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HIStory: Reichstagsbrand 1933

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Der Buchautor und Publizist Hermann Ploppa erläutert in HIStory kurz und sachlich historische Daten und Jahrestage von herausragenden geschichtlichen Ereignissen. Dabei werden in diesem Format Begebenheiten der Gegenwart, die mit einem Blick in die Vergangenheit in ihrer Bedeutung besser einzuordnen sind, künftig alle 14 Tage montags in einen geschichtlichen Kontext gebracht.

HIStory: Reichstagsbrand 1933: Der entscheidende Schockstoß für die Nazis

In der heutigen Folge von HIStory geht es um den Reichstagsbrand von 1933.

Lügen haben manchmal ziemlich lange Beine. Seit sechzig Jahren wird nun an Schulen und Universitäten oder in den Medien unablässig gepredigt (1), das ehrwürdige Reichstagsgebäude in Berlin sei im Schicksalsjahr 1933 von dem Anarchisten Marinus van der Lubbe im Alleingang angezündet worden. Die Nazis waren somit von allem Verdacht reingewaschen, den Reichstag in Schutt und Asche gelegt zu haben.

Gegen diese Erzählung spricht allerdings die kürzlich wieder aufgefundene eidesstattliche Aussage des SA-Mannes Hans-Martin Lennings. Lennings sagte am 8. November 1955 bei einem Notar unter Eid aus, dass er am Abend des 27. Februar 1933 den später zum Tode verurteilten holländischen obdachlosen Maurergehilfen Marinus van der Lubbe persönlich im Auto zum Reichstagsgebäude gefahren habe: als er zwischen 20 und 21 Uhr am Reichstag eintrifft, riecht es bereits heftig nach Feuer.

Er liefert van der Lubbe bei einer Person im Reichstagsgebäude ab, und fährt dann eilig wieder davon. Als Lennings am nächsten Tag in der Zeitung liest, dass van der Lubbe als Brandstifter angeklagt wird, beschwert er sich bei seinen SA-Vorgesetzten. Denn der Holländer saß ja zur Tatzeit in Lennings Auto. Van der Lubbe konnte unmöglich der Brandstifter sein (2). Da Lennings nicht lockerlässt, wird er in „Schutzhaft“ genommen. Danach zieht er es vor, lieber erstmal im Ausland unterzutauchen.

Dass ein einziger Mensch einen gigantischen Gebäudekomplex wie den Reichstag in wenigen Minuten in Schutt und Asche legen kann, widerspricht allen Grundannahmen der Wissenschaft. Diesen Unsinn hatte jedoch der Verfassungsschutzbeamte Fritz Tobias 1959 bis 1960 in elf Folgen über die Leserschaft des Hamburger Nachrichtenmagazins Der Spiegel herabregnen lassen mit dem Segen des Spiegel-Herausgebers Rudolf Augstein. Der Historiker Hans Mommsen bescheinigte damals den Tobias-Eingebungen absolute Seriosität. Damit war diese Story verbindliche Lehrmeinung in der Historikerzunft. So einfach ist das. Wer es wagte, der Tobias-Story mit vernünftigen Argumenten zu begegnen, wurde von der Tobias-Clique bedroht und gemobbt.

In einer sehenswerten Fernsehdokumentation (3) aus dem Jahre 2003 sagt der Direktor der Berliner Feuerwehr, Albrecht Brömme, dass es einige Stunden braucht, bis aus einem mühsam angefachten Schwelbrand ein Großbrand erwachsen kann. Dazu bedarf es eines Brandbeschleunigers. Das kann beispielsweise Benzin sein. Und in der Tat fand man in den Brandresten Pappschilder, auf den Boden des Plenarsaals geworfen, versetzt mit Benzin.

Und der „Alleintäter“ Marinus van der Lubbe? Ein vierundzwanzigjähriger Obdachloser, der durch Europa stromerte. Schaute auch mal bei anarchistischen Splittergruppen vorbei. Wurde aber schnell wieder rausgeworfen, weil ihm Kontakte zu Polizeispitzeln nachgesagt wurden. Alles andere als ein Kommunist, wie es ja die Nazis behaupteten. Eher einsam und isoliert. Nur noch 15 Prozent Sehkraft und leicht gehbehindert. Schwer ansprechbar, beinahe autistisch. Manchmal irre Absenzen. Van der Lubbe im Leipziger Prozess im Sommer und Herbst 1933: völlig abwesend, der Kopf ungewöhnlich tief hängend. Entweder schwer krank oder unter harten Drogen oder Opfer schwerer Folter. Dieser Mann war überhaupt nicht verhandlungsfähig. Ein psychologisches Gutachten hätte zunächst einmal van der Lubbes Schuld- und Verhandlungsfähigkeit klären müssen. Stattdessen wurde van der Lubbe zum Tode verurteilt, und sein Kopf danach mit einer brandneuen Guillotine vom Rumpf getrennt.

Ebenfalls als Brandstifter angeklagt waren vier Kommunisten. Zum einen der Fraktionsvorsitzende der Kommunistischen Partei Deutschlands im Reichstag, Ernst Torgler. Dann drei Kommunisten aus Bulgarien. Der prominenteste unter ihnen: Georgi Dimitroff. Nach einem gescheiterten Revolutionsversuch in Bulgarien flieht Dimitroff zunächst nach Österreich, wo ihm die Leitung der österreichischen Kommunistischen Partei anvertraut wird. Am 9. März 1933 verhaften ihn die Nazischergen in Deutschland. Dimitroff wird nun ebenfalls wegen vermeintlicher Brandstiftung in der Causa Reichstag angeklagt.

Alle vier Kommunisten stehen im Gefängnis unter äußerstem Stress und ständiger Todesangst. Dimitroff trägt für die gesamte Haftdauer eiserne Handschellen. Trotzdem eignet er sich autodidaktisch Kenntnisse über das deutsche Strafrecht an. Die bedrohten Kommunisten können weder Strafverteidiger ihrer eigenen Wahl noch Entlastungszeugen bestimmen. Neben den glänzenden rhetorischen Leistungen Dimitroffs helfen jedoch den Kommunisten die weltweiten Solidaritätsbekundungen, diese schlimme Zeit zu überstehen und schließlich und endlich den Freispruch für sich zu erwirken. Denn das Prinzip der Rechtsstaatlichkeit ist im Jahre 1933 noch nicht vollständig suspendiert.

Dass die Kommunisten von ihren Nazi-Todfeinden irgendwann unter fadenscheinigen Vorwänden an den Pranger gestellt wurden, konnte niemanden mehr überraschen. Und niemand nahm den Nazis ihre Lügengeschichten wirklich ab. Bei van der Lubbe wusste keiner so genau, wie man ihn einschätzen sollte. Man war allgemein ein wenig erleichtert, dass die Sache mit van der Lubbes Köpfung und dem Freispruch für die Kommunisten ihr Bewenden hatte.

Und es war klar, dass die Nazis selber den Reichstag angezündet hatten. Nach der Niederlage im Zweiten Weltkrieg gab es zahlreiche Gerichtsverfahren und Erlebnisberichte (4), die ein hohes Maß an Übereinstimmung über den Tathergang aufweisen: demzufolge gibt es einen Tunnel, der das Reichstagsgebäude mit dem Amts- und Wohngebäude des Reichstagspräsidenten verbindet. Beide Gebäude hatten damals ein gemeinsames Heizkraftwerk, und durch diesen zwei Meter hohen Verbindungstunnel verliefen die Heizungsrohre.

Durch diesen Tunnel dringt an jenem Abend eine SA-Meute unter Führung von Karl Ernst aus dem Palais des Reichstagspräsidenten quasi durch die Hintertür in den Plenarsaal des Reichstages ein. Die Brandstifter verstreuen hinter einem Vorhang deponierte Namensschilder der Reichstagsabgeordneten auf dem Boden, übergießen die Pappe mit Benzin und zünden das Ganze an. In der Schwelbrandphase können die SA-Männer sodann wieder durch den Tunnel unbemerkt zum Präsidentenpalais entkommen. Zur gleichen Zeit, zwischen 20 und 21 Uhr, sind alle Türen des Plenarsaales bis auf eine abgeschlossen. Der Sicherheitsdienst läuft die Flure entlang Er bemerkt nichts Verdächtiges. Als die Tür zum Plenarsaal geöffnet wird, gelangt zusätzlicher Sauerstoff in den Saal. Der Schwelbrand mutiert sofort zum Großbrand.

Van der Lubbe, von den SA-Leuten durch den Haupteingang ins Foyer geschubst, wird nunmehr vom aufgebrachten Hausinspektor Scranowitz als Brandstifter wahrgenommen und geschlagen. Nun beginnt die Arbeit für die preußische Polizei und die Feuerwehr.

Die Frage, ob eine Person oder ein interessiertes Kollektiv den Reichstag in Brand gesetzt hat, ist keineswegs akademischer Natur. Kein Glasperlenspiel für gelangweilte Historiker. Es geht hier um großes Geld und um Politik.

Der Reichstagsbrand war für die Nazis und ihre Auftraggeber ein ganz entscheidender Coup, um Deutschland außenpolitisch komplett an die westliche Wertegemeinschaft anzugliedern und die Umstellung der deutschen Wirtschaft auf Kriegsvorbereitung gegen die Sowjetunion energisch in Angriff zu nehmen.

Nach dem Ersten Weltkrieg war Deutschland nur noch bedingt ein souveräner Staat. Seit den Großkrediten des Dawes-Plans im Jahre 1924 waren die Reichsbank, die Reichsbahn und die deutschen Kommunen mit amerikanischen Krediten überschüttet worden und das Inventar dieser beliehenen Einrichtungen an die amerikanischen Banken unter der Führung der JP Morgan-Bank verpfändet worden. Die zu zahlenden Reparationen schränkten die Manövrierfähigkeit Deutschlands erheblich ein. Um sich ein bisschen Luft zu verschaffen, hatte die Weimarer Republik seit dem Vertrag von Rapallo 1922 eine heimliche Affäre mit der Sowjetunion angefangen. Die Reichswehr baute in der Sowjetunion Panzerdivisionen und Flugstaffeln auf. Das ging nur heimlich. Denn diese Aufrüstung verstieß gegen die einschlägigen Regelungen des Versailler Vertrags. Auch die Wirtschaftsbeziehungen waren eng zwischen Deutschland und der Sowjetunion.

Auf der anderen Seite halfen US-Konsortien, deutsche Konzerne und Kartelle zusammenzuschustern. Das prominenteste Beispiel dieser Kartellentwicklung war der weltweit größte Chemiekonzern IG Farben. Die deutschen Stahlkonzerne waren zudem in einen weltweiten Kartellverbund eingewoben. 1930 gründeten der amerikanische Banker Owen D. Young, der englische Zentralbankchef Montagu Norman sowie der deutsche Reichsbankpräsident Hjalmar Schacht die in der Schweiz ansässige Bank für Internationalen Zahlungsausgleich. Angeblicher Zweck dieser neuen Bank sollte die Erleichterung der Reparationszahlungen von Deutschland an die USA, Großbritannien und Frankreich sein.

Bereits 1932 auf der Konferenz von Lausanne jedoch wurden Deutschland alle Reparationszahlungen erlassen. Der damalige deutsche Reichskanzler Franz von Papen revanchierte sich für diesen Schuldenerlass elf Tage später mit dem so genannten „Preußenschlag“. Denn von Papen setzte ohne jede Rechtsgrundlage die Regierung des Bundesstaates Preußen ab. Dazu muss man wissen, dass Preußen etwa zwei Drittel des Reichsterritoriums ausmachte; und während auf Reichsebene ständig die Regierungen wechselten und sich keine Stabilität einstellen wollte, war Preußen in der Weimarer Demokratie ein Fels in der Brandung. Dort herrschten all die wilden Jahre der Weimarer Republik über die Sozialdemokraten. Die Polizei bestand mehrheitlich aus Sozialdemokraten und sah sich als Wächter der Freiheit. Nur gegen die konkurrierenden Kommunisten gingen Karl Zörgiebel und andere sozialdemokratische Polizeichefs mit äußerster Brutalität vor.  Mit dem Preußenschlag war nun der Weg frei für ein diktatorisches Regime.

Im Jahre 1932 verspricht Hitler den Konzernlenkern in Deutschland herrliche Zeiten. Der Weg zur Macht scheint nun frei zu sein für die Nazis. Jedoch im November 1932 kommt es bei der Reichstagswahl zu einer faustdicken Überraschung: das deutsche Volk denkt gar nicht daran, Hitler die Regierungsgewalt zu übergeben. Stattdessen verlieren die Nazis zwei Millionen Wählerstimmen und die Kommunisten gewinnen 800.000 Stimmen hinzu. General von Schleicher versucht als neuer Kanzler, den Nazis den Weg nach oben abzuriegeln.

Die Nazis können jetzt nur noch mit schmutzigen Tricks ihren Untergang aufhalten. Am 4. Januar 1933 treffen sich Ex-Kanzler Franz von Papen und Adolf Hitler im Haus des international netzwerkenden Privatbankiers Kurt von Schröder. Die ehrenwerten Herrschaften verabreden eine Koalitionsregierung zwischen der NSDAP und der DNVP. Kurt von Schröder ist Teil einer international agierenden Sippe von Privatbankiers, die mit eigenen Dependancen in London und New York gut aufgestellt sind. Privatbankhäuser, wie z.B. auch das transatlantisch aufgestellte Bankhaus Warburg, sind in jenen Jahren für die delikaten politischen Geschäfte zuständig, da sie im Gegensatz zu den nicht persönlich haftenden großen Banken ihre Aktivitäten nicht öffentlich dokumentieren mussten.

Mit den Schröder- und Warburg Banken sind bedeutende Wall Street-Anwaltskanzleien wie Cravath oder Sullivan and Cromwell verbunden, deren Staranwälte, die Brüder Allen und John Foster Dulles oder John McCloy die deutsch-amerikanischen Kartellbildungen organisiert haben. Und so kann man getrost davon ausgehen, dass Baron von Schröder bei dem Kölner Treffen nicht nur seinen Salon sowie Kaffee und Kuchen zu der Runde beigesteuert hat. Baron von Schröder wird später Ehrenmitglied der SS. Hitler soll ihn in Zukunft zu allen wichtigen Fragen seiner Regierungstätigkeit heranziehen und um Rat bitten.

Folge des Treffens: Hitler wird am 30. Januar 1933 Reichskanzler, von Papen sein Stellvertreter. Der Nazi Wilhelm Frick übernimmt schon mal das für die weitere Entwicklung entscheidende Innenministerium. Hermann Göring wird Minister ohne Geschäftsbereich sowie kommissarischer Innenminister von Preußen – dank des Preußenschlags befindet sich nun der gesamte bedeutende Polizeiapparat unter direkter Kontrolle der NSDAP!

Am 1. Februar wird der Reichstag aufgelöst und Neuwahlen sind für den 5. März 1933 anberaumt.

Nun schwimmen die Nazis zwar im Geld. Aufgrund der extremen Korruption geht den Nazis das Geld aber immer wieder schnell aus. Also laden der Gründer der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich, Hjalmar Schacht, und der neue Reichstagspräsident – das ist auch wiederum kein anderer als Hermann Göring – 27 führende Unternehmer und Konzernherren für den 20. Februar in das Reichstagspalais ein. Und alle bedeutenden Konzernchefs kommen. Nur die Herren Siemens und Bosch bleiben der verschwörerischen Versammlung fern. Hitler hält einen Vortrag, in dem er die Bedeutung des Privateigentums noch einmal hervorhebt und in den grellsten Farben die Bedrohung des Kommunismus für eben dieses Privateigentum ausmalt und den Unternehmern verspricht, endgültig mit der roten Gefahr aufzuräumen.

Dazu müsse man aber nach der nächsten Reichstagswahl eine satte Zweidrittelmehrheit für ein Ermächtigungsgesetz mit der jetzigen Regierungskoalition erlangen. Dann geht Hitler. Göring, Mann für das Grobe, wird nun in seinem Vortrag deutlicher: wir Nazis sind pleite! Ich bitte um reichliche Geldspenden, damit wir die Zweidrittelmehrheit erlangen. Im Gegenzug garantieren wir Ihnen, dass es die nächsten zehn Jahre keine Wahlen mehr geben wird. Wenn denn überhaupt noch jemals Wahlen stattfinden werden. Dann kommt Hjalmar Schacht mit einem Hut daher. Es kommen drei Millionen Reichsmark zusammen für Hjalmar Schachts Sonderkonto Nationale Treuhand. Das Geld geht an die NSDAP und in bescheidenerem Umfang an die Partner von der DNVP.

So ganz sicher sind sich die Nazis denn doch nicht, dass sie am 5. März die Zweidrittelmehrheit für die Ermächtigungsgesetze bekommen. Also wird massiv nachgeholfen. Nämlich mit dem Reichstagsbrand eine Woche später. Es ist der Abend des 27. Februar. Da kommt der entscheidende Schock. Der Reichstag ist schließlich das Symbol für die politische deutsche Identität seit seiner Eröffnung im Jahre 1884. Dort debattierten die Abgeordneten der konstitutionellen Monarchie des kaiserlichen Preußens. Und dort tagten später die Abgeordneten der Weimarer Republik. Das Sinnbild deutscher Kontinuität ist mit einem Schlag vernichtet.

Was sich jetzt abspielt, funktioniert ganz nach der von Naomi Klein (5) beschriebenen Schock-Strategie: es kommt eine extrem brutale Attacke, mit der die Attackierten schon wegen des Ausmaßes der Brutalität nie gerechnet haben. Die Attacke bricht mit allen Spielregeln zivilisierter Konfliktaustragung und konfrontiert ihre Opfer mit einem Rückfall in die Steinzeit. Die Angegriffenen sind fassungslos und mental vollkommen gelähmt. Eine kleine zu allem entschlossene Minderheit überrennt das Feld nahezu widerstandslos. Noch in der Nacht des Reichstagsbrandes werden vier Millionen SA-Männer von der Leine gelassen.

Im Laufe der folgenden Tage werden hunderttausende Wohnungen aufgebrochen. Menschen werden in improvisierte Kerker oder Konzentrationslager verschleppt und bestialisch gefoltert. Alleine im Bundesstaat Preußen verschwinden bis Mitte Mai 100.000 Menschen in Folterkellern. Der offizielle, früher durchaus seriöse Allgemeine Preußische Pressedienst (APPD) ist dank des Preußenschlags jetzt ein Sprachrohr der Nazis geworden und verbreitet die wildesten Lügen. Angeblich wollen die Kommunisten unschuldige Kinder und Frauen in Deutschland entführen und das Eisenbahnnetz lahmlegen. Sabotage der einheimischen Wirtschaft. Beweise? Oder wenigstens Indizien? Fehlanzeige.

Hitler überreicht dem senilen Reichspräsidenten von Hindenburg am 28. Februar, also bereits am Morgen nach dem Brand, ein umfangreiches Konvolut von Verordnungen. Alles fertig ausformuliert, redigiert und spruchreif. Der Präsident unterschreibt sofort. Es handelt sich um die Reichstagsbrandverordnung (6). Mit dem Gesetzeswerk, wohl kaum in eben dieser Brandnacht verfasst, sind mit einem Schlag alle Bürgerrechte beseitigt. Die politischen Gegner der Nazis und ihrer konservativen Komplizen sind ausgeschaltet. Sowohl der SPD als auch der KPD wird die aktive Wahlwerbung untersagt. Die KPD-Politiker verschwinden in frisch eröffneten Konzentrationslagern. Tatsächlich hat Hitler den Unternehmern am 20. Februar nicht zu viel versprochen.

Und auch an seine Sponsoren aus der Ölindustrie hat Hitler beim Reichstagsbrand gedacht. Schließlich hat allein der Chef von Royal Dutch Shell, der Holländer Henri Deterding, 55 Millionen Gulden in die Nazi-„Bewegung“ investiert. Es gab die Deutsche Vertriebsgesellschaft für Russische Ölprodukte (DEROP), die seit dem Rapallo-Vertrag Benzin aus der Sowjetunion in Deutschland in über 2000 Tankstellen vermarktet. Im Windschatten des Reichstagsbrandes wird mal eben der Direktor der DEROP in Hamburg ermordet. Sämtliche DEROP-Mitarbeiter, allesamt Kommunisten, verschwinden in Konzentrationslagern. Der Benzinhandel mit der Sowjetunion ist mit einem Schlag beendet. Deterdings Investition in Hitler hat sich gelohnt.

Nun sollten einem Erdrutschsieg der NSDAP bei den Reichstagswahlen am 5. März unter diesen eigens für die Nazis präparierten Bedingungen nichts mehr im Wege stehen. In den Wahllokalen stehen breitbeinig SA-Leute, und machen nonverbal klar, wen man zu wählen hat. Tandem-Gespanne aus je einem SA-Mann und einem Polizeibeamten mit deutschen Schäferhunden an der Leine patrouillieren durch die Straßen. Wenn SA-Bataillone durch die Straßen paradieren, sind die Passanten auf den Bürgersteigen verpflichtet, den Arm zum Hitlergruß zu erheben. Anderenfalls greifen sich die SA-Schläger den Hitlergruß-Verweigerer und prügeln ihn mal eben krankenhausreif. So entstehen die Fotos mit salutierenden Bürgern, die später herhalten müssen als Beleg für die angeblich so massenhafte Begeisterung der Deutschen für die Nazis. Der Wahltag verläuft jedoch nicht ganz glatt: 69 Menschen finden an diesem Tag den Tod, Hunderte Verletzte sind zu beklagen.

Doch das alles nützt nichts. Zwar ist die Wahlbeteiligung höher als im November 1932. Und die Nazis gewinnen Stimmen hinzu und erreichen jetzt 43 % der abgegebenen Stimmen, während ihr Koalitionspartner DNVP, jetzt unter dem Namen Kampffront Schwarz-Weiß-Rot, leicht verliert. Die anderen Parteien verlieren auch Stimmenanteile. Nun ist natürlich auch nicht mehr zu ermitteln, ob es bei den Stimmenauszählungen mit rechten Dingen zugegangen ist. Das ist eher unwahrscheinlich. Es reicht trotz allem nicht für die von den Konzernherren erhoffte Zweidrittelmehrheit. Die ist für eine Verfassungsänderung unverzichtbar. So kommt es, dass die Weimarer Verfassung in den nun folgenden zwölf Jahren Nazi-Herrschaft nie abgeschafft wurde. Eine neue Verfassung wurde nie proklamiert. Eine Woche nach der Wahlfarce vom 5. März verjagen SA-Trupps die demokratisch gewählten Bürgermeister aus den Rathäusern. Die noch unwilligen Länderregierungen werden durch Reichskommissare ersetzt.

Aus dem Gesagten wird klar, dass es einen erheblichen Unterschied macht, ob ein einzelner Wirrkopf das Reichstagsgebäude rein zufällig angezündet hat, oder ob es sich hier um einen von langer Hand veranlassten Schockstoß gegen die Bevölkerung handelt. Wie konnte ausgerechnet das als liberal angesehene Hamburger Nachrichtenmagazin Der Spiegel sich 1959 hergeben für die absurde Alleintätertheorie des Fritz Tobias? Betrachten wir dazu das Milieu in den Fünfziger Jahren des letzten Jahrhunderts. Das Hamburger Nachrichtenmagazin wurde bis zur berühmten Spiegel-Affäre keineswegs als links oder liberal angesehen. Vielmehr war der Spiegel ein Sammelbecken von schwer belasteten Kriegsverbrechern aus den Reihen der SS oder der Nazi-Geheimdienste.

Um nur ein paar Namen zu nennen: Stellvertretender Chefredakteur des Spiegel war in den 1950er Jahren Georg Wolff. Im Krieg war Wolff in der SS Hauptsturmführer. Horst Mahnke war seit 1952 Ressortleiter Ausland beim Spiegel. Seit 1939 war Mahnke im Reichssicherheitshauptamt verantwortlich für „Weltanschauliche Forschung“. Im Krieg musste Mahnke auch selber mit Hand anlegen bei der massenhaften Ermordung von Juden und Kommunisten in der Sowjetunion als Hauptsturmführer Vorkommando Moskau und nahm an den Erschießungen von Smolensk teil.

Wilfried von Oven berichtete aus Lateinamerika als Korrespondent für den Spiegel. Augstein hatte ihm für die Flucht nach Argentinien extra einen Presseausweis ausgestellt. Oven war schon 1931 in NSDAP und SA eingetreten und nahm an den Massakern der berüchtigten Legion Condor im Spanischen Bürgerkrieg teil. Beim Überfall auf Polen setzte er als Mitglied der Propagandakompanie den deutschen Blitzkrieg in das richtige Licht. Besondere Verdienste erwarb sich Oven, als er beim Attentat auf Hitler am 20. Juli 1944 die Telefonleitung von Hitler zu Goebbels herstellte, was dem Propagandaminister die Gewissheit gab, dass der „Führer“ noch lebte. Damit trug Oven zum Scheitern des Putsches von Stauffenberg bei.

Auch Erich Fischer oder Johannes Matthiesen hatten sich im Krieg bei der SS „bewährt“ und waren jetzt an führender Stelle beim Spiegel beschäftigt. Die meisten der genannten Leute waren während ihrer Tätigkeit beim Spiegel zugleich informelle Mitarbeiter der Organisation Gehlen, die heute Bundesnachrichtendienst heißt. Und wie wir von BND-Chronist Heinz Höhne wissen, trafen sich BND-Agenten und die Redaktionsleiter des Spiegel regelmäßig, um die Anliegen des Geheimdienstes im Spiegel gut platzieren zu können.

Von daher ist es nun überhaupt kein Wunder, dass der Spiegel sich mit der Fritz-Tobias-Kampagne zugunsten der Nazis hervortat. Es sind zwei Zwecke, die mit der herbei gequälten Alleintäter“theorie“ zum Reichstagsbrand erreicht werden sollen: zum einen sollen die zahlreichen Seilschaften der Altnazis gedeckt werden, die den Apparat der jungen Bundesrepublik fest im Griff hatten. 30.000 Nazi-Schwerkriegsverbrecher wurden vom Vatikan und US-amerikanischen Geheimdiensten über die so genannte Rattenlinie ins sichere Franco-Spanien oder nach Lateinamerika verschifft. Diese Kriegsverbrecher nahmen aus der Ferne Einfluss auf die Politik in Deutschland. Klaus Barbie, der Schlächter von Lyon, stand sogar auf der Gehaltsliste des BND! Und auch in Deutschland selber gaben die Altnazis im Kalten Krieg dank der massiven Protektion durch die USA schon wieder den Ton an. Allen voran Reinhard Gehlen vom BND oder Hans Globke als graue Eminenz im Kanzleramt.

Zum anderen setzte sich in Deutschland zunehmend die Totalitarismustheorie durch. Neben der unbewiesenen Behauptung, Nazisystem und Sowjetkommunismus seien vom Wesen her identisch, gehörte zu dieser Legendenbildung die Grundannahme, das dumme Volk habe den Naziterror selber gewünscht und in der großen Mehrheit regelrecht in die Macht geschubst. Immer mehr verklumpten sich Ideologeme zu einer nebulösen Kollektivschuld“theorie“, die sich in den Anklageschriften der Alliierten Tribunale nirgendwo findet. Die Eliten wälzen ihre schwere Schuld am Naziterror auf die Opfer, die normale Bevölkerung ab. Diese als Theorie getarnte Legende ist durch die Entlarvung der Alleintäterschaft van der Lubbes als Erfindung der einschlägigen braunen Seilschaften natürlich aktuell schwerstens in Gefahr.

Was schert es die Hof-Historiker, dass bereits kurz nach der Verkündung der Fritz-Tobias-Legende der Historiker und Gymnasiallehrer Hans Schneider im Auftrag des Münchner Instituts für Zeitgeschichte Ungereimtheiten aufgezeigt hatte? Hans Mommsen sorgte damals dafür, dass die Befunde von Schneider nicht in der Zeitschrift des Münchner Instituts erscheinen durften. Mommsen versuchte, Druck auf Schneider über dessen Vorgesetzte in der Schulbehörde auszuüben. Das Institut für Zeitgeschichte distanziert sich mittlerweile von allen Tobias-Mommsen-Intrigen.

Es ist vielleicht nicht ganz unerheblich zum Verständnis der Bedeutung des Reichstagsbrandes, dass die Nazis ihre Machtergreifung mit dem so genannten Röhm-Putsch im Jahre 1934 zum Abschluss brachten. Bei diesem Blutbad wurden nicht nur sozialrevolutionäre Elemente in der SA exekutiert. Auch Konservative Politiker, die für ein souveränes Deutschland standen, wie z.B. General von Schleicher oder Edgar Jung wurden aus dem Weg geräumt. Und nicht zu vergessen, auch Mitwisser und Mit-Täter der Reichstagsbrandaffäre wurden gleich mit umgebracht. Zum Beispiel der Berliner SA-Führer Karl Ernst. Derselbe Karl Ernst, der die SA-Brandstifter-Meute durch den Tunnel vom Palais des Reichstagspräsidenten in den Plenarsaal geleitete, wo sie sodann ihre Brandbeschleuniger ausbrachten und Feuer anzündeten.

Wir lernen aus der Vergangenheit, wie wir die Zukunft besser machen.

Quellen und Anmerkungen:

  1. https://www.zukunft-braucht-erinnerung.de/der-reichstagsbrand-1933/
  2. Van der Lubbe soll zwischen 20 und 21 Uhr das Reichstagsgebäude betreten haben. Dann soll er mit „Kohlezünder“ (so Tobias in einer Fernsehsendung) seine Jacke entzündet und damit die Täfelung des Saales angezündet haben. Der erste Feuerwehrnotruf wurde bereits um 21:13 ausgelöst …
  3. https://www.youtube.com/watch?v=BU5EGjiuXAw
  4. Stellvertretend für viele Darstellungen vor dem Tobias-Diktum sei hier genannt: William L. Shirer: Aufstieg und Fall des Dritten Reiches. Frechen o.Jg. S.188ff. Originalausgabe: The Rise and Fall of the Third Reich. New York 1960.
  5. Naomi Klein: Die Schock-Strategie – Der Aufstieg des Katastrophen-Kapitalismus. Frankfurt/Main 2009.
  6. Exakte Bezeichnung: „Verordnung des Reichspräsidenten zum Schutz von Volk und Staat“.

Empfohlene Lektüre: Benjamin Carter Hett: Der Reichstagsbrand – Wiederaufnahme eines Verfahrens. Hamburg 2016.

Bildquellen:

  1. https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Reichstagsbrand.jpg
  2. https://www.wikiwand.com/en/Marinus_van_der_Lubbe
  3. https://www.booklooker.de/B%C3%BCcher/Vossische-Zeitung-28-Februar-1933-Reichstagsbrand-van-der-Lubbe-Berichte/id/A02j4Rin01ZZy
  4. https://katholisches.info/2015/11/27/die-spiegel-reichstagsbrandserie-von-195960-eine-journalistische-geschichtsverneblung-wird-als-aufklaerung-verkauft-vorspiegeleien-v/
  5. https://www.berliner-feuerwehr.de/ueber-uns/historie/historische-einsaetze/1933-reichstagsbrand/
  6. https://www.dhm.de/lemo/biografie/biografie-marinus-van-der-lubbe.html - gemeinfrei
  7. https://www.wikiwand.com/en/Marinus_van_der_Lubbe
  8. © Bildarchiv Preußischer Kulturbesitz - gemeinfrei
  9. https://heartfield.adk.de/node/9284
  10. https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Ernst_Portr%C3%A4t.jpg
  11. https://www.wikiwand.com/en/Reichstag_fire
  12. https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Bundesarchiv_Bild_102-14367,_Berlin,_Reichstag,_ausgebrannte_Loge.jpg
  13. https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Comit%C3%A9_Dawes.jpg
  14. https://www.sr.de/sr/sr2/sendungen_a-z/uebersicht/zeitzeichen/20201202_zeitzeichen_ig_farben_sendung_100.html
  15. ©BISA.7.27.2.PEO.4.Historical.photos.125 - gemeinfrei
  16. https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Bundesarchiv_Bild_183-1988-0113-500,_Franz_v._Papen_(cropped)(2).jpg
  17. https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/4/4d/Bundesarchiv_B_145_Bild-P046291%2C_Berlin%2C_Reichstagswahl%2C_Wahlzettel.jpg
  18. https://collections.ushmm.org/search/catalog/pa1085592
  19. https://www.geschichte-abitur.de/lexikon/uebersicht-weimarer-republik/von-papens-geheimtreffen-mit-hitler
  20. https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/e/ee/Adolf_Hitler_Berghof-1936.jpg
  21. https://www.hitler-archive.com/photo.php?p=illeR09p
  22. https://www.hitler-archive.com/photo.php?p=cyTvbnA7
  23. http://www.dorsten-unterm-hakenkreuz.de/2012/05/28/hilfspolizei-aus-sa-und-ss-ging-1933-mit-auserster-brutalitat-gegen-politische-gegner-und-juden-im-staatlichen-auftrag-wilde-konzentrationslager-eingerichtet/ - gemeinfrei
  24. https://www.dhm.de/lemo/bestand/objekt/paul-von-hindenburg-und-adolf-hitler-1933.html
  25. https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Henri_Wilhelm_August_Deterding.jpg
  26. https://www.dhm.de/fileadmin/lemo/suche/search/?q=Sturmabteilung%20(SA) - gemeinfrei
  27. https://www.bundesarchiv.de/aktenreichskanzlei/1919-1933/0000/vpa/vpa2p/bild3/index.html
  28. https://www.spiegel.de/fotostrecke/fotostrecke-spiegel-geschichte-fotostrecke-12033.html
  29. https://www.historicalblindness.com/blogandpodcast//firebrand-in-the-reichstag
  30. https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Gedenkteken_Marinus_van_der_Lubbe.jpg

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