Standpunkte

Exzeptionalismus vs Multipolarität | Von Jochen Mitschka

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Ein Standpunkt von Jochen Mitschka.

Im Anhang noch ein Nachtrag zu meinem letzten PodCast mit der Beurteilung der Rede von Xi Jinping durch einen indischen Historiker. Hatten bisher die alten Kolonialmächte immer noch das Sagen in Afrika, will nun die US-Supermacht die Zügel als Hegemon straffer anziehen, wie man auch aus meinem letzten PodCast entnehmen konnte. Diese US-Orientierung nach Afrika ist unter dem Eindruck des erodierenden Einflusses der durch die Sanktionen immer stärker in die Bedeutungslosigkeit versinkenden europäischen Vasallen zu sehen. Neben dem in der letzten Woche besprochenen Papier der US-Regierung wird dies durch eine neuere Rede des US-Außenministers (1) bestärkt. Diese und warum Afrika außer durch Waffengewalt wohl nicht davon abgehalten werden kann, China und Russland auf dem Weg zum Multipolarismus zu folgen, ist Inhalt dieses PodCastes.

„Die Welt braucht US-Führung“

Eine gute Analyse und Bewertung der Rede hat Rainer Rupp veröffentlicht (2). Er erklärt, dass die wichtigste Aussage von Blinken gewesen sei, dass man nicht zulassen dürfe, dass die Welt ohne die Führung der USA bleibe. Was also nichts Anderes als die Betonung des US-Anspruches darauf war, das ausgewählte Volk zur Beherrschung der Welt zu sein.

Blinkens Rede fand auf einer Veranstaltung der US-Elite-Universität Stanford am 17. Oktober statt. Rupp beginnt seinen Artikel mit einem Zitat:

„Rundum stehen wir in einem Wettrennen (mit China), um – wie ich bereits aus unserer Perspektive erklärte – die Ära zu gestalten, die auf die Post-Kalte-Krieg-Periode als nächstes folgt. Wie wird diese Zeit aussehen? Wessen Werte werden widergespiegelt werden? Wir haben eine einfache Entscheidung, denn die Welt organisiert sich nicht von selbst. Die USA haben die Wahl. Wenn wir uns an der Organisation nicht beteiligen und keine Führungsrolle übernehmen, bedeutet das eins von beiden: Entweder sie (die Welt) wird von jemand anderem übernommen, vielleicht von China, und zwar nicht in einer Weise, die voll und ganz mit unseren Interessen und Werten übereinstimmt, oder – was genau so schlimm ist – niemand tut es, dann entsteht ein Vakuum, das eher von schlechten Dingen gefüllt wird als mit guten.“

Also mit keinem Wort geht Blinken auf das Modell des Multipolarismus ein. Er sagt im Prinzip: Entweder wir, das Chaos oder die böse Macht China.

Rupp meint, dass man daran die „unausstehliche US-amerikanische Selbstverherrlichung“ erkennen könne, die behaupte, dass die US-Oligarchen selbstlos und aufopfernd den Rest der Welt beglücken, und leider, eben wenn notwendig, mit Bomben und Granaten, Sanktionen, Hungersnöten und Millionen Toten und Flüchtlingen. Aber, so stellt er ganz entsprechend meinen vorhergehenden PodCasts fest, haben die Länder der Welt längst hinter die glitzernde Kulisse der „US-Oligarchen-Demokratur“ geschaut. Und sie hätten erkannt, dass die politische Klasse der USA sich „einen feuchten Dreck“ um die kleinen täglichen Bedürfnisse der eigenen Bevölkerung kümmere, zugleich aber dem Rest der Welt etwas wie Demokratie und Prosperität vorgaukele.

Was Blinken in Stanford erklärt habe, werde in den nächsten Jahren als drohende Frage den sich entwickelnden Ländern gestellt werden. Man werde behaupten, dass der Schritt weg von der „regelbasierten Ordnung“ der USA und seiner Vasallen, zwangsweise in einen Abgrund führen werde. Rupp schreibt:

„Dieses Schreckensbild wird von den Vertretern und Profiteuren der im Westen immer noch tonangebenden, aber absterbenden neo-liberalen Ordnung propagiert. Aber welche Alternative kann eine multi-laterale, von BRICS-Staaten geführte neu Ordnung gegenüber der kriminellen, US-geführten US-Kriegs- und Chaosversion bieten? Kann es für die Länder der Welt überhaupt schlimmer werden als die angeblich ‚regel-basierte Ordnung‘ der USA und ihrer Vasallen, die stets und überall auf Konfrontationskurs gegen alle Länder gehen, die sich der Ausbeuterordnung der Imperialisten nicht unterwerfen.“

Dann weist er auf die an dieser Stelle bereits vielfach erwähnten Alternativen zu Weltbank, IWF und Entwicklungshilfebanken des Westens hin, in diesem Fall auf die AIIB bzw. Asiatische Infrastruktur- und Investitionsbank, die von den BRICS-Staaten unterstützt wird. Es sei das erklärte Ziel dieser Bank, wie inzwischen auch von anderen Instituten, die bis dahin durch die USA definierten Bedingungen für Kredite auszuhebeln. Bedingungen, welche die sich entwickelnden Länder unter Kontrolle halten, und verhindern, dass sie sich ernsthaft industrialisieren und verselbständigen.

Washingtoner Konsens

Er erwähnt den Washingtoner Konsens, der bisher sicherstellt, dass Kredite immer den Zielen des Hegemons dienten. D.h. Kredite und Unterstützung werden nur gewährt, wenn die Länder ihre eigene Entwicklung zugunsten der Ideen des Hegemons zurückstecken. D.h. sie müssen ihre Märkte liberalisieren, öffentliche Einrichtungen verkaufen, d.h. privatisieren, Subventionen an Ärmere abbauen, aber auch Subventionen zur Entwicklung von eigener Industrie abstellen. Das Wichtigste dürfte aber die Forderung sein, Zölle abzubauen, damit der Aufbau einer eigenen leistungsfähigen Industrie verhindert werden kann. Dies, durch Importe von bestehenden, teilweise marktbeherrschenden Konzernen der Industrieländer.

Man sollte nicht vergessen, dass Washington, D.C. nicht nur Hauptstadt der USA, Amts- und Wohnsitz des Präsidenten, Sitz vom Kapitol mit Kongress und Repräsentantenhaus sowie des Obersten Gerichtshofes ist. Sondern es ist auch Heimat der Weltbank und des Internationalen Währungsfonds (IMF). Beide Organe der Weltwirtschaft sind seit der lateinamerikanischen Schuldenkrise in den 1980er Jahren zuständig für Kredite von sich entwickelnden Ländern, Umschuldungen und das Management von Währungskrisen.

„Mit dem Siegeszug des Neoliberalismus, beginnend mit den Wahlen von Thatcher in Großbritannien 1979 und von Reagan in den USA 1981, wurden auch die Chefposten und in der Folge die gesamte Führung mit Anhängern des Marktfundamentalismus besetzt. So herrschte in Washington seltene Einigkeit zwischen den oberen Etagen von Finanz- und Wirtschaftsministerium, IMF und Weltbank und nicht zuletzt denen der FED, der amerikanischen Zentralbank, die – man ahnt es – ihren Hauptsitz ebenfalls in Washington hat. Und damit diese geballte Elite auch stets die richtigen Gedanken hatte und die besten Entscheidungen traf, stieg die Zahl der Lobbyisten in Washington von 5000 im Jahre 1980 auf 28000 Ende der 1980er Jahre.“ (3)

Der gerade zitierte Blogeintrag erklärt, dass das Dogma des Washingtoner Konsenses sei, dass alle ökonomischen Probleme aus einem Zuviel an Staat und einem Zuwenig an Markt resultieren. Staaten, die in Schulden-, Währungs- und Entwicklungsschwierigkeiten gerieten, würde nur geholfen, wenn sie sich zu einem Bündel von fiskal- und geldpolitischen Maßnahmen verpflichteten. Diese Überzeugungsarbeit mittels Kredit-Bedingungen sichere den reichen Ländern ihre hegemonialen Ansprüche, günstige Rohstoff- und Lebensmittelmärkte, Absatzchancen für Industrieprodukte, die auf den gesättigten Heimatmärkten keiner mehr haben wolle, sowie lukrative Anlagemöglichkeiten für Kapital auf der Jagd nach besten Renditen.

Oft wird demnach auch gefordert, dass Preiskontrollen oder Subventionen von Grundnahrungsmittel abgeschafft werden. Was Indien zum Beispiel dazu brachte, auf einen Freihandelsvertrag mit den USA zu verzichten. Gerne wird auch der Abbau von „Bürokratie“ gefordert, was in der Regel dazu führt, dass weniger Steuern eingetrieben werden, dafür aber die Renten und das Arbeitslosengeld gekürzt werden und die Leistungen für die Bürger reduziert werden. Außerdem wird gerne gefordert, Vermögens- und Erbschaftssteuern abzuschaffen oder mindestens zu reduzieren, und natürlich müssen für Unternehmen und Private die Einkommensteuern gesenkt werden, damit es „Leistungsanreize“ gebe.

Auch ein Wirtschaftsprofessor und Wirtschaftsnobelpreisträger, Joseph E. Stiglitz, der von 1997 bis 2000 Chefökonom war, und der diesen Prinzipien kritisch gegenüberstand, nicht zuletzt, weil Länder, die sich besonders konsequent an die o.g. Vorgaben gehalten hatten, in enorme Schwierigkeiten geraten waren, konnte keine grundlegende Veränderung der Politik bewirken.

Zurück zu Rupps Artikel, in der er Beispiele beschreibt. Wenn die Weltbank z.B. in Afrika eine Wasseraufbereitungsanlage finanziere, dann müsse sich das betroffene Land verpflichten, „Reformen“ in Richtung „Marktwirtschaft“ und Deregulierung zu realisieren. D.h. Schutzzölle, welche den Aufbau eigener Unternehmen auf dem Binnenmarkt ermöglichen, bevor internationale Konkurrenten mit der Macht ihrer Überlegenheit ins Land kommen, müssen abgebaut werden. Außerdem soll durch den Abbau von Arbeitsschutz und sozialen Sicherungsmaßnahmen alles getan werden, was westliche „Raubtier-Konzerne“ daran hindern könnte mehr Profite zu erwirtschaften.

„Zugleich besteht die Weltbank in der Regel darauf, dass die zu neue oder die zu modernisierende Wasseraufbereitungsanlage marktwirtschaftlich arbeitet und profitabel ist und deshalb privatisiert werden muss. Das bedeutet, dass die Anlage in dem Entwicklungsland an den Meistbietenden, in der Regel an einen westlichen Konzern, für ’n Appel und ’n Ei verhökert wird.“ (2)

Für die profitorientierten Wasserkonzerne müsse der Preis für sauberes Wasser natürlich erhöht werden, selbst wenn dadurch ein Großteil der armen Bevölkerung von der Versorgung mit sauberem Wasser ausgeschlossen wird. Davon seien übrigens nicht nur die Entwicklungsländer betroffen, sondern auch die Armenviertel in den reichen und angeblich hochentwickelten „Oligarchen-Demokraturen“ des Westens, vor allem in den USA.

Rupp sagt, dass in vielen Ländern private Monopole inzwischen den Bereich der einstmals sozial ausgerichteten öffentliche Dienstleistungen dominieren. Wer nicht zahlen kann, bleibe von der Versorgung ausgeschlossen. Selbstredend seien dadurch mehr Krankheiten und Epidemien und insbesondere eine höhere Kindersterblichkeit vorprogrammiert.

Es sei die von den USA und ihren Vasallen kontrollierte Weltbank, die im Verein mit dem Internationalen Währungsfonds (IWF), für die westlichen Konzerne den Weg freiräume, um die Länder der Dritten Welt auszuplündern. Die dabei angewandte, neo-koloniale Methode stelle eine raffinierte Verfeinerung, aber nicht weniger brutale Abwandlung des alten Kolonialismus dar. Im Unterschied zu früher, so der Autor, seien heute in der Regel Finanz-Instrumente die Kanonen, obwohl Gewalt auch immer wieder zum Einsatz komme, um den Forderungen der westlichen „regel-basierten Ordnung“ Nachdruck zu verleihen.

Die Bank der Multipolaristen

Die Asiatische Infrastruktur- und Investitionsbank (AIIB) arbeite ganz anders. An ihre Kreditvergabe knüpfe sie keine ideologischen oder politischen Vorleistungen der Entwicklungsländer. Die souveräne Regierung eines jeden Landes entscheide selbst. Einzige Bedingungen seien Transparenz, und die öffentliche Kontrolle um Korruption auszuschließen, und dass die finanzierten Projekte umweltverträglich sind.

„Politische oder andere Bedingungen im Stil des Washingtoner Konsens sind bei der neuen von China gegründeten AIIB-Entwicklungsbank vom Tisch. Wir notieren, dass sie Privatisierung von staatlichen oder genossenschaftlichen Unternehmen keine Vorbedingung für einen Kredit ist. Auch die Abschaffung oder Abschwächung von wirtschaftspolitischen Maßnahmen zum Schutz und zur Entwicklung der heimischen Wirtschaft ist keine Vorbedingung der AIIB.“ (2)

Rupp weist darauf hin, dass die Vorteile dieser neuen Bank so eindeutig sind, dass ihr wirtschaftlicher Erfolg eigentlich mit Sicherheit vorausgesagt werden konnte. Weshalb sich auch westliche Länder, u.a. Deutschland, mit Großbanken beteiligten, obwohl die USA dringend davon „abgeraten hatten“. Es wird spannend sein zu sehen, wie diese westlichen Teilnehmer an der neuen Art der Entwicklungsförderung teilnehmen werden, wenn es zu einer weiteren Zuspitzung oder sogar Krieg zwischen den USA und China kommt.

Rupp weist darauf hin, dass die AIIB 2016 ihre Tätigkeit aufgenommen hat, und 2021 bereits 102 zugelassen Mitgliedsstaaten umfasste. Die weltweit führenden Rating-Agenturen konnten wohl nicht anders, als dem Institut eine hervorragende AAA-Bewertung zu erteilen.

Die neue Entwicklungsbank sei ein riesiger diplomatischer Erfolg für China gewesen. Habe das Land doch so aufgezeigt, dass es eine andere Politik verfolge als die „Raubtier-Kapitalisten des Washingtoner Konsens“. Stehe doch bei der chinesischen Idee immer eine Win-Win-Politik im Vordergrund. D.h. dass alle beteiligten Partner von einem Projekt profitieren müssen. Er verweist auf beeindruckende Investitionen in Afrika, Asien und Latein-Amerika, durch welche die Infrastruktur dramatisch verbessert wurde, sei es im Bereich des Verkehrs- als auch der Gesundheits- und Sozialversorgung. Eisenbahnlinien, Krankenhäuser und Schulen.

Eine Nebenwirkung, welche sicherlich neben der Aufgabe von neoliberalen Auflagen bei der Kreditvergabe von den USA gar nicht gern gesehen wird, ist die Tatsache, dass viele Geschäfte nun nicht mehr auf Dollarbasis abgewickelt werden. Immer mehr Infrastrukturprojekte werden über den chinesischen Yuan abgewickelt.

„Washington blieb im Abseits sitzen, sah aus der Ferne zu und schmollte. Zugleich musste es zusehen, wie weitere Pfeiler seiner „regel-basierten Ordnung“ mehr und mehr zerbröseln. Jetzt, wo die AIIB fest etabliert ist, plant sie zunehmend, ihre eigene Kredit-Pipeline zu entwickeln mit dem Ziel, zur weltweit führenden Finanzinstitution für Infrastruktur zu werden. Ihre Standards werden in Zukunft in den Ländern der Dritten Welt fundamental wichtig sein, was für die Wall Street ein Dorn im Auge und vollkommen inakzeptabel ist.“ (2)

Ein weiterer Grund für den nun entstehenden Kampf des Hegemons gegen den Einfluss der BRICS-Entwicklungsbank ist die Tatsache, dass die USA und ihre Vasallen verhindern müssen, dass zukünftig Standards nicht mehr im Westen entwickelt und vielleicht sogar durch Patente abgesichert werden. Werden zunehmend Standards in Ausschreibungen zum Tragen kommen, welche auf chinesischen Entwicklungen beruhen, wird ein weiteres Werkzeug der Ausbeutung nicht mehr wirksam sein.

Allerdings, so erklärt Rupp, ist in den USA noch keine gute Idee entwickelt worden, wie man den innovativeren und besseren Standards, welche zunehmend aus China stammen, etwas entgegen setzen kann. Und in den USA scheint es zunehmend ausgeschlossen zu werden, auf Augenhöhe mit Chinesen Teil einer multipolaren Welt zu werden. Stattdessen wenden die USA alte Werkezuge an, wie Drohung mit Krieg, Wirtschaftssanktionen um die Entwicklung Chinas zu blockieren, Förderung von Unruhen und Aufständen, die destabilisierend wirken, und natürlich schwere Provokationen in Bezug auf Taiwan. Die USA haben eine de-facto-Aufkündigung der „Ein-China-Politik“ betrieben und sind dabei, Taiwan massiv aufzurüsten.

„Ähnlich wie im blutigen Ukraine-Russland-Konflikt übt Washington derzeit auch massiven Druck auf seine europäischen Vasallen aus, die der US-Führungsmacht in ihrer Konfrontationspolitik gegen China zu folgen haben. Auch damit hat Washington bei den meisten deutschen Parteien Erfolg, vor allem bei der ‚grünen‘ US-Sekte. Denn aus deren Reihen haben sich bereits freiwillig viele ‚Selbstmord-Attentäter‘ gegen die deutsche Wirtschaft gemeldet.“ (2)

Industrieland Deutschland?

Die ehemalige österreichische Außenministerin Karin Kneissl wird als Putinversteherin bezeichnet, da der russische Präsident auf ihrer Hochzeit auftauchte. Sie schrieb in ihrem Artikel (4) zu der Jahrhundertrede von Xi, die im letzten PodCast ausführlich besprochen wurde, über die Reaktionen, bzw. die Nichtreaktionen des Westens. Ein Kernsatz lautet:

„Die Globalisierung der letzten 30 Jahre, von denen besonders Deutschland profitierte, baute auf dem Absatzmarkt China und billiger russischer Energie auf. Beides bricht in diesen Tagen weg. Am 5. Dezember tritt das von der EU sich selbst auferlegte Erdölembargo offiziell in Kraft.“ (4)

Dazu sollte man feststellen, dass natürlich nicht Deutschland als Gesamtheit, sondern das deutsche Unternehmertum von der Globalisierung profitierte. Der Erfolg von Unternehmen ist seit der Auflösung der Sowjetunion abgekoppelt von dem Erfolg der Arbeitnehmerschaft. Und auch der Staat profitiert nur mäßig, da die großen Konzerne alle Möglichkeiten nutzen, um ihre Abgaben an den Staat zu reduzieren. Trotzdem wäre es natürlich der endgültige Todesstoß für Deutschland als Industriestandort, wenn nun nach dem günstigen und unbeschränkt verfügbaren Gas aus Russland, auch noch der Absatzmarkt China wegfallen würde.

Dennoch muss man befürchten, dass die Masse der europäischen Politiker nicht aus ihrer Rolle als Vasall der USA ausbrechen können, auch wenn dadurch die Selbstaufgabe verbunden ist. Mein schon länger benutzter Vergleich mit der Opferanode in einem Warmwasserboiler wird immer deutlicher sichtbar. Wenn diese Opferanode aufgebraucht ist, wird spätestens auch das Corpus des Behälters angegriffen. Es sei denn man ersetzt die Opferanode. Aber im Moment sehe ich keinen Ersatz für die sich opfernde EU.

Der Widerstand in Afrika wächst

Oft war Gewalt zur Ausbeutung nicht notwendig, weil sich lokale korrupte Eliten dankbar bereit fanden, gegen entsprechende Beteiligung am Profit, die schmutzige Arbeit des Westens zu übernehmen. Während westliche Medien natürlich das Versagen der wirtschaftlichen Entwicklung den Entwicklungsländern selbst anlastet.

Aber passend zu der Drohung der USA, sich nun in Afrika stärker einzumischen, wächst der Widerstand der Bevölkerung, und eines Teils der Intellektuellen. In Äthiopien demonstrierten am 22./23. Oktober mehr als 100.000 Menschen zur Unterstützung der Soldaten des Landes. Sie fordern eine Beendigung der Einmischung des Westens, allen voran der USA, in die inneren Angelegenheiten des Landes.

Während der südliche Teil Afrikas schon sehr stark emanzipiert ist, nicht zuletzt durch die Wirtschaftskraft Südafrikas und seiner Beteiligung an BRICS, werden nun im Osten und im Zentrum Afrikas zunehmend die alten korrupten, mit dem Westen bestens kooperierenden Eliten durch die Bevölkerung in Frage gestellt.

Der Tschad zum Beispiel, welcher in den 1960er Jahren offiziell von Frankreich unabhängig wurde, wurde seitdem von Generälen mit harter Hand zugunsten der früheren Kolonialmacht kontrolliert. Die Unterstützung dieser Despoten durch Frankreich ist kein Geheimnis. Nach vielen Jahren des Kampfes für eine zivile Regierung, sollte am 20. Oktober endlich der Tag der Machtübergabe sein.

Stattdessen aber wurden Demonstrationen, die das forderten, mit Gewalt unterdrückt, und wie in all den Jahren vorher, stellte das Militär in der Hauptstadt N’Djamena und anderen Gebieten „die Ruhe wieder her“, ganz im Interesse und mit dem Plazet der ehemaligen Kolonialmächte.

Die dabei entstehenden Unruhen forderten nicht nur ein Ende der Militärdiktatur, sondern auch ein Ende der französischen Einmischung und „Militärhilfe“. Wen erinnert das nicht an die Verhältnisse in Mali und Nachbarstaaten, wo in den letzten Monaten ähnliche Bewegungen es sogar bis in die deutschen Medien geschafft hatten.

Der Mann Frankreichs war 30 Jahre General Idriss Déby gewesen. Ihn hatte Frankreich gegen Militärputsche und Aufstände unterstützt, und damit auch seine äußerst brutale Unterdrückung der Menschen. Nach seinem Tod hat nun sein Sohn Mahamat Débu mit dem Segen und der Unterstützung Frankreichs die Macht an sich gerissen. Eines seiner ersten Maßnahmen war, den Übergang zu einer zivilen Regierungsführung um zwei Jahre zu verschieben.

Frankreich ist auch im Kongo im Konflikt zwischen dem Militär und der Rebellenbewegung M23 aktiv. Seit dem Völkermord in Ruanda im Jahr 1994 sind viele Menschen in den Kongo geflohen.

Frankreich war einer der größten Waffenlieferanten in die Region. Dem sozialistische Präsidenten Francois Mitterand wird nachgesagt, dass er der Meinung war, dass ein Genozid „solchen Ländern“, gemeint war Afrika, nicht so wichtig wäre. Was, unter Anderem, die Abneigung der Menschen gegenüber Frankreich und dem Westen verständlich macht.

Frankreichs ehemaligen Kolonien versuchen sich also zu befreien, und das teilweise mit Erfolg. Der Versuch Deutschlands, in die Fußstapfen Frankreichs zu treten, ist nicht unbedingt als erfolgreich zu bezeichnen, wie man in Mali sieht. Aber natürlich kann die USA, wie wir eingangs bemerkt haben, nicht zulassen, dass die Kontrolle über Afrika durch seine Vasallen verloren geht, und versucht, die Rolle der ehemaligen Kolonisten zu übernehmen. Bleibt abzuwarten, wie Russland, China und die Bevölkerungen der Länder darauf reagieren werden.

Die Wende

Zum Abschluss ein kurzer Hinweis auf die Veränderungen in Afrika vom reinen Rohstoffexporteur zur eigenen Veredelungsindustrie. Diesmal aus Benin. Das Land, das zum größten Baumwollexporteur aufstieg, wird nun auch beginnen, daraus Textilien zu fertigen. Was aber weder Reuters noch andere westliche Medien erwähnen, oder höchstens am Rande, ist die Tatsache, dass dies nur durch ein chinesisches Unternehmen und entsprechende Kredite realisiert werden konnte. (5) Während sich Deutschland von einer angeblichen Abhängigkeit in eine tatsächliche Abhängigkeit begibt und gleichzeitig die Wettbewerbsbedingungen für die eigene Industrie durch exorbitante Energiekosten zerstört, beginnt der Aufstieg Afrikas zur vielleicht in 50 Jahren mächtigsten industriellen Staatengemeinschaft der Welt.

Aussichten

Nächste Woche schauen wir auf Australien, dass sich analog zu Deutschland als Opferanode für den Krieg gegen China missbrauchen lässt, und auf die möglichen Folgen der Wahl des BRICS-Mitgründers und neuen Präsidenten Brasiliens, Lula.

Quellen und Anhang

(1) https://www.state.gov/secretary-antony-j-blinken-at-a-conversation-on-the-evolution-and-importance-of-technology-diplomacy-and-national-security-with-66th-secretary-of-state-condoleezza-rice/

(2) https://www.freidenker.org/?p=14518

(3) http://www.der-geistesblitz.com/denkzettel-der-blog/was-ist-der-washingtoner-konsens/

(4) https://meinungsfreiheit.rtde.life/meinung/152502-wachablose-reich-mitte-und-nachste/

(5) https://www.reuters.com/markets/commodities/cotton-exporter-benin-developing-home-grown-textile-industry-2022-10-24/

Die Rede Xi Jinpings

Vijay Prashad ist ein indischer Historiker, Redakteur und Autor. Er schrieb u.A. Bücher gemeinsam mit Noam Chomsky. Co- Autor Tings Chak ist ein Mitglied im Tricontinental Institute for Social Research und Redakteur. Ihr Artikel mit vielen Links und Hinweisen konzentriert sich darauf, was in China in den letzten Jahren passierte, und nicht auf die Konflikte, welche der Westen daraus interpretiert.

(https://www.newsclick.in/China-Path-Socialist-Modernisation)

Die Autoren stellen fest, dass in den meisten westlichen Medienkommentaren über den Kongress die tatsächlichen Worte, die in Peking gesprochen wurden, ignoriert und stattdessen wilde Spekulationen über die Beratungen in der Partei angestellt wurden. So auch über den plötzlichen Abgang des ehemaligen chinesischen Präsidenten Hu Jintao aus der Großen Halle des Volkes während der Schlusssitzung des Kongresses. Er hatte die Halle verlassen, weil er sich krank fühlte. Es wäre viel gewonnen gewesen, so die Autoren, wenn man den Menschen auf dem Nationalkongress zugehört hätte, anstatt ihnen Worte in den Mund zu legen.

Sozialistische Modernisierung

Als die Kommunistische Partei 1949 die Macht in China übernahm, war das Land das elftärmste Land der Welt. Zum ersten Mal seit dem "Jahrhundert der Demütigung", das mit den britischen Kriegen gegen China ab 1839 begann, habe sich China zu einer Großmacht entwickelt, und die soziale Lage des chinesischen Volkes sich im Vergleich zu 1949 erheblich verbessert.

Xi Jinping wurde auf dem 18. Nationalkongress 2012 zum Generalsekretär der KPC und im März 2013 zum Präsidenten der Volksrepublik China gewählt. Seitdem habe das Land bedeutende Veränderungen durchlaufen. In wirtschaftlicher Hinsicht hat sich Chinas BIP fast verdoppelt und ist zur zweitgrößten Volkswirtschaft der Welt aufgestiegen, von 58,8 Billionen Yuan im Jahr 2013 auf 114,37 Billionen Yuan im Jahr 2021, wobei das BIP im selben Zeitraum um 6,6 Prozent pro Jahr wuchs. Gleichzeitig werde sich das Pro-Kopf-BIP des Landes zwischen 2013 und 2021 fast verdoppeln, womit sich China der Gruppe der Länder mit hohem Einkommen nähert. Im Hinblick auf die Weltwirtschaft betrug Chinas BIP im Jahr 2021 18,5 Prozent des globalen Gesamtwerts, und das Land war für 30 Prozent des weltweiten Wirtschaftswachstums von 2013 bis 2021 verantwortlich.

China stellte 2021 auch 30 Prozent der weltweiten Waren her, gegenüber mehr als 20 Prozent im Jahr 2012. Dies ergänzt die jahrzehntelange, historisch beispiellose Wachstumsrate von 9,8 Prozent pro Jahr von 1978 bis 2014 seit Beginn der Wirtschaftsreform in China im Jahr 1978. Diese wirtschaftlichen Errungenschaften seien historisch aber wären mit einer Reihe von Herausforderungen verbunden.

Bei der Vorstellung des Berichts zur Eröffnung des Kongresses habe Xi über die Situation besprochen, in der sich das chinesische Volk vor einem Jahrzehnt befand:

"Große Errungenschaften wurden bei der Reform, der Öffnung und der sozialistischen Modernisierung erzielt... Gleichzeitig gab es jedoch eine Reihe von wichtigen Fragen und Problemen - einige davon hatten sich seit Jahren aufgebaut, andere tauchten gerade erst auf -, die dringende Maßnahmen erforderten." Xi habe dann  über das "Abgleiten in eine schwache, hohle und verwässerte Parteiführung" gesprochen und darauf hingewiesen, dass "Geldanbetung, Hedonismus, Egozentrik und historischer Nihilismus" die tief sitzenden Probleme in einem Entwicklungsprozess seien, der "unausgewogen, unkoordiniert und unhaltbar" sei.

Dies seien bezeichnende selbstkritische Worte des Mannes gewesen, der das Land in den letzten zehn Jahren geführt habe.

Korruption

Xi Jinpings erste Aufgabe nach seinem Amtsantritt als Generalsekretär der KPCh sei die Bekämpfung der Korruption gewesen. In seiner Antrittsrede als Parteivorsitzender im Jahr 2013 habe Xi gesagt, dass er sich verpflichtet habe, "Tiger und Fliegen gleichzeitig zu bekämpfen", womit er sich auf die Korruption bezog, die sich in der Partei und der Regierung von den hohen Rängen bis hinunter zur Basis ausgebreitet hatte. Im Dezember 2012 habe die Partei "Acht-Punkte-Regeln" für ihre Mitglieder eingeführt, um Praktiken wie unbedeutende Treffen und extravagante Empfänge bei offiziellen Besuchen einzuschränken, und habe sich für "Fleiß und Sparsamkeit" ausgesprochen.

Ein Jahr nach dem Start der "Massenlinie-Kampagne" durch die Xi-Regierung im Juni 2013 seien die offiziellen Sitzungen im Vergleich zum Zeitraum vor der Kampagne um 25 Prozent reduziert worden, 160.000 "Phantom-Mitarbeiter" von der Gehaltsliste der Regierung gestrichen und 2.580 "unnötige" offizielle Bauprojekte gestoppt worden. In den vergangenen zehn Jahren,

von November 2012 bis April 2022, seien im Rahmen der Korruptionsbekämpfung fast 4,4 Millionen Fälle mit 4,7 Millionen Beamten untersucht worden. Auch gegen Parteimitglieder sei ermittelt worden. Allein in der ersten Hälfte dieses Jahres gegen 24 hochrangige Beamte, und ehemalige Minister, Provinzgouverneure und Präsidenten der größten staatseigenen Banken. Sie seien aus der Partei ausgeschlossen und zu harten Strafen verurteilt worden, darunter lebenslange Haft.

Die Autoren sind der Meinung, dass die Äußerungen Hu Jintaos und die Maßnahmen Xi Jinpings die Befürchtung widerspiegeln, dass sich die Mitglieder der KPCh in der Zeit des hohen Wachstums nach 1978 zunehmend vom Volk entfernt haben. In den ersten Monaten seiner Präsidentschaft habe Xi daher die "Massenlinien-Kampagne" gestartet, um die Partei der Basis näher zu bringen.

Im Rahmen der 2014 gestarteten Kampagne zur "gezielten Armutsbekämpfung" wären 800.000 Parteikader entsandt worden, um 128.000 Dörfer zu untersuchen und zu besuchen. Im Jahr 2020, so die Autoren, habe China trotz der COVID-19-Pandemie die extreme Armut erfolgreich beseitigen können und bis Oktober 2015 zu 76 Prozent des weltweiten Armutsrückgangs beigetragen.

Außerdem sei das Vertrauen des chinesischen Volkes in die Regierung gestärkt worden. Laut einer Studie des Ash Center for Democratic Governance and Innovation der Harvard Kennedy School aus dem Jahr 2020 lag die Gesamtzufriedenheit mit der Leistung der Regierung im Jahr 2016 bei 93,1 Prozent, wobei der stärkste Anstieg in den unterentwickelten Regionen auf dem Land zu verzeichnen war. Dieser Anstieg des Vertrauens in den ländlichen Gebieten ist auf die verbesserten Sozialleistungen, das Vertrauen in die lokalen Beamten und die Kampagne zur Armutsbekämpfung zurückzuführen.

Die richtige Seite der Geschichte

Auf dem 20. Parteitag habe Xi Jinping über die Geschichte des Kolonialismus reflektiert - einschließlich Chinas "Jahrhundert der Demütigung" - und die Auswirkungen, die dies für China in Zukunft haben würde. "Beim Streben nach Modernisierung", so wird Xi zitiert,

"wird China nicht den alten Weg des Krieges, der Kolonisierung und der Ausplünderung beschreiten, den einige Länder eingeschlagen haben. Dieser brutale und blutige Weg der Bereicherung auf Kosten anderer hat großes Leid über die Menschen in den Entwicklungsländern gebracht. Wir werden fest auf der richtigen Seite der Geschichte und auf der Seite des menschlichen Fortschritts stehen".

Chinesische Offizielle hätten den Autoren regelmäßig erklärt, dass ihr Land nicht daran interessiert sei, die Vorherrschaft in der Welt anzustreben. China möchte vielmehr mit anderen Ländern zusammenarbeiten, um die Dilemmata der Menschheit zu lösen. „Belt and Road Initiative“ (BRI) sei ein Beispiel und wäre 2013 mit dem Ziel einer "Win-Win"-Zusammenarbeit und -Entwicklung ins Leben gerufen worden. Sie habe bisher mit Investitions- und Bauaufträgen im Gesamtwert von 1 Billion Dollar in fast 150 Ländern dringend benötigte Infrastruktur geschaffen.

Chinas Interesse an der Bewältigung der Klimakatastrophe zeigt sich darin, dass das Land in den letzten zehn Jahren ein Viertel der weltweiten Wälder neu bepflanzt habe und bei den Investitionen in erneuerbare Energien und der Produktion von Elektrofahrzeugen weltweit führend sei. Infolge der Initiativen im Bereich der öffentlichen Gesundheit lag die durchschnittliche Lebenserwartung der Chinesen im Jahr 2020 bei 77,93 Jahren und erreichte im Jahr 2021 78,2 Jahre, womit sie erstmals die Lebenserwartung in den Vereinigten Staaten übertraf - 77 Jahre im Jahr 2020 und 76,1 Jahre im Jahr 2021 -, was "den größten zweijährigen Rückgang der Lebenserwartung seit 1921-1923" bedeutet.

Chinas Kommunisten sähen diese Ereignisse nicht, ohne sie in den Kontext des langen Prozesses zu stellen, den die Regierung unternommen habe, um ihre soziale Entwicklung zu erreichen und zu sichern. In 27 Jahren wird China den hundertsten Jahrestag seiner Revolution feiern. Im Jahr 1997 habe der damalige chinesische Staatspräsident Jiang Zemin über die beiden Hundertjahresziele gesprochen - die 100 Jahre nach der Gründung der Kommunistischen Partei (1921) und der Chinesischen Revolution (1949) -, die "allen langfristigen Wirtschaftsplanungsprogrammen Chinas und der aktuellen makroökonomischen Politikagenda zugrunde liegen". Damals habe der Schwerpunkt auf den Wachstumsraten gelegen. Im Jahr 2017 habe Xi Jinping den Schwerpunkt dieser Ziele auf die "drei harten Schlachten" verändert: die Entschärfung großer finanzieller Risiken, die Beseitigung der Armut und die Kontrolle der Umweltverschmutzung. Dieser neue Kongress sei über diese "harten Kämpfe" hinausgegangen, um die chinesische Souveränität zu schützen und die Würde des chinesischen Volkes zu stärken.

Reaktion auf Kommentare

Überbevölkerung: Afrika ist noch lange nicht überbevölkert. Der Kontinent ist riesig und im kleinen Europa macht man sich falsche Vorstellungen von den Ausmaßen hier. Selbst falls es hier einmal 2 Milliarden Menschen geben sollte, wäre die Bevölkerungsdichte immer noch geringer als im alten Europa. Das gilt auch für potentielle Ernährungsflächen. Ich habe das Gefühl, dass der Ruf nach Geburtenkontrolle eher aus der diffusen Angst resultiert, von den Massen überrannt zu werden. So wie früher vor der „Gelben Gefahr“ gewarnt wurde.

Ich habe mich mit einem älteren Mann unterhalten, der uns öfter im Garten hilft. Er hat 11 Kinder. In seinem Haus leben mit Enkelkind und Eltern 14 Personen. Mit jedem Kind, das die Schule beendet und zu arbeiten beginnt, wird das Leben leichter, weil es etwas in die Haushaltskasse gibt. So kann die Familie gut überleben. Und wenn ein Einkommen wegbricht, können die anderen das auffangen. Das sollte erklären, dass, solange kein wirtschaftlicher Aufschwung erfolgt, der die Einkommen verbessert, und soziale Netze möglich macht, Kinder als wichtiger Faktor für die Existenz angesehen werden. Auf meine Frage nach Streit oder Konflikten hörte ich, dass zumindest in dieser Familie nichts dergleichen passiert. Vielleicht sind die afrikanischen Seifenopern im Fernsehen so beliebt, weil dort die meisten Handlungen von Familien-Konflikten berichten.

In der TAZ finden sich ein paar interessante Zahlen zu dem Thema:  https://taz.de/Bevoelkerungswachstum-in-Afrika/!5641412/

„Derzeit befinden sich 70 Prozent der chinesischen Bevölkerung im arbeitsfähigen Alter, mehr als in Europa und in den USA und vor allem mehr als in Afrika mit 56 Prozent. Aber in fünfzig Jahren wird nach UN-Prognosen China in dieser Rangliste das Schlusslicht bilden, mit 56 Prozent wie Afrika heute, während Afrika mit 65 Prozent die Spitzenposition einnimmt.

Das bedeutet eine Umkehr der globalen Machtverhältnisse. China, in Deutschland derzeit noch als kommende Weltmacht hofiert, hat durch seine kurzsichtige Ein-Kind-Politik seine demografische Dividende verspielt. China wird in wenigen Jahrzehnten vergreisen, so wie Japan heute, und Afrika wird China als Werkbank der Welt ablösen. Und das nicht trotz, sondern gerade wegen seiner Kinder.“

Das erklärt das große Interesse Chinas, Afrika zu industrialisieren. Es ist nicht nur der Wunsch, Absatzmärkte zu schaffen, die chinesische Produkte kaufen können, und auch nicht alleine die Philosophie, auch anderen Entwicklungsländern ihre Selbstbestimmung zu ermöglichen. Sondern es ist der ganz pragmatische Gedanken, gute Beziehungen zu einem der zukünftigen Machtpole der Welt zu generieren.

Afrika ist nicht nur reich an Bodenschätzen, sondern auch reich an menschlichen „Ressourcen“. Hier sprechen und schreiben viele Menschen in den einfachsten Berufen mehr Sprachen, als in Deutschland. Sie sind fleißig und arbeitswillig. Ihnen fehlen nur in bestimmten Bereichen die Ausbildung und ein Job. Und Gehälter, welche einen angemessenen Lebensunterhalt mit Wohnung, Essen, Kleidung und Bildung ermöglicht. Gerade wurde der Mindestlohn für das Baugewerbe auf ca. 1 Euro pro Stunde in Namibia angehoben. Das reicht natürlich noch lange nicht. Aber die Entwicklung hatte in China auch einmal so angefangen.

Die Tatsache, dass die meisten UNO- und ähnliche Organisationen einen Bevölkerungswachstum als größtes Problem darstellen, beruht auf der Dominanz der Geberländer und ihrer Einstellung. Eine wissenschaftliche Untersuchung des Themas stellt dazu die Frage:

„Eine Hinterfragung des wirtschaftlichen Wachstumsmodells und dessen Unfähigkeit, auf eine Bevölkerungszunahme menschenwürdig zu reagieren, findet nur selten und zögerlich statt.“ https://refubium.fu-berlin.de/bitstream/handle/fub188/8595/03_Kap3.pdf

Auch wird oft die Umweltzerstörung als Argument angeführt. Dazu liest man dort:

„Die Behauptung, dass eine Verbindung zwischen Umweltzerstörung und Bevölkerungswachstum besteht, kann als globaler Ansatz keine Gültigkeit erlangen, da jeweils lokal verschiedene Faktoren das Bevölkerungswachstum und die Umweltzerstörung beeinflussen.“ (Mit Hinweis auf: Vgl. Aktionsgemeinschaft Solidarische Welt, ASW, Hrsg. (1990): Kinder oder Fortschritt. Eine fragwürdige Bevölkerungspolitik. Materialsammlung. Berlin. S. 57 f. Die internationale Umweltorganisation ENDA kommt in einer Untersuchung über das Verhältnis zwischen Bevölkerungsdruck und Umwelt zu der Schlussfolgerung, dass „... Gebiete mit den größten Umweltzerstörungen keineswegs [ ] identisch [sind] mit denen, wo das stärkste Bevölkerungswachstum stattfindet.“ Ebd.)

Wer tiefer in das Thema einsteigen will, sollte sich mit der ganzen Arbeit beschäftigen. So wie China sich heute sorgt, auf Grund der radikalen Ein-Kind-Politik der Vergangenheit, in naher Zukunft zu „vergreisen“, sollte man nicht nur auf Grund der Selbstbestimmung der Menschen darauf verzichten, durch Vorschriften, Impfungen oder maximale Propaganda, Einfluss auf die Entscheidungen der Menschen zu nehmen, wie viele Kinder sie wollen. (Natürlich ist Aufklärung über Verhütungsmittel zum Schutz für Frauen vor ungewollter Schwangerschaft ein ganz anderes Thema). Stattdessen sollte der Fokus darauf liegen, diesen Ländern, die über enorme Ressourcen verfügen, dazu in die Lage zu versetzen, diese selbst zu veredeln bzw. zu nutzen, und aus dem Mehrwert das Land auf eine höhere wirtschaftliche Entwicklungsstufe zu bringen. Der Rest passiert automatisch.

Und ich möchte fast vermuten, dass wir, soweit wir die nächsten 20 Jahre noch erleben, Zeuge einer ähnlichen Entwicklung werden, wie in Asien zu beobachten war.

EU-Kampf gegen afrikanische Pipelines

Vielleicht erinnert sich der geneigte Leser an einen PodCast, in dem ich vom Kampf des EU-Parlaments gegen eine inner-afrikanische Pipeline berichtete. Nun gibt es auch Pipelinepläne, die EU-Ländern zugute kommen werden, und diese sind seltsamerweise nicht zu verhindern, weil sie das Klima töten: https://www.pipeline-journal.net/news/nigeria-bets-service-firms-deliver-big-ticket-pipelines#

Es ist eine Sache und verständlich, wenn man sich für die eigenen Interessen einsetzt. Es ist aber moralisch abstoßend, wenn an Stelle des eigentlichen Grundes alle möglichen angeblich ethischen und moralischen Bedenken vorgeschoben werden.

+++ Dank an den Autor für das Recht zur Veröffentlichung des Beitrags. +++ Bildquelle: shutterstock / Cinemato


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