Ein Beitrag von Eugen Zentner.
Ein hochdekorierter Künstler hat wieder einmal für einen medialen Aufschrei gesorgt. Er wäre ausgeblieben, hätte dieser Künstler nicht gegen die inoffiziell geltenden Sprachregelungen verstoßen und dem offiziellen Narrativ widersprochen. Doch er hat es getan, weshalb die Haltungsjournalisten der Leitmedien sich sofort auf ihn stürzen, um ihn öffentlich hinzurichten. "Bestrafe einen, erziehe Hunderte". Nach diesem Prinzip geht man im vermeintlich liberal-demokratischen Westen seit Jahren vor – immer rigoroser und immer offensichtlicher. Wie diese moderne Form der Hexenjagd in der Praxis aussieht, konnte man während der Corona-Krise gut beobachten. Wenn Künstler sich wagten, die Corona-Politik oder die verzerrte Berichterstattung zu kritisieren, wurden sie mit Kampfbegriffen so lange bearbeitet, bis sie öffentlich verbrannt waren. Xavier Naidoo, Michael Wendler, Nena – die Liste ist lang. Nun hat sich Pink-Floyd-Star Roger Waters mit deutlichen Aussagen zu Wort gemeldet, allerdings nicht zum Corona-Thema, sondern zum Ukraine-Krieg.
Der Sänger und Bassist sagte in einem CNN-Interview das, was in der westlichen Einflusszone ein Tabu ist: Joe Biden schüre das Feuer in der Ukraine. „Das ist ein großes Verbrechen.“ Es war eine Antwort auf die Frage des Moderators Michael Smerconish, warum der Musiker bei seinen aktuellen Konzerten auf der Leinwand den US-Präsidenten als Kriminellen bezeichne. Warum ermutigten die USA nicht Selenskyj, mit Russland zu verhandeln, legte der Rock-Veteran nach. Die Frage ist berechtigt und deutet daraufhin, dass es Waters um eine friedliche Lösung des Konflikts geht. Aber die scheint im Westen nicht erwünscht zu sein. Das zeigen die Reaktionen auf das Interview. Die Haltungsjournalisten der Leitmedien ignorieren den Kern von Waters’ Kritik und sehen in ihr lediglich eine „erschreckende“ Äußerung – bzw. wollen sie als solche verkaufen.
Aber sind die Aussagen des Musikers wirklich so „erschreckend“? Im Interview erinnerte er daran, dass der Ukraine-Konflikt nicht erst 2022 begonnen hat. Er basiere, so Waters, auf einem Mechanismus von Aktion und Reaktion – einem Mechanismus, der vor Jahren ausgelöst wurde. Und die USA als Anführer der Nato spielte dabei keine unbedeutende Rolle, wie Waters akzentuierte: Das westliche Militärbündnis sei im Laufe der Jahre immer näher an Russlands Grenze vorgedrungen, obwohl es genau das zu unterlassen versprochen habe, als Gorbatschow damals den Rückzug der Sowjetunion aus Osteuropa verhandelte. Wahre Worte, die auf Fakten beruhen. Um sie zu entkräften, muss man schon schlagende Argumente hervorbringen. Doch was machen die Redaktionen hiesiger Leitmedien? Anstatt auf den Inhalt der Aussagen einzugehen, berichten sie lieber darüber, wie die jeweiligen Konfliktparteien auf sie reagiert haben. „Russlands Ex-Präsident Dmitri Medwedew fühlte sich bestätigt“, schreibt Focus Online und zitiert ihn mit den folgenden Worten: „Es gibt noch adäquate Leute im Westen.“ Kiews Botschafter in Österreich, Olexander Scherba, habe Waters hingegen eine „willenlose, herzlose, gnadenlose und verlorene Person“ genannt.
Wer von den beiden der „Gute“ und wer der „Böse“ ist, wird ebenfalls kenntlich gemacht. Bei Bild Online, das die Meldung von der Deutschen Presse-Agentur übernommen hat, wird Medwedew diffamierend als „Putins Bluthund“ eingeführt, der sich in seiner „kruden Kriegsrhetorik“ bestärkt fühle. Um diese bösartige Charakterisierung zu steigern, finden die Leser in Klammern ein verfängliches Zitat des russischen Ex-Präsidenten. Zu den Beleidigungen Scherbas jedoch kein Wort. So perfide funktioniert der Journalismus heutzutage. Die Schreiberlinge in den Redaktionen der Leitmedien ergreifen Partei und lenken die öffentliche Meinung, indem sie eine Seite auf der Sprachoberfläche diskreditieren.
Die gleiche Behandlung erfährt der Musiker Waters, dessen Vergehen darin besteht, dass er nicht die vermeintlich „Bösen“, sondern die vermeintlich „Guten“ kritisiert. Man bemüht sich erst gar nicht, seine Aussagen argumentativ zu entkräften, sondern verwendet manipulative Formulierungen. Waters habe seine Behauptungen „gegen den Widerspruch Smerconishs“ aufgestellt, als ob der US-Moderator der Maßstab für Wahrheit sei. Doch die Haltungsjournalisten wissen, was bei den flüchtigen Lesern hängenbleibt: Der Widerspruch suggeriert Autorität, weshalb Pink-Floyd-Star Waters sich schuldig macht, wenn er trotzdem eine andere Meinung vertritt. Um den Musiker und dessen Aussagen vollends zu diskreditieren, werden am Schluss der jeweiligen Artikel dessen vermeintliche Vergehen aufgezählt. Eine beliebte Methode, zumal diese Zeilen die letzten sind, die man liest – und somit stärker in Erinnerung bleiben. Es ist daher kaum verwunderlich, dass dieser letzte Absatz vor Antisemitismus-Vorwürfen nur so wimmelt. Business as usual.
Roger Waters ist nicht der einzige Musiker, der sich vor Kurzem kritisch zum Zustand westlicher Staaten geäußert hat. Am 30. Juli unterbrach der britische Pop-Star Sting sein Konzert in Warschau, um das Publikum davor zu warnen, dass die Demokratie weltweit angegriffen wird. Wenn er in diesem Zusammenhang von einem globalen Problem spricht, bezieht er die westlichen Staaten mit ein. Der Musiker gibt damit zu verstehen, dass ihm die Zivilisationsbrüche nicht entgangen sind. In seiner Rede geht es um „Gewalt“, „Repression“, „Freiheitsentzug“ und „Schweigen“. Das sind Begriffe, die die Entwicklung im Zuge der Corona-Krise gut zusammenfassen. Allerdings blieb Sting vage, er ließ sehr viel Interpretationsspielraum, genauso wie in seinem Kommentar zum Ukraine-Konflikt: „Der Krieg in der Ukraine ist eine Absurdität, die auf einer Lüge basiert. Wenn wir diese Lüge schlucken, wird die Lüge uns schlucken.“ Wie diese Lüge konkret lautet, führte der britische Musiker nicht aus. Genauso wenig erfuhr das Publikum, wer ihr Urheber ist.
Doch die Leitmedien wussten sofort, wen er meinte: „Der 70-jährige verurteilte den russischen Angriff auf die Ukraine als Absurdität, die auf einer Lüge beruhe“, gibt die Online-Ausgabe der Tagesschau Stings Wortlaut wieder. Aus einem „Krieg in der Ukraine“ machen die Redakteure schnell einen „russischen Angriff auf die Ukraine“ – Propaganda wie im Lehrbuch. „Er bezog sich damit“, heißt es weiter, „offensichtlich auf die Rechtfertigung, die Russland für seine Invasion nannte.“ Da hat man Stings Aussagen aber „offensichtlich“ sehr eigenwillig interpretiert und die Lücken so gefüllt, dass die offizielle Erzählung problemlos weitergesponnen werden konnte, ohne den Musiker diffamieren zu müssen. Schließlich hat dieser das Narrativ nicht direkt angegriffen, keine Begriffe und Namen genannt, die ein Gegenframing erforderten.
Und dennoch: Obwohl Sting sich so nebulös ausdrückte, gelang es ihm genauso wie Roger Waters, die Spindoktoren in den deutschen Leitmedien vorzuführen. Beide provozierten sie dazu, ihre Maske fallen zu lassen und ihr wahres Gesicht zu zeigen. Waters ist in die Offensive gegangen, hat kein Blatt vor den Mund genommen und seine Kritik unverblümt kundgetan. Sting ging eher vorsichtiger vor und vielleicht geschickter. In seiner Rede über den weltweiten Angriff auf die Demokratie hat er eigentlich genügend Stichworte geliefert, um zu verstehen, wo der Ursprung der Lüge liegt. Er hat das Publikum zum Nachdenken darüber angeregt, nach der Wahrheit zu suchen, allerdings ohne zugleich den Groll der Leitmedien auf sich zu ziehen. Sein Auftritt ist daher genauso zu begrüßen wie der Roger Waters’. Beide Musiker haben demonstriert, dass sich allmählich immer mehr hochkarätige Künstler trauen, öffentlich Kritik zu üben und Einfluss auf die öffentliche Meinung zu nehmen. Das ist eine Entwicklung, die Mut macht.
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Danke an den Autor für das Recht zur Veröffentlichung des Beitrags.
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Bildquelle: Taya Ovod / shutterstock.com
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