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G7 und der Rest der Welt | Von Wolfgang Effenberger

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Ein Kommentar von Wolfgang Effenberger.

Während der erbarmungslose Krieg in der Ukraine wieder an Dynamik zunahm, trafen sich vom 26. bis 28. Juni 2022 die Staats- und Regierungschefs von USA, Großbritannien, Kanada, Deutschland, Japan, Italien und Frankreich im idyllisch gelegenen bayrischen Schloss Elmau. Als Vertreter der Europäischen Union nehmen Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und EU-Ratschef Charles Michel an allen drei Tagen am G7-Gipfel teil.

Zum Auftakt ihrer Beratungen wurden Witze über den gern einmal mit nacktem Oberkörper posierenden russischen Präsidenten Wladimir Putin gerissen(1) – ausgelöst durch die Frage, ob die Teilnehmer bei sommerlichen Temperaturen ihre Jacketts ausziehen sollten.

Nachdem dieses Problem gelöst war, riefen die Teilnehmer eine vom US-Präsidenten angestoßene "Partnerschaft für Globale Infrastruktur" als Antwort auf das 2013 von China gestartete erfolgreiche Projekt "Neue Seidenstraße" (One Belt, One Road), mit dem China neue Handelswege nach Europa, Afrika, und Lateinamerika erschließt, ins Leben. Um Chinas steigenden Einfluss einzudämmen, soll viel Geld in die Hand genommen werden (bis 2027 ca. 600 Milliarden US-Dollar, von denen die USA allein 200 Milliarden mobilisieren).(2)

Neben Russland scheint nun eine zweite Front aufgemacht zu werden. Im vergangenen Monat hatte US-Außenminister Antony Blinken China trotz der akuten Krise durch den russischen Angriffskrieg auf die Ukraine auf lange Sicht als größte Herausforderung für die internationale Ordnung dargestellt. Und einen Tag vor dem Gipfel äußerte sich der Kommunikationsdirektor des Nationalen Sicherheitsrates im Weißen Haus, John Kirby, China werde "ein wichtiger Schwerpunkt" beim G7-Gipfel in Bayern sein.

Das ist keine große Überraschung. Seit September 2014 – ein halbes Jahr nach dem Maidan-Putsch – ist in der gültigen US-Langzeitstrategie TRADCOC 525-3-1 „Win in a Complex World 2020-2040“ nachzulesen, dass sich die US-Streitkräfte darauf vorbereiten sollen, die von Russland und China ausgehende Bedrohung zu beseitigen.

Während sich beide Länder bereits in einem Handelskrieg befinden, betrachtet das US-Militär China als potenziellen Gegner. Und eine aktuelle Umfrage des Pew Research Center zeigte: 55 Prozent der US-Bevölkerung haben ein negatives Bild von China.(3)

Im Trubel der Vorweihnachtstage veröffentlichte das Weiße Haus am 17. Dezember 2017 die neue "Nationale Sicherheitsstrategie der Vereinigten Staaten" (NSS). In ihr finden sich die außen- und sicherheitspolitischen Prioritäten der Regierung und nicht zuletzt auch die des Präsidenten. Diese Nationale Sicherheits-Strategie setzte Amerika an die erste Stelle(4), bezeichnete China – neben Russland – als „revisionistische Macht“ und erklärte es zu einem „strategischen Konkurrenten“.(5)

Diese Sicherheitsdirektive hatte der hoch dekorierte Soldat und Russland-Hardliner General Herbert R. McMaster ausgearbeitet. Er war vor seiner Berufung zum Nationalen Sicherheitsberater stellvertretender Kommandierender General des "United States Army Training and Doctrine Command" (TRADOC) in Fort Monroe, Hampton (Virginia) und war dort mitverantwortlich für die oben erwähnte US-Langzeitstrategie TRADOC 525-3-1.

Seither wird spekuliert, ob ein Krieg zwischen der absteigenden Supermacht USA und der aufsteigenden Macht China unausweichlich ist, und in der Geschichte nach vergleichbaren Situationen gesucht.

Der griechische Historiker Thukydides (454-395 v.Chr.) stellte den Krieg zwischen Athen und Sparta in seinem Werk „Der Peloponnesische Krieg“ (431 und 411 v. Chr.) als unvermeidlich dar, weil die aufsteigende Seemacht Athen die Ängste der etablierten Landmacht Sparta angefacht habe. Weder Athen noch Sparta war in der Lage, die Rivalität friedlich zu lösen, und sie zerstörten sich dann zwangsläufig gegenseitig.

Im Verhältnis zwischen der absteigenden Seemacht USA und der aufsteigenden Landmacht China drängen sich dem Harvard-Professor Graham Allison – ehemals Berater der Verteidigungsminister unter Reagan, Clinton und Obama – Parallelen zu dieser Ausgangslage auf: „Wie einst Deutschland hat China das Gefühl, es sei um seinen ihm zugehörigen Platz unter den Großmächten betrogen worden, als es schwach war“, und „wie Deutschland hat China den festen Willen und auch die Mittel dazu, den Status quo zu verändern. Derweil verteidigen die Vereinigten Staaten wie einst Großbritannien eifersüchtig ihre führende Position in der Welt und verhindern entschlossen die chinesischen Versuche, die bestehende Weltordnung zu verändern.“(6) Für Allison ist die sogenannte Thukydides-Falle, die Bedrohung einer bestehenden Macht durch eine aufstrebende Macht, letztlich nur durch eine kriegerische Auseinandersetzung zu lösen. In der Geschichte der Menschheit hat es laut Allison insgesamt 16 solcher Thukydides-Fallen gegeben. Nur vier davon endeten ohne Blutvergiessen.

Vor hundert Jahren hat sich die USA mit ihrem rasanten wirtschaftlichen Auftsieg zu einem Konkurrenten der damaligen Weltmacht Großbritannien entwickelt – eine der vier Thukydides-Fallen übrigens, die friedlich zwischen zwei verwandten Seemächten gelöst werden konnten. Dagegen führte die Rivalität zwischen der Landmacht Deutschland und der absteigenden Seemacht Großbritannien gegen Ende des 19. Jahrhunderts in verheerende Kriege (1. und 2. Weltkrieg bzw. 2. Dreißigjähriger Krieg). Die USA besitzen den geografischen Vorteil, dass ihnen gleich zwei Ozeane als strategische Pufferzonen dienen, während Deutschland mit seiner Mittellage allen Nachbarn sozusagen im Weg stand; China musste die Erfahrung machen, „dass feindliche Mächte 200 Jahre lang militärischen Druck auf ihre Ostküste ausübten“(7).

USA und China in der Thukydides-Falle?

Die Frage muss leider mit ja beantwortet werden, da der chinesische Aufstieg zu einer wirtschaftlichen Supermacht und einem militärischen Konkurrenten noch viel spektakulärer ist als seinerzeit der deutsche. Dagegen ist China im indoasiatischen Raum nur mit Pakistan und Kambodscha verbündet, während die USA mit Japan, Südkorea, Thailand, Australien und die Philippinen Allianzen haben und Vietnam, Singapur strategische Partner Washingtons sind. Indonesien, Malaysia, Myanmar, Mongolei, Laos, Nepal, Sri Lanka und Bangladesch sind neutral und versuchen, enge Wirtschaftsbeziehungen sowohl mit den USA als auch mit China aufzubauen.

Welch Rolle spielen die G7-Länder noch?

Die USA fügten seit 100 und Großbritannien seit über 300 Jahren in weiten Regionen der Welt mit ihren imperialen Attitüden den dort lebenden Menschen große Schäden zu. Das dürfte dort nicht vergessen sein. Kanada blickt auch weitgehend auf eine angelsächsische und somit europäische Herkunft zurück. Außer den Angelsachsen finden sich bei G7 neben Deutschland und Japan nur noch Italien und Frankreich. Doch Deutschland und Japan sind die Länder, die im 2. Weltkrieg gegen die angelsächsischen Länder gekämpft haben und besiegt wurden. Es sind die einzigen Länder in der UN, für die die Feindstaatenklausel eingeführt wurde.

Waren die G7-Staaten vor 30 Jahren noch tonangebend, so tragen sie heute noch gerade ein Viertel zu Wirtschaft und Handel bei. Während die Bedeutung des Westens ständig schrumpfte, stiegen andere Staaten zu mächtigen Akteuren auf. Entsprechend schwindet der westliche Einfluss (ausgenommen HighTech und die Währungen Dollar und Euro).(8)

Der chinesische Staatschef Xi Jinping hatte am 23. Juni zu einem digitalen Gegengipfel zum G7 der BRICS-Staaten, aus den fünf aufsteigenden Schwellenländern Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika geladen. Xi kritisierte dort erneut die westlichen Sanktionen gegen Russland. „Die Fakten haben wieder einmal bewiesen, dass Sanktionen ein zweischneidiges Schwert sind.“ Und er machte beim BRICS-Treffen klar: In diesem Kreis ist Putin kein Paria. Brasilien, Indien, China und Südafrika wollen sich auch weiterhin nicht an den Sanktionen gegen Russland beteiligen. Putin gab dem Westen die Schuld an der globalen Wirtschaftskrise(9) und sprach den BRICS-Staaten eine neue Führungsrolle zu.(10)

Schon Ende Mai 2022 scheiterte ein Antrag der USA bei der World Health Assembly, der der WHO diktatorische Vollmachten wie einer Weltgesundheitsregierung geben sollte, an dem geschlossenen Veto aus dem Afrika-Büro der WHO. Brasilien erklärte sogar, dass man eher aus der WHO austreten würde, als den Vertrag zu unterzeichnen.(11)

„Die neue G8“

Der Sprecher der Duma, Wjatscheslaw Wolodin brachte das entscheidende Akronym für die entstehende multipolare Welt ins Spiel: „die neue G8“.

Wolodin stellte fest, dass die USA mit ihren eigenen Händen die Bedingungen dafür geschaffen haben, „dass Länder, die einen gleichberechtigten Dialog und für beide Seiten vorteilhafte Beziehungen aufbauen wollen, zusammen mit Russland eine ′neue G8′ bilden werden“. (12)

Diese Russland nicht sanktionierende G8, fügte Wolodin hinzu, liege beim BIP in Kaufkraftparität (KKP) um 24,4 % vor der alten G8, die eigentlich die G7 sei, da die Volkswirtschaften der G7 am Rand des Zusammenbruchs stünden und die USA eine Rekordinflation verzeichneten.(13)

Vor diesem Hintergrund empfiehlt der Direktor des Mercator Instituts für Chinastudien (MERICS), Mikko Huotari der deutschen Bundesregierung, den neuen Realitäten kühl ins Auge zu blicken. Die sich abzeichnende Blockbildung sei nicht im Interesse Europas und verstärke zudem die Bipolarität der Welt – wirtschaftlich und sicherheitspolitisch. Huotari macht dafür die chinesische Seite verantwortlich: „In Peking wird die Welt zunehmend aus dieser Brille – und der ideologischen Ablehnung des Westens – gesehen.“(14)

Dagegen versucht China, die territorial-maritimen Streitfragen mit seinen Nachbarstaaten – hauptsächlich mit Taiwan und um Inselgruppen im Ostchinesischen Meer wie die Senkaku-Inseln (Japan), die Paracel- und Spratley-Inseln (Vietnam) und das Scarborough-Riff (Philippinen) – langfristig und friedlich zu lösen, und betreibt eine aktive Verteidigung auf See.

So heißt es im Weißbuch zur Militärstrategie Chinas 2015: „Die See- und Ozeangebiete spielen hinsichtlich eines stabilen Friedens, einer anhaltenden Stabilität und gesicherten Entwicklung Chinas eine besondere Rolle. Die traditionelle Auffassung, dass das Land wichtiger sei als die See, muss überwunden werden. Der Schutz der maritimen Rechte und Interessen ist für China von außerordentlicher Bedeutung. China muss in Übereinstimmung mit seinen Sicherheits- und Entwicklungserfordernissen eine moderne maritime Militärstruktur entwickeln, um seine Souveränität, maritimen Rechte und Interessen zu gewährleisten. China muss die strategischen Bedingungen sicherstellen, um sich selbst zu einer Seemacht zu entwickeln.“(15)

Allison hält einen Krieg zwischen den Vereinigten Staaten und China für möglich.

„Der Stress, der durch den disruptiven Aufstieg Chinas entstanden ist, hat Voraussetzungen geschaffen, in denen normalerweise harmlose Ereignisse einen Konflikt mit grosser Tragweite auslösen können. (...)Wenn die Entwicklung sich weiter so fortsetzt, ist ein katastrophaler Krieg zwischen den Vereinigten Staaten und China in den kommenden Jahrzehnten nicht nur möglich geworden, sondern wahrscheinlicher, als wir es wahrhaben wollen.“(16)

Wenn jetzt auch der Ukraine-Krieg die Schlagzeilen dominiert, so darf das sich steigernde Konfliktpotential in Asien nicht aus dem Auge gelassen werden.

Es fällt leider den meisten Menschen schwer, zu glauben, dass Kriege um der Herrschaft und des Profits willen bewusst provoziert werden. Anmerkungen 1) https://web.de/magazine/politik/russland-krieg-ukraine/g7-teilnehmende-reissen-witze-wladimir-putin-37053070 2) https://web.de/magazine/politik/g7-gipefel-elmau-globale-infrastruktur-initiative-konkurrenz-china-neue-seidenstrasse-37053400 3) www.pewresearch.org/fact-tank/2017/02/10/Merians-have-grown-more-negative-toward-china-over-past-decade/ 4) https://www.whitehouse.gov/wp-content/uploads/2017/12/NSS-Final-12-18-2017-0905.pdf 5) Siehe http://nssarchive.us/national-security-strategy-2017/ 6) https://www.watson.ch/wirtschaft/gesellschaft%20&%20politik/525357552-die-gefaehrlichste-mutprobe-der-welt-usa-gegen-china 7) Ebd. 8) https://www.spiegel.de/wirtschaft/soziales/g7-gipfel-in-deutschland-der-gipfel-der-den-westen-retten-muss-kolumne-a-9f41b909-e950-4ccf-8509-713206dc1add 9) „Wegen der undurchdachten egoistischen Handlungen einzelner Länder, die mittels finanzieller Mechanismen ihre eigenen Fehler in der Makroökonomie auf die ganze Welt abwälzen.“ 10) https://www.wallstreet-online.de/nachricht/15617111-putin-wirft-westen-brics-gipfel-egoismus 11) https://tkp.at/2022/06/01/veto-aus-afrika-dieese-laender-blockierten-die-who-plaene/ 12) https://tkp.at/2022/06/18/am-weg-zur-multipolaren-welt-die-neuen-g8/ 13) Ebd. 14) https://taz.de/China-und-Indien-versus-G7/!5860823/ 15) Zitiert aus Bernd Biedermann: Der neue Hauptgegner Aus der Pazifikstrategie der USA entstehen massive Interessenkonflikte mit China vom 14.08.2019 unter  https://www.nd-aktuell.de/artikel/1124344.usa-und-china-der-neue-hauptgegner.html 16) Philipp Löpfe: Die gefährlichste Mutprobe der Welt: USA gegen China Handelskrieg und Nordkorea: Die beiden Supermächte befinden sich auf Kollisionskurs. Sitzen sie in der Thukydides-Falle? https://www.watson.ch/wirtschaft/gesellschaft%20&%20politik/525357552-die-gefaehrlichste-mutprobe-der-welt-usa-gegen-china Wolfgang Effenberger, Jahrgang 1946, ehemaliger Offizier der Bundeswehr, setzt sich als Autor seit seinem ersten Buch „Pax americana“ (2004) engagiert für den Frieden ein. Im April 2022 erschien von ihm "Die unterschätzte Macht: Von Geo- bis Biopolitik - Plutokraten transformieren die Welt". Weitere Bücher von ihm zum Thema: "Wiederkehr der Hasardeure" (2014, Koautor Willy Wimmer), die Trilogie „Europas Verhängnis 14/18“ (2018/19) sowie "Schwarzbuch EU & NATO" (2020).

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Wir danken dem Autor für das Recht zur Veröffentlichung des Beitrags.

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Bildquelle: Fly Of Swallow Studio/ shutterstock


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