Ein Kommentar von Rainer Rupp.
Der größte Korruptionsskandal in der Geschichte des Europäischen Parlaments hat hohe Wellen geschlagen. Aus der nachfolgenden Analyse geht hervor, dass das stümperhafte Vorgehen des Golf-Scheichtums Katar hauptsächlich dafür verantwortlich ist, dass die Sache aufgeflogen ist. Im Mittelpunkt des Skandals stand die stellvertretende Präsidentin des Europäischen Parlaments, die junge und hübsche Griechin Eva Kaili.
Aber diese Geschichte hätte nicht mit den polizeilichen Ermittlungen und der Verhaftung von Kaili und anderen zu Ende gehen müssen. Daran waren allein die Auftraggeber aus Katar schuld, weil sie sich nicht an die einfachsten, im Brüsseler Umfeld von EU und EU-Parlament geltenden Korruptionsspielregeln gehalten haben. Vielleicht hilft dieser Leitfaden Katar, es beim nächsten Mal besser zu machen.
Nachdem die Nachricht vom angeblich größten Korruptionsskandal der EU tagelang in Radio und Fernsehen der EU-Mitgliedsländer breitgetreten worden war und sich "Saubermänner" und "Sauberfrauen" des Europäischen Parlaments (EP) über den verrottenden Apfel "Kaili" im sonst hygienisch sauberen EP-Korb hinreichend empört hatten, blieb allerdings die Frage, was zum Teufel sich Katar dabei gedacht hatte, die sozialdemokratische Europaabgeordnete Kaili und andere EU-Beamte ganz primitiv mit Massen von Bargeld zu bestechen.
Aus den Reihen der wenigen noch in Brüssel verbliebenen investigativen Journalisten wurde sogar die Frage laut, ob die belgische Polizei wirklich 1,6 Millionen Euro Bestechungsgeld in Papiertüten und Koffern in den Wohnungen der Beschuldigten gefunden hatte. Denn das war wie in einem alten Film aus den 1980er Jahren, als es noch keine Bitcoins oder andere Kryptowährungen gab. Zwar üben Stapel von Bargeld in luxuriösen Louis-Vuitton-Koffern auf den Betrachter sicher einen gewissen Charme aus, aber Offshore-Bankkonten in einem der hinlänglich bekannten Steuerparadiese wären weitaus sicherer und einfacher gewesen. Warum wurden die nicht benutzt?
Fragen über Fragen, die wohl nie beantwortet werden. Aber all die, die schon gegen die Fußball-Weltmeisterschaft in Katar gewettert hatten und die nicht müde wurden, ihr grünes Gutmenschentum auf großen Plakaten vor sich her zu tragen und anderen unter die Nase zu halten, all die fühlten sich nun ethisch und moralisch bestätigt und verweisen auf das "schmutzige Geld aus Katar", mit dem die Scheichs unsere Demokratie unterwandern und zerstören wollten. Die außerordentliche, künstlich hochgespielte Empörung der Medien und EP-Saubermänner und -frauen diente höchstwahrscheinlich dem Zweck, von dem seit Jahrzehnten in Brüssel aufgebauten System der gesetzlich erlaubten Korruption und Patronage abzulenken. Deshalb ist es an der Zeit, dass jemand Katar sagt, wie die EU hinter der sauberen Fassade wirklich funktioniert.
Die "Nebenjobs" für EU-Abgeordnete und Beamte
In EU-Brüssel ist Bestechung legal und floriert. Niemand muss einen Tag im Gefängnis verbringen, weil er seinen "Anteil" einkassiert hat. Die Abgeordneten des Europäischen Parlaments dürfen sogar ein beträchtliches Vermögen anhäufen, indem sie legal in Teilzeit arbeiten. Was sollen sie sonst mit ihrer Zeit anfangen? Denn um ihren eigentlichen Auftrag zu erfüllen, nämlich die Anliegen der Bürger, von denen sie gewählt wurden, auf europäischer Ebene zu vertreten, dafür braucht man selbstverständlich keine Vollzeitstelle.
In dem Zusammenhang kommt man nicht umhin, den Multimilliardär und knallharten Finanzspekulanten George Soros und sein beeindruckendes Netzwerk von NGOs und Thinktanks zu erwähnen, die mit riesigen Geldsummen herumwerfen, besonders im EP. Aber auch ohne Soros gibt es auf der EP-Ebene eine breite Palette von kommerziellen Sonderinteressen, die ihre Agenda durch völlig legale Lobbyarbeit fördern. Tatsächlich verdienen Abgeordnete, wie ein Bericht zeigt, neben ihrer Rolle als Politiker in der EU viele Millionen in verschiedenen Nebenjobs, oft mit einem klaren Interessenkonflikt. Viele dieser Menschen sind bereits Millionäre. Und diejenigen, die es noch nicht sind, werden schon allein wegen ihres üppigen Gehaltes und ihrer geldnahen Privilegien von den meisten Europäern beneidet. Dennoch scheint auch in EU-Brüssel "genug nie genug" zu sein und es gilt, immer noch mehr Geld zu verdienen.
Nehmen wir zum Beispiel den Europaabgeordneten Guy Verhofstadt, dessen bevorzugtes Angriffsziel seit Jahren der ungarische Präsident Viktor Orbán ist, den er ständig, jedoch ohne Beweise vorzulegen, der Korruption beschuldigt. Trotz seiner Verbindung mit linker Politik ist Verhofstadt ein sehr wohlhabender Mensch, was für sich genommen nicht verwerflich ist. International bekannt wurde er als Premierminister Belgiens. Als er in Belgien politisch abgehalftert war, wurde er von seiner Partei als EU-Abgeordneter in die Europa-Politik geschickt. Dort konnte er offensichtlich aus dem Vollen schöpfen, so sehr, dass er seit Jahren regelmäßig als einer der bestverdienenden Politiker im gesamten Europäischen Parlament eingestuft wird.
Laut einem Bericht von Transparency International (TI) aus dem Jahr 2018 hat er allein in dem Jahr zwischen 920.000 und 1,4 Millionen Euro verdient. Dieses Geld kommt zu seinem Gehalt als Parlamentsabgeordneter hinzu, das sich laut einem Bericht der belgischen Nachrichtenagentur BRF bereits auf etwa 13.000 Euro pro Monat beläuft. Ein Bericht aus dem Jahr 2021, der sich ebenfalls auf TI-Daten beruft, platziert ihn unter den ersten fünf Topverdienern im Europäischen Parlament.
Mit anderen Worten, Abgeordnete und Beamte des Europäischen Parlaments können gekauft werden, aber sie müssen auf die richtige Weise gekauft werden. Ein Beispiel, wie das gemacht wird, hatte Politico in einem Artikel vom 13. Juni 2016 beschrieben. Dabei ging es um zwei deutsche Mitglieder des "Ausschusses für Kultur und Bildung" des Europäischen Parlaments. Die beiden Parlamentarierinnen waren damals beauftragt, eine EU-Direktive (Gesetz) zur Regulierung von privaten Fernsehunternehmen wie Netflix oder Amazon Prime auszuarbeiten, obwohl sie monatliche Zahlungen von dem Konkurrenzunternehmen, nämlich vom deutschen öffentlich-rechtlichen Rundfunk WDR erhielten.
Die eine erhielt je nach Arbeitsanfall zwischen 1.000 und 5.000 Euro pro Monat für ihren Nebenjob als Mitglied im WDR-Rundfunkrat und die andere als stellvertretendes Mitglied zwischen 500 und 1.000 Euro pro Monat, gemäß ihren parlamentarischen Erklärungen ihrer finanziellen Interessen.
Der Verhaltenskodex des Europäischen Parlaments besagt, dass ein Abgeordneter, der einen Interessenkonflikt hat, die notwendigen Schritte unternehmen sollte, um diesen Konflikt zu beheben und um unvoreingenommen handeln zu können. Aber in der Regel ist im EP das Problem des Interessenkonflikts bereits gelöst, wenn man seine finanziellen Nebenjob-Interessen öffentlich gemacht hat. Der Rest wird als "Frage der Ethik" dem oder der einzelnen Abgeordneten überlassen. Auf diese Weise wird die Korruption einfach wegdefiniert. Eine wunderbare Lösung, um das EP frei von Interessenskonflikten zu machen.
Mein dringender Rat an Katar ist, sich bei künftigen Bestechungsversuchen auch das Beispiel der beiden deutschen Mitglieder des "Ausschusses für Kultur und Bildung" des Europäischen Parlaments vor Augen zu halten. Die waren bereits für einige Tausend Euro pro Monat zu haben. Mit seinen extravagant hohen Zahlungen an Frau Kaili (Koffer voller Geld) hat Katar das handelsübliche Preisniveau für EP-Korruption empfindlich gestört und sich im Kreise der über 6.000 in Brüssel registrierten Lobbyisten keine Freunde gemacht.
Selbst in den USA gibt es Politiker und Mitglieder von einflussreichen Denkfabriken, die z. B. von Google und anderen Bigtech-Unternehmen für ein paar tausend Dollar gekauft wurden. Das Geld, das Lobbyisten Politikern anbieten, soll die Zielpersonen anfüttern und anschließend an der Leine halten, aber auf keinen Fall darf es ausreichen, um eine Yacht zu kaufen und damit in den Ruhestand zu segeln.
Ein aktueller Bericht in ungarischen Medien beschreibt, wie das normalerweise innerhalb der EU und EP funktioniert, wenn man Einfluss kaufen will. Der Bericht beschreibt, wie die Open-Society-Stiftung des Multimilliardärs und berüchtigten Finanzspekulanten George Soros zum Beispiel Journalisten nicht direkt bezahlt, sondern stattdessen großzügig ihre Kosten "deckt", einschließlich exquisiter Essen, Aufenthalte in teuren Hotels und bezahlte "Luxusreisen". Denn oft ist es zu schwierig, den Beamten, Abgeordneten oder Journalisten direkt Geld zu geben. Stattdessen schließen Lobbyisten oder Nichtregierungsorganisationen – was nur ein anderer Name für Lobbyisten ist – zum Beispiel einen Vertrag mit einem Presstituierten ab, für einen ganzen Monat an einem bestimmten Projekt zu arbeiten, das er in zwei Tagen erledigt hat und wofür sie dann z. B. 10.000 Euro bezahlen. Dieses Beispiel trifft jedoch nur auf Journalisten zu.
Bei Politikern und Beamten können die Lobbys viel weiter gehen, wie zum Beispiel mit einem Versprechen einer gut bezahlten "ehrenamtlichen" Vorstandsposition bei einer NGO oder einem Unternehmen, wenn die Betroffenen ihre Position verlassen haben. Gut bezahlte Reden und Vorträge sind auch eine sehr lukrative Option, womit vor allem in den USA viele Politiker schon zig Millionen gemacht haben. Und dann wäre da noch die Drehtür zwischen der politischen Position und einer Topposition in Unternehmen.
Die obszön hohen Geldbeträge, die von den Kataris an einige Mitglieder im Europäischen Parlament verteilt wurden, passten jedoch absolut nicht in diese finanziell fein austarierte Landschaft der etablierten Korruption, ob in Brüssel oder in Washington oder in anderen europäischen Hauptstädten. Wahrscheinlich war das auch der Grund, weshalb Journalisten und andere EP-Politiker so wütend reagiert haben, weil sie mit ihren "legalen" Bestechungsgeldern weitaus weniger verdient haben als Frau Kaili. Dabei ist der Gedanke verlockend, dass die überraschend umfangreiche Berichterstattung über den jüngsten EU-Korruptionsskandal bei den Journalisten und Abgeordneten aus Neid und bei den anderen Lobbyisten aus Ärger entstanden ist, weil Katar das Preisniveau für Bestechungsgelder einfach zu hoch angesetzt hatte. Tatsächlich hat Katars Alleingang den Brüsseler Korruptionsmarkt völlig verzerrt.
Katar muss jetzt schleunigst daran arbeiten, seinen schlechten Ruf zu verbessern, und sich den modernen, westlichen Gepflogenheiten der Korruption anpassen. Vor direktem Kontakt zu Mitgliedern des EP und anderen Parlamenten wird deshalb abgeraten. Aber über den Umweg von Al Jazeera, dem weltweit bekannten und respektierten Medienkonzern, wäre da schon was zu machen. Hunderte von sogenannten Liberalen und Linken haben für Al Jazeera bereits gearbeitet oder der Nachrichtenagentur Interviews gegeben, die von niemand anderem als von Katar finanziert wird, von dem Land, in dem der Feudalismus herrscht und die Scharia regiert. Aber wen stört das schon, wenn die Verbindung nicht deutlich sichtbar ist?
Zu dem Leitfaden für Katar gehört auch, dass man vor einem Bestechungsversuch erst einmal das persönliche Umfeld der Zielperson und deren Charakter gründlich recherchiert. Im Fall von Frau Kaili hatte es im Vorfeld bereits genügend Warnsignale gegeben. Obwohl sie offiziell als Sozialistin firmierte, war sie die Art von Person, die eine Vorliebe für Privatjets, Seidentücher von Hermès und Luxushotels auf griechischen Inseln hatte. Wie “Focus online“ berichtete, ist ihr Instagram voll von Hochglanzaufnahmen von ihrem Jetset-Leben rund um die Welt, wobei sie sich im Kreise der Reichen und Schönen, einschließlich griechischer Oligarchen, tummelte.
Sie liebte es, ihren Luxus zur Schau zu stellen, aber wie jeder kluge Kriminelle weiß, sollte man illegal verdiente Hunderttausende besser nicht zur Schau stellen. Stattdessen wollte Kaili Berichten zufolge noch kurz vor ihrer Verhaftung Luxusimmobilien in Brüssel kaufen. Anscheinend hatte sie auch keine Hemmungen, seelenruhig offen mit ihrem Komplizen am Telefon über ihr Bestechungsgeld zu sprechen, während belgische Ermittler mithörten.
Vielleicht nimmt sich Katar diesen Leitfaden zu Herzen und macht es beim nächsten Mal besser, indem es dem bewährten Modell der westlichen legalen Bestechung folgt und lädt den Autor dieser Zeilen zu einem Luxusurlaub ein.
+++ Vielen Dank an den Autor für das Recht zur Veröffentlichung des Beitrags. +++ Bildquelle: Alexandros Michailidis / shutterstock
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