Ob die Regierungsbeteiligung der Grünen nun wirklich der große Wurf der Demokratie ist, darf freundlich bezweifelt werden. Was man so aus dem Dunstkreis der Grünen vernimmt, klingt befremdlich bis größenwahnsinnig. Die Selbstgerechten, die jetzt das Land regieren, sind keine Demokraten.
Ein Kommentar von Roberto de Lapuente.
Hach, die Grünen sind ja auch nicht mehr das, was sie mal waren: Solche Sprüche hört man oft. Und eigentlich ist diese Einschätzung immer falsch. Was waren die Grünen denn? Waren sie je eine Alternative? Bärtige Männer und Frauen im Strickpullover, die gegen Krieg und Atomkraft waren? Diese progressive Ära dauerte keine zehn Jahre, war quasi die parteiliche Gründerzeit. In der fand sich die Partei, es gab allerlei Strömungen, sogar einige, die wir eher ins konservative Milieu einordnen würden. Die Leute um Gruhl zum Beispiel. Baden Württembergs Kretschmann war ja auch nie Radikalökologe. Bei ihm galt: Kommunismus oder Katholizismus – Hauptsache autoritär. Nein, die Grünen waren nur durch Zufall, nur durch die Orientierungslosigkeit in ihren ersten Parteijahren eine eher linke und liberale Partei. Dass die Bürgerskinder das so durchziehen würden, das war schwer vorstellbar.
Von der Legende der linken Partei zehren die Grünen noch heute. Und Nostalgiker blicken schmachtend zurück, an jene Jahre, in denen man von Schmuddelkindern sprach, als man die Grünen meinte. Aber so ist das eben, wenn Parteien sich neu aufstellen, sie suchen sich selbst. Man betrachte nur was aus der Anti-Euro-Partei geworden ist – oder aus der Anti-Hartz-IV-Partei: Letztere erkennt man eigentlich kaum noch – egal, um die Linken geht es mir heute gar nicht. Dass da heute bei den Grünen sonderbare Kreaturen ihr Unwesen treiben: Darüber kann man sich nur wundern, wenn man die Parteilegende verinnerlicht hat. Natürlich sind Spießer am Werk. Die gab es dort von Anfang an. Es dauerte nur, bis sie sich durchsetzen konnten. Von da an war die Partei so eine Art Feelgood-FDP oder Kuschel-CDU.
Demokratie: Wir haben gar nicht das Personal dazu
Aber nicht mal das trifft mehr zu. Die Grünen machen heute einem nicht mehr viel vor, sie lassen immer wieder recht gut erkennen, aus welchem gutsituierten Milieu sie kommen und was für eine verkorkste Beziehung sie zur Demokratie und zum ordinären Bürger haben, der nicht immer so spurt, wie es das grüne Sendungsbewusstsein gerne hätte. Nehmen wir nur diese Grüne namens Sandra Detzer, ihres Zeichens neues Mitglied im Deutschen Bundestag. Für die Welt schrieb sie einen kleinen Aufsatz. Schon die Überschrift macht kenntlich, wie Demokratie für Menschen aus dieser Partei zu funktionieren scheint:
Wo wir Grünen an die Schalthebel der Macht kommen, werden wir nicht mehr verhandeln."
Man tausche mal "wir Grünen" gegen den Namen dieser einen Partei aus, die vor 1933 erfolgreich plante, auf legalen Wege an die Macht zu kommen – und das lasse man mal auf sich wirken. Nein, das ist kein Vergleich – diesmal nicht. Worauf ich hinaus will: So ein Satz hätte auch in Zeiten niedergeschrieben werden können, in der die Demokratie an ihr Ende geriet. Offiziell und im Geschichtsunterricht genau so gelehrt – wenn aber einer wie ich das für die heutige Zeit behauptet, heißt es, er würde übertreiben und eigentlich sei alles ja nicht so dramatisch. Denn wäre das keine Demokratie mehr, dürfte ich das hier nicht mal thematisieren. Richtig wäre aber anzuerkennen, dass diktatorische Strukturen heute anders errichtet werden als damals.
Wie soll das mit der Demokratie überhaupt noch mal was werden? Mehr und mehr hat man den Eindruck, dass wir gar nicht das Personal dazu haben. Weder in der Politik noch im normalen Alltagsleben. Jetzt wo es darauf ankäme, demokratische Standards einzuhalten, gerade jetzt in so einer Situation, wo sich Exekutivkräfte im Sinne der Notlage berufen fühlen, die Kontrolle über ihr Vorgehen abzuschütteln, braucht es demokratisches Bewusstsein. Und was haben wir mit in die Bundesregierung gewählt? Eine Partei, die sich seit Jahren dadurch auffällig macht, demokratische Strukturen als Barrieren zu sehen, die dem richtigen Fortlauf der Geschichte nur im Weg stehen.
Während Jan Böhmermann sich darüber beklagt, dass die Grünen sich in dieser Ampelkoalition verbogen haben und nicht alles durchgesetzt haben, was sie ankündigten, steckt eigentlich noch immer zu viel Demokratieskeptisches in dem, was die Grünen in dieser Koalition ausmachen wird. An Böhmermann erkennt man übrigens recht gut, wie die grüne Klientel tickt: Obgleich Kompromisse ein ganz normales demokratisches Prinzip darstellen, beklagt er sich über genau diese Kompromissbereitschaft. Er hält es da mit Detzer: Sie sollten lieber nicht mehr verhandeln.
Die Selbstgerechten: Despoten
Es sind genau jene selbstgerechten Kreise, die jetzt in der Regierungsverantwortung stehen, selbstgerechte Protagonisten, die sich als progressiv, liberal und ja auch links labeln lassen, während sie aber von diese Attributen nur sehr wenig durchschimmern lassen. Noch nicht mal Regierung, stellen sie schon eine Novellierung des Seuchenschutzgesetzes vor, in der Arbeitslosigkeit bei Zuwiderhandlung etabliert wurde. Die Grünen und die Sozialdemokraten schicken Menschen in Arbeitslosigkeit und finden nichts dabei. Geht so Aufbruch? Stattdessen legen sie Gewichtung darauf, dass künftig jeder Mensch in Deutschland sein Geschlecht aussuchen darf. Prioritäten müsste man haben.
Diese Selbstgerechten sind in ihrer ganzen Anlage keine Demokraten. Manchmal blitzt das auch durch, wenn sie ihren Unmut über die Prozesse kundtun, finden, dass falsche Sichtweisen zu große Betonung finden oder Parteien im Parlament sitzen, die sie für fehl am Platz halten. Dass Menschen andere Perspektiven haben, daher Entwicklungen anders wahrnehmen und insofern auch anderen politischen Protagonisten ihre Stimme geben: Für die Selbstgerechten ist das unbegreiflich. Daher reiten sie auf ihrer Deutungshoheit herum, sie wollen nicht nur ihre Sichtweisen näherbringen, sondern sie Andersdenkenden anerziehen. Und darüber ist nicht zu debattieren: Es muss einfach nur gemacht werden. Weil es richtig ist. Und wer daran zweifelt, der liegt falsch und muss weg, soll nichts mehr sagen dürfen, dem muss man die Foren entziehen, die Kanäle sperren – Miesepeter dulden sie nicht.
In der Haltung der Selbstgerechten steckt etwas Despotisches. Sie lassen nichts gelten, was andere umtreibt. Kämpfen nicht demokratisch um Sichtweisen und versuchen etwa zu überzeugen. Sie überrumpeln, sie wähnen sich im Gefühl, für all das zu stehen, was man als richtig und jetzt als moralisch geboten betrachten sollte. Zweifel haben wie gesagt keinen Platz. Wer zweifelt, der frevelt. Mit dem tritt man nicht in den Dialog, man nennt ihn einen Rechten und versucht ihn mundtot zu machen.
Die Sozis sind in ihrer Aufmachung ja den Grünen ganz ähnlich. Aber keine Partei hat diese Kultur der Selbstgerechtigkeit so dermaßen kultiviert, wie jene. Sie sind immer Opfer, immer Getriebene, nie schuld, immer werden sie falsch verstanden. Das ist der einzige Dialog, den sie führen mit der Gesellschaft. Ein weinerliches Zwiegespräch, in dem das vermeintliche Opfer glaubt, sich alles leisten zu dürfen, weil es jetzt eben auch mal dran ist. Es sind jämmerliche Nero-Gestalten, die ihre Tränen sammeln, um ihre despotischen Züge zu verdecken.
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Danke an den Autor für das Recht zur Veröffentlichung des Beitrags. +++ Dieser Beitrag erschien zuerst am 6. Dezember 2021 bei neulandrebellen.de +++ Bildquelle: The KonG / shutterstock
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