Von den Medien weitgehend ignoriert kämpfen die Mitarbeiter in Kliniken und Medizinischen Versorgungszentren gegen die unerträglichen Arbeitsbedingen. Seitdem das Profitprinzip im Gesundheitswesen regiert, geht es steil bergab. Es ist höchste Zeit für eine Wiederkehr von Menschlichkeit und Gemeinwohl.
Ein Kommentar von Hermann Ploppa.
Der nachfolgende Text ist eine stark erweiterte Version eines Artikels aus der Wochenzeitung Demokratischer Widerstand Ausgabe Nummer 98.
Seit zweieinhalb Jahren kämpfen Millionen Menschen in Deutschland gegen das Corona-Regime. Und seit vier Monaten kämpfen Millionen Menschen gegen die Gefahr eines Dritten Weltkrieges. Das ist alles sehr ehrenwert und sehr, sehr wichtig. Dennoch vollzieht sich das politische Engagement immer noch aus einer Position der Abwehr. Der dauerhaften Defensive. Noch immer ist in der neuen Demokratiebewegung nicht angekommen, dass die Gesellschaft als Ganzes neu aufgestellt werden muss. Dass wir mit konkreten Vorstellungen und Strategien selber in die Offensive gehen müssen.
Zur Offensive der neuen Demokratiebewegung gehört auch, dass wir uns den sozialen Kämpfen zuwenden müssen, die schon die ganze Zeit in unserer Mitte stattfinden. Dass die Corona-Offensive der Pharmaindustrie so glatt und widerstandslos über die Bühne geht, liegt ja nicht zuletzt daran, dass das Gesundheitswesen schon seit Jahrzehnten massiv umgekrempelt wird. Früher war der Gesundheitssektor dazu da, kranken Menschen so gut und so dauerhaft wie möglich zur Heilung zu verhelfen. Das gehört zum Öffentlichen Versorgungsauftrag. Das war Teil des Gemeinwohls, das früher das oberste Ziel war. Doch irgendwann fing der Privatisierungswahn an. Irgendwann wurde in immer mehr Bereichen der Gesellschaft gesagt: oberstes Ziel ist ab jetzt der maximale Profit für eine Handvoll Leute. Das konnte man so nackt natürlich nicht verkaufen. Deshalb sagte man: das Gemeinwohl wird am besten erzielt, wenn alle öffentlichen Einrichtungen profitabel arbeiten. Und kaum hatte man dieses Ziel im Visier, wurden Stellen zusammengestrichen und Krankenhäuser geschlossen. Der Arbeitsdruck wurde immer größer und die Gesundheitsarbeiter immer kränker. Dieser Rentabilitätsterror hat solche Ausmaße erreicht, dass die Menschen im Gesundheitssektor einfach nicht mehr können. Die Mitarbeiter der Universitätskliniken in Nordrhein-Westfalen sind drei Monate im Dauerstreik gewesen. Jetzt gab es eine Einigung zwischen den Arbeitgebern und den Vertretern der Gewerkschaft. Aber die Missstände sind so gravierend, dass es über kurz oder lang zwangsläufig wieder zu Arbeitsniederlegungen kommen muss. Die streikenden Gesundheitsarbeiter in Nordrhein-Westfalen haben ein „Schwarzbuch Krankenhaus“ veröffentlicht. In diesem Schwarzbuch haben die Beschäftigten ihre schlimmsten Erlebnisse im Arbeitsalltag niedergeschrieben. Hier schon mal eine Kostprobe aus dem Schwarzbuch Krankenhaus:
„Meine Kollegin hatte einen sauerstoffpflichtigen Patienten zur Radiologie gebracht. Die Röntgenabteilung war, genau wie wir schlecht besetzt. Nach seiner Untersuchung musste der Patient drei Stunden auf seine Abholung warten. Er verstarb unbemerkt aufgrund von Sauerstoffmangel, weil kein Personal da war, welches bemerkt hatte, dass seine Sauerstoffflasche leergelaufen war.“
Das ist keine Science Fiction. Das ist Realität im deutschen Krankenhaus des Jahres 2022. Oder ein anderer Text aus dem Schwarzbuch Krankenhaus: „Nach fünf Stunden wird die Patientin in ihrem eigenen Urin und Stuhlgang liegend in den Operations-Bereich gefahren. Wie würdelos kann Krankenhaus bitte sein!"
Gute Frage. Sie wird gestellt von den daran Beteiligten selber. Nämlich den Krankenschwestern, Pflegern oder Medizinisch-Technischen Assistenten. Sie wollen nicht länger sich und den Patienten diesen Irrsinn antun. Darum streikten die Beschäftigten an den sechs Universitätskliniken in Nordrhein-Westfalen jetzt schon geschlagene drei Monate. Die Presse ist sich zu fein darüber zu berichten. Doch die Gesundheitsarbeiter lassen sich nicht das Maul verbinden und suchen die Öffentlichkeit. Sie haben ein so genanntes Schwarzbuch Krankenhaus veröffentlicht, aus dem die oben zitierten Originaltöne stammen. Darin sind zum Teil schockierende Erfahrungsberichte der beteiligten Kliniksbeschäftigten dokumentiert. Anfang Juli wurden in der Kölner Agneskirche Passagen aus dem Schwarzbuch vorgetragen.
Im folgenden noch ein längerer Bericht einer Beschäftigten in der Computertomographie – kurz: CT. Dass man so etwas einige Tage aushalten kann, ist schon fast unvorstellbar. Aber als Dauerzustand? Wie lange dauert es, bis so ein Mitarbeiter seelisch und körperlich ausgebrannt ist? Kein Wunder, dass die Verweildauer in gesundheits- und Pflegeberufen extrem kurz ist. Hier also ein Originalton aus der Computertomographie:
„In einem meiner Dienste habe ich wieder allein gearbeitet, denn so war das laut Dienstplan vorgesehen. Direkt von Dienstbeginn klingelte mein Telefon fast ununterbrochen und ich hetzte von A nach B, um alle Notfälle zu versorgen. Die ganze Zeit über kam ich nicht dazu was zu essen, zu trinken oder kurz zu verschnaufen. Irgendwann kam eine junge Patientin zu mir, die in Folge eines epileptischen Anfalls gestürzt ist und eine Computertomografie von ihrem Kopf und ihrer Halswirbelsäule brauchte, um schwerwiegende Verletzungen auszuschließen. Als die Patientin zu mir kam, war sie ansprechbar und stabil. Aus diesem Grund hat die Kollegin aus der Notaufnahme, die Patientin allein bei mir gelassen, denn auch in der Notaufnahme war wieder die Hölle los und meine Kollegin war auch dort allein im Dienst und musste zurück zu den anderen Patienten.
Die Untersuchung konnte ich ohne Zwischenfälle durchführen, doch als ich gerade fertig war, bemerkte ich dass die Patientin wieder anfing zu krampfen.
Sofort rannte ich in den Untersuchungsraum, holte die Patientin aus dem Gerät, hielt sie fest und schrie um Hilfe.
Doch leider hörte mich niemand, denn ich war allein.
Mein Telefon lag im Schaltraum und hing am Ladekabel, denn den ganzen Tag über hatte ich keine Zeit es aufzuladen.
Irgendwann entschied ich mich die Patientin nicht mehr zu fixieren und musste in Kauf nehmen das sie vom Tisch fällt, um mein Telefon zu holen.
Ich rannte mit Telefon zur Patientin zurück, hielt sie wieder fest und rief den Herzalarm an.
Die Ärzte und Pflegekräfte kamen mir dann schnell zu Hilfe und versuchten mit Medikamenten den epileptischen Anfall zu unterbrechen. Das hat leider nicht funktioniert und wir mussten die Patientin noch lange fixieren, um zu verhindern, dass sie sich noch weiter verletzt.
Dieses Festhalten war für mich körperlich und seelisch so anstrengend, dass ich auch fast in Ohnmacht gefallen bin, denn schließlich hatte ich auch den ganzen Tag keine Zeit, was zu essen oder zu trinken.
Vielleicht haben sie in Ihrem Umfeld auch jemanden der an Epilepsie leidet, stellen Sie sich vor dieser Vorfall hätte einen Ihrer Liebsten betroffen. Eine unvorstellbare Situation.
Dieser Vorfall wäre nicht passiert, wenn ich nicht allein hätte arbeiten MÜSSEN.“ <1>
Deutlicher geht es nicht: es ist in den Krankenhäusern schon lange Fünf nach Zwölf. Der funktionale Zusammenbruch hat in Deutschlands Krankenhäusern bereits stattgefunden. Natürlich nicht in noblen Spezialkliniken. Aber hier in den Allgemeinkrankenhäusern, wo die Krankheiten des normalen Volkes behandelt werden. Die Verweildauer ist nur kurz in den Gesundheitsberufen. Denn vierzig Prozent aller Pfleger erwägen ernsthaft den Berufswechsel. Bei 300.000 ehemaligen Pflegern folgte der inneren Kündigung schon vor Jahren die äußere Kündigung. Doch können sich diese, wie eine Umfrage ergab, durchaus vorstellen, wieder in den pflegenden Beruf zurückzukehren. Wenn nämlich nur die Arbeitsbedingungen stimmen würden <2>. Doch das tun sie nicht. Und für Neueinsteiger in die Pflege ist der Praxisschock traumatisch:
„Ich habe dem Patienten also von draußen beim Sterben zugeguckt - weil einfach zu wenig Personal da war, um ihn in seinen letzten Lebensminuten zu begleiten." So eine Erfahrung aus dem Schwarzbuch Krankenhaus. Oder an anderem Ort: „Kein Kreißsaal war frei. Nur der eine Saal mit einem völlig blutverschmierten Kreißbett war nicht belegt. Das rief ich den Ärzten zu. Die Antwort: ‚Wirf einfach ein Laken drüber‘. Die Patientin wurde auf das Kreißbett ‚manövriert‘“.
Nein, hier ist nicht Bangladesh. Hier ist Deutschland. Und zwar das Deutschland dreißig Jahre nach der Wende. Hier reden zwei Parteien munter aneinander vorbei.
Die Pfleger: Wir wollen wie Menschen behandelt werden und unsere Patienten sicher und verantwortungsvoll und mit Liebe betreuen.
Die Arbeit“geber“, also die Manager der sechs Unikliniken: Leute, das kostet entschieden zu viel Geld! Das müssen dann die Beiträger der gesetzlichen Krankenkassen bezahlen!
Mit dieser „Argumentation“ soll ein Keil zwischen Gesundheitsarbeiter und ihre schutzbefohlenen potentiellen Patienten getrieben werden. Keine Frage: Die Arbeit“geber“ halten an ihrem Kurs, um jeden Preis kostendämpfend arbeiten zu wollen, unerbittlich fest.
Das hat System. Seit der deutschen Wiedervereinigung werden die Krankenhäuser zunehmend einem unerbittlichen Rentabilitätsdruck ausgeliefert. Besonders die Fallpauschale ist darauf angelegt, kleinere Krankenhäuser in den finanziellen Ruin zu treiben <3>. Früher waren die Krankenhäuser Teil der allgemeinen Grundversorgung. Das musste ausgeführt werden, egal wie teuer das war.
Doch gab es im Jahre 1991 noch 2.400 Krankenhäuser, so sind es aktuell nur noch 1.903 <4>. Von 1991 bis 2020 schrumpfte die Bettenzahl von 660.000 auf 486.700 <5>.
Gleichzeitig jedoch hat sich die Patientenzahl deutlich erhöht. Diese Quadratur des Kreises schafft man natürlich nur durch Verkürzung der Verweildauer im Krankenhaus. 1992 blieb der Patient durchschnittlich 13,3 Tage im Krankenhaus – aktuell sind es nur noch 7,2 Tage <6>.
Und während die Öffentlichkeit gebannt auf Lauterbachs bizarre Verheißungen einer erneuten Maskenpflicht in Innenräumen schaut, hat eben dieser Lauterbach heimlich still und leise eine Expertengruppe einberufen zum Zwecke einer „Krankenhausstrukturreform“ <7>. Hier haben Prediger von weiteren irrwitzigen Krankenhausschließungen das Wort, jedoch keine Befürworter des Gemeinwohls. Auch hier schwingt das Mantra der Bertelsmann-Stiftung nach: Ideal ist für die Zukunft eine Zahl von 600 verbleibenden Mega-Kliniken. Die Politik will das Sterben kleiner, menschlich überschaubarer Krankenhäuser. Und den Rückzug aus der unrentablen Fläche. Mergers and Acquisitions auch hier: Massenhaft sind Fusionen kleinerer Krankenhäuser geplant. Die Zukunft liegt in großen Wurstfabriken im spröden Outfit profitabler Privatkliniken.
Der Mensch ist in diesem Gebilde nur eine zu vernachlässigende Größe. Ein Krankenhausmanager berichtet anonym, wie er wegen der Rendite einem Privatpatienten, der nur zur Routineuntersuchung zum MRT kommen soll, den Vorzug bei der Terminvergabe gewährt – zu Ungunsten eines Kassenpatienten, der die MRT dringend benötigt, um feststellen zu können, ob er an einer tödlichen Krankheit leidet <8>. Das Prinzip der Triage als allgemeine Selektion ist in deutschen Profitkrankenhäusern längst die Norm.
Die streikenden Gesundheitsarbeiter – es sind neben den Pflegern zudem auch Beschäftigte für: therapeutische Berufe, Ambulanzpersonal, Funktionsdienste, Servicekräfte, Transportdienste, Lager- und Logistikpersonal sowie Verwaltungsberufe – halten durch. Sie wissen auch, dass sie bestenfalls eine Kompensation für ihre geleistete Mehrarbeit im ersten Anlauf erwarten können. Doch ist hier bundesweit ein Zeichen gesetzt.
Auch an der fusionierten Universitätsklinik für Marburg und Gießen wird immer mal wieder gestreikt. Die Streikenden arbeiten an der ersten und bislang einzigen voll privatisierten Universitätsklinik in Deutschland. Sie kämpfen um den Erhalt ihrer Arbeitsplätze und Garantien zur Übernahme von Auszubildenden. Soweit ist es gekommen. 2005 ging die bislang öffentliche UKGM für 112 Millionen Euro über den Ladentisch. Die Ìnhaber des privaten Krankenhauskonzerns Rhön-Klinikum (damals im Aufsichtsrat: ein gewisser Karl Lauterbach) haben aus dem Klinikum in Mittelhessen zwischen 2015 und 2019 satte 278,2 Millionen Euro Dividende entnommen und zehn Millionen Euro auf die Aufsichtsratsmitglieder regnen lassen. Die Unternehmensberatungsfirma Price Waterhouse Coopers hat sich aus dem Kliniketat immerhin auch noch sechs Millionen Euro auszahlen lassen <9>.
Wovon, bitteschön, sollen denn hier noch Löhne für Gesundheitsarbeiter herausgeschnitten werden? Da sind bestenfalls noch ein paar Krümel übrig. Die Beschäftigten in Gießen und Marburg stöhnen. Denn die Ware Klinik mit lebendem Inventar wurde an den Konzern Asklepios weiter verhökert. Und dessen Manager sollen noch schlimmere Stinkstiefel sein als die Vorbesitzer, so klagen die Gesundheitsarbeiter. Doch könnte das Elend mit sofortiger Wirkung abgestellt werden. Denn die Stadt Marburg hat für das Jahr 2021 vom Impf-Hersteller BioNTech einen satten Gewerbesteuerertrag in Höhe von 450 Millionen Euro erhalten. Von dem Geld könnte das UKGM locker in öffentliche Hand zurück gekauft werden. Doch der Magistrat schließt das Geld lieber im Giftschrank ein, wo es sodann in der Hitze der Inflation munter vor sich hin schmilzt. Parteien und Gewerkschaften scheinen an einem solchen Rückkauf nicht interessiert zu sein. Die streikenden Gesundheitsarbeiter sind deswegen gut beraten, sich vom ganzen Funktionärsfilz fernzuhalten und die eigene Kreativität frei auszuspielen gegen die Architekten des marktradikalen Privatisierungsterrors. Ich bin überzeugt, dass das möglich ist.
Die neue Demokratie- und Friedensbewegung muss sich verstärkt mit den sozialen Bewegungen verbinden. Nur dann kann wirklich was bewegt werden in dieser Gesellschaft.
Quellen und Anmerkungen:
<1> https://schwarzbuch-krankenhaus.net/erfahrungsberichte/funktionsdienst/krampfanfall-auf-dem-ct-tisch
<3> https://www.boeckler.de/de/boeckler-impuls-krankenhauser-fallpauschalen-abschaffen-28850.htm
<6> https://www.destatis.de/DE/Presse/Pressemitteilungen/2021/12/PD21_585_231.html
<8> https://schwarzbuch-krankenhaus.net/erfahrungsberichte/patientenfernebereichen/schuld-und-unschuld
<9> https://de.wikipedia.org/wiki/Universit%C3%A4tsklinikum_Gie%C3%9Fen_und_Marburg#cite_note-12
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Wir danken dem Autor für das Recht zur Veröffentlichung des Beitrags.
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Bildquelle: THICHA SATAPITANON / shutterstock
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