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„Für den Frieden zu töten, ist wie für die Keuschheit zu vögeln“

„Für den Frieden zu töten, ist wie für die Keuschheit zu vögeln“


Ein Meinungsbeitrag von Dirk C. Fleck.

„Wenn Du versuchst zu scheitern und trotzdem erfolgreich bist – was ist da schief gelaufen?“

Gute Frage, jedenfalls für die „Truth-Machine“, die Wahrheitsmaschine, wie George Carlin genannt wurde. Der 2008 verstorbene ehemalige Radartechniker war einer der erfolgreichsten Comediens Amerikas. Und das, obwohl er seinem Publikum nichts ersparte.

„Ich bin meinetwegen hier,“ pflegte er zu sagen, „und Sie sind meinetwegen hier. Niemand ist ihretwegen gekommen.“

Dann zuckte er mit den Schultern und verabreichte den Leuten noch schnell ein verbales Sedativum:

„In jedem Zyniker steckt ein enttäuschter Idealist.“

Seine Verehrer attestierten ihm einen Humor, der es durchaus mit dem von Mark Twain aufnehmen konnte. „Seit ich Sie gesehen habe, fühle ich mich weniger alleine“, schrieb ein Fan an den Comedian. Das ging vielen Menschen so. George Carlin war der Mann mit dem Mords-Quirl, der in seinen umjubelten Live-Auftritten den faulenden, brackigen gesellschaftlichen Bodensatz aufwirbelte. Da war endlich jemand, der die im US-Fernsehen gezüchtete Lachkultur durchbrach und auf den Kopf stellte, der mit Aussagen und die Ecke kam, die für all jene, die im Kanon der Dummheit nicht mitsingen mochten, Balsam waren.

„Bei unserer Geburt,“ sagte er beispielsweise, „wird uns ein Ticket für eine Freak-Show ausgehändigt. Besonders privilegiert sind die Menschen, die in Amerika geboren werden. Sie dürfen in der erste Reihe sitzen.“

Carlin war Anfang der sechziger Jahre durch seine häufigen Auftritte in der Ed Sullivan Show landesweit bekannt geworden. 1973 sorgte er mit einem Radiobeitrag über die „sieben schmutzigen Wörter“ (Filthy Words), die man auf keinen Fall im Fernsehen sagen sollte, für Entrüstung. Der Oberste Gerichtshof der USA verbot die weitere Ausstrahlung, „da die Gefahr bestehe, dass Kinder und Jugendliche zuhören könnten“.

Politische Korrektheit war für George Carlin nichts als eine verlogene Strategie der Realitätsvermeidung. Dass sie funktioniert, erklärte er folgendermaßen:

„Es besteht kein Zweifel, dass die Hälfte der Menschheit dumm ist. Und nun stellen Sie sich vor, dass die andere Hälfte noch viel dümmer ist. Es gibt genug Bullshit, um die Dinge in diesem Land zusammen zu halten. Bullshit ist der Klebstoff, der uns als Nation eint.“

Als Beweis verwies er gerne auf die Essgewohnheiten seiner Landsleute:

„Wir Amerikaner essen alles. Wenn Waschbären-Arschlöcher am Spieß im Angebot wären, wir würden sie essen. Alles in unserem Land ist King-Size, Extra Large und Super-Jumbo, besonders die Menschen. Habt ihr sie gesehen, die big, fat, dumb motherfuckers walking around? Die sind von Beruf Verbraucher, das ist ihr Lebenssinn.“

George Carlin ersparte seinem Publikum nichts, schon gar nicht die Wahrheit. Aber er verstand es, dass sich seine Empörung lustig anhörte. „Das Comedian-Handwerk ist Kunst“, sagte er 1996 in einem Gespräch mit Charlie Rose,

„und als Künstler habe ich mich irgendwann entschieden, jede Hoffnung in unsere Spezies aufzugeben. Ebenso in die amerikanische Kultur, den amerikanischen Traum oder die amerikanische Nation. Das gab mir die Freiheit, sehr gelassen auf die Gesellschaft zu schauen, mit ihr zu spielen und sie fast amüsiert zur Kenntnis zu nehmen.“

Es war diese distanzierte Sicht auf den Allerweltswahnsinn, dieses ironische Staunen, das laute Kopfschütteln, welches seinen Sätzen zugrunde lag, die den Menschen das Gefühl gaben, ja, so sehe ich das eigentlich auch. Carlin machte sich mit seinem Publikum gemein, deshalb fühlte es sich auch nie getroffen, wenn es um die big, fat, dumb Motherfuckers ging. Die Menschen genossen es, wenn er die Finanz- und Politgangster für sie ohrfeigte. „Wer an die Macht kommt, ist durch einen Filter gegangen, der anständige Menschen nicht passieren lässt,“ zitierte er die russische Schriftstellerin Ljudmila Ulizkaja. „Diese Herrschaften,“ betonte er immer wieder, „wollen uns, den dumb Motherfuckers, tatsächlich einreden, dass wir frei sind und eine Wahl haben“.

„Bullshit,“ hielt er dagegen, „wir haben keine Wahl, wir haben Besitzer. Sie besitzen uns. Sie besitzen alles in diesem Land, inklusive der großen Medienhäuser, sodass sie die Informationen steuern können, die unser Weltbild prägen. Sie haben uns bei den Eiern. Sie geben jährlich Milliarden von Dollar für Lobbyarbeit aus, um das zu kriegen, was sie wollen. Sie wollen mehr für sich selbst und weniger für uns. Sie sind nicht interessiert an gebildeten, gut ausgebildeten Menschen, das hilft ihnen nicht. Sie wollen gehorsame Diener, die gerade schlau genug sind, die Maschinen zu bedienen und den Papierkram zu erledigen. Sie wollen euer Erspartes und sie wollen es ihren kriminellen Freunden in der Wall Street in den Rachen schmeißen. Es ist ein großer Club, mit dem wir es da zu tun haben. Und ihr seid als Mitglieder nicht erwünscht. Ihr und ich, wir müssen draußen bleiben. Sie erzählen uns, was wir glauben sollen, was wir denken sollen und was wir kaufen sollen. Und niemand scheint sich sich daran zu stören. Warum, um Gottes Willen? They don’t give a fuck about us, nicht im mindesten!“

It´s a big club, and we are not in it! Besser kann man den kapitalen Beutezug der Mächtigen nicht beschreiben. Die deutschen Kabarettisten Volker Pispers und Georg Schramm hatten den Trick der US-amerikanischen „Truth-Machine“ George Carlin übernommen, und der lautete: sag einfach die Wahrheit. Sie ist so unglaublich und so absurd, dass sie automatisch Lacher abwirft. Pispers und Schramm haben sich daran erschöpft, sie schweigen seit einigen Jahren. George Carlin hat bis zu seinem Tod weiter gemacht.

Das konnte er tun, weil er auf der Bühne immer wieder Seelenballast abwarf – weil er sich dem Publikum abseits der scharfen Polemik als das gezeigt hat, was er in Wirklichkeit war: ein aufrichtiger, liebevoller Mensch. Die Witze, die er in seine Shows einstreute, waren wahre Schenkelklopfer, die seinem Publikum als Nahrung gereicht wurden. Der hier zum Beispiel:

„Hier ist alles, was Sie über Männer und Frauen wissen müssen: Frauen sind verrückt, Männer sind dumm. Und der Hauptgrund, warum Frauen verrückt sind, ist, dass Männer dumm sind.“ Oder der hier: „Für den Frieden zu töten ist wie für die Keuschheit zu vögeln.“

Die folgenden Worte aber sagen vielleicht am meisten über den wunderbaren Menschen George Carlin aus:

„Findet Zeit Euch zu lieben, findet Zeit miteinander zu sprechen, findet Zeit, alles was Ihr zu sagen habt, miteinander zu teilen, – denn das Leben wird nicht gemessen an der Anzahl der Atemzüge, sondern an der Anzahl der Augenblicke, die uns den Atem rauben.“

Das von einem Mann, der Menschenansammlungen nach eigenen Aussagen hasste wie die Pest, Individuen aber liebte.

„In den Augen jeder einzelnen Person,“ so Carlin, „ kann man das ganze Universum entdecken, wenn man genau hinsieht. Dann habe ich das Gefühl, dieser großen, wunderbaren Familie wirklich anzugehören.“

PS: George Carlin ist einer meiner 50 Heroes, denen ich in meinem gleichnamigen Buch ein Andenken gesetzt habe. HEROES erscheint im Oktober.

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Dirk C. Fleck ist ein deutscher Journalist und Buchautor. Er wurde zweimal mit dem Deutschen Science-Fiction-Preis ausgezeichnet. Sein Roman “Go! Die Ökodiktatur” ist eine beklemmend dystoptische Zukunftsvision.

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Wir danken dem Autor für das Recht zur Veröffentlichung des Beitrags.

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Bildquelle: Alex Millauer / Shutterstock.com


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