Ein Kommentar von Dirk C. Fleck.
Ich befinde mich seit ungefähr zwei Jahren in einem spielerischen Gedankenaustausch mit einer Freundin aus Dresden. Wir sind uns persönlich noch nie begegnet, aber unser Dialog im Facebook-Messenger bestätigt mir täglich, dass wir Seelenverwandte sind. Jeden Abend, quasi zur guten Nacht, schenkt mir meine Freundin ein Musikstück, das sie mit sicherer Hand aus dem Millionenangebot von You Tube gefischt hat. Alle diese Titel überraschen und berühren mich. Vor ein paar Tagen erhielt ich „In A Manner Of Speaking“ von der Gruppe Nouvelle Vague. Dort heißt es:
I just want to say
That I could never forget the way
You told me everything
By saying nothing
Oh give me the words
Give me the words
That tell me nothing
Oh give me the words
Give me the words
That tell me everything
Mir fiel dabei ein Zitat von Hermann Hesse ein, aus Siddharta glaube ich:
„Auf seinem Gesicht blühte die Heiterkeit des Wissens, dem kein Wille mehr entgegensteht, das die Vollendung kennt, das einverstanden ist mit dem Fluß des Geschehens, mit dem Strom des Lebens, voll Mitleid, voll Mitlust, dem Strömen hingegeben, der Einheit zugehörig.“
In Gegenwart meiner unbekannten und doch so nahen Freundin scheine ich in ein anderes Licht zu treten. Es ist schön, mit ihr ein Stück des Wegs zu gehen. Im Moment lernen wir beredt zu schweigen. Auch schön. Ich muss lachen. Ja, sie bringt mich zum lachen. Einfach, weil sie da ist, weil ich sozusagen in ihrem Äther schwimme. Der Gemütszustand, in den sie mich gelegentlich versetzt, ähnelt doch sehr dem, den der französische Dichter des Dada, Jacques Rigaud (1898-1929) so beschrieb:
„Es gibt nichts zu tun. Sie können auf mich zählen. Ich pack es an“.
Inzwischen ist mir nämlich jeder Lobgesang auf die Faulheit sympathisch. Besonders an einem Tag wie heute. Das Wetter ist schön, die Bäume schlagen aus und Information von außen kommen mir nicht ins Haus. Da stellt sich Frieden ein. Kein Grund, ein schlechtes Gewissen zu haben, obwohl Optimismus in diesen Zeiten schon fast etwas verräterisches hat. Er weist auf Menschen hin, die sich im Sumpf der Dummheit zu behaupten wissen und unbeirrt ihren Weg gehen - trotz allen Kriegsgeschreis, trotz aller Gehirnwäsche und trotz allen Drucks, den die jämmerlichen Figuren, denen in diesem verbrecherischen System Macht verliehen wurde, auf uns Querdenker (ein Begriff, den Albert Einstein gerne benutzte) auszuüben versuchen.
Gerade erhalte ich eine E-Mail von einer guten Freundin aus Besigheim, der ich gestern einen Text zur Begutachtung geschickt hatte. Sie schreibt: „Wenn du mal wieder einen Text schreibst, an wen auch immer, sollen folgende Wörter enthalten sein: Haus, Pfütze, Fahrradspeiche, Kindermütze, Lächeln, Nagellack, Tier, Wort, Erde, Kreide, Beatles, Sehnsucht, Pferd, Leiter, Sonne, Tennis, ewig, berauben, quietschen, Konsequenz, Wahrheit, Erdbeere, digital, Null, Lakritz. - Das reicht fürs erste. Mach was draus!!"
Klingt reizvoll. Es gibt doch noch etwas zu tun, Jacques! Mal sehen.
„Die Kinder riefen ihn Schelmi und er hatte nichts dagegen einzuwenden. Sobald er sein Haus verließ, zauberten ihm die Knirpse in seiner Straße ein Lächeln ins Gesicht. An Regentagen fühlte er sich den Kleinen besonders verbunden, dann sprang er mit ihnen in die große Pfütze, die sich regelmäßig vor der Litfaßsäule bildete, auf der die bunten Plakate seine Sehnsucht weckten. Nach einer Sonne, so rot wie eine Erdbeere. Er zeichnete sie mit Kreide auf den Gehweg. Ein kleines Mädchen malte ein Pferd dazu, eines mit Flügeln. Und ihr Bruder fügte eine bunte Leiter hinzu. Auf diese Weise käme man am schnellsten zu den Sternen, meinten die Beiden, entweder mit dem Pferd (sie nannten es Caliban) oder eben über die Leiter. Schelmi schob ihnen die Kindermützen zurecht und verzichtete darauf, den Geschwistern das Unmögliche ihres Unterfangens zu erläutern. Die Wahrheit kann schmerzlich sein. In letzter Konsequenz ist sie eher schädlich, weil sie Träume in der Regel platzen lässt. Träume, die wir nötiger haben als Nagellack und all den anderen Scheiß. Die Beatles hingegen, davon war Schelmi überzeugt, haben wir nötig und so sang er mit den Kindern jeden Tag das Lied vom Yellow Submarine, bevor sie das letzte Wort hatten und sich ins Bett begaben. Danach blieb er alleine auf der Straße zurück, hörte Reifen quietschen und sah zu, wie sich die Erwachsenen digital mit überflüssigen Informationen versorgten, wobei ihre Kommunikation gegen Null tendierte. Er reparierte eine kaputte Fahrradspeiche, was längst überfällig war und überlegte, ob er zum Sportplatz düsen sollte, um mit seinem Schulfreund Helmi noch eine Partie Tennis zu spielen. Aber um diese Zeit waren die Plätze meist besetzt und es würde ewig dauern, bis einer von ihnen frei war. Er wäre jetzt gerne ein Tier, eines das die Menschen fürchteten. Dann würden sie vor ihm fliehen wo immer er auftauchte. Er würde ganz einfach in die Läden marschieren und sie berauben, war ja keiner da. Luftballons würde er stehlen und Kaugummi und Lakritz. Alles für die Kinder, mit denen er morgen wieder zusammen lachen und spielen wird, was die Erde zu einem wunderbaren Ort macht, wie ihn sich die meisten Menschen gar nicht vorzustellen vermögen.“
Fertig. Zehn Minuten hat es gedauert. Es lassen sich mit den selben vorgegebenen Vokabeln hunderte verschiedener Geschichten erzählen. Probiert es doch auch einmal. Bringt Spaß! Da kommt mir ein wunderbarer Gedanke: Der beste Weg zur Heilung der Gesellschaft ist, wenn wir auf die Schönheit unseres eigenen Ichs zugehen. Schließlich haben wir nur uns, aber das ist ja mehr als genug.
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Dirk C. Fleck ist ein deutscher Journalist und Buchautor. Er wurde zweimal mit dem Deutschen Science-Fiction-Preis ausgezeichnet. Sein Roman "Go! Die Ökodiktatur" ist eine beklemmend dystoptische Zukunftsvision.
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Danke an den Autor für das Recht zur Veröffentlichung des Beitrags.
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Bildquelle: Altrendo Images / shutterstock.com
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