Gedankenknoten sind kleine Texte, die philosophische Probleme erörtern, Fragestellungen aufwerfen und den Leser ins Grübeln bringen. Vom Altertum bis zur Moderne werden Begriffe besprochen, die zum Hinterfragen anregen und das philosophische Problematisieren schulen.
Das Thema heute: Philosophieren
Was macht das Philosophieren zum Philosophieren?
Es gibt sicherlich keine Wesensbestimmung oder Natur des Philosophierens. Häufig genug wurde Nachdenken gerade dann zum Philosophieren, wenn es etablierte Vorstellungen davon, was Philosophieren ausmache, infrage stellte. Dennoch brauchen wir zumindest eine grobe Richtung, was wir uns unter Philosophieren vorstellen könnten.
Vielleicht gibt eine Szene aus Platons Dialog „Phaidon“, der die Gespräche an Sokrates’ Todestag wiedergibt, einen Impuls für eine solche grobe Ahnung.
Der Tag der Hinrichtung des Sokrates ist gekommen. Soeben wurde er im Gefängnis von seinen Fesseln befreit, und es wurde ihm mitgeteilt, dass er heute sterben müsse. Nachdem seine Frau und sein Söhnchen die Zelle verlassen haben, setzt sich Sokrates auf sein Bett – und nun gibt Platon eine Szene wieder, deren Schilderung im Zusammenhang mit dem Sterben des verehrten Lehrers recht befremdlich anmutet: Sokrates „krümmte das Bein, rieb sich mit der Hand den Schenkel und sagte dabei: Wie seltsam, ihr Männer, scheint es doch darum zu stehen, was die Menschen Lust nennen! …“
Die Reaktion darauf, tagelang gefesselt zu sein, ist verständlich und etwas ganz Übliches. Jeder würde sich wohl die Beine kratzen.
Warum das hier unter so dramatischen Umständen überhaupt erwähnen? Für Platon ist diese Selbstverständlichkeit ein Mittel, um einen wesentlichen Charakterzug des Sokrates aufleuchten zu lassen: Statt herumzujammern oder sich sonst wie über die Behandlung im Gefängnis zu äußern, statt sich also um die eigene Person zu drehen, erstaunt ihn das Alltägliche, und er nimmt es als Anlass, zu hinterfragen: Das Reiben bereitet Lust. Und diese Lust käme nicht auf, wenn nicht die Unlust des Gefesseltseins vorangegangen wäre: Keine Lust ohne Unlust, keine Unlust ohne Lust. Und seine Gedanken gehen tiefer: „Gott wollte die Feinde miteinander aussöhnen, und als er das nicht fertigbrachte, band er sie an den Enden zusammen.“
Philosophieren könnte also sein: Erstaunen angesichts des Selbstverständlichen, es hinterfragen auf Zusammenhänge mit anderen Alltäglichkeiten, schließlich der Versuch, ein allgemeines Erklärungsschema für diese Erfahrungen zu gewinnen. All das aber spielerisch, nicht dogmatisch, und bereit, jederzeit die gefundenen Erklärungen wieder über Bord zu werfen.
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Wir danken dem Autor für das Recht zur Veröffentlichung des Beitrags.
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Bildquelle: Anastasios71 / shutterstock
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