagen können, fahren wir damit fort -- wir können schon gar nicht mehr anders -- und beruhigen unser Gewissen (sofern es nicht ganz zum Schweigen zu bringen ist) mit der Annahme, daß ihnen schon etwas einfallen wird, um unsere Gemeinheiten wiedergutzumachen“. MICHAEL ENDE

MICHAEL ENDE (1929 - 1995) war ein deutscher Schriftsteller. Seine Bücher (Die unendliche Geschichte, Momo, Jim Knopf und Lukas der Lokomotivführer) verkauften sich über dreißig Millionen Mal und wurden in über vierzig Sprachen übersetzt.

Auf Facebook gibt es seit kurzem eine Seite, die mich sowohl erschreckt, als auch hoffen lässt. Sie heißt AUFSTAND DER LETZTEN GENERATION. Der Titel bringt auf den Punkt, was auch andere Initiativen und Bewegungen wie FRIDAYS FOR FUTURE oder EXTINCTION REBELLION umtreibt: die Sorge vor dem totalen Ökozid.

Angefangen hatte es mit der Gründung von EARTH FIRST im Jahre 1979 im Südwesten der USA. Inspiriert von Rachel Carsons Silent Spring (1962) und Aldo Leopolds Land Ethic (1949) plädierte eine Gruppe von Aktivisten für No Compromise in Defense of Mother Earth! (Kein Kompromiss bei der Verteidigung von Mutter Erde.) Kopf der Bewegung war Dave Foreman, der bis dahin Umweltgutachter und aktives Mitglied der Wilderness Society war. Foreman ließ sich nach eigenen Angaben von Edward Abbeys Roman The Monkey Wrench Gang inspirieren. Der verstellbare Schraubenschlüssel (engl. monkey wrench) wurde zum Symbol für Ökotage und zu einem Teil des Logos von Earth First!.

Barack Obama fühlte sich schließlich bemüßigt, die Notbremse zu ziehen, nachdem ihm die Mitglieder eines von der NATO gebildeten Thinktanks dazu geraten hatten. Aufgabe des Thinktanks war es, Militärstrategien zu entwickeln, damit die Regierungen der Industriestaaten im Zeichen des Klimawandels und der wachsenden Schar von Umweltflüchtlingen ordnungspolitisch gerüstet waren. Die Empfehlung an den Präsidenten lautete, Klima- und Umweltschützer in Zukunft als sogenannte ungesetzliche Kämpfer zu behandeln. Earth First steht seitdem ganz oben auf der Feindesliste, aber auch die Umweltschutzgruppen aus der bürgerlichen Mitte wie die Earth Liberation Front, die Wilderness Society, Greenpeace oder andere Menschenrechts- und Umweltschutzorganisationen werden vom FBI seit Jahren als Terrorgruppen eingestuft. Als Terroristen galten in den USA plötzlich auch jene Wunderkerzenhinundherschwenker bei Joe Cocker-Konzerten, die schon mal für Greenpeace oder andere „ungesetzliche Kämpfer“ spendeten.

Dumm gelaufen. So sollte auch der Titel eines etwa 80seitigen Traktats lauten, das ich zusammen mit dem Gründer des Equilibrismus e.V. (https://equilibrismus.org) Eric Bihl schreiben wollte. Im Exposé zu dieser Niederschrift, die als Entschuldigung an die nächste Generation gedacht war, heißt es: „Warum waren wir nicht in der Lage, trotz der über Jahrzehnte hinweg ergangenen Warnsignale erfolgreich gegenzusteuern? Warum ließen wir es zu, dass unseren Kindern und Enkelkindern nichts als soziales Chaos und verbrannte Erde hinterlassen wird? Was sind unsere größten Unterlassungssünden und wie sind sie zu erklären? Sind sie überhaupt zu erklären? Ein Blick zurück auf die kurzen Zeiten des Friedens, auf humanistische Ideale und auf alles, wozu Menschen sich hätten entwickeln können. Ein vorgezogenes Tribunal, das niemanden schuldig spricht, da wir doch alle in unseren kleinen individuellen Geschichten verstrickt sind und gar nicht über die geistigen und seelischen Voraussetzungen verfügen, um die unfassbare Endzeit der Hochzivilisation in unser bescheidenes Weltbild einordnen zu können“.

Ich erinnere mich an einen Spaziergang mit einer Earth-First-Aktivisten, Mitte der Neunziger Jahre, als Pacific Lumber die letzten Redwoodbestände oberhalb San Franciscos „abernten“ wollte. Der Widerstand unter Umweltschützern war gigantisch. Die Medien sprachen vom „Eco-War“, vom Öko-Krieg. Damals trieben die Umweltschützer riesige Nägel in die Stämme, an denen sich die Motorsägen die Zähne ausbeißen sollten. Mehrere Forstarbeiter wurden verletzt. Die Situation eskalierte, bis ein EARTH FIRST!-Sprecher bei einem Bombenattentat fast ums Leben kam. Die Bombe, da waren sich alle einig, wurde dem Mann vom FBI ins Auto gelegt.

Und genau in dieser aufgeheizten Stimmung schlenderte ich mit Judi die Dorfstraße von Alderpoint hinunter in ein lang gezogenes Tal, in dem Hunderte bemooster, mannshoher Baumstümpfe in Reih und Glied standen wie Grabmale auf einem Heldenfriedhof. „All das hier war vor vierzig Jahren noch mit majestätischen Urwäldern bedeckt,“ sagte Judi, „bis zu zweitausend Jahre alte Redwood-Riesen ragten über hundert Meter hoch in den Himmel. Zwischen Platt Mountain auf der einen und Wool Mountain auf der anderen Seite lebten unzählige Vogelarten, Reptilien und Wildkatzen. In den Bächen tummelten sich Forellen und Lachse. Dort drüben rauschte ein Wasserfall in die Tiefe...“

Meine Begleiterin ging in die Hocke und ließ eine handvoll staubiger Erde durch die Finger rieseln. Ich stand betreten daneben. Ein kalter Luftzug fuhr in die Niederung. Judi hakte sich bei mir ein, als wollte sie sich stützen. „Wo sind die Pflanzen und Tiere?“ fragte sie mit brüchiger Stimme, „wie können wir es nur aushalten ohne sie?“

Ich werde diesen Augenblick nie vergessen, diesen Schmerzabdruck auf ihrem Gesicht nicht und auch die stillen Tränen nicht, die darüber flossen. Ebensowenig werde ich vergessen, was Julia Butterfly Hill (Jahrgang 1974) in eine Fernsehkamera sprach, nachdem sie 738 Tage in der Baumkrone eines kalifornischen Küsten-Mammutbaums (sie nannte ihn Luna) lebte, um ihn vor der Abholzung zu retten:

„Der eigentliche Grund, alles was ich in meinem Leben hatte, aufzugeben – meine Freunde, meine Arbeit, meine Karriere, meine Klamotten, mich umzudrehen, alles zu verkaufen und in den Wald zu gehen – war der atemberaubende Anblick dieses riesigen uralten Redwood-Baums, dessen Leben unmittelbar bedroht war. Wenn man so ein Wesen auf einem Foto sieht, kann es einen sehr berühren, aber wenn man davor steht, dann haut es einen einfach um. Dieser Wirklichkeitsschock jenseits der Medienwelt, fühlte sich für mich so an, als würde eine Hand meine Eingeweide und mein Herz rausreißen, mich am Nacken packen und ins Geschehen stoßen. Es war nichts Politisches, nichts Wissenschaftliches. Ich glaube, es gibt diese Momente im Leben, wo wir etwas erkennen und ohne jeden Zweifel wissen, dass es falsch läuft und wir etwas unternehmen müssen“.

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Dirk C. Fleck ist ein deutscher Journalist und Buchautor. Er wurde zweimal mit dem Deutschen Science-Fiction-Preis ausgezeichnet. Sein Roman "Go! Die Ökodiktatur" ist eine beklemmend dystoptische Zukunftsvision.

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Danke an den Autor für das Recht zur Veröffentlichung des Beitrags.

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Bildquelle: udra11 / shutterstock.com


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