Der Buchautor und Publizist Hermann Ploppa erläutert in HIStory kurz und sachlich historische Daten und Jahrestage von herausragenden geschichtlichen Ereignissen. Dabei werden in diesem Format Begebenheiten der Gegenwart, die mit einem Blick in die Vergangenheit in ihrer Bedeutung besser einzuordnen sind, künftig alle 14 Tage montags in einen geschichtlichen Kontext gebracht.
HIStory: Die Zerschlagung der Bundesrepublik Jugoslawien
In der heutigen Folge von HIStory schauen wir uns einmal an, wie souveräne Staaten von der westlichen Wertegemeinschaft in erstaunlich kurzer Zeit durch militärische Gewalt zerlegt werden und zu schwachen instabilen Kleinstaaten mutieren. In diesen Kleinstaaten können die Globalkonzerne sodann schalten und walten wie es ihnen beliebt. Sie diktieren ohne Begrenzung durch starke, proaktive Staatsregierungen alle Bedingungen im eroberten Territorium: kaum Steuern für die Reichen; keinen Schutz vor Dumpingpreisen ausländischer Konkurrenten; keine Rechte für die Arbeiter und Angestellten; obszön niedrige Arbeitslöhne. Errungenschaften sozialer Bewegungen werden in Windeseile hinweg gepustet.
In diesem von außen destabilisierten Gebiet gibt es keine staatliche Ordnungsmacht, sodass sich verbrecherische Warlords etablieren. Rauschgifthandel, Prostitution, Kinder- und Organhandel blühen unter den Bedingungen der von der westlichen Wertegemeinschaft blutig durchgesetzten Anarchie des real existierenden Turbokapitalismus. Afghanistan, Syrien, Irak, Libyen, Jemen – alles dies sind Staaten, die einmal auf einem guten Entwicklungsweg waren und heute in die Steinzeit zurückgebombt und chaotisiert werden. Doch bisweilen trifft es auch Staaten mitten in Europa.
Und die Regierung der Bundesrepublik Deutschland war auch wieder voll mit verwickelt in dieses Verbrechen gegen das Völkerrecht. Als die deutsche Bevölkerung im Jahre 1998 nach siebzehn Jahren die Kohl-Regierung bei der Bundestagswahl aus dem Amt jagte, lautete der Wählerauftrag eindeutig an die neue Regierung unter Gerhard Schröder und Joseph Fischer, mehr soziale Gerechtigkeit und mehr Frieden zu schaffen. Doch die neue Bundesregierung beteiligte sich schon nach wenigen Monaten im Amt an einem völkerrechtswidrigen Angriffskrieg gegen die Bundesrepublik Jugoslawien.
Damit waren zum ersten Mal seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs wieder deutsche Soldaten in einen Auslandseinsatz unter blutigen Gefechtsbedingungen verwickelt. Um es einmal ganz unverblümt zu sagen und ohne dabei in irgendeiner Weise zu übertreiben: Schröder und Fischer machten da weiter, wo Hitler dereinst aufhören musste: bei der Bombardierung von Belgrad.
Die Bundesrepublik Jugoslawien war dereinst ein weltweit strahlender Leuchtturm des humanen Sozialismus. Ein Sozialismus, der ohne Armutsökonomie zurechtkam. Josip Broz Tito stand zusammen mit dem indischen Regierungschef Nehru der Bewegung Blockfreier Staaten vor. Tito war eine weltpolitische Größe und lud zu bedeutenden Treffen in seinem Land ein. Im Zweiten Weltkrieg hatten die roten Partisanen die Nazis besiegt, und in der Nachkriegszeit verstand es Jugoslawien, die Weltmächte gehörig auf Distanz zu halten, und doch Vorteile für sich zu erzielen. Die Wirtschaft des Balkanstaates wurde in hohem Maße durch Genossenschaften betrieben, verbunden mit einer weitreichenden Mitbestimmung aller Beschäftigten. Bisweilen mussten jedoch die Spannungen zwischen den 26 verschiedenen Bevölkerungsgruppen mit harter Hand ausgebremst und geschlichtet werden.
Hier immer Frieden zu stiften war nicht ganz einfach. Die wechselvolle Geschichte des Landes brachte die Bevölkerung in unterschiedlichste Lager. Seit der Schlacht vom Amselfeld im Kosovo anno 1389 war der Balkan zu großen Teilen dem Osmanischen Reich unterstellt. Ein beträchtlicher Teil der Bevölkerung trat zum Islam über. Davon sind Albaner und Gruppen in Bosnien-Herzegowina betroffen. Die Serben wiederum gehören der Russisch-Orthodoxen Glaubensrichtung an und bedienen sich der Kyrillischen Schrift, wie die Russen auch. Die Kroaten wiederum, die dieselbe Sprache sprechen wie die Serben, schlossen sich der Römisch-Katholischen Kirche an und benutzen die lateinische Schrift. Die Slowenen bekennen sich ebenfalls zum katholischen Glauben.
Hauptsächlich über Glaubensfragen und Sitten entzündete sich der Streit der jugoslawischen Völker. Der Name „Jugoslawien“ bedeutet: „Südliches Land der Slawen“, ist also schon von der Bezeichnung her ein Minimalkompromiss der beteiligten Völker.
Dieser Kompromiss wurde im Zweiten Weltkrieg aufgekündigt, als sich ein kroatischer Teilstaat abtrennte als subalterner Vasallenstaat des Nazireichs. Die Serben widersetzten sich. Die kroatische Terrororganisation Ustascha ging mit einer solchen sadistischen Grausamkeit gegen die Serben vor, dass es selbst hartgesottenen SS-Schergen gruselte. Als einmal ein SS-Mann einen Ustascha-Kämpfer zu Hause besuchte, sah er im Zimmer einen Eimer mit weißen Kugeln. Der Ustascha-Mann erzählte dem SS-Mann in aufgeräumter Stimmung, bei den Kugeln handle es sich um die Augen der Serben, die er getötet habe. Unterstützt wurden die Ustascha-Kräfte durch albanische Muslime: eine heute nur noch schwer vorstellbare Koalition von römischen Katholiken und Mohammedanern, die sich einig waren in einem militanten Antisemitismus. Es wurden sogar muslimische SS-Einheiten gebildet. Jedoch die antifaschistische Partisanenbewegung unter Josip Broz Tito gewann die Oberhand, und die kommunistischen Partisanen bildeten die Regierung des neuen Jugoslawiens.
Und die Bundesrepublik Jugoslawien erlebte nach dem Krieg ein Wirtschaftswunder, dokumentiert durch ein jährliches Wirtschaftswachstum von sieben Prozent. Leichtsinnigerweise finanzierten die Jugoslawen das Wachstum seit 1966 zunehmend mit Krediten bei westlichen Privatbanken. Als nun in den 1970er Jahren die Weltwirtschaft durch die beiden Ölschocks und durch strukturelle Krisen ins Stottern geriet, stagnierte auch die Wirtschaft Jugoslawiens. Als nun noch die amerikanische Hochzinspolitik die Kredite enorm verteuerte, geriet Jugoslawien in Zahlungsverzug. Die Privatbanken wollten ihr Geld von heute auf gestern wiederhaben, und sie dachten gar nicht daran, ihrem südslawischen Schuldner überhaupt noch weitere Kredite zu gewähren. Das war der Zeitpunkt, an dem die jugoslawische Regierung an die Tür des Internationalen Währungsfonds anklopfen musste (1).
Der IWF vergibt auch dann noch Kredite, wenn private Banken schon lange streiken. Allerdings wollen sie dafür auch ein mächtiges Wörtchen in der Politik der Schuldnerländer mitreden. Denn sie möchten ihr Geld ja auch mal wiedersehen. Und das Universalrezept des IWF lautet auch in diesem Falle: Jugoslawien muss seine Exporte auf Teufel komm raus steigern, damit Geld reinkommt. Die Inflation muss gedeckelt werden. Und natürlich, immer wieder unabdingbar, die Ausgaben des Staates müssen zurückgefahren werden. Die Jugoslawen halten sich an die Vorgaben.
Und zahlen brav 30 Milliarden Dollar Schulden zurück. Im Gegenzug ist nun allerdings die heimische Wirtschaft ruiniert: Firmen gehen reihenweise Pleite, Löhne müssen drastisch gekürzt werden, und die Arbeitslosigkeit breitet sich aus. Wobei der Niedergang regional unterschiedlich ausfällt. Wie in Italien auch, ergibt sich in Jugoslawien ein ausgeprägtes Nord-Süd-Wohlstandsgefälle. Den Slowenen und den Kroaten ging es noch verhältnismäßig gut. In Serbien, Bosnien-Herzegowina, Mazedonien und Montenegro dagegen schlug Armut teilweise schon in Elend um. Die alten Wunden wurden wieder spürbar.
Daran war der neue serbische Anführer Slobodan Milosevic nicht ganz unschuldig, denn er betonte ein bisschen zu sehr den Vorrang der Serben im fragilen Bündnis. Als nun die Bundesregierung Jugoslawien sich außerstande sah, noch weiterhin Finanzmittel an die Teilrepubliken herunterzureichen, war das Tischtuch endgültig zerschnitten. Slowenien und Kroatien, die als reiche Mitglieder meistens Geld in den Länderfinanzausgleich zahlten, kündigten diese Zahlungen und erklärten obendrein ihren Austritt aus der Bundesrepublik. Als im Sommer 1991 Slowenien die jugoslawischen Grenzpolizisten nach Hause schickt, um die Grenzen ab jetzt selber zu überwachen und gegen die eigenen ehemaligen Landsleute neu zu ziehen, gehen Bundestruppen gegen Slowenien vor. Der Krieg dauert nur zehn Tage und ist dann zugunsten Sloweniens entschieden. Die Sezession Kroatiens ist dagegen nicht so kurz und schmerzlos, sondern zieht sich von 1991 bis 1995 in die Länge. Denn in Kroatien lebte eine große Minderheit von Serben, um deren Sicherheit sich die jugoslawische Bundesregierung nicht ganz grundlos Sorgen machte und entsprechend Widerstand leistete.
Und während sich in dieser Phase Großbritannien und die USA noch mit eigenen Stellungnahmen zurückhalten, preschen die Katholische Kirche und der deutsche Außenminister Hans-Dietrích Genscher mit der raschen Anerkennung der Eigenständigkeit Sloweniens und Kroatiens vor. Der damalige UN-Generalsekretär Perez de Cuellar rügt Genscher für seine polarisierende Einmischung in die inneren Angelegenheiten Jugoslawiens:
„Solch eine Entwicklung könnte schwer wiegende Folgen für die ganze Balkanregion haben und würde meine Bemühungen, … die notwendigen Bedingungen für eine Anwendung von friedenserhaltenden Maßnahmen in Jugoslawien zu sichern, ernstlich gefährden.“ (2)
Und tatsächlich brach als nächstes Land Bosnien-Herzegowina aus dem Bund heraus. Und was in Slowenien mit einem kleinen Schlagabtausch abging, wurde in Kroatien bereits zu einem gewaltsamen Dauerkonflikt, um im Süden des Landes in primitive Metzeleien auszuarten. Obendrein wurden jetzt massenhaft islamistische Kämpfer von anderen Schauplätzen wie zum Beispiel Afghanistan in den Balkan eingeflogen. Immer mehr hatte sich mittlerweile ein Wanderzirkus von berufsmäßigen Terroristen entwickelt, dessen Mitglieder von privaten Söldnerfirmen und einschlägigen Geheimdiensten ausgebildet und angeleitet werden. Dies ist die Ersatzreserve von Großmächten und Globalkonzernen, Die Nachfolger der faschistischen Banden.
Und so verwundert es schon gar nicht mehr, wenn ein gewisser Osama bin Laden 1993 im Vorzimmer des bosnischen Präsidenten Izetbegovic angetroffen wird. Bin Laden ist Anführer von etwa 12.000 islamistischen Kämpfern, die mit bosnischen Pässen ausgestattet werden. Die frommen Metzger sind auch ein Teil jenes internationalen terroristischen Wanderzirkus von Söldnern, die von Kriegsschauplatz zu Kriegsschauplatz ziehen und für ein angenehmes Gehalt gegnerische Soldaten und wehrlose Zivilisten gleichermaßen sadistisch ermorden. Jetzt sind sie gerade in den Balkan geflogen worden, um hier die geeignete Atmosphäre für ein blutiges Chaos zu schaffen, aus dem sich dann irgendwann mehr schlecht als recht ein neues Glied der Pax Americana aus den Trümmern erheben wird.
1995 zitiert die Regierung der USA die Präsidenten von Kroatien, Serbien und Bosnien-Herzegowina nach Dayton im US-Bundesstaat Ohio, damit sie dort einen Frieden aushandeln sollen. Das viel gerühmte Dayton-Abkommen ist tatsächlich ein Diktatfrieden. Milosevic muss für Serbien die Unabhängigkeit von Bosnien-Herzegowina garantieren. Die USA hatten mit einem kurzen Militäreinsatz dem Vorgang Nachdruck verliehen. In Insgesamt 3.000 Einsätzen werden Stellungen der bosnischen Serben von US-Bombern attackiert. Hier sind auch zum ersten Mal seit dem Zweiten Weltkrieg deutsche Bomber beteiligt. China und Russland protestieren im Weltsicherheitsrat. Doch der Protest läuft ins Leere.
Doch es geht weiter. Denn nun formiert sich im Gebiet Serbiens 1996 eine Unabhängigkeitsbewegung des Kosovo. Im Kosovo leben sehr viele Muslime, die Kosovo-Albaner. Nicht zuletzt dank ausländischer Hilfe bildet sich nun die kosovarische Terrororganisation UCK. Mordkommandos der UCK, deren Verbindung zur Organisierten Kriminalität nie ein Geheimnis gewesen ist, attackieren Organe der serbischen Staatsgewalt und schaffen ein Klima der Einschüchterung. Die Gründung der UCK ist das Vorspiel zu einem möglichen Regime Change in Serbien. Denn ab 1998 wurden „einige Hundert Mitglieder der UCK durch Eliteeinheiten der Special Operations Forces und Angehörigen einer privaten Söldnerfirma der USA in der Kampfführung und der Taktik ausgebildet und mit modernen Waffen ausgerüstet.“ (3)
Halten wir einmal fest: die Bundesrepublik Jugoslawien war ein souveräner Staat, der sich im internationalen Umgang nichts hat zu Schulden kommen lassen. Er hat seine Verpflichtungen in der internationalen Gemeinschaft gewissenhaft erfüllt. Doch als Slowenien und Kroatien sich für unabhängig erklärten, hat die westliche Gemeinschaft unverhältnismäßig schnell diese Sezession anerkannt und sogar ermutigt, bevor innerhalb Jugoslawiens ein Klärungsprozess überhaupt in Gang kommen konnte. Der Abfall Bosnien-Herzegowinas wurde dann schon von außen her geradezu erzwungen.
Dass der UNO-Generalsekretär sowie die Regierungen Russlands und Chinas an die Regeln im Umgang mit souveränen Staaten erinnern müssen, kümmert die westliche Wertegemeinschaft wenig. Vielmehr wird der Zerfall dieser Nation von außen her planmäßig und zunehmend mit kriminellen Methoden vorangetrieben. Und wer sollte denn schon das kriminelle Treiben der westlichen Wertegemeinschaft aufhalten? Die Sowjetunion war zusammengebrochen und das Jelzin-Russland taumelte gerade ins Chaos. China wiederum war einfach noch zu schwach, um die gelbe Karte zu zücken. Das Monopol der einzigen Weltmacht führte zum Rückfall in Willkür und Barbarei im internationalen Umgang. Offenkundig werden die inneren Schwierigkeiten Jugoslawiens als Chance gesehen, eine eigene westliche Basis am Balkan zu errichten und damit den Griff nach Eurasien zu beschleunigen.
Die ausersehenen Opfer westlicher Aggression sind unverkennbar die Serben. Ihre Opferrolle ergibt sich offenkundig aus der Tatsache, dass sie sich traditionell Russland verbunden fühlen und obendrein ein vitales Interesse an einem starken unabhängigen Staatenbund im Balkan bewahrt haben. Immer wieder erstaunt die extreme Einseitigkeit, mit der westliche Diplomatie und westliche Medien die Serben pauschal als die Bösewichter hingestellt haben. Das erinnert fatal an die Art und Weise, wie die US-Regierung im Ersten Weltkrieg pauschal die Deutschen zu Ungeheuern stilisiert haben, um die geeignete Motivation für den Waffengang Amerikas herzustellen.
Auch jetzt wieder sind es private Werbeagenturen, die der Weltöffentlichkeit geschickt die Serben als bösartige Dämonen hinstellen und die muslimischen und kroatischen Terroristen als „Freiheitskämpfer“ verherrlichen. Und offenkundig benötigen die Propagandisten der USA und ihrer Bundesgenossen noch einen richtig schlimmen Casus Belli, einen Anlass, jetzt mit Serbien reinen Tisch zu machen und zum Streckschuss anzusetzen.
Es gab schon im Sommer 1995 das Massaker von Srebrenica, in dem serbische Verbände eine muslimische Siedlung in Bosnien angegriffen hatten. Den Kriegsgrund liefert jetzt das Massaker von Racak im Januar 1999. Hier wurden die Leichname von 45 bereits zur Unkenntlichkeit entstellten Menschen entdeckt. Ohne eine genaue gerichtsmedizinische Untersuchung auch nur anzustreben – die Toten wurden rasch beerdigt – steht für die Propagandisten und Politiker fest: die Serben haben unschuldige Zivilisten ermordet! Später sollten forensische Untersuchungen an den exhumierten Leichnamen offenbaren, dass es sich bei den „Zivilisten“ um bewaffnete UCK-Kämpfer gehandelt hatte, die in einem Gefecht gefallen sind. Doch differenzierte Untersuchungen stören jetzt nur. Stattdessen erfindet man ein serbisches Konzentrationslager bei Pristina im Kosovo. Der Weltöffentlichkeit wird nun eingehämmert, es gelte, jetzt den wütenden serbischen Massenmördern mit einer „humanitären Intervention“ Einhalt zu gebieten.
In Deutschland hatte gerade die siebzehn Jahre währende Dauerregierung unter Helmut Kohl ihr Ende gefunden. Die neue Regierung unter dem sozialdemokratischen Bundeskanzler Gerhard Schröder und dem grünen Außenminister Joschka Fischer bringt eine traditionell pazifistische Wählerklientel ein. Folglich verkauft Fischer den völkerrechtswidrigen Überfall auf Serbien (wohlgemerkt: es lag kein UN-Beschluss vor) seinen Anhängern besonders perfide: „Ich habe nicht nur gelernt: Nie wieder Krieg! Ich habe auch gelernt: Nie wieder Auschwitz!“ (4)
Die rotgrüne Anhängerschaft der neuen Regierung ist irritiert und gespalten. Unter einer Regierung Kohl wäre der erstmalige Einsatz deutscher Streitkräfte im Ausland, und dann noch als illegaler Angriffskrieg, vermutlich gegen eine geschlossene Phalanx aus SPD, Grünen und PDS geprallt, und der Protest wäre vermutlich so eindrucksvoll ausgefallen wie 1991 beim ersten Überfall der westlichen Wertegemeinschaft auf den Irak.
Jetzt aber gibt es kaum noch nennenswerten Widerstand, als ab dem 24. März 1999 für zweieinhalb Monate ein Dauerbombardement Serbiens einsetzt, in dem über 3.500 Menschen den Tod finden. Ziele sind auch vollbesetzte Personenzüge und Krankenhäuser. Es ist im Nachhinein unverkennbar, dass es nicht darum ging, „die Serben“ vom Mord an unschuldigen Zivilisten abzuhalten, sondern dass ganz gezielt wichtige Versorgungseinrichtungen und Industrieanlagen systematisch zerstört wurden.
Und die angeblich so zivilisierte westliche Wertegemeinschaft scheut sich nicht, in den über 40.000 Einsätzen (5) gegen wehrlose Zivilisten und gegen militärische Ziele in Serbien Splitterbomben und 32.000 „Geschosse“ (6) mit abgereichertem Uran (depleted uranium) einzusetzen, an denen über die Jahre schätzungsweise 10.000 Menschen sterben sollen. Diese Urangeschosse lagern zum Teil heute noch im Boden. Im Verlauf der Bombardierungen flohen 850.000 Menschen in Panik aus dem Kosovo nach Mazedonien und Albanien. Dabei sollen auch serbische Milizen ihren unrühmlichen Anteil durch systematische Vertreibungen gehabt haben, keine Frage. Doch auch 100.000 Serben flohen aus dem Kosovo (7). Insgesamt ungefähr 800.000 Serben flüchteten zudem aus anderen Teilen des ehemaligen Jugoslawiens nach Serbien (8).
Und nebenbei ergibt sich noch ein kleines Schlaglicht auf die damaligen globalen Machtkonstellationen: am 7. Mai 1999 bombardierte die NATO die chinesische Botschaft in Belgrad, wobei unter anderem auch chinesische Botschaftsangehörige den Tod fanden. In offizieller Lesart ein „Versehen“. War es vielleicht eine Strafe dafür, dass die Volksrepublik China im Weltsicherheitsrat Beschwerde gegen den völkerrechtswidrigen Überfall auf Serbien eingereicht hatte? Die USA können zu dieser Zeit in einem Klima vollendeter Straflosigkeit schalten und walten wie es ihnen beliebt. Selbst die Empfindlichkeiten großer Staaten wie China und Russland zählen nicht mehr.
Nun muss Serbien auch noch ein Stück des eigenen Territoriums an die NATO abtreten, nämlich das Kosovo-Gebiet, wo sich mittlerweile kriminelle Banden und Faschisten eingenistet hatten. Rechtlich blieb Kosovo bei Serbien, jedoch wurde es sozusagen für nicht absehbare Zeit an die Westmächte kostenlos überlassen. Das Kosovo war jetzt zu annähernd hundert Prozent mit Albanern bewohnt. Die letzten verbliebenen Serben sowie Sinti und Roma wurden unter den Augen der eingerückten mittlerweile 50.000 NATO-Soldaten der KFOR-Mission bestialisch gelyncht. Im neu eroberten Kosovo installierten die US-Streitkräfte dauerhaft ihre Militärbasis Camp Bondsteel. Nun hatten die USA neben ihrer Militärbasis Ramstein in Deutschland eine zweite starke Basis in einem exterritorialen Raum. Sozusagen ein Stück USA in Südosteuropa, ein „Brückenkopf“ (in den Worten Brzezinskis) für die Inbesitznahme Eurasiens.
Das Organisierte Verbrechen war seit der Einführung des Clearing-Systems, einer Art von großem Finanzquirl, der alle Geldbewegungen durcheinandermischt, zu einem gleichberechtigten Spieler am runden Tisch der Weltbeherrschung aufgestiegen. Auch diese ehrenwerte Branche bekommt das Kosovo als Basis für ihre rege und munter expandierenden Geschäftstätigkeiten zugeteilt. Im Schutz des Militärs und der Exterritorialität entwickelt sich das Kosovo zur Drehscheibe des Drogen-, Organ- und Menschenhandels für das restliche Europa: „Anscheinend war das schnelle Anwachsen der UCK auf eine ‚30.000 Mann starke Streitkraft mit Granatwerfern, Panzerabwehrwaffen und AK47-Kalaschnikows‘ im Jahre 1999 eng mit der wachsenden Beteiligung von Kosovaren am Heroinhandel in der Schweiz, in Deutschland und Skandinavien verknüpft.“ (9)
40 Prozent des heute in Europa konsumierten Heroins ist aus Afghanistan über den Kosovo an die Endverbraucher gelangt. Außerdem gilt das Kosovo als Umschlagplatz von Kokain aus Lateinamerika, von hier aus unbehelligt von irgendeiner staatlichen Kontrolle portioniert und verschickt an die Endkunden in Europa. Es ist überhaupt kein Geheimnis, dass vom kleinen Drogenkurier bis zum Präsidenten dieser seltsamen Enklave im Herzen Europas alle von kriminellen Geschäften unterschiedlichster Art profitieren. Und wollen tatsächlich einmal europäische Fahndungsbeamte dieser Connection auf den Grund gehen, sind garantiert Herrschaften aus den USA zur Stelle, die die Fahnder ausbremsen (10).
Das ist schon erstaunlich. Denn das Kosovo untersteht seit 1999 der Verwaltungshoheit der Vereinten Nationen (11). Zudem wird seit 2008 die politische Entwicklung in der Enklave durch einen bürokratischen Wasserkopf namens EULEX überwacht. Und die kosovarischen Finanztransaktionen unterstehen seit 1999 der strengen Kontrolle durch den Internationalen Währungsfond und – der deutschen Commerzbank! Seit nunmehr zwanzig Jahren sind sämtliche ehrenwerten Weltorganisationen im Kosovo mit starkem Personal präsent. Und trotzdem, oder vielleicht gerade deswegen, floriert hier das Organisierte Verbrechen so stark wie nirgendwo anders in Europa – nicht einmal in Sizilien. Was sind daraus für Schlüsse zu ziehen …
Und obwohl im Kosovo eine beachtliche Anzahl von ultrateuren Nobelkarossen zu bestaunen ist, leben die normalen Menschen, die einer ehrlichen Arbeit gerne nachgehen würden, in einer Armut, die mit Bangladesh konkurrieren kann. Die Arbeitslosigkeit oszilliert um die 50 Prozent-Marke. Jugendarbeitslosigkeit erreicht in schlechten Zeiten eine Marke von 70 Prozent. Und 34 Prozent aller Menschen in diesem Drogenparadies vegetieren unterhalb der Armutsgrenze vor sich hin. Wer kann, wandert aus nach Deutschland oder in andere Regionen dieser Welt. Nicht nur das Kosovo – der gesamte Balkan blutet aus. Junge Frauen aus dem Südosten Europas werden mit interessanten Jobangeboten nach Deutschland gelockt, um sodann in die Zwangsprostitution verkauft zu werden. Sklaverei in unserer Mitte ist längst wieder an der Tagesordnung. Die Männer müssen ihr Leben vergeuden als LKW-Fahrer in Mitteleuropa, einsam und trostlos gepfercht in die Fahrerkabinen ihrer Gigaliner, von A nach B fahrend, ohne Sozialkontakte. In deutschen Trucker-Bordellen treffen sie dann womöglich Frauen aus ihrer Heimat wieder. Während gleichzeitig zuhause auf dem Balkan junge Männer und Frauen dringend benötigt werden, um die Trümmerlandschaften wieder aufzubauen.
Wir lernen aus der Vergangenheit, wie wir die Zukunft besser machen.
Quellen und Anmerkungen:
- Wolff, Ernst: Weltmacht IWF: Chronik eines Raubzugs. Marburg 2014, S.69ff
- Zitiert nach Elsässer, Jürgen: Wie der Dschihad nach Europa kam – Gotteskrieger und Geheimdienste auf dem Balkan. St. Pölten 2005. S.41/42
- Ganser, Daniele: Illegale Kriege – Wie die NATO-Länder die UNO sabotieren. Eine Chronik von Kuba bis Syrien. Zürich 2016. S.172
- Zitiert nach Ganser, Illegale Kriege, S.182
- Jones, Adam (Hg.): Völkermord, Kriegsverbrechen und der Westen. Berlin 2005, S.329
- Jones et al., Kriegsverbrechen. S.336
- a.a.O, S.330
- a.a.O, S.338
- a.a.O, S.338
- Die Welt 29.11.2008, Der BND in den Untiefen des Kosovo, https://www.welt.de/politik/article2803781/Der-BND-in-den-Untiefen-des-Kosovo.html 9.1.2008, Kosovo: UN-Mission impossible, NATO hilflos, Rolle der USA kontraproduktiv, http://www.ag-friedensforschung.de/regionen/Serbien/kosovo37.html
- Stern, 21.2.2008 Kosovo: Mafia-Staat von UN-Gnaden, https://www.stern.de/politik/ausland/kosovo-mafia-staat-von-un-gnaden-3082322.html
Bildquellen:
- https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Former_Yugoslavia_Map.png
- ©Bundesregierung/Fassbender - https://www.bundeskanzlerin.de/bkin-de/kanzleramt/bundeskanzler-seit-1949/gerhard-schroeder
- ©Reineke, Engelbert - REGIERUNGonline; B 145 Bild-00017660
- https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Marshal_Tito,_the_President_of_the_Federal_People%E2%80%99s_Republic_of_Yugoslavia.jpg
- https://www.commens.wikimedia.de/pin/534098837031668510/ - gemeinfrei
- https://de.wikipedia.org/wiki/Osmanisches_Reich#Das_Erbe_des_Osmanischen_Reiches
- https://commons.wikimedia.org/wiki/File:StampYugoslavia1940Michel417.jpg
- https://de.wikipedia.org/wiki/Kroatische_Streitkr%C3%A4fte_im_Zweiten_Weltkrieg#/media/Datei:Kroatischer_Wachposten_StAF_W_134_Nr._026021_Bild_1_(5-92157-1).jpg
- https://igoyugo.tumblr.com/post/5539787218/titograd
- https://de.wikipedia.org/wiki/Internationaler_W%C3%A4hrungsfonds
- ©Kolbenauer/CC BY-SA 4.0
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- https://www.hdg.de/lemo/biografie/hans-dietrich-genscher.html
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- https://i.redd.it/a0z4boluu9g51.jpg
- https://www.sammler-store.de/product_info.php?info=p770_orden-der-jugoslawischen-fahne--grosskreuzsatz.html
- https://www.spiegel.de/spiegel/print/index-1999-16.html
- https://fidelchescosmos.files.wordpress.com/2011/09/scharping1.jpg
- https://www.facebook.com/ZDFinfo/posts/2362007097197888?comment_id=2371034296295168
- https://www.tagesschau.de/multimedia/video/video-515703.html
- https://commons.wikimedia.org/wiki/File:D0%B0%D0%B4%D1%83.jpeg
- https://kroatien-nachrichten.de/so-viele-fluchteten-im-jugoslawien-krieg/
- https://thestrategybridge.org/the-bridge/2019/5/7/not-a-new-erahistorical-memory-and-continuities-in-us-china-rivalry
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- https://www.euractiv.de/section/justiz-und-inneres/news/eu-kosovo-mission-verstarkt-korruptionsbekampfung/
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